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1. Vorwort

1.1. Das geistige Umfeld des Missionars Christaller

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Wenn man das Leben Johann Gottlieb Christallers beschreiben und verstehen will, muß man zu den geistigen Wurzeln zurückgehen, aus denen es erwuchs. Denn die äußeren Umstände haben in diesem Lebenslauf keine so bewegende Kraft wie der Pietismus , der Christallers Handlungen und Arbeiten im weitesten Sinne bestimmte.

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Als später Erbe dieser kirchlichen Erneuerungsbewegung erlebte und verinnerlichte Christaller nicht nur deren positive und aufbauende Seiten, sondern war auch den Belastungen der rigorosen Gewissenserforschung ausgesetzt, wie sein Lebenslauf und viele seiner Briefe belegen.

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Christaller versuchte sein Leben lang, den von Philipp Jacob Spener vorgegebenen Idealformen einer christlichen Gemeinschaft nachzuleben mit dem Persönlichkeitsideal von Glauben, Frömmigkeit, Gehorsam und Tugendstreben. Er suchte ebenso die Forderung nach einer Intensivierung des Studiums der Hlg Schrift zu verwirklichen und praktizierte in vielfältiger Weise die von Spener initiierte "brüderliche Unterredung".

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Wer Christallers Leben verfolgt, muß in ihm die Verkörperung eines Pietismus finden, dessen bedeutender Zeitgenosse z.B. Christian Gottlieb Blumhardt war, der in Bad Boll oder auf seiner Pfarrstelle in Möttlingen brüderliche und helfende Liebe praktizierte, an der auch ein mit sich uneiniger Eduard Mörike teilhaben durfte.

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Der Pfarrer und Basler Inspektor Joseph Josenhans prägte Christaller als ein später Vertreter des Pietismus und beschwor auch etliche Konflikte herauf, die einerseits in Christallers Wesen begründet waren, andererseits aber auch aus der bereits zu starken Schematisierung des Buß- und Bekehrungserlebnisses erwuchsen.

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Neben der Frömmigkeit und absoluten Bibelgläubigkeit spielen noch weitere Merkmale des Pietismus eine entscheidende Rolle. Da ist z.B. die Heilszueignung in Christus innerhalb einer "unsichtbaren Kirche", die fast in allen Briefen Christallers der Dreh- und Angelpunkt ist. Getreu den Grundsätzen der Heiligung und Buße, wie Spener sie in seiner "praxis pietatis" fordert, richtet Christaller sein inneres Leben aus, meistens tief von der eigenen Unwürdigkeit überzeugt, aber ebenso fest von der zugesagten Gnade Christi:

Der Treue und der Liebe meines Gottes und Heilandes, die ich erfahren durfte ungeachtet all meiner Schwachheiten, Versäumnisse und anderer Sünden, ist zuviel, als daß ich davon zu reden anfangen könnte. O gewiß, es gibt nichts Herrlicheres in der Welt als den Christenglauben und das Christenleben, nemlich das ächte bibelmäßige.

Oft gibt er in seinen Briefen eine tief empfundene, theologisch fundierte Rechtfertigungslehre nach Paulus oder Luther wieder.

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J. G. Christaller ist ein Mensch, der ohne das geistige Umfeld und Erbe des Pietismus überhaupt nicht vorgestellt werden kann, er ist vielmehr eine Verkörperung dieser Geistesströmung mit allen positiven, aber auch durchaus negativen Seiten. Trotz seiner scharfen und wachen Geistesgaben verläßt er nie die im Pietismus verankerte "apostolische Einfalt" und biblische Theologie mit allen Forderungen und Konsequenzen eines Thomas a Kempis . Man könnte über sein Leben jenen spiritualistischen Ausspruch Speners setzen:

Unser ganzes Christentum bestehet in dem inneren oder neuen Menschen, dessen Seele der Glaube und seine Wirkungen die Früchte des Lebens sind.

In solchem Sinne muß man den großen Zusammenhang in Christallers Leben sehen.

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Natürlich hängt mit dieser Liebestätigkeit des Pietismus sehr eng der Gedanke der Heidenmission zusammen, der unbedingte Glaube an die Notwendigkeit der Bibelverbreitung bis hin zur Opferbereitschaft und des persönlichen Martyriums. Der ganze Impetus der rastlosen und immensen Leistung von Christallers Übersetzungen ist hier zu suchen, ebenso das blinde Vertrauen darein, daß Gottes Wort auch in der fremdesten Kultur auf fruchtbaren Boden fallen muß.

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Durch seinen Auftrag der Sprachforschung, durch seine geschilderte Geisteshaltung und sein ganzes, nicht sehr auf das Praktische gerichtete Wesen befindet er sich während der afrikanischen Aufenthalte manches Mal in einer gewissen Isolierung. Etliche seiner Mitbrüder dagegen gingen schon mit dem Vorsatz und Plan einer kommerziellen und landwirtschaftlichen Nutzung innerhalb der Heidenbekehrung auf die Reise und haben das auch in Afrika mit mehr oder weniger Erfolg praktiziert. Christallers Gedanken und seine Aktivitäten waren auf anderes gerichtet, aber die Enttäuschungen in der Wirklichkeit der Mission werden wiederum aufgefangen durch den unerschütterlichen Glauben an die Richtigkeit des eigenen Tuns.

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Christaller lebt bereits in einer Phase des Pietismus, in der schon manche frische Ursprünglichkeit des inneren Aufbruches einer gewissen Schematisierung gewichen ist. Das ist deutlich ablesbar an dem für notwendig erachteten eigenen "Bekehrungserlebnis", das nach der unerläßlichen Buße erst zum wahren Glauben in Christus führt. Sein eigener Lebenslauf ist dafür ein Beispiel, noch deutlicher aber der seiner späteren Frau Emilie Ziegler  [1] , der in seiner schriftlichen Formulierung nun ganz und gar nach diesem im Pietismus geforderten Schema abläuft. Von der zweiten Frau Christallers, Bertha Ziegler, heißt es später des öfteren, sie habe den rechten "Durchbruch" noch nicht vollzogen.

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Die im puritanischen und pietistischen Sinne geforderte Weltflucht ist ein weiteres gelebtes Stück Pietismus in Christallers Leben. Auf der ersten Reise nach Afrika über London habe er kein noch so kleines Stück der damals stattfindenden Weltausstellung gesehen, aber das sei ihm eben recht. Dieser Zug zur Innerlichkeit liegt stark in seinem Wesen und bedeutet wohl keinen besonderen Verzicht, läßt ihn aber zugleich an einem anderen Gebot des Pietismus scheitern, nämlich dem der freien und erbaulichen Predigtweise. Diesem Gebot hat er zwar schriftlich in reichem Maße, nie aber mündlich nachkommen können. Er stand dagegen fest in der Tradition der Jugendunterweisung in Form von Jünglings- oder Jungfrauenvereinen und hat sich wohl auch im gefühlvoll innigen Liedgut der damaligen Zeit vollkommen zu Hause gefühlt. Oft genug wird hier aber auch ganz unkritisch die Grenze von religiöser Inbrunst zu sentimentalem Pathos überschritten.

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Eine der negativen Seiten einer solchen gradlinigen Frömmigkeit und unbedingten Bibelgläubigkeit ist die mangelnde Bereitschaft zu flexiblem Denken in religiösen Fragen oder neuen Methoden der theologischen Arbeit. Hieraus erwachsen bei Christaller die bitteren Enttäuschungen im Umgang mit seinem ältesten Sohn, der im Laufe seines Theologiestudiums eben diese Linie verläßt und sich mit den Theorien von Ludwig Feuerbach oder David Friedrich Strauß auseinandersetzt. Der junge Student ist neben seinem Hang zur Ästhetik ein eifriger Verfechter jener Lehren Feuerbachs, der die christlichen Dogmen auf anthropologische Natürlichkeit zurückführt, der in der Religion einen Teil des Menschen sieht, der sein Inneres in Bildern verdoppelt und dann anbetet. Die Leugnung Gottes ist eine logische Konsequenz dieses Denkens, das alle göttlichen Attribute an den Menschen zurückgibt.

Ein weiterer Stein des Anstoßes ist für Christaller die Beschäftigung seines Sohnes mit der kritischen Leben-Jesu-Forschung von D.F. Strauß, der neben der historischen Quellenforschung Jesus in philosophischem Licht zur "Idee der Menschlichkeit" machen will.

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Hier tun sich zwischen Vater und Sohn zwangsläufig unüberbrückbare Gräben auf, die in sehr persönliche Feindseligkeiten münden und dem Missionar in seiner ungebrochenen Glaubensgewißheit die späten Jahre seines Lebens verbittern. Auch der jüngere Sohn Ernst, ohne Zweifel von seinem Bruder Gottreich Erdmann beeinflußt, genügt nicht den theologischen Ansprüchen des Vaters. Hier richtet sich dessen Abwehr hauptsächlich gegen den Tübinger Professor der Theologie.

Ein vom Pietismus geprägtes Leben hat außerdem, wie bei Christaller ganz offenkundig wird, unbedingt den Aspekt des Öffentlichen. Jedes Sündenbekenntnis sowie alle im Namen der Religion ausgeführten Handlungen haben niemals nur privaten Charakter, können eo ipso keinen haben. Briefe, Berichte, Unterredungen sind immer zugleich für beliebig viele Personen bestimmt, sind so konzipiert und werden auch so aufgenommen. Erst die nachfolgende Generation fängt an, sich gegen diese Praxis, besonders bei Briefen, zu wehren und beansprucht für sich das Recht des Privaten.

Anhand der Kindererziehung im Basler Missionshaus wird dann aufzuzeigen sein, welche Auswirkungen ein so absolut ausgerichtetes, vom pietistischen Glauben bestimmtes Leben auf die Generation der Kinder hatte. Dieses Buch ist ebenso ein Familienbuch für die Nachfahren wie ein Stück Missionsgeschichte.

2. Johann Gottlieb Christallers Lebenslauf

2.1. Ein Psychogramm seiner frühen Jahre

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Den Hauptgrund, warum er zu einem Missionar ausgerüstet werden wolle, hat Johann Gottlieb Christaller in seinem sehr weit gezogenen und überaus umständlich formulierten Lebenslauf zum Ausdruck gebracht; das Dokument kommt eigentlich eher einer Art von "Lebensbeichte" des mittlerweile 20-jährigen jungen Mannes gleich.

Dabei hatte dieser keinerlei Scheu oder Bedenken, in schonungsloser Offenheit und auch gar nichts verschweigender Selbstanalyse kompromißlos ein eigenes Psychogramm zu entwerfen in der eindeutigen Absicht, damit sein Ziel, als Zögling in die Vorschule der Basler Mission aufgenommen zu werden, zu erreichen.

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Daß er mit einem so ehrlichen Bekenntnis (15 ganz eng beschriebene Seiten) in Joseph Josenhans, dem Winnender Pfarrer, einen gründlichen und gewissenhaften Fürsprecher erhalten würde, mag er wohl als selbstverständlich angenommen haben und die gegenseitigen Kontakte müssen in dieser frühen Zeit außerordentlich gut gewesen sein, auch noch später, als Josenhans zum Inspektor der Basler Mission avanciert war. Daß es dann aber, wohl Anfang der 60er Jahre, zu erheblichen Differenzen zwischen ihnen kam, als J. G. Christaller nach seinem ersten Afrika-Aufenthalt im Missionsfeld mancherlei Schwierigkeiten erleben mußte und sich bei seiner bescheidenen und schüchternen Wesensart kaum zu wehren vermochte, läßt sich aus den Dokumenten im Familienarchiv Christaller erschließen, die Unterlagen des Missions-Kommittees in Basel geben dabei weniger klärenden Einblick oder gar Bestätigung.

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Doch die sich hier nun anschließende Skizzierung des selbstverfaßten Lebenslaufes kann die seelisch-geistige Position J. G. Christallers und seine äußeren Lebensumstände eingehend erläutern, ohne daß aber der Chronist im Detail darüber etwa urteilen wollte; denn hier geht es einzig um die wahrheitsgemäße Darstellung des frühen Lebenganges bis unmittelbar vor dem Eintritt ins Missionshaus in Basel.

2.1.1. Christallers Bewerbungsschreiben 1847

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Ende Mai 1847 (zwischen 25. und 31.Mai) ist dieser als Dok 47/1 beigefügte Lebenslauf datiert; Gottlieb Christaller nennt ihn die "Schilderung seines bisherigen äußeren und inneren Lebens" und erläutert den Zweck des großen Schriftstückes: "mit der Bitte um Aufnahme als Zögling in die Missionsanstalt zu Basel".

