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Johann Gottlieb Christallers (ausführlicher) Lebenslauf

(25./ 26./ 31. Mai 1847)

BM: BV 357 I 10, vgl. M3,47 G C 1

(Johann Gottlieb Christallers Schilderung seines bisherigen äußeren und inneren Lebens mit der Bitte um Aufnahme als Zögling in die Missionsanstalt zu Basel.)

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Die Art und Weise, wie ich zu diesem Schritte, zu dieser meiner Meldung um Aufnahme in das Missionshaus durch die Führung des erbarmungsreichen Gottes gekommen, wird sich aus der Darstellung meines Lebens und meiner Verhältnisse, die ich, unter dem Flehen zum Herrn um Aufrichtigkeit, hier geben will, von selbst ergeben; - ich suche dieselbe möglichst einfach zu fassen.

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Am 4. Nov. 1827 wurde ich, Joh. Gottlieb Christaller hier in Winnenden geboren und darauf durch die H(eilige) Taufe in den Gnadenbund Gottes aufgenommen. Mein Vater, Georg Gottlieb Christaller, dessen ich mich nicht im Geringsten mehr erinnern kann, da er mir schon 5/4 Jahre nach meiner Geburt durch den Tod entrissen wurde, war (im Besitze von etwa 600 fl Vermögen, worunter ein halbes Haus, Anschlag 200 fl, das er vom Vater, einem recht frommen Stundenhalter, als dessen einziges Kind geerbt) in seinem 34.sten Jahr in die Ehe getreten mit meiner noch lebenden Mutter Johanna Christina, Tochter eines Bäckers Seibold in dem Dorfe Grunbach, welche vom Austritt aus der Schule an, in der sie nur dürftigen Unterricht genossen, in verschiedenen Diensten, die meiste Zeit in Winnenden, gestanden war, (sie hatte sich dabei 184 fl erspart, bekam dagegen von ihren unbemittelten Eltern gar kein Vermögen) und ins 35. Jahr gieng, als sie sich verheiratheten. Aus dieser Ehe wurden zwei Töchter (1820 und 1824) und ich, geboren.

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Mein Vater war Schneider (nähte hauptsächlich in Kundenhäusern) mit den christlichen Gemeinschaften hier und in der Umgegend wohl bekannt; er muß in der Bibel sehr bewandert gewesen seyn und kannte gut die verschiedenen Predigten und Erbauungsbücher, welche er bei Fahrnißversteigerungen, zu bekommen suchte und sie bei nicht vorher bekannten Leuten auch in weiteren Kreisen als blos der nächsten Umgegend, verbreitete. Nun übernahm er aber endlich eine ganze zum Verkauf ausgebotene Büchersammlung, worunter natürlich auch allerlei weltliche Bücher, und errichtete so eine Lesebibliothek (von etwa 2000 Bänden). Einst aber, im Febr. 1829, hatte er eine kleine Reise gemacht nach Fellbach und zurück über Waiblingen und das Dorf Neustadt, gegen zwei Stunden von hier, wo ihn, da es schon Nacht geworden und ein tiefer Schnee lag, seine Bekannten zurückhalten wollten, dennoch machte er sich auf den Weg nach Hause, der Weg war aber keine Straßen, er verirrte, gerieth in Weinberge, wo er sich an einem Pfahl das Auge ausstieß, erkannte ohne Zweifel die Unmöglichkeit, weiter oder nach Hause zu kommen, legte sich daher in den Weinbergen an einem geeigneten freieren Orte, sein Päckchen unters Haupt ordentlich nieder, und wurde so, daß man sehen konnte, er habe sich ganz auf den Tod vorbereitet, erst nach 6 Tagen erfroren gefunden und in Neustadt beerdigt. Schmerzvoll war für meine Mutter diese Auflösung ihrer recht friedlichen und glücklichen Ehe, auch hatte sie nun mit drei unerzogenen Kindern einen harten Stand. Sie weinte in der ersten Zeit wohl viel, und schreibt dem auch meine weiche Gemüthsart, in Folge der ich in meinen Kinder- und Knabenjahren häufig weinte, zum Theil zu. Sie brachte sich durch mit dem Ertrag eines Ackers und Gärtchens, mit Taglohnsarbeiten, dabei auch mit Anleihen von ihrer ihr dienenden Schwester, samt uns Kindern, die sie fleißig zur Arbeit anhielt und, wie der Erfolg zeigt, durch Gottes Gnade auch in der Erziehung nicht verfehlte.

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Die Bücher wurden durch öffentliche Verlosung zum größten Theil veräußert, einige hundert blieben uns noch, wovon die Lesekreuzer uns für den Bedarf der Haushaltung sehr gut kamen. Auch wir Kinder lasen in diesen Büchern, und es mag wohl sein, daß hiedurch (insbesondere bei meiner älteren Schwester) die Ausbildung der uns von Gott geschenkten Verstandesfähigkeiten befördert wurde; denn alle drei nahmen in den Schulen unseres Städtchen die ersten Pläze ein. So durchlief ich theilweise mit Überspringung von Classen die Deutsche Schule bis zur zweiten unter 6 Classen der vierten und obersten Schule. Ich galt allgemein für einen Schüler von besonders guten Anlagen. (O, hätte ich mit diesen Gaben Gottes treuer hausgehalten und sie nicht verderbt und verkümmert!) Außer der Schulzeit genoß ich von dem Hause des damaligen Unteramtsarztes Dr. Truchseß als fast täglicher Gesellschafter seines Sohnes manche Wohlthaten, dabei mußte ich aber, wenns auf dem Acker etwas zu thun gab, meiner Mutter dort helfen, ja ich sammelte längere Zeit mit einem Wägelchen auf den Straßen den Dünger vom Vieh; (ich muß um Entschuldigung bitten, daß ich mit solchen Äußerlichkeiten mich aufhalte, aber ich denke, eine etwas ausführlichere Darlegung meines äußeren Lebenslaufes, ehe ich aufs innerliche komme, dürfte doch für meine Beurtheilung nicht ganz überflüssig sein.) In meinen Kinderjahren, noch ehe ich in die Schule gieng, spielte ich mit einem Knaben, den meine Mutter eine Zeitlang als Kostkind angenommen hatte, den Schulmeister und gab auf die Frage: 'Was willst du auch einmal werden?' zur Antwort: 'Ein Schulmeister', meine Mutter glaubte auch, daß dieß der Wille Gottes sey, nur wußte sie nicht, wie die Sache anzugreifen sey, was sie dabei zu thun habe. Doch wie sie vor Eingehung der Ehe und nachher sich und ihre Kinder der Führung und Leitung Gottes anbefohlen und übergeben hatte, so vertraute sie auch bei solchen Fragen auf Gott, und sah es sogleich als seine augenscheinliche Fürsorge an, als sie im Jahr 1837 der damalige Herr Praeceptor Kieser (seit 5. Juni 1843 Pfarrer in Ettlenschieß) zu sich rief und ihr erklärte, daß er mich ohne Schulgeld im Lateinischen unterrichten wolle. Nun kam ich, 9 1/2 Jahre alt, aus der Deutschen Schule zunächst in die Collaboratur-, 1838 in die Praeceptoratsschule; (Lehrer in den Nebenfächern blieb Herr Collaborator Müller), noch im selben Jahr 1838 legte ich auch bei Herrn Stadtpfarrer Heim (dem jezigen Decan in Tuttlingen) die Anfänge im Griechischen, worin mich hernach Praeceptor Kieser weiterführte; er nahm sich größtentheils mit mir allein diese Mühe; ich besuchte die Schule noch nach meiner am 2. Mai 1841 stattgehabten Confirmation, bis ich am 4. October 1841 bei Stadtschultheiß Rathsschreiber und Verwaltungsaktuar Hiemer dahier als Schreiber, nicht ganz 14 Jahre alt, in die Lehre trat; denn von dem Schullehrer Beruf war mir schon lange vielseitig abgeredet worden und wir sahen die neue Stellung, in die ich jetzt eintrat, auch als ein Glück, als eine günstige Schickung Gottes an, weil ich für die drei Jahre meiner Lehrzeit kein Lehrgeld bezahlen durfte (im Gegentheil noch während der Lehre noch etwas, zu einigem Ersatz für Kost, Wohnung, die ich zuhause behielt, erspart habe). Über meine ferneren äußeren Verhältnisse kann ich nun, ohne zugleich meine inneren Zustände mit einzuflechten, nicht füglich reden, weshalb ich nun auf mein inneres Leben vor der Confirmation zurückgehe.

