Artikelaktionen
<< < > >>

Johann Gottlieb Christaller an Tochter Martha:

Wohnprobleme und Sorgen um Entfaltung der verschiedenen Söhne

(Schorndorf, 26. März 1883)

M3,83 G C 1

<1>

[...] Mutter hat natürlich vollauf zu thun, u ich soviel, daß vielfach eines das andere hindert u ich mir oft vorkomme wie ein zahlungsunfähiger Schuldner. Von meinen Drucksachen hat mir die Neubearbeitung einer Ga-Fibel u das Zurichten des Manuskriptes für ein in Basel zu druckendes Gemeindeblatt verhältnismäßig am meisten Mühe gemacht. Englisch zu schreiben für den Druck u anderer Beiträge zu korrigieren, finde ich sehr schwierig; Beiträge der Eingeborenen sind meistens in Tschi u Ga.

<2>

[...] Große Lust hätte ich, diese Woche einen Besuch bei Euch (d.h. Martha ist bereits verheiratet.) zu machen, weil vom 29.-31. März der 3. Dt. Geographentag in Frkf gehalten wird, bei dem ich neben Mittheilungen über die Geographie der Goldküste auch nöthige Fragen wegen genauer Schreibung fremder Eigennamen in deutschen Berichten vorbringen möchte. Ohne diesen Anlaß hätte ich natürlich nicht an einen Besuch denken können. [...] (Aber Kosten u Mangel an Zeit sprechen jedoch gegen den Besuch.)

<3>

[...] Es ist neulich die Künkelinstraße um einige Füß tiefer gelegt worden, den Platz, auf dem unsere Hecke stand, mußte ich größtentheils hergeben, u wir müssen den Garten vor dem Haus so tief legen, daß er sich vom Kirschbaum an zur Straße hinab abdacht.

<4>

Bertha (mit kleinem Hermann, dem letzten, geb. Febr. 1882) schläft oben u hat den drei Größeren das südliche Eckzimmer gelassen, das mittlere Zimmerchen ist zum Eßstübchen ganz recht. Bei der größeren Kälte mußte man aber doch wieder in der Wohnstube essen. Statt des gelben Kanarienvogels, den die Katze gefressen, erhielt Oskar (4-jährig) einen grau u gelben, dessen Käfig nun von der Decke hängt. [...] (Er habe eben Besuch von Witwe Mader.) (schreibt weiter an liebe Schwester Hanne Rapp): (Gustav habe einen Bandwurm gehabt, wurde davon befreit)

<5>

Es kam mir dabei der Gedanke, es sei immerhin noch besser, einen solchen Schmarotzer im Leibe zu haben, den man in wenigen Tagen los werden, als den Bandwurm der Zweifelsucht u des philosophischen Wahnglaubens in seinen Geist aufgenommen zu haben.

<6>

Meinem Ernst habe ich den Rest seines Großvaterguts mit 190 Mark auf sein Begehren geschickt.

<7>

Aber ihr Wissensdünkel u Hochmut (Erdmanns und Ernsts) ist so groß, daß sie alles, was gegen sie spricht, gar nicht der Beachtung werth finden. Ob Ernst eine Stellung finden wird, in der er seinen nothdürftigen Lebensunterhalt herausschlägt, weiß ich nicht. Aber nun ist er ja selbständig. Ich darf ihm nun nichts mehr sagen, aber auch nichts mehr geben, und Erdmann ebenso. Hoffentlich thun auch die Verwandten nichts für sie ohne mein Wissen. Paul u Martha können nun die Befriedigung haben, daß ich die beiden nicht ferner mit Zusendung von Schriften behelligen werde. Aber kann ich von ihnen u von Theodor auch das erwarten, daß sie mit gehörigem Ernst u Anliegen um der Brüder Erleuchtung u Bekehrung beten? Wenn man bloß zuwarten wollte, was aus ihnen wird, u ob sie von selber zur Einsicht kommen werden, so wäre das gewiß nicht das rechte. Wenn sie nicht wollen, so müssen wir wollen, was Gott will, u das ist, daß sie nicht verloren werden, sondern zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Sonst sehe ich nur das voraus, daß Erdmann verstockt bleibt, sich auch um die 3.600 Mark Ersatzschuldigkeit an den württ. Staat nicht kümmert (er ist ja zu faul, ein Praeceptopratsexamen zu machen) u verloren geht, u daß Ernst als Selbstmörder oder im Irrenhaus endigt. Wenn Paul einmal nicht aus dem Lachen herauskommen kann, darf er nur an den trostlosen Unglauben seiner Brüder denken, der furchtbare Folgen haben muß.

<8>

Es thut mir leid, daß ich unversehens wieder zu tief in die Sache hineingekommen bin, weil Paul u Theodor, wie mich dünkt, (dies) zu oberflächlich nehmen. Daß meine jüngeren Kinder recht brav sind, kann ich gerade nicht sagen. Sie haben alle hinlänglich gute Gaben, aber Oskar gibt sich nicht genug Mühe, ist faul zur Arbeit u an Streit u Verklagen fehlts auch nicht. Mutter und ich müssen oft schelten u strafen. Es ist als ob Oskar eben auch von der unter der Jugend einreißenden Unbotmäßigkeit angesteckt wäre. Die älteren Kinder waren seinerzeit ruhiger, aber wie sind doch aus Erdmann und Ernst Söhne des Ungehorsams geworden! (sendet ein Foto von sich.)

Fenster schließen