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Derlei Lebensläufe waren seinerzeit die Voraussetzung, bevor ein junger Mann, der das entsprechende Alter von 18 Jahren erreicht hatte, sich überhaupt in Basel bewerben konnte, und es galt als selbstverständlich, daß das äußerst straff geführte Kommittee im Missionshaus sich genauestens mit solchen schriftlichen Vorlagen beschäftigte, bevor es zur Anerkennung kam, und Gottlieb Christaller bekundet immer wieder seine Unsicherheit, ob er für einen solch wichtigen Beruf auch überhaupt geeignet sein werde:

Die Art und Weise, wie ich zu diesem Schritte, zu dieser meiner Meldung um Aufnahme in das Missionshaus durch die Führung des erbarmungsreichen Gottes gekommen, wird sich aus der Darstellung meines Lebens und meiner Verhältnisse, die ich, unter dem Flehen zum Herrn um Aufrichtigkeit, hier geben will, von selbst ergeben; ich suche dieselbe möglichst einfach zu fassen. (Dok 47/1)

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Was er hierbei unter "möglichst einfach" verstand, läßt sich eigentlich nur erraten, denn umständlicher und detaillierter, als er das tat, geht es wohl kaum. Sprechen wir lieber von "möglichst ehrlich", dann treffen wir bestimmt eher den richtigen Sachverhalt.- Die Vorlage und Übersendung seines Antrages lief dann über Pfarrer Josenhans, der dazu (Dok 47/2) natürlich seinen Kommentar zu geben hatte.

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Die Anlage und der Aufbau dieses Lebenslaufes verrät G. Christaller als einen gewandt formulierenden, sehr sicher im Aufbau des Schreibens die Gegebenheiten überschauenden und intelligenten Schreiber, was ja wohl auch kein Wunder ist, denn seine Begabung war gewiß überdurchschnittlich, und er hatte in seinen Lehrjahren der Verwaltungslaufbahn sich ein gehöriges Maß an Erfahrung verschaffen können.

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Daß in den sonst üblichen Formulierungen bei einem Lebenslauf ganz speziell seine religiösen Anschauungen und Erlebnisse einen hohen Stellenwert besaßen, darf als selbstverständlich gelten, denn erstens entsprach dies weitgehend den lokalen Gepflogenheiten im christlich erweckten Remstal, zum anderen stammte er direkt aus einer Familie, die schon im Vater und Großvater mit "Stundenbrüdern" zu tun hatte, so daß das religiöse Klima in seiner Winnender Familie einem ziemlich festgefügten Programm unterlag, und zum dritten war es natürlich unabänderlich notwendig, wenn man sich um einen Platz in der Missionsschule des Missionshauses zu Basel bewarb, daß man wußte, in welches Licht man sich dort zu setzen hatte. Aber eine solche Berechnung traf den gewissenhaften und ehrlichen jungen Gottlieb Christaller gewiß nicht, denn das wäre für ihn ja schon dem Bereich der Sünde zuzuordnen, und mit menschlicher Sündhaftigkeit und eigener Fehlerhaftigkeit setzt er sich in seinem Lebenslauf gründlich auseinander.

2.1.2. Die Eltern Christaller

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Sein Vater Georg Gottlieb Christaller, von Beruf Schneider, hatte sich in Winnenden niedergelassen, war im Besitze von etwa 600 fl Vermögen, worunter ein halbes Haus zählte, Anschlag 200 fl, das er vom Vater, einem recht frommen Stundenhalter, als dessen einziges Kind geerbt hatte. Der Familienforschung nach war einer seiner Vorfahren - noch unter dem Namen Christeler - aus Lenk (Zentralschweiz) ins Remstal eingewandert, sie sind vom Jahre 1488 an in der Schweiz nachweisbar.

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Mit 34 Jahren hatte G.G. Christaller die etwa gleichaltrige Johanna Christina, Tochter eines Bäckers Seibold im benachbarten Dorfe Grunbach im Jahre 1819 geheiratet. Dieser Ehe entsprossen drei Kinder, Johanne Dorothea (geb. 1820), Christiane Gottliebin (geb. 1824) und Johann Gottlieb (geb. 19.11.1827); mit der Heiligen Taufe war er am 23.Nov. 1827 "in den Gnadenbund Gottes aufgenommen" worden.

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Die Mutter selbst war nach ihrem Austritt aus der Schule, in der sie nur dürftigen Unterricht genossen, des Schreibens und Lesens nur bedingt mächtig, weswegen anfallende Korrespondenzen im allgemeinen von ihren Töchtern erledigt wurden; sie hatte in verschiedenen Diensten gestanden, die meiste Zeit in Winnenden, hatte sich dabei 184 fl erspart, bekam dagegen von ihren unbemittelten Eltern gar kein Vermögen.

2.1.2.1. Der Vater

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Über Beruf und frühen Tod seines Vaters berichtet J.G.Chr. ausführlich in seinem Lebensbericht. Unfall und Tod im Weinberg war für ihn nur Geschichte, da er selbst keine Erinnerung daran haben konnte.

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Über ihn schreibt Sohn Gottlieb in seinem Lebenslauf: Er war "Schneider (nähte hauptsächlich in Kundenhäusern) und war mit den christlichen Gemeinschaften hier und in der Umgegend wohl bekannt; er muß in der Bibel sehr bewandert gewesen seyn und kannte gut die verschiedenen Predigten und Erbauungsbücher, welche er bei Fahrnißversteigerungen zu bekommen suchte und sie bei nicht vorher bekannten Leuten auch in weiteren Kreisen als bloß der nächsten Umgegend, verbreitete. Nun übernahm er aber endlich eine ganze zum Verkauf ausgebotene Büchersammlung, worunter natürlich auch allerlei weltliche Bücher, und errichtete so eine Lesebibliothek (von etwa 2.000 Bänden)."

2.1.2.2. Die vaterlose Familie in Winnenden

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Die Mutter hatte nun "mit drei unerzogenen Kindern einen harten Stand. Sie weinte in der ersten Zeit wohl viel und schreibt dem auch meine weiche Gemüthsart [...] zu. Sie brachte sich durch mit dem Ertrag eines Ackers und Gärtchens, mit Taglohnsarbeiten, dabei auch mit Anleihen von ihrer ihr dienenden Schwester, samt uns Kindern, die sie fleißig zur Arbeit anhielt und, wie der Erfolg zeigt, durch Gottes Gnade auch in der Erziehung nicht verfehlte."

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An den nicht durch öffentliche Verlosung veräußerten Büchern hatten die drei Kinder ihre besondere Freude, auch brachte die Ausleihe derselben noch manchen Lesekreuzer für den Bedarf der doch recht schmalen Haushaltung. Daß durch diese Gelegenheit, sich an Büchern Wissen anzueignen, die Ausbildung "der uns von Gott geschenkten Verstandesfähigkeiten befördert wurde", vermerkte der Sohn Gottlieb besonders und leitete davon ab, daß seine Schwestern und er in den Schulen des Städtchen die ersten Plätze einnahmen.

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Der Junge selbst durchlief (teilweise mit Überspringung von Klassen) die Deutsche Schule bis zur zweiten unter 6 Klassen der vierten und obersten Schule. Mit keinem geringen Stolz vermerkt er dabei: "Ich galt allgemein für einen Schüler von besonders guten Anlagen," schränkt aber durch einen für ihn so häufigen, aber typischen Klammersatz ein: "(O, hätte ich mit diesen Gaben Gottes treuer hausgehalten und sie nicht verderbt und verkümmert!)" in voller Erkenntnis, daß er seine Fähigkeiten doch um einiges höher einschätzte.

2.1.3. Gottlieb Christallers Jugendzeit

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Im Umgang mit gleichaltrigen Kindern scheint recht früh seine besondere Veranlagung zutage getreten zu sein, anderen etwas von dem zu vermitteln, was er selbst schon erfahren oder erkannt hatte. Er wollte, wie es heißt, Schulmeister werden.

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Die Mutter hätte dies wohl gerne gesehen, wußte aber nicht, wie sie ein solches Ziel ansteuern könnte, vertraute, wie schon vor Eingehung ihrer Ehe und nachher, sich und ihre Kinder der Führung und Leitung Gottes an, der es schon recht machen werde. Auf den überdurchschnittlich begabten Knaben wurde im Jahre 1837 der damalige Praeceptor Kieser aufmerksam; er erklärte der Mutter, er wolle ihn ohne Schulgeld im Lateinischen unterrichten, was auch geschah. Und so war der erste Weg nach oben schon betreten.

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Die nächsten Stufen der Ausbildung führten von der Deutschen Schule zunächst in die Collaboratur-, 1839 in die Praeceptorats-Schule; bei dem Gründer der Paulinenpflege Stadtpfarrer Heim wurde Gottlieb Christaller in die Anfänge des Griechischen eingewiesen, bis er schließlich nach der am 2.Mai 1841 erfolgten Konfirmation am 4.Oktober 1841 bei Stadtschultheiß Ratsschreiber und Verwaltungsaktuar Hiemer in Winnenden als Schreiber, nicht ganz 14 Jahre alt, in die Lehre trat. Der Familie galt dies als gnädige Schickung Gottes, da sich damit die äußeren Verhältnisse im Hause wesentlich vereinfachten und besserten.

2.1.3.1. Der innere Weg bis zur Konfirmation

Bekenntnis der eigenen Sündhaftigkeit

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An diesem Punkte unterbricht der junge Mann selbst seine Darstellung der angeführten äußeren Ereignisse und Stationen und möchte von seinem inneren Leben vor der Konfirmation noch einiges nachholen.

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Er spricht jetzt von Dankbarkeit gegen seine Mutter, von der christlichen Unterweisung ihrer Kinder, sie habe nichts an ihnen versäumt, was ihr nach dem Grade ihrer Einsichten erforderlich schien, und "ich muß ihr auch für ihre Erziehungsweise recht dankbar sein, nach welcher uns so manche Vortheile zukamen vor vielen anderen Kindern, die schon in frühester Jugend von ihren Eltern körperlich oder geistig vernachlässigt werden."

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Zwar habe der eigentlich christliche Geist im Hause nicht gewaltet, aber der Sohn habe ein ziemlich sittliches Betragen gelernt und habe nur "selten in eigentümlichen Fällen den Stecken des Lehrers zu fühlen" gehabt, auch gab es in der Familie so gut wie keinerlei Strafen, er hätte, wie die Meinung in der Familie war, seine Mutter "nie beleidigt, was ich freilich nicht für wahr halten konnte, außer ihre Vorliebe für mich wäre größer gewesen als sie sich kundthat."

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Und damit setzt Gottlieb Christaller im Lebenslauf an, sein eigenes Wesen einer gründlichen Durchsicht und Prüfung zu unterziehen. Sein Ausgangspunkt ist zunächst eine allgemeine Betrachtung über die im Gemeinschaftswesen herrschende Moral, und dann geht er vom Allgemeinen über auf sich selbst und legt auch eingehendes Geständnis ab über seine eigene Fehlerhaftigkeit: Er klagt sich des Hochmutes und der jugendlichen Fleischeslust an und findet die Ursachen dieses ganzen Sündenelends für sich selbst in folgenden Faktoren: Noch nicht genug gedemütigter Stolz, Mißkennung der Folgen des Lasters für ihn selbst, Vernachlässigung des inneren Lebens, infolge vielen Lernens, heiterer und zu sehr verspielter Umgang mit Gleichaltrigen.

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Die erste Rettung aus solcher Kalamität erfolgte durch den Konfirmandenunterricht bei Stadtpfarrer Heim mit der abschließenden Konfirmation im Frühjahr 1841. Dies sei nicht ohne Segen für ihn gewesen, denn der Heilige Geist sei an seinem Herzen wirksam gewesen. Aber die positiven Folgen verkümmerten wieder, die Kindschaft Gottes und die Erkenntnis der völligen Sündenvergebung sei nicht eingetreten, zumal die Erinnerung an die Wohltaten jener Zeit allmählich wieder verflogen sei.