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Meine Mutter versäumte an ihren Kindern nichts, was ihr nach dem Grade ihrer Einsichten erforderlich schien, u ich muß ihr auch für ihre Erziehungsweise recht dankbar sein, nach welcher uns so manche Vortheile zukamen vor vielen anderen Kindern, die schon in frühester Jugend von ihren Eltern körperlich oder geistig vernachlässigt werden. Sie lehrte uns früh die täglichen Gebete und anderes und hielt darauf, daß wir etwas lerneten, sah es auch gern, wenn wir Geschichten, die für Kinder geschrieben sind, und christliche Erzählungen lasen und litt das Lesen von Romanen u dergl. nicht. Das Büchlein der 2x52 biblischen Geschichten von Stadtpfarrer Heim, als ich noch in der untersten Schule war, zur Belohnung und Aufmunterung mir geschenkt, machte mir große Freude, ich zeigte es meinen Mitschülern, u schon aus diesem ersten Schuljahre kann ich mich der Freude, anderen mitzutheilen, was ich selbst Gutes gelernt hatte, wie z.B. ein Kinderlied, erinnern; später mußte ich öfters meinen Mitschülern Geschichten erzählen, die ich gelesen hatte. Der eigentliche christliche Geist aber waltete in unserem Hause nicht, auch vermag ich in mir kein lebendiges geistiges Leben bis auf mein letztes Schuljahr zu erkennen. Zwar hatte ich äußerlich ein ziemlich sittliches Betragen, wurde von den Leuten gelobt, bekam nur selten in eigentümlichen Fällen den Stecken des Lehrers zu fühlen, konnte wohl, wenn wir dieß zu thun hatten, aus der Predigt besser als andere nachschreiben und unwillig werden, wenn meine Mitschüler in der Kirche unartig waren, auch von meiner Mutter wurde ich nie eigentlich gestraft, (doch einmal - es ist meine früheste Erinnerung - bekam ich Schläge) ja sie sagte einmal zu meiner älteren Schwester in meinen späteren Jahren, ich habe sie nie beleidigt, was ich freilich nicht für wahr halten konnte, außer ihre Vorliebe für mich wäre größer gewesen als sie sich kundthat.

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Bei all dem aber, ja mitunter ebendeßwegen nur umso tiefer, lag die natürliche Verderbnis der Sünde in mir u wucherte ungestört u unentdeckt fort. Denn bei dem äußeren so ziemlich, wie mir dünken mußte, geordneten Wesen, bei meinen scheinbaren oder doch nicht im rechten Lichte betrachteten guten Eigenschaften, hatte das Grundübel des Menschen, die von Gott abgekehrte Selbstsucht, reichliche Nahrung u die Eigenliebe, das Wohlgefallen an mir selbst, drückte sich manchmal gar deutlich in meinen Gedanken aus, wie ich z.B. bei einer Durchreise des Königs im Herzen wünschte, er möge nach dem ersten Schüler der Stadt fragen - als ich gerade noch in der Lateinischen Schule der Erste war. Aber - vielleicht schon damals, ich weiß es nicht genau - brach das Sündenelend in einer anderen Gestalt bei mir aus, deren Folgen zwar den Hochmuth bald hätten in das Gegentheil verwandeln müssen, aber zugleich viel sichtbarer den jämmerlichen Zustand der armen Seele u daß der Tod in seiner ganzen Furchtbarkeit der Sünde Sold ist, dargethan hätten. Die Fleischeslust war es, in deren Sog ich ungefähr im Jahre 1839 geriet, und der ich hin und wieder im Geheimen fröhnte, bis mir, zum Glück schon im Spätjahr 1840, durch Gottes erbarmende Gnade die 'Warnung eines Jugendfreundes von dem gefährlichsten Jugendfeind' von S. C. Kapff in die Hände kam. Wunderbar ist es mir, daß dieses Schriftchen in unser Haus kam, woher ich es gar nicht erwartet hätte, ich erkundigte mich jedoch nicht näher, wem es eigentlich zugehöre; es ist mir genug, daß ich es als eine Führung Gottes einsehen kann, die mir und anderen zum ewigen Heil gereichen muß. (Als Ursachen des Lasters, wovon in jener Warnung die Rede ist, habe ich anzuführen: 3. Aufl. S 82. Man lasse ja nicht ... und wovon S 84, inbesondere das Lesen verderblicher Bücher, neben dem, was von Mißständen in der Schule, vorzugsweise dem Mangel an Gotteswort, gesagt ist, - dieß natürlich nicht zu meiner Entschuldigung, sondern nur zur Verständigung aus den äußeren Verhältnißen zu.) Uebrigens machte dieses Schriftchen auf mich doch nicht den Eindruck, den es hätte haben sollen, ich erkannte mein Elend noch nicht genug, so daß es damals schon die völlige Reinigung von Sünden und Erneuerung zur Folge gehabt hätte. Ja, so verblendet war ich, daß ich vor dem Lesen jenes Schriftchens die Unkeuschheit anderer Mitschüler, welche, wie ich vernahm, sich mit Mädchen einließen, sowie etwa unanständige Reden, die ich mit anhörte, höchlich verabscheute u mißbilligte, u dennoch ungefähr um dieselbe Zeit ganz für mich allein Unreinigkeiten ausübte. Die Ursachen, warum ich mir nach dem Lesen der 'Warnung' mein Sündenelend noch nicht aufdecken ließ, war wohl: noch nicht genug gedemüthigter Stolz, Mißkennung der Folgen des Lasters auch bei mir, u Vernachläßigung meines inneren Lebens, weil meine Zeit theils durch Lernen, theils durch den jugendlich heiteren Umgang mit den Söhnen einer hier wohnhaften Wittwe, welche ich wegen der mancherlei anziehenden Spiele und Beschäftigungen, die wir miteinander trieben, sehr häufig besuchte, theils durch anderes, zu sehr ausgefüllt war. Einen Zuhörerunterricht genoß ich zufällig nicht, da gerade auf das Jahr 1841 die Veränderung fiel, infolge der ich schon im Frühjahr statt nach der vorherigen Einrichtung im Spätjahr confirmiert wurde. Der Confirmandenunterricht, den ich bei unserem lb damal(igen) Stadtpfarrer Heim hatte, war aber nicht ohne Segen bei mir, wie auch die Zeit meiner Confirmation selbst. Es wurden mir damals meine einsamen abendlichen Spaziergänge im stillen Wiesenthal, bei denen ich um meine Begnadigung u Erneuerung flehte u die Seligkeit des Betens, des Umgangs mit dem Heiland fühlte, die Freundlichkeit u Erbarmung Gottes zu schmecken bekam, recht zum Bedürfniß. Bei der Confirmation war der H(eilige) Geist an meinem Herzen wirksam u ich fühlte mich damals recht von seinem sanften befestigenden Wehen ergriffen, aber klar bewußt wurde ich meiner Kindschaft Gottes, der völligen Vergebung meiner Sünden nicht, u nach u nach verlor sich, was mich tief schmerzt, auch die Erinnerung an das, was vor, bei und kurz nach der Confirmation mir ans Herz gelegt worden war, bis auf die Wehmuth, welche ich schon vormittags bei der Confirmation empfunden, und die mich die Nachmittagspredigt (sie war über 1. Tim. 6, u. 12), als das Wirken des H(eiligen) Geistes betrachten lehrte, außerdem an jene seligen Gebetsgänge u das Niederknien an gewohntem Orte. Doch gelobt sey mein barmherziger Gott u Heiland, daß er troz meiner großen Untreue u meinem schnöden Undank doch seine Treue nicht hat aufhören lassen, sondern stets aufs neue wieder mich zu sich zu ziehen gesucht, und nun auch bei mir den Sieg davon getragen hat. Auf dem Rathhause zu Winnenden trat ich am 4. Oct. 1841 in ganz neue Verhältnisse ein, gewann Freude am Geschäft u ließ mich so gut an, daß mein Prinzipal nach 4 1/2 Monaten einen Gehilfen durch mich entbehrlich gemacht glaubte. Von dieser Zeit an, (vor meinem Eintritt war ein Lehrling noch neben dem Gehilfen) lag fortwährend eine große Geschäftslast auf mir, welche immer mehr meine ganze Zeit in Anspruch nahm; im Mai 1843 kam noch ein Lehrling, aber da ich die Verwaltung und Pfandgeschäfte selbständig zu besorgen hatte, lag mir auch seine Beschäftigung ob, u hatte ich die Verantwortlichkeit für seine Arbeiten, was beides soviel auf sich hatte, daß sein Dasein mir durchaus nicht zur Erleichterung meiner Geschäfte gereichte. So wirkten verschiedene Umstände zusammen, daß ich, obwohl ich fortwährend Lust u Freude am Geschäft behielt, doch die Last immer drückender wurde, u dieß umso mehr, da ich auch in den Sprachen u anderen Schulkenntnissen mich fortwährend üben sollte. Denn hauptsächlich durch andere Personen, die an meinem Wohlergehen, freilich hauptsächlich nur in irdischer Hinsicht, Antheil nahmen, war ich, mit Schwestern u Mutter bestimmt worden, ich solle studiren (ich gedachte, beim Verwaltungsfach, das ich als Hauptfach in meinen Rathhausgeschäften liebgewonnen, zu bleiben, also dieß auch auf der Universität; die Geldmittel hätte ich von dem Erlös aus dem verkauften Acker, von dem was meine Schwestern erspart haben, nachdem Schulden aus früherer Zeit theils durch ihren Erwerb, theils durch Erbschaft meiner Mutter getilgt worden sind. Auch eine Schwester meiner Mutter u andere Leute wären zu Darlehen für mich erbötig) und obwohl ich stets der Überzeugung war, daß ich auf einer niedereren Stelle wohl mehr Gutes wirken u glücklicher sein könnte, als auf einer höheren, arbeitete ich doch auf jenes Ziel hin, d.h. ich behielt es immer im Auge, daß ich das philosophische Examen oder die akademische Vorprüfung, die zum Besuch der Universität ermächtigt, aber auch ohne solchen Vortheile gewähren kann, erstehen solle.

