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Johann Gottlieb Christaller an Tochter Martha

Sehr umständliche Nachbetrachtung der Differenzen Scholtz/Christaller aus der Sicht von Christaller, der insbesondere hier ein väterliches Verständnis für seine Tochter bekundet

(Schorndorf, 19. Jan. 1880)

M3,80 G C 1

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Liebe Tochter! [...] Du fragst: Ach, ist denn solch eine große Sünde, daß ich nach Hause schrieb, wie's mir ums Herz war, daß ich so dafür gestraft werde? - Nun, ich denke, es sei gar nichts, was wir thun, ohne Sünde; man sagt: Reden ist Silber, Schweigen Gold. Du hättest wahrscheinlich noch etwas Besseres thun können als vor Menschen, während auch die Nächststehenden klagen. Aber doch wird Dir Dein Schreiben von keinem unparteiisch urtheilenden Menschen zur Sünde gemacht werden können. Du hast der Wahrheit gemäß u ohne alle böse Absicht einfach geschrieben, wie Dirs zumuthe war u gewiß, das durftest Du. - Aber so darfst Du die Sache nicht ansehen, als ob Du es auf dem Gewissen habest, wenn Tante ihr Amt niederlegt. Was Tante auf den rechten Grund Probehaltiges gebaut hat, wird bestehen u anerkannt bleiben. Nur was nicht feuerbeständig ist, wird verbrennen. Es ist etwas oder manches in der Tante System, was nicht dem Evangelium, dem Sinn Christi gemäß ist, ich weiß wohl, wie sehr die Menschenkinder, u besonders auch die Missionarskinder, des Gesetzes bedürfen, aber was zuviel ist, was zur bitteren Wurzel aufwächst u verbittert u scheu u heuchlerisch macht, das ist eben zuviel; u wenn Tante meint, so wie sie es mache, sei es recht, wenn sie von niemand etwas annahm oder sich sagen ließ, so hat sie sich eben in eine Selbsttäuschung hineingelebt, die irgendeinmal zerrissen werden mußte.

<2>

Als ich im September mit Hrn Pfarrer Dettinger in Stgrt zusammentraf, erkundigte er sich auch nach Dir; ich sagte nichts weiter als: es gehe Dir gut, Deine Stellung sei übrigens keine ganz leichte, da sagte er alsbald: 'Ja, Frl. Sch(oltz) ist schon lange ein wahres Crux in unserer Mission.' [...] Jedenfalls bedeutet das Wort crux eben eine Verlegenheit, in der man sich befindet, nicht weiß, was man thun soll u kann.

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Frl. Scholtz hat so manche gute u treffliche Eigenschaften, u hält doch daneben manches fest, was einsichtige Leute nimmermehr billigen können.

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Die edle, ruhige, milde u liebreiche Witwe des Missionars Johannes Müller in Hubli machte vor Jahren Hrn Insp. Josenhans Vorstellungen, es nicht für recht haltend, daß in der Erziehung der Kinder so verfahren werde, da habe Hr Insp. gesagt: 'Sagen Sie (oder verschaffen Sie) uns eine andere!' So sind nicht nur schon manche strenge Urtheile gefällt, sondern auch schon manche förmliche Klagen vorgebracht worden. Manche schon haben gesagt: Warum besetzt man aber diese Stelle nicht anders? Mit Hrn Pfarrer Meuret u Frau hat man nicht so lange Umstände gemacht. Mit ihren Nachfolgern dagegen ist man wohl zufrieden, wenn sie gleich auch noch Menschen sind.

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Du, lb Martha, bist ja wahrlich keine so wichtige Person, daß durch Dich die Missionsarbeit der lb Tante vernichtet oder sie selber zur Niederlegung ihres Amtes gebracht werden könnte. Sie möge es auch nicht als einen Anlauf vom Satan betrachten, oder wenn ja, sich auch darin in der Hand Gottes wissen. Ich will Dir nicht verwehren, da nachzufolgen, was die Jünger empfanden, wenn sie sich mitschuldig geben mußten, daß ihr geliebter Herr u Meister in die Hände seiner Feinde geriet. Aber einmal darfst Du Frl. Scholtz soviel Dank u Liebe Du ihr auch schuldig bist, nicht an die Stelle des Herrn Jesu setzen, u dann hast Du Dich auch nicht an Frl. Scholtz so versündigt wie Petrus an seinem Herrn.

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- Du hast in keinem Deiner Briefe weder die Wahrheit noch Deine Liebe zu Tante verleugnet. Vor Menschen bist Du unschuldig; aber, da Du Deiner Sündhaftigkeit inne wirst u mit Deiner ganzen Last unter das Kreuz Jesu kommst u Ihn als Deinen Bürgen u Zahler, Sühner u Wiederhersteller annimmst u gelten läßt, das soll für Dich der Gewinn aus dieser Trübsal sein.

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[...] (im Folgenden spricht er weiter über Äußerungen verschiedener Leute, versichert aber dabei, daß er selbst keine Rachegefühle habe; er zitiert den bereits erwähnten Brief von Insp. Schott, er sieht, daß die ganzen Geschehnisse eine Kette von Ereignissen seien, wobei eins das andere nach sich ziehe. Martha bereue, daß sie geschrieben u das ganze ins Rollen gebracht habe; irgendeiner müsse ja der Sündenbock sein. Er bezichtigt die Tante der Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit, die erst in der Ewigkeit im Schmelzfeuer weggeschmolzen werden.)

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[...] Also wenn sie (Frl. Sch.) etwa wegen Krankheit die Stelle niederlegen müßte, so könnte sie sich im Bewußtsein ihrer Leistungen sonnen u würden ihr die unterlaufenen Fehler nicht zum Bewußtsein gebracht worden sein. (Es wäre G. Christaller lieber, sie könne in ihrer Stellung bleiben u das ganze System ändern, aber er fürchte, sie könne das nicht.)

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[...] Also denke nicht, lb Martha, daß wir beide das Feuer angezündet haben, sonst wären nicht soviele da, die es schüren, u wären derer, die es noch gut mit Tante meinen, nicht so wenige.

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Du standest eben unter dem Bann eines, alles nur ans eigene Belieben kettenden Willens. Das ist eben das Ungesunde in Euerem Haus, daß anstatt freien Gehorsams u gegenseitigen Vertrauens u Vertragens starre Ergebung u Fügsamkeit auch gegen krankhaft reizbare, launenhaft wechselnde Stimmung zum Hausgesetz gemacht war.

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