2.1.3.2. Seine Lehrjahre für den Beruf

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In den Jahren 1841-1844 machte er eine Stadtschreiberlehre im Rathaus zu Winnenden durch und blieb danach auch noch zwei Jahre dort als Gehilfe. Dabei hatte er große Freudigkeit an der Arbeit, auch wenn die große Geschäftslast seine ohnehin doch recht schwache körperliche Konstitution etwas überforderte. Aber die ihm auferlegte hohe Verantwortung trieb ihn immer wieder zu vollem Einsatz an, wobei dann das von ihm gewünschte Sprachenstudium stets zu kurz kam.

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Zu dem Gedanken, das Verwaltungsfach zu studieren, konnte er sich nicht entschließen, zumal er dazu sagte: "Obwohl ich stets der Überzeugung war, daß ich auf einer niedereren Stelle wohl mehr Gutes wirken und glücklicher sein könnte, als auf einer höheren, arbeitete ich doch auf jenes Ziel hin, d.h. ich behielt es immer im Auge, daß ich das philosophische Examen oder die akademische Vorprüfung, die zum Besuch der Universität ermächtigt, aber auch ohne solchen Vortheile gewähren kann, erstehen solle." Geldgeber wären damals wohl vorhanden gewesen, um ihm diesen Ausbildungsgang zu ermöglichen.

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Aber insgesamt sah er diese Lehrjahre mit ihrer reichlichen Arbeit doch als eine Art Leidens- und Läuterungsschule an, und so wandte er seine Gefühle und Gedanken wieder stärker seinem Innenleben zu, wobei er sich dazu getrieben sah, Hilfe einzig bei Gott und dem Heiland zu suchen. So fand er wieder zum Gebet zurück, auch zu vertrauten Texten aus dem Gesangbuch, die er bei seinem pubertären Einsamkeitsbedürfnis mit Tränen der Freude vor sich hin sang. Aber auch andere Gefühle trieben ihn um, als die frühere sexuelle Sündhaftigkeit wieder auftrat.

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Doch in besonders lichten Momenten glaubte er endlich, des göttlichen Lebens schon teilhaftig geworden, er findet Zugang zur Heiligen Schrift, aber die völlige Übergabe des Herzens an Jesum fand noch nicht statt. So schreibt er im Lebenslauf:

Das fühlte und wußte ich wohl, daß ich nun in Jesu Leben und volles Genüge finden könne, wenn ich glücklich werden wolle, aber es kostete einen so gar langen Kampf, bis ichs erreichte.

2.2. Die "Berufung" zum Missionar

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Nach dieser analysierenden Selbstbetrachtung, die von der Erkenntnis der Sündhaftigkeit hinführte bis zu einer beginnenden Gottergebung kommt, er endlich zum Kern der Darstellung, nämlich zu der Frage, wie der Gedanke Missionar zu werden, in ihm entstanden sei.

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Ausgelöst wurde dies einmal durch verschiedene Missionsstunden von Winnender Pfarrern, aber auch durch die Lektüre des Evangelischen Heidenboten , der damaligen Zeitschrift der Basler Mission.

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Helfer Joseph Josenhans, selbst in Winnenden wohnhaft, muß recht überzeugend im Umgang mit seinen Mitmenschen gewesen sein, aber auch in der Art seines Vortrages vom Podium her sehr einfühlsam gesprochen haben, und dies verfehlte eine nachhaltige Wirkung auf den jungen Mann nicht. Und so schildert G. Christaller in diesem Lebenslauf seine "Berufung" in dieses Amt, Missionar zu werden, folgendermaßen:

In einer solchen Missionsstunde sprach er (Josenhans) nun auch die Bitte von Gott aus, daß auch aus unserer Gemeinde ein Heidenbote möchte ausgesandt werden können; dies Wort drang in mein Herz, so wie man einen minder heftigen Schreck, aber doch bis in die Glieder, verspürt, ich dachte: 'Der könnte ich seyn', es lag aber dabei in mir der Gedanke an meine Tauglichkeit dazu wegen meiner Ungebundenheit an nothwendige Verhältnisse, ja sogar ein mir jezt seltsam vorkommender Hochmuthsgedanke, daß dieser eine ich seyn könnte. Doch dachte ich nicht länger darüber nach.

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Schließlich wurde dies Problem innerhalb der Familie eines Tages bei Lektüre des "Evangelischen Heidenboten" einer näheren Betrachtung unterzogen, mit dem Ergebnis, daß alle drei Frauen der Familie ihn darin bestärkten, diesen Weg zu betreten.

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Unter dem Eindruck einer solchen Vorentscheidung suchte er nun das Gespräch mit Josenhans. Dieser verhielt sich zunächst recht abwartend und auch distanziert, wies aber darauf hin, innig im Gebet darum zu bitten. Den jungen Mann selbst beschäftigte dabei intensiv die Frage, ob er der Vergebung der Sünden gewiß sei, denn eine Berufung zum Missionar schien ihm an ein Berufungs- oder Bekehrungserlebnis gebunden. Und bei solchen Entscheidungsfragen fand er schließlich den richtigen biblischen Zusammenhang, der seine Gewißheit stärkte, "worauf es mit sanfterer Stimme in meinem Herzen hieß: 'Stehe auf, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.' Dies erfüllte mich mit Trost und großer Freude, doch konnte ich später wieder mich nicht mehr daranhalten und es ward mir zweifelhaft, ob nicht diese Stimme doch von mir selbst hergerührt habe. Ich fand den Frieden noch nicht völlig; es gab wieder Kämpfe, ja, Gott sei Dank dafür, noch tiefere und herbere."

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Nun stellten sich Zeiten der Hochstimmung ein, nachdem er seine Tätigkeit auf dem Rathaus (Juli 1846) aufgegeben hatte, weil er sich mit Hinsicht auf den möglichen Eintritt in das Missionshaus intensiver jenen sprachlichen Studien widmen wollte, die in der Zeit seiner Arbeit auf dem Rathaus brach gelegen und sich nicht nach Wunsch gestaltet hatten. Schon im April wollte er das entsprechende Examen machen, aber in kritischer Selbsteinschätzung glaubte er noch nicht so weit zu sein. In der Hinausschiebung der letzten Entscheidung meinte er einen Wink des Herrn zu erblicken.

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Außer gesundheitlichen Problemen aber und neuen Hemmungen durch seine sexuelle Entwicklung, die er als "eine weitere Züchtigung des Herrn" bezeichnete, fühlte er immer wieder seinen geradlinigen Weg auf das Ziel hin etwas gestört. Erst im Februar 1847 hatte er nach seinem Gang zum Heiligen Abendmahl wieder mehr Ruhe gefunden. Trotzdem fühlte er sich immer wieder neu hin und hergetrieben von Irrungen und Wirrungen seines Lebens, bis nach dürren und trockenen Zeiten sich neue Zuversicht auf die Führung und Schickung im eigenen Leben einstellte.

2.2.1. Die äußeren Vorentscheidungen

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Als Inspektor Hoffmann von Basel zu Helfer Josenhans kam, war fast zufällig auch Gottlieb Christaller zugegen und das Gespräch nahm eine solche Wendung, daß es um den Meldetermin nach Basel ging. Diesen hatte Gottlieb Christaller allerdings versäumt, worin er wieder einen Fingerzeig des Herrn sah, denn er erkannte, daß er sich erst melden könne, wenn er die Überzeugung habe, den rechten Glauben ergriffen und seine Sündhaftigkeit überwunden zu haben. Noch fühle er sich nicht genug gereinigt dazu.

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Der im Geist erweckte junge Mann vertiefte sich jetzt mehr und mehr in das Studium der Heiligen Schrift, ("ich warf mich meinem treuen und erbarmungsreichen Vater und Erlöser vertrauensvoll in die Arme"), und auf solche Weise gerechtfertigt aus dem Versöhnungstod des Auferstandenen, hatte er Frieden mit Gott durch ihn gefunden. Er vermochte nun das Evangelium als Gotteskraft anzunehmen mit dem Bekenntnis: "Ich bin ein armer Sünder" und konnte hinzufügen: "Jesus Christus hat mich selig gemacht!". So hatte er schließlich die Gnade Gottes in Christo erfahren.

2.2.2. Christallers Begründung seiner Berufswahl

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Und mit dieser Erfahrung sah er jetzt endgültig seinen Weg vor sich und führt dies in seinem Lebenslauf ausführlicher vor:

Nun, daß Jesus Christus, gekommen in die Welt, die Sünder selig zu machen, auch mich selig macht, der ich verloren, in Sündentodt, dem äußerlich sittlichen Urtheil nach schon ein Sünder vor anderen bin, wegen der Verderbung und Verschleuderung der mir anvertrauten Gaben und Pfunde, meiner unglaublichen Untreue und doch dabei der unergründlichen Selbstsucht und dem Stolz, überhaupt nach meinem ganzen Wesen und Seyn mich wohl den vornehmsten Sünder nennen muß. Dafür kann ich ihm, meinem lb Herrn nicht besser danken, als indem ich mein ganzes Leben und alles was ich bin und habe, von ihm ja habe, auch seinem Dienst durch Hergebung zu einem Werkzeuge an meine Mitmenschen und Miterlösten widme. Dieses ist der Hauptgrund, warum ich zu einem Missionar ausgerüstet zu werden wünsche und demgemäß auch um Aufnahme in das Missionshaus zu Basel bitte.

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Aber wir haben ja auch den ausdrücklichen Befehl: 'Gehet hin u lehret alle Völker', und da das Evangelium gepredigt werden soll in der ganzen Welt, bevor das Ende kommt, müssen auch wir als Glieder des Leibes Christi, durch die Er als das Haupt jenes Werk ausführt, uns dazu hergeben, wenn wir die Vollendung des Reiches Gottes auf Erden wünschen."

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Damit hatte der Bewerber um Aufnahme in die Missionsschule eigentlich alles Notwendige erfüllt, aber in seiner Gründlichkeit und auch bisweilen einer etwas ungezügelten Weitschweifigkeit kehrte er nochmals zu seiner persönlichen Situation zurück, doch diese abschließenden Argumente können hier nur noch knapp skizziert werden: Er sieht sich bereits als Friedensbote unter den Heiden und hat ein grenzenloses Vertrauen auf die entsprechende Vorbereitung in Basel, die zu diesem Ziele führen soll. Aber immer noch hat er kein für ihn gültiges Bild von Jesus als Gottmensch gefunden.

2.2.3. Persönliches Bekenntnis

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Über seine persönlichen Verhältnisse äußerte er sich nochmals auf den letzten Seiten seines Lebenslaufes. Er sei wegen seiner Verschlossenheit und Zurückhaltung, sich über seine inneren Zustände aussprechen zu können, insbesondere gegenüber Mutter und Schwestern eher schweigsam geblieben, was er darauf zurückführt, daß er in der eigenen Entwicklung seines Innenlebens zumeist ganz allein stand, vielleicht Pfleger Josenhans ausgenommen. Auch habe die bestehende Beschränktheit der Mutter in geistigen Dingen vielfach im Wege gestanden.

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Bei sich selbst stellte er seinen Mangel an Raschheit im Handeln fest, auch in den Entscheidungen und an förderlicher Emsigkeit in den Geschäften sei er stets zu langsam; aber es wäre ihm zwar fast nichts so zuwider als Müßigsein, doch im Tun sei er mal zu langsam und zu träg, genauso wie er von Natur langsam zum Reden sei, aber so sei er auch langsam zum Zorn, ja er sei seit längerer Zeit eigentlich unfähig zum Zorn gewesen, so ärgere er sich auch über Widriges von außen nicht, sobald er bedenke, daß es schon vollendet und nicht mehr ungeschehen zu machen sei, daß man nichts Besseres tun könne als sich, je nach Umständen, die Sache für die Zukunft zu merken. Sein Wunsch und Sehnen sei einzig, Jesus ein durch Liebe tätiges Leben weihen zu können zum Dank für seine grenzenlosen Liebeserweisungen. Und das große Schreiben schließt mit der wiederholten Bitte:

Ich bitte also noch ausdrücklich: Mir, wenn es der gnädige Wille des Herrn wirklich ist, Aufnahme in das Missionshaus zu gewähren, in das ich, obschon ich es als Krankenhaus auch für mich betrachten kann und muß, einzutreten wünsche, um mich zu einem brauchbaren Werkzeug bilden zu lassen des Herrn, der meine Gerechtigkeit ist!