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Das Ganze, was ich eigentlich von diesen Lehrjahren zu sagen habe, ist, daß sie mir recht zur Leidens- und Läuterungsschule gemacht wurden, in der mir, wie der Druck der nie recht aufs Laufende zu bringenden Geschäfte in ihrer immer größer werdenden Manchfaltigkeit und der sonstigen äußeren Verhältnisse, so, durch jenen Druck mein Sündenelend, meine Hilfsbedürftigkeit recht fühlbar ward, wobei ich denn für dieses wie jenes Hilfe einzig bei Gott und dem Heiland zu suchen getrieben wurde. Es kam auch soweit mit mir, daß ich mich durch die vergebende Gnade u Freundlichkeit meines Heilandes den Schmerz stillenden Gebetsumgang mit ihm, ganz selig fühlte. Lieder wie: 'Ach, mein Herr Jesu, wenn ich Dich nicht hätte', 'Ach mein Herr Jesu, Dein Nahesein', 'Meine Armuth ist nicht auszusprechen', und dann noch eins 'Ringe recht, wenn Gottes Gnade' waren meinem Seelenzustand ganz angepaßt und mir köstlich; die Erinnerung an die innige Zusage, mit der ich 'Dir ergebe ich mich, Jesu, ewiglich', so gerne sang, gereichte mir später oft zum Anker, diese Hingabe aufs neue zu vollziehen u endlich fest zu machen. Den Höhepunkt hatte jene selige Zeit im Frühjahr 1844, wo ich des göttlichen Lebens nun theilhaftig geworden zu sein glaubte u mir bange u ungewiß war, wie ich es würde beständig bewähren können, u welcher Art das Wachsthum in der Gnade seyn solle. (Auch meiner jubelnden Freude in der Neujahrsnacht, draußen auf schneebedecktem Felde, kann ich mich wohl erinnern.) Es stü(t)zte sich zwar diese Seligkeit wohl zu sehr auf dem Gefühlswesen, die Erkenntniß war nicht klar u geläutert genug, doch sah ich u sehe ich jezt noch diese Zeit, mehr als die Confirmationszeit, für die der ersten Liebe an, in welcher ich eben nicht treu beharrte; denn - und dieß ist wohl ein Hauptpunkt, warum ich solange nicht zur Glaubensgewißheit und Beständigkeit durchdrang - ich schöpfte zu wenig die Nahrung unmittelbar aus der Hlg. Schrift, mit deren Schale u Geschichte ich zwar so ziemlich bekannt war, aber sie zu recht gründlicher Forschung vorzunehmen, fehlte es mir an Zeit, obwohl ichs mir öfter vorgesezt hatte, kam es durch meine Trägheit nie eigentlich zur Ausführung; auch konnte ich die Evangelien nicht so recht für mich ausbeuten, und die Briefe waren mir an bereits völlig glaubige Gemeinden geschrieben; daher suchte ich die Wahrheit u den Heilsweg mir anzueignen aus verschiedenen anderen Schriften, durch Lieder, indem ich eine Menge schöner u trefflicher Bus- und anderer Lieder lernte u nach Umständen aufschrieb, die mir auch einen Theil des Stoffs für mein Hezrensgespräch auf einsamen Erholungsgängen, abgaben. Aber, wie gesagt, ich verließ wieder die erste Liebe, insoweit ich sie hatte, indem ich es an der täglichen Erneuerung fehlen ließ, geriet wieder in ungewissere, unselige Zustände, ließ es doch mir gesagt seyn: 'Kehre wieder, kehre wieder, der du dich verloren hast ... ', fand aber den Frieden mit Gott noch nicht; in einem größeren Liede: 'Der geheime Bann' fand ich einen ziemlich getreuen Ausdruck meines schwankenden Zustands, es heißt darin: 'Du Herz voll Liebe, meine Tage verschwinden mit dem Strom der Zeit, u immer seufz ich u beklage des Herzens Unbeständigkeit! Soll ich mein Leben so verkümmern, so fern von Deinem Lichte stehn, u im Beweinen edler Trümmer am Ende noch verloren gehn?' aber die völlige Uebergabe des Herzens an Jesum, um den Bann entfernen zu lassen, fand noch nicht statt. Dieser unselige Zustand u mein unergründliches Verderben wurde mir aber aufs neue und in höherem Grade fühlbar, nachdem ich im Sommer 1845 einsmals beim Baden aus den thörichsten u elendesten Gründen wieder meine in den Schuljahren erlernte Sünde ausübte u nachdem ich auch die verderblichen Folgen hievon und von jenen alten Versündigungen immer mehr einsehen gelernt hatte. Von da begann erneutes ernstlicheres Ringen nach Gnade, u ich fand sie auch wieder durch anhaltendes Gebet; doch nach meiner jezigen Erkenntniß glaube ich das eben Gesagte wenigstens nicht im vollen Sinne aussprechen zu können, denn meine Freude an recht evangelischen Predigten, Büchern u Liedern, die mir geistige Nahrung darboten, an allem das Reich Gottes förderlichen, mein Verlangen u Wunsch, auch andere dem Heiland zuzuführen - mein sittliches u ernstes Betragen glaube ich kaum als Kennzeichen ächt christlichen Sinnes erwähnen zu dürfen - befriedigten mich immer noch nicht, die Gebetsstunden, in denen ich Thränen der Freude u süßen Wehmut weinen konnte, während sonst nichts von Herzen mich erfreute - (auf dem Rathhaus sagte einst die Amtsbotin, die wöchentlich dreimal, früher täglich je zweimal kam, als ich bei irgendeinem Anlaß mäßig lachte: Jezt sehe sie mich doch auch einmal lachen, sonst sey ich immer so traurig) - auch jene einzigen Freudenquellen, die Stunden, in denen mich der barmherzige Heiland seine Freundlichkeit u Liebe gegen mich unwürdigen Sünder fühlen ließ, sehe ich jezt nur als Angeld der vollen Vergebung als Lockungen von ihm an, u als solche waren sie ja doch wohl preis- und dankenswürdige Gnade. Das fühlte u wußte ich wohl, daß ich nun in Jesu Leben u volles Genüge finden könne, wenn ich glücklich werden wolle, aber es kostete einen so gar langen Kampf, bis ichs erreichte.

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Doch nun komme ich vorerst auf das, wie der Gedanke Missionar zu werden, in mir entstanden ist. Des ersten Helfers hier in Winnenden, Hrn Josenhans Predigten hörte ich von jeher gern, weil sie vom Herzen und zum Herzen gehen, u die Wahrheit seines Wortes, worin sich der H(eilige) Geist mit seiner Kraft beweist, auch an meinem Herzen sich geltend machte. Die besonderen Wirkungen auf mein Herz von demselben will und kann ich hier nicht untersuchen, sie waren bei mir nicht so auffallend, aber auch die Vorträge aus dem Missionsgebiet, die derselbe zuweilen hielt, hörte ich gar gerne. In einer solchen Missionsstunde sprach er nun auch die Bitte von Gott aus, daß auch aus unserer Gemeinde ein Heidenbote möchte ausgesandt werden können; dieß Wort drang in mein Herz, so wie man einen minder heftigen Schreck, aber doch bis in die Glieder, verspürt, ich dachte: 'Der könnte ich seyn', es lag aber dabei in mir der Gedanke an meine Tauglichkeit dazu wegen meiner Ungebundenheit an nothwendige Verhältnisse, ja sogar ein mir jezt seltsam vorkommender Hochmuthsgedanke, daß dieser eine ich seyn könnte. Doch dachte ich nicht länger darüber nach, aber später bekam der Gedanke immer neue Nahrung, und als wir ums Frühjahr 1846 die 'Heidenboten' vom Jhrg 1845 ins Haus zum Lesen bekamen, sprach sogar meine jüngere Schwester selbst den Gedanken aus, daß ich auch Missionar werden könnte. Diese zuvorkommende Rede war mir sehr merkwürdig, auch meine ältere Schwester und Mutter erkannten die Thunlichkeit oder die Möglichkeit der Ausführung eines etwaigen Entschlusses, und hätten eigentlich nichts dagegen zu erinnern gehabt, wenn es der Wille Gottes seyn sollte, außer daß dem Mutterherzen die Trennung jedenfalls würde schwer fallen; später meinten sie manchmal wieder, christlich gesinnte Beamte könnte man in unserem Lande wohl brauchen, ich dürfte also doch lieber bleiben. Ich bemerke hier, daß in unserer Familie, die fast immer ungetrennt zusammen war, (meine Schwestern machen Kleider u geben Nähuntericht) mit der Zeit das christliche Leben immer mehr durchgedrungen u entwickelt worden war, vorzugsweise bei meiner zweiten Schwester, die, wie ich, eine stillere Gemüthsart hatte. Durch jene Besprechung hauptsächlich bestimmt, gieng ich endlich zu Helfer Josenhans, bei dem ich schon früher Zutritt gefunden u einige Male mit ein paar Freunden belehrende Unterhaltung gehabt hatte, u sprach, aber mit beklommenem Herzen, meinen Wunsch, Missionar zu werden, aus. Er gab mir keinen weiteren Antrieb, nur Belehrung, insbesondere die, recht darum zu beten, daß mir der Wille Gottes kund u gewiß werde. Ich befolgte freilich diese Ermahnungen nicht treu genug. Später bei einem Missionsfest zu Waiblingen erwähnte Josenhans, daß sich in der letzten Zeit sechs junge Leute mit dem Wunsch Missionar zu werden, gemeldet hätten, wovon aber einer seiner Sache noch nicht gewiß sey, oder so etwas; ich selbst war nicht in Waiblingen, aber meine Schwestern; nicht nur sie, sondern auch einzelne andere, die etwas von mir wußten oder mich kannten, bezogen jene Äußerungen über den Einen auf mich (mit Recht), und infolge davon kam einer von denen, die sich gemeldet hatten, zu mir; wir giengen mehrere Abende miteinander spazieren, ich konnte jedoch nicht recht offen gegen ihn seyn, er war jünger als ich, schien mir manches Schwärmerische u Unlautere zu haben, u ich war gewissermaßen froh, als er (er war Schneidergeselle) von Winnenden wegkam, u ich meine Gänge wieder alleine machen konnte. (Später, als ich wieder mit ihm zusammentraf, während er in Waiblingen in Arbeit stand, von wo wir auch miteinander auf das Missionsfest 1846 nach Stuttgart giengen, meinte er, bei ihm und den vier anderen, die sich damals gemeldet, werde nichts draus werden, aber gerade mir werde es gelingen.) Doch war ich vorher mit ihm abends einmal zu Josenhans gegangen; dieser suchte hauptsächlich meinen Freund von seinen ungenauen u irrigen Gedanken abzubringen u fragte ihn unter anderem, ob er auch der Vergebung seiner Sünden gewiß sey? Diese Frage hätte auch ich nicht mit Ja beantworten können, deßhalb flehte ich in heißem Gebet u tiefem Schuldbewußtsein um diese Gewißheit, worauf mit sanfterer Stimme es in meinem Herzen hieß; 'Stehe auf, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben'. Dieß erfüllte mich mit Trost u großer Freude, doch konnte ich später wieder mich nicht mehr daranhalten u es ward mir zweifelhaft, ob nicht diese Stimme doch von mir selbst hergerührt habe. Ich fand den Frieden noch nicht völlig; es gab wieder Kämpfe, ja, Gott sei Dank dafür, noch tiefere und herbere.

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Hier schalte ich jedoch wieder einiges über die äußeren Verhältnisse ein. Als meine Lehrzeit am 4. October 1844 zu Ende war, blieb ich bei Stadtschultheis Hiemer noch länger als Gehilfe. (Vom 15. Juni 1844 an hatte ich unentgeldlich die Kost bei ihm, später aber, vom 4. October 1845 an, wieder zuhause.) Ich hatte im Sinn (auch meiner älteren Schwester besonders war daran gelegen), möglichst bald auszutreten, um mich auf das philosophische Examen vorzubereiten. Deßhalb nahm Hiemer einen anderen Gehilfen neben mir an, mußte ihn aber (Ende Novbrs 1844) nach 14 Tagen wieder fortschicken, u nahm erst am 7. Juli 1845 wieder einen neuen Gehilfen; als aber die Geschäfte soweit erledigt waren, daß Einer hätte fertig werden können, trat auch dieser auf den 11. Novbr 1845 wieder aus, u ich mußte noch länger beharren, bis ich endlich im Juli 1846 austreten konnte, aber dennoch blieb mir nebenher noch ein besonderes Geschäft zu vollenden. Nun wiedmete ich mich wieder dem Lernen. Das Lateinische hatte ich in der verflossenen Zeit nur dürftig fortsezen können, das Griechische, welches ich statt dem ganz aufgegebenen Französisch, ungeachtet der größeren Schwierigkeit, aber mit Hinsicht auf die Möglichkeit des Eintritts in das Missionshaus wählte, war 4 1/2 Jahre brach gelegen, ich mußte es von vorne wieder durchmachen. Die Studien giengen bei manchfacher Unterbrechung nicht nach Wunsch von Statten, ich glaubte längere Zeit, schon das Frühjahrs Examen im April 1847 machen zu können, sah aber bald ein, daß ich's nicht weit genug in den verschiedenen Fächern bringe u mich gar nicht zu melden brauche, aber auch für den Fall, daß ich das Examen erstände, glücklich erstände, hatte ich stets auf eine wenn nicht vorher noch doch nachher mir werdende Gewißheit hinsichtlich des Missionsberufes gehofft. Auch in diesen Zurückhaltungen u Vereitlungen meiner Absichten u in der Hinausschiebung der Entscheidung über mein künftiges Leben glaube ich, wie in manchem Ähnlichen, die Hand Gottes erkennen zu müssen. Zur Zeit meines Austritts aus den gewöhnlichen Geschäften auf dem Rathhaus stellten sich bei mir wieder, sooft ich anhaltend, besonders sizend, schreiben wollte, Schmerzen in den Achselbeinen auf dem Rücken ein, die ich schon früher oft längere Zeit infolge der etwas gebeugten Stellung beim Schreiben, besonders bei Einträgen in die großen Unterpfandsbücher empfunden hatte, u wovon ich für eine Mitursache das Wachsen halte. Dieser Tathbestand hinderte mich an Vollendung dieses rückständigen Geschäfts auf dem Rathhaus, trug auch zu dem mindergedeihlichen Fortkommen meines Lernens bei.