2.2.4. Das Jahr 1847 und die entscheidenden Vorstufen zur Aufnahme J.G. Christallers ins Missionshaus in Basel

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Das im voranstehenden Kapitel dargestellte umfangreiche Bewerbungsschreiben (Dok 47/1), an dem J. G. Christaller mehrere Tage gearbeitet hatte, übergab er am 31.Mai 1847 dem Mittelsmann in Winnenden, Diaconus Josenhans, der auch mehrfach als Pfleger oder Oberpfleger in den Akten erscheint.

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Wie der Bittsteller wohl erwartet hatte, fiel dessen Reaktion durchaus positiv aus und seine Erwiderung ist unter dem 4.Juni 1847 aus Winnenden datiert (Dok 47/2). G. Christaller wird hier als Schreiberei-Gehilfe bezeichnet, lief also noch als Angestellter des Schultheißenamtes, obwohl er anscheinend beruflich etwas Leerlauf hatte und sich nur privatim seiner Vorliebe, dem Sprachenstudium, widmete.

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Seine Mutter und die beiden Schwestern hatten nach eingehender Besprechung innerhalb der Familie ihre Zustimmung zu der Bewerbung gegeben, und Sohn Gottlieb selbst argumentierte dazu noch, daß die Mutter als versorgt gelten könne, weil sie von den beiden Töchtern betreut werde. Denn dies war eine der Voraussetzungen für die Bewerbung, daß es keine besonderen sozialen Härten durch den Übertritt ins Missionshaus Basel für die Familie geben werde. Da er den Meldetermin (31.Mai 1847) versäumt hatte, mußte er sich auf das folgende Jahr vertrösten.

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Josenhans registriert in seinem Schreiben an das Missionskommittee (eigentümlicher Weise wird in fast sämtlichen vorliegenden Dokumenten stets von "die" Committee gesprochen, was wir bei wörtlichen Zitaten dann beibehalten).

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Diesem Basler "Committee", das aus 12 bekannten Männern (Basler Ratsherren, Geschäftsleuten und verschiedenen süddeutschen oder schweizerischen Theologen) bestand, oblag die ganze Organisation der Missionsgeschäfte, auch waren sie dafür verantwortlich, daß die absolute Unterordnung der Missionsarbeiter und Geistlichen der verschiedenen sachlichen und geographischen Bereiche unantastbar blieb, Gehorsam im äußeren Ablauf und ergebene Treue auf dem religiösen Sektor waren unabdingbare Voraussetzung für diese gut funktionierende große Gemeinschaft, deren Verantwortung sich auch auf fernere Erdteile erstreckte.

<20>

Die weitreichende Exekutivgewalt dieser Organisation - man könnte es beinahe auch einen religiösen Orden nennen - oblag dem sogenannten Inspektor; der erste Inspektor war Pfarrer Christian Gottlieb Blumhardt (bis 1838), auf ihn folgte dann Pfarrer Hoffmann (bis 1850) und der für G. Christaller wohl wichtigste führende Mann in Basel wurde dann von 1850-1879 Joseph Josenhans, der wie auch Hoffmann aus Winnenden kam. So hatten das Remstal und der Bereich um Backnang eine gute Lobby im Missionshaus. Die periodisch erscheinenden Zeitschriften, die als Bindeglied hinaus zu den Missionsfeldern gedacht waren, waren das "Evangelische Missionsmagazin"  [2] (bis 1856, = M.M.) und dann der "Heidenbote" (= H.B.) Vor allem auf diese letztere Monatsschrift wird sich ein kleinerer Teil unserer Darstellung stützen.

<21>

Die wichtigsten in unserer biographischen Darstellung angeführten, verwendeten und im Anhang wiedergegeben Dokumente sind aber entnommen dem Archiv der heutigen Basler Mission und den beiden Familienarchiven Merkle (in Göppingen) und Christaller (in Neuenbürg). Leider konnten nicht sämtliche familiären Sammlungen hier herangezogen werden. Aber bei einem so eifrigen Briefschreiber und Berichterstatter, wie es J.G. Christaller war, dürfte die Ausbeute aus diesen drei Archiven wohl genügen, wenn man auch noch zusätzlich zwei gedruckte Schriften heranziehen kann, nämlich:

  1. Missionar J. G. Christaller: Erinnerungen aus seinem Leben 1929 im Evangelischen Missionsverlag GmbH, Stuttgart und Basel, mit einem Vorwort von Else Schubert-Christaller (Enkelin J.G. Christallers) und einem Nachruf 1927 von Sohn Karl Christaller und

  2. die Jubiläumsschrift zum 100. Todestag Christallers Für Afrika bestimmt, hrsg. Stadt und Kirchengemeinde Winnenden 1995 (zitiert nach der Autorin Henninger).

<22>

In Josenhans' Empfehlungsschreiben (Dok 47/2) erkennt man sogleich, daß der Winnender Oberpfleger Sympathien für den Bittsteller empfand, so daß er das Schreiben G. Christallers restlos akzeptierte und die Meinung vertrat, einer weiteren Begutachtung des Gesuches überhoben zu sein. Jeder Leser unseres Dokumentes (Dok 47/1) kann dies wohl sofort nachvollziehen: Die Selbstcharakteristik sei vollkommen richtig und die beiden Bereiche inneres und äußeres Leben würden völlig abgedeckt. Also war die von Christaller zu erwartende Norm erfüllt, ohne daß er sich aber schablonenhaft nur auf die wesentlichsten Punkte beschränkt hätte.

<23>

Josenhans hatte das klare Zutrauen in die Fähigkeiten und in das beharrliche Engagement des Jünglings, zumal dessen allmählich wachsende Glaubensfreudigkeit zu guten Erwartungen Anlaß geben werde. Selbständigkeit des Denkens und Wollens sei auffallend, Christaller werde von selbst dahin gelangen, wohin ihn seine innerste Bestimmung führe. Auch wenn er Autodidakt sei, so lasse sich doch eine günstige Prognose für seine Zukunft stellen.

<24>

Daß die Gnade des Herrn das Übrige tun müsse, ist für den beurteilenden Josenhans selbstverständlich, zumal er auch an die Empfänger des Schreibens im Committee denken mußte.

2.3. 1848 - Das Jahr des Umbruchs und des Abschieds von zu Hause

<1>

Auch wenn Christallers Meldung zur Aufnahme in Basel zu spät eingereicht wurde, so galt es dem für ihn vermittelnden J. Josenhans als sicher, daß das Bewerbungsschreiben auch für das Folgejahr 1848 noch seine Gültigkeit behalten werde, und er behielt recht.

<2>

Der junge Bewerber sah sich in dieser unfreiwilligen Wartezeit im "eigenen Gnadenstand" und harrte im Glauben dem für ihn völlig Neuen entgegen; eine tiefe Freudigkeit überkam ihn, und er begann, sich zuhause auf das Kommende vorzubereiten, machte sich auch "mit dem Schulhalten bekannt". Dazu war er bestrebt, im Sommer 1848 aufs Missionsfest in Basel zu gehen, um den dortigen genius loci näher kennenzulernen.

<3>

Schließlich wurde ihm die endgültige Aufnahme bestätigt und der Weg war frei geworden. Im September 1848 trat er "mit herzlichem Verlangen und großer Freude" zunächst in die Missionsvoranstalt ein und wurde im Folgejahr in das Missionshaus aufgenommen.

<4>

Voraussetzung, für einen solchen Dienst auserwählt zu sein, war im tiefer liegenden Bewußtsein stets der Gedanke, daß es dort eine fortwährende Prüfungszeit sei, wenn man sich wirklich als berufen ansehen wolle. So sollte auch die wörtlich zu nehmende dortige Hausordnung verstanden werden. Die fast klösterlich wirkende Gemeinschaft war durch gemeinsames Beten, Arbeiten, Singen und persönlichen Austausch auch emotional gesehen der verbindende Faktor im Bruderkreise der jungen Männer, dazu kamen neben gemeinsamer Not und seelischen Sorgen verbindende kameradschaftliche Unternehmungen, die dem einzelnen einen gewissen Ausgleich gaben in der sehr streng reglementierten Ausbildung und Erziehung.

<5>

Jeder hatte sich wohl in dem gleichgesinnten Bruderkreis gut eingelebt, gemeinsame Probleme, gemeinsame Not oder auch persönliche Sorgen - all dies galt dem einzelnen viel, aber es war selbstverständlich, daß er dann, wenn der Ruf an ihn erging, voller gläubiger Erwartung, wenn auch mit etwas bangem Gemüt, sich aus dieser christlichen Gemeinschaft zu lösen imstande sein würde, um alles aufzugeben und dem Ernst eines völlig Andersartigen im afrikanischen Missionsfeld zu begegnen.

<6>

Davon hatte Christaller in seinem späteren Ordinationsbericht in Backnang 7.Nov. 1852 (Dok 52/7) voller Überzeugung gesprochen:

Aber wenn ich auch durch Anfechtungen, Zweifel und Kleinmut manchmal in tiefe Dunkelheit gerieth, der Herr half jedesmal wieder heraus, besonders auch durch den Segen der brüderlichen Gemeinschaft. Der Treue, der Güte und Liebe meines Gottes und Heilandes, die ich im Missionshause erfahren durfte, ungeachtet all meiner Schwachheiten, Versäumnisse und anderer Sünden, ist zuviel, als daß ich davon zu reden anfangen könnte.

<7>

So lobte er in sehr hohen Tönen voller Dankbarkeit den reichen Segen, den Gott ihm im Missionshause zu Basel für sein eigenes Herz und Leben so unverdienter Weise beschert habe. Diese späte Rückschau des Absolventen sprach dann von den inneren Werten des Aufenthaltes in der Missionsanstalt und von der persönlichen Beglückung, die in der außergewöhnlichen Art der kollegialen Gemeinschaft ihre echten Wurzeln hatte. Und von dieser retrospektiv zusammengefaßten Schau aus kann man die vier- bis sechsjährige Ausbildung in Basel, die nun dargestellt werden soll, besser beurteilen.

<8>

So war für Christaller im September 1848 der Weg vorgezeichnet, und die ersten Stationen kann man dabei an seinem Brief an Mutter und Schwestern aus Basel (Dok 48/1) verfolgen:

<9>

Das Schreiben spricht von seinem endgültigen Abschied von zu Hause, von seinem Übergang von Winnenden und von der Familie weg zur Stätte seiner Ausbildung; es ist ein sehr gründlicher Briefkommentar, in seiner Art für ihn typisch, denn er geht den Einzelheiten oftmals sehr minutiös nach und schildert viele Details, die für uns heute noch aufschlußreich sind, weil wir in die Zeit des damaligen wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Aufschwunges blicken können und dabei im Revolutionsjahr 1848 noch manche Einzelheiten entdecken, wie der junge Mann durch das revolutionierende badische Land von Pforzheim bis Basel hindurchkam - eine sehr lesenswerte Reisebeschreibung.

<10>

Auf diesen seinen ersten Brief aus der Fremde ließ er die Familie recht lange warten, woraus wir entnehmen, daß die ganze äußere Umgewöhnung und das Begreifen seiner neuen Lebenssituation für sein keineswegs spontanes Temperament doch erhebliche Zeit brauchte. Diese Schwierigkeiten der Umgewöhnung kann man sehr gut verstehen, wenn man z.B. einen Blick auf die von ihm geschilderte Hausordnung und den strengen Tagesablauf wirft.

<11>

Diesen großen Eröffnungsbericht begann er am 22.September, er schloß das Schreiben aber erst am 8.Oktober, um dann noch am 11.Oktober ein Postscriptum anzufügen. Kein Wunder, daß die Angehörigen etwas in Unruhe waren wegen der langen Wartezeit.

<12>

Anläßlich seiner Ankunft im Missionshaus beschreibt er die erste Begegnung mit den dort schon anwesenden elf Missionsbrüdern der Voranstalt, erwähnt deren Herkunft und Berufe und spricht von der dortigen Hausordnung:

<13>

Jeder Neueintretende mußte sogleich in den ersten Tagen die Hausordnung abschreiben, was die fast militärisch wirkende Genauigkeit der dortigen Verwaltung charakterisiert. Daß der allgemeine Teil der Hausordnung größtenteils aus Bibelsprüchen besteht, zeichnet den Geist des Hauses, auch ist der Umfang der Hausordnung erst mit einem drei Bogen starken Heft nachzuschreiben, und der Inhalt erstreckt sich auf alle möglichen Verhältnisse.