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Außer diesem Leiden trat aber noch eine weitere Züchtigung des Herrn ein, als sich im Novbr 1846 das natürliche Geschlechtsleben des Leibes entwickelte, wo es mir schien, als ob sich die früheren Eingriffe in dasselbe rächeten, so daß ich durch leiblichen u geistigen Jammer mehr als je zuvor niedergedrückt, aber auch zu ernsterem Suchen des Einen nothwendigen Heilmittels gegen mein tiefes Verderben getrieben wurde. Doch von den Tagen des Christfestes an wurde ich frei von den fleischlichen Beschwerden oder Anfechtungen u den Unregelmäßigkeiten im Gange des leiblichen Lebens - ich bin gewiß gründlich u für immer von aller Unkeuschheit gereinigt u geheilt - in der ersten Zeit des Januars war ich besonders glücklich u selig in dem Herrn u mehr vielleicht als sonst von seiner Liebe erfüllt, aber besonders gesegnet waren mir, nachdem ich fleißiger als sonst im Worte Gottes gelesen hatte, und mir besonders auch zwei Predigten von Wesley wichtig geworden waren, die Tage vor u nach meinem Gang zum H(eiligen) Abendmahl am 21. Febr. 1847. Auf die seligen Zeiten folgten indeß auch wieder dürre u trockene, insbesondere hatte ich noch viel mit dem eigentlichen Unglauben zu kämpfen, der, je mehr er von Bundesgenossen entblöst ward, desto unverhüllter entgegentrat. So hatte ich vor einigen Jahren schon aus einem Buche 'Ursprung des Cultus' den Anfang eines Hauptstücks 'Erklärung des Mythus der unter dem Namen Christus angetretenen Sonne' gelesen. Mit den Einwürfen gegen die Aechtheit der Bücher des neuen Testaments war ich auch bekannt u besonders beunruhigten mich die anscheinenden Widersprüche in den Evangelien, in dem, was von der Zeit nach der Auferstehung Christi erzählt wird, daß gerade die Apostel Matthäus u Johannes von der Himmelfahrt nichts sagen u zudem der Schluß des Evangeliums von Marcus verdächtig ist. Ja, solchen u andern von der Vernunft, die solange sie unerleuchtet, eine Gottesläugnerin ist, aufgestörten Zweifeln wäre ich vielleicht unterlegen, hätte mir nicht mein großes Sündenelend das Evangelium von Jesu Christo, dem Sühner unserer Sünden, unserem Versöhner u Erlöser theuer u werth gemacht. Ich danke aber Gott, daß er mich die heilige Schrift als sein Wort im Glauben ergreifen, mir gewiß werden u manches früher mir anstößig u widersprechend erschienene immer mehr aufgehellt werden läßt. In dem Verlauf des dießjährigen Frühlings sah ich ein Bild meines geistigen Lebens in dieser Zeit: Auf schöne Tage, die das Eintreten des Lenzes hoffen ließen, folgten wieder kalte; den stets aufs neue mich anfassenden Zug des Vaters zum Sohne erkannte ich wohl, seine Gnadenerweißungen u das Wehen oder Wirken seines Geistes verkannte ich nicht, deshalb stellte ich mir einigemal vor, da mein barmherziger Gott u Heiland für seine Treue u mir bewiesene Liebe doch endlich völlige Hingabe an ihn u rechtschaffene Früchte der Buse erwarten könnte, daß er im vollen Rechte wäre, wenn er, unter Aufhebung des Taufbundes, sein Angesicht von mir wendete, mich verdorren ließe wie den unfruchtbaren Feigenbaum, an dem er nur Blätter fand; aber eben weil mein Schöpfer u Erlöser mit so großer Langmuth u Geduld soviel schon an mir gethan hatte u ein aufrichtiges herzliches Verlangen nach dem Antheil an Jesu Christi Verdienst durch seinen Geist in mir gewirkt ward, wußte ich es, daß auch bei mir der Frühling nicht ausbleiben könne, u jezt glaube ich, daß er da ist. Wie ich so vieles in meinem bisherigen Leben als Führung u Schickung ansehen kann, so daß ich fast glauben möchte, er habe einzig jene bestimmte Sünde fallen lassen nur um mich retten zu können u mit mehr Liebe zu erfüllen, - denn, wem viel vergeben ist, der liebet viel, und der 'Sünderin' Maria erschien ja der Heiland zuerst - ebenso sehe ich auch das Kommen des Herrn Inspectors Hoffmann zu Hrn Helfer Josenhans, gerade als ich mich bei lezterem befand, dafür an; denn immer hatte ich noch keine Gewißheit, ob ich mich, nach dem Willen Gottes, um die Aufnahme unter die Missionszöglinge melden solle; solange hatte ich sie nicht, als ich mir bewußt war, Jesum u sein Verdienst noch nicht im rechten Glauben ergriffen zu haben, von meinen Sünden noch nicht völlig durch ihn gereinigt zu seyn.

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Da ich nun wußte, daß die Entscheidungen erst im Juli oder August erfolgen, so dachte ich bis dahin immer, es habe schon noch Zeit zur Meldung, die ich machen wolle, sobald der Herr sich meiner erbarmt u mir Gewißheit geschenkt. Als aber Herr Hoffmann auf meine kurze Erörterung über die Worte des Herrn Josenhans erwiderte, es sey dieß ja schon zu spät, da bis 31. Mai der Meldungstermin zu Ende sey, betrübte mich zwar die Vereitlung meiner Hoffnung, doch dachte ich sogleich 'es war also eben der Wille Gottes nicht, daß ich in diesem Jahr aufgenommen werden solle'; während des Nachhausegehens, als ich mir gleichsam diesen Gedanken wiederholte, fiel mir plötzlich ein, wenn die Frist bis 31. Mai offen sey, so sey sie ja jezt, am 28. Mai noch nicht verstrichen; ich erkannte sogleich die gnädige Leitung Gottes in der Sache, aber fühlte auch, daß die Bedingung, von der mein fester Entschluß abhing, noch nicht erfüllt sey; so wurde ich an jenem Donnerstag, wie auch Freitags Morgen nur aufs neue in Reue u Sündeleid eingeführt, aber an demselben Morgen erlangte ich auch nach anhaltendem Gebet eine solche Glaubensfreudigkeit, daß Leib u Seele darüber fröhlich und dankbar war. In überströmender Freude las ich den 116. Psalm: 'Das ist meine Wonne, daß der Herr meine Stimme u mein Flehen hört', betrachtete wiederholt jeden Vers, weil jeder mir aus der Seele gesprochen war u der Psalm wie für mich gemacht schien; schon vorher, als ich diesen Psalm einmal las, hatte ich gewissermaßen eine Ahnung, daß ich in ihn noch recht freudig werde einstimmen können, u nun fühlte ich meine Bande durch den Herrn zerrissen, das Gelübde, zum Dank für meine Errettung mich des Herrn Dienste zu weihen, wenn er mich dieser hohen Gnade, seinen Namen verkündigen zu dürfen, würdigen würde, lag ja längst mir im Herzen, mochte ich es in meinem Gebeten aussprechen oder nicht. Ich beschäftigte mich vor- u nachmittags noch weiter mit der Bibel u fand eine solche Freude daran, daß ich die Gewißheit bekam, auch der beständige Umgang mit dem Worte Gottes könne es nie erschöpfen, noch je mir entleiden. Aus den Psalmen hatte ich mir insbesondere Ps. 51 angeeignet, schon früher u vieles aus anderen Buspsalmen, nun aber sind mir auch viele Lobpsalmen, in die ich von Herzen einstimmen kann, liebgeworden. In den Tagen von jenem Freitag Morgen - obwohl dazwischen hinein meine Schlaffheit, Trägheit und kein Ende nehmende Untreue ja auch wieder auftauchende Zweifel mir schmerzhaft wurden, gegen welch letztere Anfechtungen des Satans ich aber einfach zum Heiland im Gebet meine Zuflucht nahm, u mit ihm auch siegte, - lernte ich es, in vertrauensvollem, von Gottes Geist gewirktem Glauben hinnehmen, daß wirklich durch Jesum Christum u seinen Tod am Kreuz aus Liebe zu uns auch meine Versöhnung zustande gebracht ist, ich konnte einen Blick thun auf das Erlösungswerk nicht blos an seiner Offenbarwerdung in der Zeit, sondern im Lichte der Ewigkeit betrachtet, ich begann die Ausdrücke: vorgesehen, verordnet, auserwählt zur Seligkeit, wie: 'Gott hat uns durch Christum erwählet, ehe der Welt Grund gelegt war, daß wir sollten seyn heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe' - als auch auf mich anwendbar verstehen, nur konnte ich das jezt kaum glauben, daß auch gerade ich, ich armer unwürdiger Sünder, der nichts eigenes hat als Elend u Jämmerlichkeit, begnadigt, ja nicht nur zur Heiligkeit u Seligkeit, sondern auch zur Herrlichkeit bestimmt seyn solle, während so unzählige, nicht nur Heiden, sondern Christen dem Namen nach, ohne ebendiese Begnadigung ungeachtet sie sie haben könnten, dahinleben, so daß man ihre Verdammung befürchten muß. So waren mir das Pfingstfest u der Pfingstmontag besonders recht gesegnet; ich fühlte zwar nicht etwa wieder eine innere, bestimmte oder ausdrückliche Versicherung meiner Sündenvergebung, wünschte sie wohl aber, erwartete sie auch nicht, so verspürte ich einen ähnlichen außerordentlichen Ruck in meinem geistigen Leben, aber doch gieng eine wichtige Veränderung gewiß u wahrhaftig in mir vor, es fand ein wirklicher Fortschritt statt, ich lernte den Glauben völliger in seiner kräftigen u wahren Art in mich aufnehmen, mit vollem Herzen u fast ganz klarem Verständnis las ich die wichtigsten Stellen in dem Neuen Testament, so auch das 1. Kapitel des Eph. Briefes, das 53. Kap des Jesaja, unter dankbarem u freudigen Gebet, u warf mich meinem treuen u erbarmungsreichen Vater u Erlöser vertrauensvoll in die Arme, bat ihn, seinen heiligen großen Namen an mir u durch mich zu verherrlichen. Ja wenn ich auch eine völlige Pfingstbescheerung erst erwartete, muß ich doch glauben, da der heilige Geist mir gegeben ist, ich fühle es an der Liebe, die ausgegossen in meinem Herzen, an den Früchten, wie sie z.B. Gal. Brief 5,22 beschrieben sind, die er in mir gewirkt hat. Ich sah jezt wahrhaftig nicht mehr ein, was noch länger bei mir im Wege stehen sollte, die Heilswahrheiten des Evangeliums, den wesentlichen Inhalt des geschriebenen Wortes Gottes, den ich schon längere Zeit mit dem Verstande kenengelernt, auch ins Herz aufzunehmen. Darum glaube ich ganz einfach, alles, was uns von der Gnade Gottes in Christo, die uns unter der Vermittlung des heiligen Geistes zu Theil wird, der offenbart ist, nehme sie mit Dank u Freude an, u habe so, gerechtfertigt aus dem Versöhnungstod des Auferstandenen, Frieden mit Gott durch ihn, unsern Herrn Jesu Christ, der mich auch stets weiterführen, tiefergründen wird durch seinen Hlg Geist in seiner Erkenntnis u in der Gemeinschaft mit Gott, in der wir allein selig seyn können. Ja, möge ich einst in der lezten Stunde meines Erdenlebens zu dem Bekenntniß: 'Ich bin ein armer Sünder' hinzusezen können: 'Jesus Christus hat mich selig gemacht!' Wollte mir meine Vernunft noch mit Grübeleien u Zweifeln kommen, so giebt das mir Sieg u Trost, daß ich die Wahrheit des göttlichen Wortes deutlich an meinem Herzen erfahren habe, u daß mit diesem Wort Gottes u meinen Erfahrungen auch die aber Glaubigen zu allen Zeiten u von verschiedenen Religionspartheien in allem Wesentlichen übereinstimmen. Alle Gottesverheißungen sind ja in ihm, dem Sohn Gottes, Jesus Christus und sind Amen in ihm, Gott zu Lobe durch uns! Das ist mir kaum begreiflich, wie ich insbesondere bei meinem keinerlei Selbstgerechtigkeit oder Selbstzufriedenheit Raum verstattenden Schuldbewußtsein, u bei der Unmöglichkeit einer anderen Rettung so lange Bedenken tragen konnte, zuzugreifen u das Evangelium als die Gotteskraft, die mich auch selig macht, anzunehmen.

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Nun, daß Jesus Christus, gekommen in die Welt, die Sünder selig zu machen, auch mich selig macht, der ich verloren, in Sündentodt, dem äußerlich sittlichen Urtheil nach schon ein Sünder vor anderen bin, wegen der Verderbung u Verschleuderung der mir anvertrauten Gaben u Pfunde, meiner unglaublichen Untreue u doch dabei der unergründlichen Selbstsucht u dem Stolz, überhaupt nach meinem ganzen Wesen u Seyn mich wohl den vornehmsten Sünder nennen muß. Dafür kann ich ihm, meinem lb Herrn nicht besser danken, als in dem ich mein ganzes Leben u alles was ich bin u habe, von ihm ja habe, auch seinem Dienst durch Hergebung zu einem Werkzeuge an meine Mitmenschen u Miterlösten widme.

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Dieses ist der Hauptgrund, warum ich zu einem Missionar ausgerüstet zu werden wünsche und demgemäß auch um Aufnahme in das Missionshaus zu Basel bitte. Aber wir haben ja auch den ausdrücklichen Befehl: 'Gehet hin u lehret alle Völker', und da das Evangelium gepredigt werden soll in der ganzen Welt, bevor das Ende kommt, müssen auch wir als Glieder des Leibes Christi, durch die Er als das Haupt jenes Werk ausführt, uns dazu hergeben, wenn wir die Vollendung des Reiches Gottes auf Erden wünschen. Meine Untüchtigkeit zu dem hohen seligen Berufe, ein Friedensbote unter den Heiden zu seyn, so wie ich jezt noch bin, sehe ich wohl ein u habe sie bei Versuchen, andere auf das Eine Nothwendige hinzuführen, die ich bei meiner Menschenfurcht u Bekenntnisscheu nur an einzelnen wenigen angefangen habe, auch durch Erfahrung kennengelernt; ich vertraue aber dem Heilande, daß er, auch mittels der Vorbereitung in Basel mich dazu tauglich machen, durch seinen Geist das gute Werk an mir bestätigen u vollenden, daß seine Kraft in mir Schwachem mächtig seyn u er mich aus seiner Fülle eine Gnade um die andere nehmen lassen werde; doch darf ich die besonderen Gebrechen, die ein tüchtiger Missionar nicht haben soll, u die Bedenklichkeiten, die ich über meinen Herzenszustand noch hege, hier nicht übersehen. Zu dem lezteren rechne ich, daß ich zu dem Heilande noch in keinem innigeren Verhältnisse stehe, weil ich, wie ich bis jezt in der Meinung bin, daß es bei mir sein sollte, ihn in der Gestalt, wie er auf Erden wandelte u am Kreuze hieng, oder verklärt gen Himmel fuhr, mir noch nicht recht, lebendig, vor die Seele stellen kann, - denn von dem Gottmenschen darf man sich ja wohl ein Bildniß machen? u ich sehe dieß als die eine Bedeutung des Ausdrucks, daß Christus in uns eine Gestalt gewinnen solle, an, die andere wird sich auf die Darstellung der Christusähnlichkeit an der einen Person durch die Nachfolge Christi im Leben beziehen. Ich sah schon manche Jesusbilder, aber keines entsprach meinem Wunsche, seine theuren Züge daran entnehmen u mir sie jederzeit vergegenwärtigen zu können, doch habe ich noch niemanden gefragt, ob dies bei anderen wahren Christen der Fall ist, ich glaube fast, daß es mir kein Bedenken machen dürfte. Zu den ersteren gehört hauptsächlich Mangel an Beredtsamkeit oder Redegabe, den ich bei mir zu bemerken glaube, soweit ich dieß beurtheilen kann, denn ich habe mich noch nie im freien Vortrage geübt, doch gedachte ich hierüber oft an Mose mit seiner 'schweren Zunge'.