<14>

Daß in diesem Haus hart gearbeitet wird, ergibt der von G. Christaller skizzierte Tageslauf, zugleich wird damit aber auch der besondere Geist des Hauses und die strenge Handhabung der Hausordnung näher umrissen:

<15>

Bescheidenheit bei der Unterbringung zeigt der Briefpassus, der die Situation erläutert:

Jeden Morgen stehen wir um 5 Uhr auf, der Wochensenior der älteren Klasse hat hierfür zu sorgen; alle Brüder schlafen in einem Saal, die Betten bestehen in Strohsack, Leintuch, Strohkissen, Federkissen; zur Bedeckung: ein Leintuch, ein wollener Teppich, ein Oberbett (das im Sommer überflüssig ist).

Ein Famulus holt in einer großen Gießkanne Wasser von dem Brunnen vor dem Hause und stellt es oben auf ein langes breites Brett mitten im Schlafsaal, da kommt dann jeder mit seinem Waschbecken, Zahnbürste usw. her und wäscht sich. Unten am Brett steht ein Zuber, worein das Wasser abläuft und geschüttet wird. Vor oder nachher macht jeder sein Bette zurecht, dann geht er hinauf in seinen Lehrsaal und liest und lernt für sich.

Es folgen Morgenandacht mit Singen und Lesungen, 15 Minuten für das Frühstück, Lektüre der Bibel steht sehr im Mittelpunkt, Training des Gedächtnisses, Zeichnen und Gesang gehören verbindlich zur Ausbildung, unter den 37 wöchentlichen Unterrichtsstunden befinden sich anscheinend auch 8 Klavier- Geige- und Gesangsstunden.

Auch für Erholungszeiten ist gesorgt, aber diese sind streng geregelt. So darf vom Mittagessen bis 2 Uhr weder geschrieben noch in einem gebundenen Buche gelesen werden, ebenso vom Nachtessen bis 9 Uhr. In diesen Erholungszeiten ist man im Garten, in der Holzkammer, in der Schreinerstube, mit Bücherüberziehen, mit Klavierspielen, Geigen usw. beschäftigt. Von 9-10 nachts ist Abendandacht, Sonntag abends statt derselben Brüderkonferenz und Mittwoch Betstunde. Dazu verschiedene Conferenzen. Auch die regelmäßige Missionsstunde fehlt samstags nicht. Sonntag ist zwar ganz frei, aber da werden Predigten und Kinderlehren gehalten, es wird jedenfalls auch der Besuch eines Gottesdienstes erwartet.

<16>

Als Besonderheit vermerkt der Missionsschüler im Brief, daß die Basler Katholiken bisher des Bürgerrechts in Basel gar nicht teilhaftig seien, sie hätten aber auch eine Kirche gemietet, dürften jedoch nicht läuten. Spaziergänge seien sonntags durchaus möglich. Arbeit im missionseigenen Garten wie auch Baden im offenen Gewässer sei erwünscht, weil es der Gesundheit diene.

<17>

Schulbesuche als Praktikum gehören schon in der ersten Woche des Aufenthaltes zur Ausbildung, diese finden in der Armenschule statt, es seien gegen 100 Kinder, von 6 - 14 Jahren unter einem Lehrer! Der Kenntnisstand sei gering. Man müsse sich, wenn man mit diesen Kindern zu verkehren habe, mit dem "Basler Dütsch" etwas bekannt machen, damit man ihnen gehörig sagen könne, was sie "schrieben und rachna sollen".

<18>

Schon hier in diesem Abschnitt zeigt sich der kritisch die Sprachen betrachtende neu eingetretene Student der Anstalt. Aber selbst im deutschen Revolutionsjahre 1848 fühlen sich die Missionsschüler in Basel "ganz von dem Getreibe der Welt und der Völker entfernt, bis jetzt ruhig und sicher."

<19>

Am Schluß dieses Schreibens zeigt Christaller seine Zufriedenheit, daß es eine ganze Reihe von Zeitungen und Zeitschriften im Missionshaus für die Brüder gebe, denn er ist bestrebt, sich früh genug darüber zu informieren, wie es auf den einzelnen Missionsfeldern in nah und fern aussehe, wenn man all die aufgelegten Zeitungen zur Information über die spätere Tätigkeit draußen zu lesen bekommt (Schwäbischer Merkur, Christenbote, Heidenbote, Volksboten, Missionsschriften, Calwer Blätter, Missionsmagazin).

<20>

Dieser erste umfassende und gründliche Bericht an die Familie fand dann aber in solcher Präzision keine Fortsetzung mehr, woraus man ableiten kann, daß die alltägliche Lernarbeit etc. den jungen Bruder doch sehr stark gefordert hat und ihm nicht überaus viel Zeit blieb, um einen intensiven Briefwechsel zu pflegen.

2.4. 1849 - Christallers erstes volles Studienjahr in Basel

<1>

So läuft der Briefwechsel zwischen den Schwestern Christaller und Bruder Gottlieb in Basel nur sehr langsam und eigentlich recht schleppend an, seine Nachrichten von dort sind spärlicher als deren Briefe aus Winnenden. Im ersten Halbjahr 1849 gehen etliche Schreiben zwischen den Geschwistern hin und her. Die Mutter Christaller hatte überhaupt nie geschrieben, es scheint, daß ihr das Schreiben doch rechte Schwierigkeiten machte, so führten jederzeit ihre Töchter die Feder.

<2>

Unter des Sohnes Briefen sind zwei große Berichte über das zentrale Ereignis im Missionshaus, als Joseph Josenhans dort ankam, um seine Stelle als neuer Inspektor anzutreten. Beide Schwestern machten deutlich, daß sie sich um den jüngeren Bruder sehr sorgten, Gottliebin sprach von seinen körperlichen oder gemütlichen Leiden, die auch J. Josenhans bei ihm wahrnahm.

<3>

Am Anfang muß dem jungen Missionsschüler Christaller die radikale Veränderung doch recht schwer gefallen sein, daß er aus der so behüteten Atmosphäre in der Familie nun herausgerissen wurde und sich in eine größere Gemeinschaft integrieren mußte. So fiel ihm auch persönlich gesehen das Briefeschreiben schwer, aber er flüchtet sich dabei schnell in das ihm in pietistischer Klarheit eingeimpfte Gottvertrauen, wie auch die Schwestern immer wieder von der Liebe des Heilands schreiben und sich damit über die Trennung vom Bruder trösten.

<4>

Berichte aus Winnenden über Bekannte, Freunde oder auch städtische Ereignisse, wie z.B. eine Feuersbrunst machen die nicht sehr inhaltsreichen Briefe etwas lebendiger, hauptsächlich wollen die Schwestern wissen, wie es in Basel aussieht und wie Bruder Gottlieb sich in der Fremde zurechtfindet.  [3]

<5>

Ein zentrales Ereignis für Winnenden war dann (Hannele Chr. an Gottlieb Chr. vom 25.2.1849, Dok 49/3), daß Oberhelfer Josenhans Winnenden verlassen werde, um als Inspektor ans Missionshaus Basel zu gehen: Er habe die Zöglinge zu unterrichten, ihm läge aber daran, diese an den rechten Platz zu stellen, und er wolle in den 6 Jahren der Ausbildung jeden einzelnen bis ins Innerste des Herzens kennenlernen. Mit diesem wichtigen Vorsatz hat Josenhans sich dieser Aufgabe verschrieben.

<6>

Damit ist bereits Kommendes vorprogrammiert, daß mit Josenhans und G. Christaller zwei für die Mission wichtige Männer aus Winnenden sich dort näherkommen werden und im Miteinander, aber auch zeitweise in gewissem Gegeneinander am inneren Gebäude der Mission mitarbeiten werden.

<7>

Kleinere Ereignisse in Winnenden können davon zeugen, daß das Gottvertrauen der Christallers unumstößlich war, wie ein Schreiben der Schwester Gottliebin aus Stuttgart (vom 19.März 1849, Dok 49/5) zeigt, in dem sie dem Bruder schildert, wie es im eigenen Hause fast zu einer Feuersbrunst gekommen wäre.

<8>

Aber bei dieser kleinen Sensationsmeldung will sie dann nicht stehen bleiben, sondern sie begibt sich immer wieder gerne ins vielfältige und theoretische Geflecht des christlichen Glaubens, natürlich in echtem Gefühl für den Bruder, wenn sie von der Mission und dem Satan spricht, wobei dann auch die theologischen Argumente des geschätzten Oberhelfers Josenhans herhalten müssen:

Mein lb Bruder, das Reich der Mission ist am meisten den Angriffen des Satans ausgesetzt, lasset es Euch daher nicht befremden, wenn Ihr mancherlei Stöße zu erleiden habt. Josenhans sagte, es sei auch ganz natürlich, die in der vordersten Reihe kämpfen, bei denen sei der Kampf am heißesten, sie dürfen aber nicht zurück, sondern müssen immer vorwärts dringen, und in diesem Sinne wolle er die Mission betreiben. (Dok 49/5)

<9>

Daß Josenhans in Winnenden überaus beliebt war, zeigt dann der Schluß ihres Schreibens, das von den Abschiedsgeschenken für den scheidenden Oberhelfer spricht: "Von den Winnender Herrn hat er eine goldene Repetieruhr bekommen, seine Frau bekam vom Frauenverein ein Tibetkleid, und wir Mädchen kauften ihm Zeug zu einem Schlafrock."

2.4.1. Empfang des Oberpflegers Josenhans im Missionshaus in Basel

<10>

Am 18.März 1849 datiert ein Schreiben von G. Christaller, es ist eine Art privates Protokoll, das er mit folgender Überschrift versieht: "Beschreibung der Feierlichkeit beim Empfang des Herrn Oberpflegers Josenhans im Missionshause am 18.März 1849"  [4], das hier in Auszügen vorgelegt wird, da es den ganzen Stil des Hauses charakterisiert, zugleich auch das Gremium des Committees deutlicher nachzeichnet und einen illustrativen Rückblick auf die historische Entwicklung der Basler Mission bietet. Es ist wohl selten in dieser Genauigkeit rückschauend diese Geschichte dargestellt worden: "Gemäß der vor mehr als 3 Monaten festgewordenen Berufung des Hrn Oberhelfers Josenhans aus Winnenden zu einem zweiten Inspector der evangelischen Missionsanstalt zu Basel sollte derselbe am 15.März eintreffen, das Amt zu übernehmen."

<11>

Wegen der gefährlichen Erkrankung eines Kindes mußte die feierliche Einführung zunächst verschoben werden und fand dann am Sonntag, 18.März abends 5 Uhr im großen Lehrsaal des Missionshauses statt.

Christaller schildert detailliert die feierliche Ausgestaltung des Saales mit erhöhtem Podest und die Sitzordnung der Herren des Committees, Missionare als Gäste und sämtliche Zöglinge des Missionshauses und der Voranstalt, dazu die Hausmütter beider Anstalten mit Gehilfen.

<12>

Gesungene Liedstrophen aus einem eigens hierfür gedichteten Liede umrahmten in Abschnitten die große Feierlichkeit, in deren Zentrum verschiedene Redner auftraten. Zu Beginn gab der Präsident des Missions-Committees Pfarrer Laroche nach einem Gebet und seiner Begrüßung einen Rückblick auf die Geschichte der Basler Mission:

Er begann dieselbe mit einer Anwendung der Worte Jacobs: 'Ich hatte nicht mehr, denn diesen Stab, da ich über diesen Jordan gieng und nun bin ich zwei Heere worden' (1.Mose 32,10, vgl. mit 28,11) auf die hiesige Missionsgesellschaft. Er führte zurück auf die Anfänge der Gesellschaft, wie sie, sozusagen auch gleich Jacob unter freiem Himmel übernachten mußte, da die Gründer der Gesellschaft, nachdem sie den glaubigen Entschluss zu dem Unternehmen gefaßt, noch keinen Inspector, keinen Zögling, kein Haus hatten; dann schilderte er das Wachsthum und die Ausbreitung des Werkes, wie die erste Wohnung bald zu klein geworden sey, worauf das jetzige Missionshaus erworben worden sey, das nach und nach seine gegenwärtige erweiterte Einrichtung erhalten habe, wie das Ziel der Missionsgesellschaft zunächst nur gewesen sey, Zöglinge für die niederländische und englisch kirchliche Missionsgesellschaft heranzubilden, wie sie es aber hernach habe unternehmen können, eigne Missionen zu gründen.

Das erste mit Missionaren unmittelbar von Basel aus beschickte Arbeitsfeld sey Armenien gewesen, einer der dort thätig gewesenen Arbeiter sey in der Person des theuren Bruders Zaremba zugegen.