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Hiemit hängt etwas anderes zuammen, was zu den Bedenklichkeiten gehört; ich meine, eine Verschlossenheit u Zurückhaltung über meine inneren Zustände, insbesondere gegen Mutter u Schwestern, die ihren Grund hat in der Scham über meine früheren Fleischessünden, welche ich bis jetzt nur zwei Personen, Herrn Josenhans und einem Freund, aber erst nicht offenherzig genug, bekannt habe. Ohne einige Entdeckung hierüber könnte ich nicht offenherzig auch über das andere seyn, aber ich würde sie wohl mit ersterem nur betrüben u meines geistigen Lebens Gang war ohnedieß ein besonderer, denn die Unglaubenszweifel möchte ich auch niemand mittheilen, gegen Freunde, wie ich sie an den Missionszöglingen hätte, würde ich, wie ich meine, wohl ausleeren können, vielleicht auch je nach Umständen vor Nichtchristen, die ich auf solche Weise auf meine eigenen Erfahrungen hinweisen könnte. Überhaupt dürfte es eine Eigenthümlichkeit bei der Entwicklung meines Innenlebens seyn, daß ich ganz allein stand; doch waren die Belehrungen u die Erkenntnisse, die ich von H Helfer Josenhans empfieng, zu dem ich mich sehr hingezogen fühlte u dem ich noch am meisten, freilich nicht offen genug, Vertrauen schenkte, für mich von großem Werth; aber sonst war ich gegen jedermann verschlossen (außer wenn ich im Allgemeinen Zeugniß von dem, was ich erlangt, und daß es mich lange Kämpfe gekostet, ablege). Was mich von außen u von innen drückte, klagte ich niemanden, insbesondere Mutter und Schwestern nicht, denn es hätte nichts genüzt, ihnen nur Betrübnis u Sorge gemacht, wie sie sich theilweise ohnedieß über manches, das mich u die Verhältnisse der Zukunft betraf, mehr Sorge machten als ich selbst. Eine höhere Geistesverwandtschaft hatten wir noch nicht, auch stand die von Vernachlässigung der Schulbildung herrührende gewisse Beschränktheit der geistigen Fähigkeiten unserer lb Mutter im Wege, so wußte ich die wenige Zeit, die ich im Ganzen nach meinem Eintritt in die Lehre mit den Meinigen in solcher Muse, die mit Unterredung auszufüllen war, verbrachte, nicht viel mit ihnen zu sprechen, da ich bei meinem ernsten Wesen (das jedoch durchaus nichts Mürrisches hatte) stets einen großen Widerwillen gegen alles zwecklose oder nicht nothwendige Reden hatte, in welcher Beziehung mir für meine Wortkargheit die ernsten Stellen der Bibel von 'jeglichem unnüzen Wort' von 'faul Geschwäz' u. a. als triftige Entschuldigung galten. (Möchte doch jezt mein Mund mehr vom Preise der Liebe Gottes in Christo übergehen!) Aus dem Gesagten erkläre ich mir oft meine Verschlossenheit in betreff meines Inneren u meine Unfähigkeit, im Umgangsgespräch des gewöhnlichen Lebens gehörig fortzukommen. Wenn ich mich schon in religiöse Gespräche, die eigentlich stets mein Lieblingsgegenstand waren, einlies gegenüber von solchen, die Gegner der sogen. Pietisten waren, so konnte ich wohl siegreich, aber noch lange nicht überzeugend bestehen gegen einen, der selbst noch keine festen Grundsätze hatte, während ich einem anderen, der alles ächt christliche über den Haufen warf, in dem durch Darlegung der beiderseitigen Grundsätze unbeabsichtigt entstandenen Wortstreit seine Einwürfe größentheils schuldig blieb - freilich weil ich ihm meine Erfahrung gerade vergaß entgegenzustellen, u es auch damals nicht fest genug hätte thun können. Hauptsächlich aber solchen, die gar keinen Sinn für die Religion hoffen ließen, oder so wie sie waren u lebten, ganz mit sich zufrieden waren u schienen, wußte ich gar nicht beizukommen, nur in einer bekannteren Familie wagte ich es einigemal, so auch am Pfingstfeste, von dem eigentlich christlichen Leben zu zeugen, und einem Sohne derselben, etwas älter als ich, konnte ich schon 2 mal eine ganze Stunde lang auf dem Wege allein mit ihm, in das Herz reden - (da hätte ich denn eine - wenn auch nicht kunstmäßige, doch auch Ausbildung hoffen lassende Beredtsamkeit entwickelt, wie ich auch eine wissenschaftliche Unterhaltung mit einem guten Freunde, wenn wir beide des Gegenstandes mächtig sind, wohl fortführen kann). Hinsichtlich der beiden ersten Beispiele weiß ich wohl, daß man durch Wortstreiterei dem Reiche Gottes nicht leicht Seelen gewinnt, was man bei Bekehrungsversuchen von Bedürfniß der Erlösung und von der Liebe Gottes zu uns (Joh. 14,9-10) auszugehen hat, u daß, wenn einer je sich unterwindet oder berufen ist, Lehrer zu seyn, das Bekehren selbst Sache Gottes u seines Geistes ist; nur den Gegner beim zweiten Fall nannte ich nicht einen Freund, er war nur ein Bekannter, aber das Gespräch fiel in Gegenwart eines Freundes vor; den übrigen wollte ich auch nicht Lehrer, sondern nur ein rechter Freund seyn. Die angedeuteten Herzannäherungsversuche sind aus meiner lezten Zeit, wo ich u. a. in dem Triebe der Liebe den Entschluß gefaßt hatte, hiesige Handwerkslehrlinge und Gesellen an den Sonntagabenden zu belehrender Unterhaltung zu mir zu versammeln, aber ich zögerte zu sehr mit der Ausführung, hielt sie wegen eines besonderen Hindernisses für unmöglich, und als ich wieder erfuhr, daß dies nicht der Fall sey und schon alles doch eingeleitet hatte, zeigte sich, daß, wie der Winter schon vorüber, nichts mehr zu Stande zu bringen sey. Ich meinte in jenen Tagen, schon Neze auswerfen zu müssen, um Menschen zu fangen, sah aber dabei ein, wie ungeschickt ich noch dazu sey, weil ich den entfernter stehenden oder unbekannteren jungen Leuten nicht einmal beizukommen wußte. Dagegen suchte ich seit früher schon einer Pflicht zu genügen durch Verbreitung von Kapffs 'Warnung'.

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Weil ich vorher von Freunden meiner lezten Zeit sprach, will ich auch noch auf mein Verhältniß zu solchen der früheren Zeit zurückgehen. Ich war stets gerne im Umgange mit meinen Freunden, fühlte aber auch in diesen stets ein nie befriedigtes Sehnen, weil das rechte Band eines innigen Verhältnisses fehlte, u ich, dem einen durch den Wunsch seines Lehrherrn, andere sonstwie zugeführt, gerne etwas Gutes an - und mit ihnen zu Stande gebracht u gesucht hätte. Bei Spaziergängen, wie an Sonntagnachmittagen (der Sonntag ist mir seither auch heiliger geworden, übrigens fühlte ich damals immer, daß er hätte besser angewendet werden sollen, als in meiner Gesellschaft geschah, aber leider bliebs meist bei diesem schuldbewußten Gefühl). Da steckte ich fast jedesmal Gesangbuch oder andere Lieder und sonst etwas zur Mittheilung u zum Lesen in die Tasche, trug es aber gewöhnlich gar nicht oder kaum benüzt wieder heim. Ich hätte so gern die Freunde denen ich näher stand, zu mir heran - fast hätte ich gesagt heraufgezogen, denn ich fühlte stets ein höheres Leben, aber mehr in der Weise des unbestimmten Sehnens in mir, aber ich war viel zu schwach u schüchtern, ja ich mußte sehen, wie einige von schlimmeren Gesellschaftern mehr angezogen u verderbt wurden, die ich durch mein festeres Anschließen, wenn ich es vermöchte, zu einem Streben mit mir hätte leiten mögen. Oft wenn einzelne von Winnenden fortkamen, war ich froh, nun ungebunden in der Einsamkeit, die ich liebte, mehr auf meine eigene Herzensausbildung wenden zu können, aber stets kam ich in neue Verhältnisse, ich fühlte für ächte Freundschaft mein Herz recht empfänglich, aber mußte eben immer wieder denken: 'Der beste Freund ist in dem Himmel, auf Erden sind die Freunde rar, drum hab ich immer so gemeint: mein Jesus ist der beste Freund'. Christliche Freunde, die mich hätten ziehen können, fand ich keine; von den Gemeinschaften in Winnenden hielt auch Herr Josenhans keine für mich geeignet, nur im lezten Winter besuchte ich, und zwar gern eine sonntagabendliche Versammlung, die aber mit dem eintretenden Frühling durch Ausbleiben der Mitglieder (fast nur Männer) wieder aufgehört hat. Im Missionshause zu Basel würde ich wohl die christliche Bruderliebe, wie sie sich im Umgang äußert, erst recht kennenlernen.