Als diese Mission aufgegeben werden mußte, habe sich ein neues Arbeitsfeld in Vorderindien eröffnet, hernach auf der Goldküste in Westafrika, zuletzt in Ostbengalen und China. So seyen denn 2 Heerlager entstanden und bei solcher Ausbreitung des Werkes habe die Committee selbst längst erkannt, daß Ein Mann der Leitung desselben nicht mehr gewachsen sey, die mehrmals angebotene Hilfe habe aber der theure Inspector selbst immer noch ausgeschlagen, bis in den letzten Jahren, in welchen ihm seine Gattin gestorben sey, sich ihm, besonders durch schwere Körperleiden, das Bewußtsein von der Unmöglichkeit aufgedrängt habe, die Last des Amtes fernerhin allein zu tragen, ja sogar nur überhaupt auf dieser Stelle, in diesem Wirkungskreis zu bleiben.

Weiter führte nun der Redner durch die prüfungs- und sorgenvolle Zeit hindurch, in welcher man sich so lange vergebens nach dem rechten Mann oder den Männern umsah, welche an die Stelle oder doch an die Seite des Inspectors Hoffmann treten sollten, und legte endlich dar, wie herrlich Gott alle die Dunkelheiten erhellt und vollkommene Hilfe gebracht habe, indem nicht nur Hr Oberhelfer Josenhans so augenscheinlich für diese Stelle bestimmt und berufen, sondern auch Hr Insp. Hoffmann durch wiederhergestellte Gesundheit uns neu geschenkt sey.

<13>

Danach gab Inspektor Hoffmann seinen persönlichen Rechenschafts-Bericht über seine Tätigkeit der vergangenen 10 Jahre:

Er sprach sich in seiner kräftigen bestimmten und gedankenreichen Weise über seine freudige und schmerzliche Erfahrung während der 10 Jahre seiner Amtsführung, besonders der letzten davon, aus, wie er in jugendlicher Kraft das schöne und segensreiche Amt angetreten habe, durch seine Krankheitsleiden und die Last der Arbeit aber in Zustände greisenhafter Ermattung seiner Kräfte gekommen sey, in denen ihm das fernere Bleiben an diesem Orte nicht nur zweifelhaft geworden, sondern sogar völlig unmöglich erschienen sey. Letzteren Gedanken aber Raum zu geben, habe es ihn einen langen Kampf gekostet, wegen der Liebe zu seinem Werke und des reichen Segens, den er aus dem Umgang mit den Zöglingen des Missionshauses in diesen 10 Jahren gehabt habe. Dann versetzte er die Gemüther der Zuhörenden mit ihm in die trüben Nebel, die ihm den Ausblick in die Zukunft vorhielten, als er nach dem Ergebnis dieses inneren Kampfes habe beten können: Herr, wohin soll ich gehen? Wie aus dem düsteren Nebel bald dieß, bald jenes bekannte Haupt, sogar das des leiblichen Bruders auftauchte, aber immer wieder die Hoffnung, durch einen solchen gewünschten Mann abgelöst zu werden, oder doch Erleichterung zu erhalten, verschwunden sey, bis sich sein geliebter Joseph (d.i. Josenhans) auf den an ihn gericheten Ruf bereitwillig und freudig zeigte, das ihm angetragene Amt eines Hausinspectors zu übernehmen, er, sein Jugendfreund schon, mit ihm in Einem Hause geboren, in Einer (äußerlicher und geistiger) Luft aufgewachsen, auch sein Nachfolger an 2 zugleich versehenen Gemeinden.

An diesen, den Hrn Josenhans, sich wendend, verhieß er ihm nun die Freuden, daneben aber auch die Beschwerlichkeiten des Amtes, die nach eigener Erfahrung seiner warten. Auch desselben Schwester Beate, in deren Hände diejenigen Besorgungen gelegt wurden, welche seiner Gattin früher obgelegen waren, redete er an. Dann nahm Hr Hoffmann gewissermaßen Abschied von den Brüdern im Missionshaus, wobei er sagte, wenn er jetzt auch nicht mehr auf dem Exerzierplatz vor ihnen stehe, so finden sie auf dem Kampfplatz einander wieder. Der Committee sprach er seinen Dank aus auch für die Theilnahme und Nachsicht, die sie ihm bei seinen Leiden und bei seinen Schwachheiten und Unarten, die er oft an sich gehabt, bewiesen haben.

<14>

Nachdem wir bis hierher dem handgeschriebenen Protokoll Christallers gefolgt sind, wollen wir nun einige der sehr zentralen Stellen aus Hoffmanns Abschiedsrede im Committee einflechten (nach "Heidenbote 1850 Nr.6"), die ihrer extremen Aussage wegen und infolge der außergewöhnlichen, aber präzisen Argumentation nicht vorenthalten werden sollen:

[...] wenn man bei uns anfangen wollte, nach Ehre, Ruhm und irdischem Vortheil zu fragen, wenn man die 'liberalen' Grundsätze, d.h. Grundsätze der Selbstsucht und des Herrschenwollens aufkommen ließe, wenn sich in das Missionswerk der Sinn des Fleisches und der Eitelkeit mischt, so muß unser Schifflein unfehlbar zerschellen.

Es liegen hier 'Klippenlabyrinthe', in die so manche Anstalten und Gesellschaften hineingeriethen, die dann, innerlich verfault und verrottet, einem verdienten Untergang anheimgefallen sind. Der Herr hat uns davor in Gnade bewahrt, in dem er oft scharfes und ätzendes Salz auf unser Werk warf, um es vor diesem Verfaulen zu sichern. [...] Die unerschütterliche Gewißheit des Gnadenstandes gibt dann auch die rechte Sterbensfreudigkeit. [...] und daß es daran manchen Missionaren fehlt, zeigt der Umstand, daß die Rückkehr in die Heimat zur Erholung, zum Ausruhen, so sehr zur Regel geworden ist. Man solle von einem Missionar erwarten dürfen, daß er am Dienste seines Herrn auch freudig in den Tod gehe und nicht aus Besorgniß und Furcht vor demselben das Feld räume.

<15>

Diese recht harten und anklagenden Worte des Inspektors charakterisieren wohl ziemlich genau die Situation, in welcher sich in jenen Jahren das missionarische Wirken befand. Die sich hier offenbarende Schärfe eines solchen Angriffes gegen die eigenen Missionare wird wohl nur noch überboten in dem im "Heidenboten" 1855 S.64 abgedruckten Zitat des sterbenden Br. Schauffler: "Nur vorwärts, meine Brüder! Der Laufgraben der Satansfeste muß mit den Leichen unserer Kinder gefüllt werden, wenn der Herr Jesus triumphieren soll!"

Der späte Leser wird hier wohl fassungslos einer solchen Verhärtung des Gemütes und der kaum noch christlich zu nennenden Zuspitzung der Aussage gegenüberstehen.

<16>

Auch der neu zu verpflichtende Inspektor J. Josenhans hielt eine kurze Ansprache, in welcher er "die Freudigkeit und Glaubenszuversicht, womit er das Amt übernehme, ausdrückte, und die Gründe und Ursachen dieser vertrauensvollen und freudigen Stimmung aus seinen Führungen und Lebenserfahrungen darlegte. Auf das Einzelne seiner Rede kann ich (= G.Chr.) jedoch wegen Mangels an Zeit und Raum hier nicht mehr eingehen."

Im "Heidenboten" (1850 Nr.6) wird dies folgendermaßen noch etwas näher erläutert: Oberhelfer Josenhans führt sich daraufhin (im Committee) kurz als kommender verantwortlicher Inspector ein, indem er die Maxime seines Arbeitens knapp skizziert: "Ich bin konservativ durch und durch. Ich werde mit Gottes Hilfe nichts zugrunde gehen lassen, nichts opfern, keine Station aufgeben, wenn man auch Schulden machen müßte."

<17>

Und Christaller fährt mit seinem Protokoll fort, indem er die weiteren Festlichkeiten im Speisesaal beschreibt und die dort herrschende gehobene Stimmung. Als späte Leser dürfen wir heute dem Protokollanten Christaller wohl dankbar sein für diese gründliche Darstellung der Festlichkeit, die uns immer noch gewissermaßen hinter die Kulissen schauen lässt. (Ungekürzter Text Dok 49/4)

Jetzt sind also zwei Inspektoren berufen, die Geschicke der Basler Mission zu leiten, wobei Insp. Hoffmann wohl nur noch für die Übergangszeit verfügbar war, bis Josenhans sich eingearbeitet hatte (das geschah 1850). Auch war die gesamte Organisation der Mission so geordnet, daß abgesehen von dem Gremium der Committee ein einziger Beamter exekutiv die Geschäfte lenkte.

<18>

G. Christaller kam dann eine Woche später (am 25.März 1849, Dok 49/6) brieflich nochmals auf die Feier zurück, indem er den Schwestern über J. Josenhans Näheres berichtete:

Die Feier war ungemein wichtig und erhebend. Man konnte so deutlich sehen, wie Hr Josenhans der für diese Stelle längst von Gott bestimmte Mann sey, und mußte die gnädigen und herrlichen Führungen des Herrn dankend und lobend bewundern. Mich freute besonders auch das, daß Hr Josenhans mit solcher Glaubenszuversicht und Freudigkeit sein Amt übernahm, und daß er, wie er dieß in seiner Rede aussprach, in den letzten drei Monaten seines Aufenthaltes in Winnenden es erfahren durfte oder einen Vorschmack davon bekam, wie der Herr seine Diener über Erwarten belohnen kann und wird.

<19>

Man kann wohl auch einen gewissen Stolz des Schreibers dabei heraushören, daß gerade die Stadt Winnenden nach Pfarrer Hoffmann nun mit dem Geistlichen Josenhans einen zweiten aus Winnenden in das hohe Amt hatte schicken können. Zugleich macht dies deutlich, daß eben der Bezirk um Winnenden, der so stark von pietistischer Innerlichkeit geprägt war, der Basler Mission so gewaltigen Auftrieb verschaffte.

<20>

"Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit Eurem Geiste!" steht im Briefkopf dieses eben erwähnten Schreibens von Gottlieb Christaller an die Familie, es ist gewissermaßen die familiäre Komponente zu dem offiziell anmutenden Protokoll des erwähnten großen Empfangs in Basel. Josenhans hatte ihm scheints das persönliche Anerbieten gewährt, privatim über seinen Einzug in Basel nach Winnenden zu berichten. Dies war wohl ein Glanzlicht im Missionshaus, das tägliche Leben der Zöglinge zeigte indessen nicht so viel an glänzenden Aspekten.

<21>

Um einen kleinen Einblick zu bekommen, in welcher Weise ein Zögling seinen Tag zubringt, sei hier ein Sonntag (28.März 1849, Dok 49/7) dargestellt: "[...] Am So nach dem Aufstehen und Ankleiden betrachtete ich das Lied: 'Es ist noch eine Ruh vorhanden', von welchem wir am Sonntag gewöhnlich zwei Verse, während wir noch im Bette liegen, sangen. Von 6-7 Uhr war die gemeinsame Morgenandacht, nach dem Frühstück las und besprach ich etwas mit Br. Michael, (d.i. ein armenischer Bruder, dessen besondere Liebe zu ihm ihn neuerdings beschämt und erfreut) auf biblische Geschichte bezüglich, das wegen vorgekommener Erörterungen bis gegen 9 Uhr währte, worauf ich, wie fast alle anderen Brüder, in die Kirche ging.

<22>

Nach der Rückkunft las ich einiges über die Stiftshütte der Israeliten nach, weil wir um 11 Uhr zu einem Committee-Mitglied Herrn Rathsherr Christ gehen durften, der uns eine Nachbildung der Stiftshütte und ihrer Geräte umständlich zeigte, bei welcher Gelegenheit er auch die neuen Brüder einigermaßen näher kennenlernen wollte, da wir bei ihm noch nicht gewesen waren. Ebenso sehr als an dem wirklich schönen und zur Veranschaulichung zweckmäßig dargestellten Kunststück, bei welchem des Goldes nicht gespart war, konnten wir uns an der geheiligten Freude des Mannes an dem Gegenstande der Unterredung, an seiner Liebe und Hochachtung des Wortes Gottes erquicken." (Dok 49/7, das im gleichen Brief wie der voranstehende vom 25.März den Briefbogen füllt.)

<23>

Und der Missionszögling Christaller läßt kaum eine Gelegenheit aus, seine Schwestern wohlwollend auf dieses Wort Gottes hinzuweisen, indem er im Brief fortfährt, sie mögen ihm berichten, wie sie es mit ihrer Hausandacht hielten; sie könnten im "Schatzkästlein Hillers" (d.i. eine Art Losungsbüchlein) wichtige Ratschläge finden. Den für ihn so wichtigen Gedanken, wie man missionieren könne und solle, trägt er immer wieder weiter.

<24>

Gelegentlich spricht er auch vom Personal des Hauses, so sei Nanele Schwarz "vollkommen gesund, vergnügt und fröhlich" (wohl typische und gängige Attribute im Missionshause), der Hausknecht, ein guter Württemberger, lobte die auch in Beziehung auf die Mägde eingetretene vorteilhafte Veränderung gegenüber der früheren Haushaltung, die Köchin (von Erdmannshausen) habe viel zu thun, da die erste Köchin krank sei, "aber beide lassen auch Euch grüßen", also sind aus dem Winnender Bereich, wo die Mission so hoch im Kurse steht, auch andere Arbeitskräfte in Basel tätig.

<25>

Ein besonders schönes und anschauliches Schreiben von Gottlieb Chr. nach Winnenden ist vom 2.Apr. 1849 datiert (Dok 49/9). Er spricht wieder einmal von seinem Tageslauf und den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, geht dann aber über - und das macht diesen Brief so interessant - auf die Darstellung seiner ganz herzlichen, fast intim zu nennenden freundschaftlichen Bindung an den Armenier Kollegen im Missionshaus, bei dem er "manche Beweise seiner außerordentlichen Liebe zu mir" erkannt hatte.

<26>

Im Jahre 1849 ist in Deutschland revolutionäres Gedankengut noch immer lebendig, Themen wie das württembergische Königtum, die Verfassung der Paulskirche in Frankfurt oder die Auswanderung nach Übersee finden sich im Christaller-Briefwechsel genauso wie kritische und kompromißlos scharfe Worte über die Genußsucht und die sogenannte "Fleischeslust" (so am 29.Apr. Gottliebin Christaller an den Bruder nach Basel, Nbrg Schw Chr 7).

<27>

Aber auch verstärkte Zuwendung zu kirchlichen Organisationen findet sich vor allem im pietistischen Winnenden, und die Geschwister Christaller haben untereinander, gerade auch durch den gemeinsamen Glauben bedingte herzliche Kontakte, so wie es ein überzeugend schöner Briefschluß der Gottliebin zeigt:

Ich danke meinem Gott allezeit, so oft ich Deiner gedenke, welches ich allezeit thue in meinem Gebet, und thue das Gebet mit Freuden, ja ich muß es dem Herrn danken, daß Er Dich nach Basel geführt hat. (dto)

<28>

Zugleich erkundigt sie sich teilnehmend nach der Gesundheit in den Anstalten und nach seiner inneren Stimmung."Bist Du innerlich wieder fröhlicher gestimmt?" Also muß dem fernen Bruder doch manches in der Trennung von Zuhause schwer gewesen sein, und seine tiefe innere Bindung gerade an diese Schwester, die sich über Jahrzehnte dann gehalten hat, wird hier deutlich. G. Christaller schickt auf deren Wunsch seine Missionsaufsätze den Schwestern zu, damit sie in der häuslichen Erbauungsstunde gelesen werden.

<29>

Diese Monate waren politisch sehr unruhig, besonders in Baden, so daß in der damaligen Zeit die allgemeine Ahnung herrschte, "daß schwere Zeiten kommen werden", so hofft G. Christaller doch darauf, daß die Schwestern zum jährlichen Missionsfest nach Basel kommen werden. Diese Feste haben gerade in den frommen und von der biblischen Wahrheit überzeugten kirchlichen Kreisen einen sehr hohen Stellenwert, so auch im Brief G. Christallers an die Familie (10.Juni 1849, Dok 49/11), wo er dies bestätigt als Antwort auf deren Frage, daß es mit der Gesundheit in beiden Anstalten ganz gut stehe, "und auch für die meinige kann ich dem liebreichen und gnädigen Gotte nicht genug danken."

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Daß der überängstliche Christaller die Folgen der Schutzimpfung gegen Pocken an seinem eigenen Körper genauestens beobachtet, sich zusätzlich zur Schonung - natürlich erst nach der Vormittagspredigt - einige Stunden zu Bette legt, um bei dem feuchten Wetter durch Schwitzen die Entwicklung zu befördern, kennzeichnet seine Bewältigung persönlicher Probleme. Dabei philosophiert er dann gelegentlich über "Gott und die Welt", wenn er schreibt (Dok 49/11):

Was draußen in der Welt vorgeht, ist ja alles doch so ungemein veränderlich, und wenn man den Begebenheiten folgen wollte, wäre das nur zerstreuend und zeitraubend. [...] Der Christ soll auf die Zeichen der Zeit merken, aber wir haben, Gott sei Dank, noch so viele und treue Hirten und Lehrer, die als Wächter für uns auf der Zinne stehen und uns genug sagen können dessen, was uns zu wissen und zu beachten nöthig und heilsam ist.

<31>

Hier drückt sich die schon im unserem Vorwort angedeutete Abkehrung von der "Welt" aus. Auch hat er gelernt, die inneren Erfahrungen anderer zu akzeptieren. Gottlieb Christaller bauscht manche seiner Berichte über die revolutionären Ereignisse in Baden etwas auf, damit sie dann noch interessanter werden, so auch in seinem Schreiben, nachdem das Missionsfest (ohne Besuch der Schwestern) vorbei war. Er erzählt davon, als ob er tatsächlich dabei Augenzeuge gewesen wäre, so wie er später auch den Bürgerkrieg an der Goldküste aufrollen wird als eine gewisse Sensation, bei welcher er (beinahe!) dabei gewesen wäre.

Ein besonders anschaulicher Brief des jungen Mannes ist vom 9.Aug. 1849 (Dok 49/14) datiert; wegen der besonderen Länge wird er nicht in vollem Wortlaut abgedruckt. Er schildert der Familie seinen Umzug von der Voranstalt in das Missionshaus und spricht unter präziser Darstellung vieler Einzelheiten von seinen verschiedenen Ferienunternehmungen.

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Der insgesamt sieben Seiten umfassende und ganz eng in kleiner Schrift geschriebene Brief, aus welchem der Leser die umständliche, aber gründliche Denkweise des Schreibers erkennen kann, schien ihm doch nicht wichtig genug, um ihn abzuschicken: "Da ich bedachte, daß das Voranstehende eigentlich doch nicht erheblich genug sei, um es als einen besonderen Brief abzuschicken, ließ ich dies wieder anstehen, und fahre in meinen Mittheilungen hier fort, obschon ich im Sinne gehabt hatte, das Bisherige umzuschreiben. [...] "Seine extreme Sparsamkeit läßt sich hier ablesen. Briefporti lohnen sich nur, wenn Wesentliches im Brief enthalten ist.

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Mit kleinsten Einzelheiten schildert er weiterhin seine Wanderungen in die Umgegend; bei solchen Wanderungen war die Aufnahme bei Missionsfreunden fast immer garantiert. Als besonderes Ziel einer solchen Wanderung faßten einige Brüder "den Plan und sogleich den Entschluß zu einer Reise auf den Blauen, einen der höchsten Berge des Schwarzwaldes."

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Die unterrichtlichen Vorhaben im neuen Semester nehmen im Schreiben vom 19.Sep. (Dok 49/15) wieder einen breiteren Raum ein: Der Stundenplan - jetzt nicht mehr im Vorsemester - habe sich nun doch wesentlich erweitert, teilweise aber auch eingeschränkt. In den Sprachen: Latein 3, Griechisch 2, Englisch 3, Ebräisch 6; sonstige Fächer: Weltgeschichte 4, Geographie 3; Theologische Fächer: Einleitung in die Theologie 2, Predigtübung 2, Bibelerklärung 3, Religionslehre zusammen. mit Zöglingen der Voranstalt 3; sonstiges: Singen oder Geigen je 2, Turnen 1.

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Bis jetzt habe ihn jedoch das Lernen keine Anstrengung gekostet."Was aber inneres Leben, Besitz an gründlicher religiöser Erkenntnis und Erfahrung, und Darlegung oder Mittheilungsvermögen betrifft, fühle ich mich noch sehr vorn und sehr zurück, und es ist mir deshalb auch auf die Ausarbeitung einer Predigt, die in 7-8 Wochen an mich kommt, bange." Der immer wieder zutage tretende Mangel an Christallers Kommunikationsfähigkeit und seine überaus starke Zurückhaltung oder gar Scheu im Umgang mit anderen zeigt sich gerade im Bereich der Predigtvorbereitungen.

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Persönliche Aufmunterung erfuhr G. Christaller dadurch, daß im Herbst 1849 seine Schwester Hanna mehrere Wochen in der Familie Josenhans mitgeholfen hat; die Geschwister werden sich dort, wenn auch nur in geringerem Rahmen, mehrfach gesehen und gesprochen haben; am 17.Nov. ist sie dann wieder in Winnenden nachweisbar, wenn sie in ihrem handwerklichen Nähbetrieb sich auf die Weihnachtsgeschäfte vorbereiten. Der Gesundheitszustand der Mutter Christaller verschlechterte sich, sie bedauere, daß sie nicht schreiben könne, schickt ihm aber zwei Gulden "als Zeichen ihrer mütterlichen Treue." (vom 13.12. Nbrg Schw Chr 13)

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Am 28.Dez. berichtet der junge Zögling nach Hause über die Weihnachtsbescherung im Speisesaal des Missionshauses (Nbrg JG Chr 7): Es sei ein Kommen und Gehen der verschiedenen Brüder, die immer wieder zu auswärtigen Erbauungsstunden unterwegs seien; so kam er unmitttelbar vor dem Fest mit anderen Brüdern nach drei Stunden Weges durch das Wiesenthal über Lörrach wieder in Basel an, und "bald darauf erhielten wir im Speisesaale die Weihnachtsbescherung, Äpfel, Nüsse, Schnitzlaibchen, und etwas sonstiges Backwerk; doch waren nur etwa 8-10 Brüder anwesend, die anderen fort an mehreren Orten in Baden und der Schweiz, um zu predigen, Versammlungen zu halten usw."

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Es ging hier bei einem solchen Fest also doch ziemlich bescheiden zu, denn die missionarische Arbeit hatte absoluten Vorrang vor persönlichen Wünschen."Am Christfest sang ich zweimal im Schellenhause vor und fühlte nachmittags schon ein wenig Heiserkeit der Stimme, und dieß hat sich inzwischen vermehrt, so daß ich gestern nicht ausgieng, es ist aber nicht von Bedeutung." Aber ein wenig hypochondrisch scheint der junge Mann bereits in diesem jungen Alter gewesen zu sein, eine Veranlagung, die in späteren Jahren dann erheblich zunahm.

2.4.2. 1850 - Aus der Arbeit des Missionsschülers

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In Winnenden und dem ganzen dortigen Umfeld gab es um die Jahrhundertmitte viele Missionsfreunde, was kein Wunder war, denn das pietistische Gedankengut hatte hier schon in den vorangegangenen Jahren tiefe Wurzeln geschlagen. So lief auch die Werbung gerade für die Heidenmission auf besonders hohen Touren, auch wenn es dabei manche kritische Stimme gab. G. Christaller sorgte immer wieder für notwendiges Werbematerial, schickte aus Basel Tractate, die verteilt oder verkauft werden sollten, auch Predigten waren darunter. Öffentliches Singen und Beten wurde auch gepflegt.

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Aber die Missionsangestellte Jane Müller beklagte sich über die Gleichgültigkeit und Untreue bei sich selbst und besonders auch bei den Heiden. Sie schrieb an die Christallers: Als sie noch zuhause gewesen sei, habe sie geglaubt, sie werde keinen Heiden ansehen können, ohne für ihn zu beten. Aber nun sei es nicht so.- Die Sympathien für die Mission waren anscheinend doch etwas zurückgegangen.

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Über Gottlieb Christallers Disposition beim Studium erfährt man einiges am 12.Feb. (Nbrg JG Chr 8): "[...] Ich war in der letzten Zeit mit zwei Predigten, die ich gehalten, über meine sonstigen Lerngegenstände ziemlich in Anspruch genommen und hatte ein paarmal Kopfweh davon. Doch ich bin gegenwärtig gesund und wohl", darum habe er auch Grund zum Danken. Überhaupt traten seine starken Dankgefühle immer wieder sehr in den Vordergrund und unterstrichen damit sein bescheidenes Wesen.