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Was ich weiter von Gebrechen, die ein Missionar nicht haben sollte, zu sagen habe, ist Mangel an Raschheit im Handeln, auch in den Entscheidungen u an förderlicher Emsigkeit in den Geschäften; es wäre mir zwar fast nichts so zuwider als Müssigseyn, aber im Thun bin ich mal zu langsam u zu träg, was theilweise daher kommt, daß ich auf dem Rathhaus u auch sonst meist von zuvielen Seiten in Anspruch genommen war, als daß ich in ununterbrochener hurtiger Arbeit hätte mich bewegen können, da hätte so oft vieles zumal gethan seyn sollen, so daß, bei steten Unterbrechungen kein ruhiges Arbeiten möglich war. Doch werde ich durch Gottes Gnade auch diese Trägheit u Langsamkeit besonders unter günstigen äußeren Verhältnissen, wie ich sie mir im Missionshaus zu Basel denke, ablegen können. An Beharrlichkeit, Geduld u Ausdauer würde es mir weniger fehlen insbesondere bei der Heidenbekehrung, wo ich stets daran denken müßte, wie lange der hochgelobte dreieinige Gott unter ganz anderen Verhältnissen bei mir brauchte, bis ich mich ganz ihm ergeben habe. Fehlschlagen von Erwartungen macht mich nicht muthlos, wenn das eine nicht eintrifft, hoffe ich auf etwas anderes. In Bezug auf meine Gemüthsart (Temperament) bemerke ich, daß ich, was in Ch. H. Zellers Seelenlehre (Calw 1836, S. 132) von dem Seelenleben des Schwerblütigen gesagt ist, recht auf mich beziehen kann, wie ich ferner von Natur langsam zum Reden bin, bin ich auch langsam zum Zorn, ja ich kann fast sagen, daß ich seit längerer Zeit eigentlich unfähig zum Zorn bin; so ärgere ich mich auch über Widriges von außen nicht, sobald ich bedenke, daß es schon vollendet u nicht mehr ungeschehen zu machen ist, daß man nichts Besseres thun kann als sich, je nach Umständen, die Sache für die Zukunft merken.

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Nun noch weniges über Äußerlichkeiten. Ich bin zwar etwas schwächlichen, wenigstens nicht starken Leibes, aber so gesund, daß ich bis jezt keinen Tag krank im Bette gelegen bin u noch kein Arzt wegen meiner befragt worden ist; nur in der Kindheit hatte ich einigemale Bauchgrimmen. In den Schuljahren blies ich einige Jahre die Posaune (in der Kirche und, die meiste Zeit des Jahres durch täglich zweimal, auf dem Thurme) fühlte aber endlich davon nachtheilige Wirkungen auf die Brust, welche jedoch sich nicht mehr zeigten, sobald ich das Posauneblasen deßwegen wieder aufgegeben hatte. In Bezug auf Kost u Nachtlager bin ich mit allem zufrieden u genügsam, ohne daß es mich Verläugnung oder Überwindung kostete, in der Kleidung liebe ich Einfachheit u Schlichtheit u wenn mir nichts sonst einfällt, über das ich mich ärgern würde (betrübend ist mir manches), so ist doch die Thorheit der verderblichen Mode, wie ich überhaupt alles Unnöthige u Ueberflüssige nicht leiden kann; überhaupt halte ich nur fast zu wenig auf das Äußere. Hize wird mir weniger lästig als strenge Kälte, weniger als manchen anderen. Durst bekomme ich nicht leicht, den Hunger durfte ich noch nie, wenn ich auch gewollt hätte, recht probieren, und mußte es auch, Gottlob! noch nicht. Dagegen weiß ich keine Fertigkeiten oder Handarbeiten zu nennen, die ich verstände, (das Zeichnen übte ich von der Schule an nicht mehr,) und wenn ich mich in wilden Gegenden über Beschwerlichkeiten der Reise, schlechtes Wetter u dgl. leicht wegsezen zu können meine, würde ich, wenn's etwa ein Haus zu bauen gäbe, wenig zu Stande bringen. Noch muß ich untersuchen, was für irdische Rücksichten mit unterlaufen bei meinem Wunsche, Missionar zu werden. Daß ein solcher viele Trübsale durchzumachen hat, äußere u innere, kann ich mir wohl denken, da ich aber in Wahrheit das Irdische nicht hochachte, u Entbehrungen u Aufopferungen in einer solchen Sache Seelen dem Herrn zuführen zu dürfen, mir leicht erscheinen, besonders im Hinblick auf den Sohn Gottes, der alles für uns erduldete, so glaube ich, daß ich auch einst werde sagen können: 'Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus'. Ja ich wünsche alles Irdische für Schaden u Koth zu achten, auf daß ich Christum gewinne u ein fruchtbringendes Glied an seinem Leibe seyn möge! Ich muß gestehen, ich habe jezt eine Zuversicht, in das Missionshaus aufgenommen zu werden, doch gerade keine Gewißheit; aber sollte es nicht der Fall seyn, sollte der Herr mich zu seinem Werkzeug unter den Heiden nicht brauchen können, so habe ich allerdings keine klare Aussicht auf meine Zukunft, ich bin indeß durch einen neuen merkwürdigen Zufall in den lezten Tagen in dem Gedanken gestärkt worden, keinenfalls zu studiren; das philologische Examen wünschte ich zwar doch zu machen, aber würde dann lieber wieder Gehilfendienste nehmen u sehen, wie es weiter gienge. Eine Ortsvorsteherstelle erschiene mir wahrhaftig viel wünschenswerther als etwa eine Oberamtsmannstelle, und zwar, weil ich in erster viel nüzlicher wirken zu können glaube. Doch gewiß kann mein Vaterland mich leichter entbehren als die Heidenvölker Missionare entbehren können, da ja manche ihre Hände nach dem Evangelium ausstrecken, ohne daß man ihnen Heilsboten bis jezt zuschicken konnte! Eine gesicherte Wirksamkeit wünschte ich freilich, wenn ich aber Missionar werde, so verlange ich nach nichts weiter u wollte gewiß Niemanden der in die Verhältnisse sehe, Anlaß geben zu sagen, ich habe meines Auskommens wegen diesen Beruf gesucht. Nein, der Herr bewahre mich von solcher u aller ähnlichen Unlauterkeit. Mein Wunsch u Sehnen ist einzig, ihm ein durch Liebe thätiges Leben weihen zu können zum Dank für seine Liebe, deren Erweisungen aufzuzählen ich nie fertig werden könnte. Nur erwähnen will ich hier noch zwei Lebensrettungen: Als Kind fiel ich ins Wasser u wurde ohne Schaden wieder herausgezogen (welchen Dienst ich später selbst einem Kinde erweisen konnte), im Sommer 1844 oder 1845 begab ich mich aus Unvorsichtigkeit in einen etwas reißenden Fluß u dadurch in Lebensgefahr, die mir auch Gelübde, mich dem Herrn ganz zu ergeben, auspreßte, u kam ohne Schaden davon! Doch gerade, wo ich noch so viel zu reden hätte, muß ich, da meine Schilderung wohl schon zu lang geworden ist, zum Schlusse eilen, und bitte also noch ausdrücklich: Mir, wenn es der gnädige Wille des Herrn wirklich ist, Aufnahme in das Missionshaus zu gewähren, in das ich, obschon ich es als Krankenhaus auch für mich betrachten kann u muß, einzutreten wünsche, um mich zu einem brauchbaren Werkzeug bilden zu lassen des Herrn, der meine Gerechtigkeit ist! Gottlieb Christaller.

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