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Auch am 22.Feb. (Dok 50/1) berichtet er wieder von seinen Studienarbeiten, speziell von der katechetischen Übungsstunde. Dabei verschweigt er nicht seine eigenen Schwierigkeiten mit dieser Materie, denn mit dem Predigen kam er zunächst anscheinend noch gar nicht zurecht und die körperliche Widerstandskraft litt empfindlich unter der Last der Arbeit; aber immerhin ist er auch bereit, sich selbstkritisch mit seiner Befangenheit auseinanderzusetzen.

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Natürlich sorgen sich die beiden Schwestern, die so sehr auf den Bruder bezogen sind, auch weiterhin um sein Wohlergehen (vom 14.März, Nbrg JG Chr 10) und warten sehnsüchtig auf Nachrichten aus Basel. Vielleicht war das Sterben der Gattin des Inspektors die erste unmittelbare Begegnung mit dem Tod, die G. Christaller hatte, worüber er sich am 15.März brieflich äußert. (Dok 50/2)

Die Gestaltung der Missionsfeste in der Umgegend, geschäftliche Sorgen im Hausbetrieb in Winnenden oder auch Gesundheitsprobleme sind die wichtigsten Themen innerhalb des geschwisterlichen Briefwechsels von 1850.

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G. Christallers Antwortbriefe aus Basel lassen in diesen Monaten nun besser in die Verhältnisse des Missionshauses und in den Werdegang des jungen Missionsschülers blicken. So gesteht er am 2.Mai zu, daß er gewisse kommunikative Probleme im Umgang mit anderen habe. Dies berichtet er anläßlich einer Frühjahrstour, die er mit seinem armenischen Freund Bruder Michael unternommen hatte (Dok 50/5). Auf dieser Tour in den Kanton Aargau nach Niederwyl und Vordemwald bei Schofingen, etwa 10 Stunden lang, machten sie manche Besuche bei Missionsfreunden. Aus Gesundheitsrücksichten hatten die beiden die Genehmigung, mehrtägig über die Feiertage sich vom Missionshaus zu entfernen. Er war dabei aufgefordert worden, vor ungefähr 200 Personen zu sprechen."Ich sprach über Jes.53. Wäre ich nicht zu dieser Versammlung von den Brüdern geschickt worden, so hätte ich es mir nicht getraut, als Sprecher in einer Versammlung aufzutreten, aber so konnte ich mich eben nicht entziehen und bekam auch wirklich meine Untüchtigkeit recht zu fühlen. Doch kann ja der Herr, auch wo wirs nicht meinen, einen Segen auf Sein Wort legen."

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Und dann kommt wieder die übliche Rückwendung auf sich selbst und seine eigene gesundheitliche Situation: "Während unseres Fortseins haben wir uns ganz gesund und wohl befunden, aber hernach stellte sich bei mir auch wieder Schwäche und Blödigkeit des Kopfes u eigentliches Kopfweh ein, sodaß ich aus Bedürfnis nach Erholung am Samstag 13. nachmittags auf Bruggen ging mit Br. Maser. [...] Gegenwärtig befinden wir uns alle wieder wohl." Nach 5 Stunden Dogmatik (am 7.Juni) war er dann doch wieder "im Kopf angegriffen." (Dok 50/6)

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Die Lieblingsschwester Gottliebin ist ihm brieflich in manchen seiner depressiven Phasen ein rechter Trost, so im Schreiben vom 16.Juni (Dok 50/7). Auch wenn sie zum Missionsfest nicht nach Basel kommen könne, findet sie liebevoll aufmunternde Worte: "[...] Überhaupt aber möchten wir dich recht bitten, die Vacanz doch auch zu Deiner Erholung zu benützen, es ist Dir gewiß nothwendig, strenge Dich doch nicht zu sehr an mit dem Lernen, wenn Dus schon auch für nothwendig erkennst, so lehrt ja auch der Geist des Herrn immer am besten, er vertritt uns und kann Dir immer zu der Stunde das geben, was Du brauchst. [...] So erfahren wir auch in mancherlei Stücken, daß dieses Erdenleben ein mühseliges ist, man ist oft gedrückt äußerlich und innerlich; Gottlob aber, daß wir einen Heiland haben, der für alle Schäden gut ist." - Pietismus in nuce.

<48>

Auch Hanne spricht von der Nachfolge Christi. Beide Schwestern müßten wegen ihrer Augen einige Tage aussetzen (sie tun es aber nicht): "Wie schwach bin ich gleich wieder, wie hingerissen von meinen Leidenschaften, wie wenig hat noch die Liebe Christi in mir bewirkt. [...] In unserem äußeren Leben geht alles seinen gewohnten Gang fort, oft sind wir recht gedrückt und beschwert von der immerwährenden Arbeit, oft fühlen wir uns recht glücklich und dankbar in unserer angenehmen Lage."

<49>

Im Mitgefühl für den Bruder schickt sie ihm Geld. Auch Gottliebe sandte ihm 4 Gulden, die sie durch Singen auf der Orgel erhalten hatte, sie meinte, daß es ihm ja zu einer größeren Reise vielleicht an Geld fehlen werde, sie mag wohl auch an eine mögliche und erhoffte Heimreise des Bruders in der Vakanz gedacht haben. (23.Juni 1850, Nbrg Schw Chr 20)

<50>

Im Juli wird von G. Christaller erstmals der Name Akropong erwähnt, als zwei Brüder aufs dortige Missionsfeld geschickt wurden (vom 7.Juli 50, Dok 50/9). In der großen Vakanz 1850 war er dann, entgegen den Befürchtungen zuvor, daß sie "noch ein paar Jährchen" sich wegen eines Wiedersehens gedulden müßten, im Urlaub zu Hause eingetroffen.

<51>

Dieses Beisammensein muß dann recht schön und erfüllend gewesen sein, denn Philipp Merkle, sein späterer Schwager und Ehemann von Gottliebin, vermerkte (vom 21.8., Dok 50/11): "Die Deinigen erinnern sich mit inniger Freude an Deinen Besuch, sie lebten bisher in lebhafter Erinnerung Deines Hierseins."

<52>

Die Rückreise hatte der Basler Zögling nach Stuttgart nicht zu Fuß zurückgelegt, sondern er fuhr wegen des Wetters mit dem (Pferde-)Omnibus. Im Gedenken an die gemeinsamen Tage äußerte Hanne (vom 24.8., Nbrg Schw Chr 22b): [...] In der Bibel finde man allein die wahre Bildung; und am Briefende schreibt sie "Amen!" Hier werden des Bruders Worte auf sehr fruchtbaren Boden gefallen sein, zugleich auch in einer Zeit der Hochstimmung beider Schwestern, denn sie schickten sich an, nun ihre Partner offiziell als verlobt zu bezeichnen. Herr Rapp und Merkles Eltern würden sich sicher darüber freuen - so beide an ihren Bruder nach Basel (vom 19.11.1850, Nbrg Schw Chr 24).

<53>

Am 4.Dez. 1850 (Dok 50/13) kreisten die Gedanken der Zöglinge im Basler Missionshaus schon viel stärker um das spätere Missionsfeld. Dieser Brief wird im Anhang in voller Länge wiedergegeben, weil er in besonderer Weise in die Art der Basler Ausbildung, der Arbeitsverhältnisse im Missionshaus und in Christallers briefliche Bemühungen, Kontakte zu bewahren, Einblick gibt. Darin heißt es: [...] (Bruder Mader) "reist heute (4.12.) nach Stuttgart, wird am Sonntag in Herrenberg ordiniert, kommt am 9.Jan. aus seiner Heimath zurück und reist Mitte Januar nach London und Afrika ab - an Bruder Steimles statt. Von letzterem hätte ich [...] Euch schon schreiben sollen, wegen eines mit einer hier dienenden Würtembergerin angeknüpften Verhältnisses, gegen die Regel unserer Hausordnung, wurde er, statt am 4.Nov. nach Afrika abzureisen, am 3.Nov. entlassen." So herrschen hier sehr strenge Maßstäbe und moralisches oder sonstiges Fehlverhalten wird mit der ganzen Schärfe der Committee-Verwaltung geahndet."

<54>

Mit Christallers eigener Aussendung nach Afrika stehe es aber, wenn er auch zusammen mit Bruder Mader Otschi  [5] lernte, noch im weiten Feld, es sei nicht ausgemacht, daß er dorthin komme, oder es könne noch zwei bis drei Jahre anstehen. So scheint ihn doch eine gewisse Ungeduld zu erfüllen, weil er sich dem Gedanken der Mission im Heidenlande so ganz ergeben wollte, aber er wußte, wie er immer wieder betonte, daß der Heiland es schon recht machen werde.

2.4.3. 1851 - Die Vorbereitung des Sprachwissenschaftlers

<55>

Über das Jahr 1851 sind wir nur sehr spärlich unterrichtet. Die Schwestern erzählen zwar in Briefen von ihrer eigenen Tätigkeit in Winnenden und von ihren persönlichen Erwartungen in der Zeit des Brautstandes, der Bruder aber meldet sich kaum zu Wort, ist bereit, nach Winnenden Tractate zu senden, darunter auch "Die vertraulichen Mittheilungen", enthaltend im Februar 1851 drei Briefe aus Afrika, welche in einer bestimmten Anzahl lithographiert und an viele Missionfreunde in der Heimat wie auch an die Missionare draußen verschickt werden. Zugleich teilt er der Gottliebin mit, daß Bruder Zimmermann in Westafrika an Dysenterie erkankt sei, was dort nicht geheilt werden könne, und er fährt sehr kurz und bündig fort: "so daß er wohl wieder zurückkehren wird, wenn er nicht vorher stirbt oder schon gestorben ist," (5.2.1851, Nbrg JG Chr 19). Dies klingt ja ziemlich unterkühlt, doch dürfen wir es kaum als herzlos auffassen, sondern es verbirgt sich dahinter eben die noch nicht voll gereifte Gewißheit des opferbereiten Missionars, der akzeptieren möchte, was dem einzelnen und auch ihm selbst Gott auferlegt.- Nach dem Committee-Protokoll vom 18.6.1851 (S.73,12) wurde G. Christaller als "Bruder mit sprachlichem Talent" für Afrika ins Auge gefaßt mit der Bestimmung für Akropong (27.8.1851, Prot. S.112,8, s. Henninger "Für Afrika bestimmt" S.11f), er solle aber noch den Kurs beendigen und weiterhin den Unterricht von dem so erfahrenen Bruder Hans Nikolaus Riis in der Odjisprache  [6] treulich benützen. (Prot. S.113,4)

<56>

Christaller beurteilt seine damalige Situation in späteren Jahren voller Dankbarkeit gegenüber seinem Lehrer: "Ich hatte den Vorteil, durch H. N. Riis in die Sprache eingeführt zu werden, und habe nie aufgehört, die meisterhafte und dabei so bescheidene Art zu schätzen, in welcher mein verehrter und geliebter Lehrer den Stoff verwendete, den er in einem nur kurzen Aufenthalt in Afrika hatte sammeln können." (Henninger aaO S.11) Gerade in einer solchen Formulierung finden wir den bescheidenen Geist Christallers, der dem Wegbereiter seiner eigenen Sprachstudien so sehr verpflichtet war.

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Im Committee-Protokoll wird das hohe Engagement Christallers besonders hervorgehoben, indem die Ausführungen des Inspektors Josenhans erscheinen: "Der beste Philolog, den wir im Hause haben, sei Christaller, der schon bei Riis das Odji zu erlernen angefangen habe, ein sehr wackerer Bruder [...]. Er habe aber seinen Kurs noch nicht vollendet, könnte während eines Jahres noch an Reife gewinnen und inzwischen den Kurs bei Br. Riis vollends benützen. In der Aussprache (d.h. anschließender Diskussion) einigte man sich zugunsten des Zuwartens, indem es einem Bruder mit solchen Gaben und Empfänglichkeit zu gönnen und auch in Bezug auf dessen künftige Brauchbarkeit nicht unwichtig sei, daß er seine theologische Bildung vollende." (Henninger aaO S.12) Damit ist Christallers Weg vorgezeichnet, seine Arbeitsweise und sein Eifer werden anerkannt; es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann es endlich so weit sein werde.

(So im Schreiben von Hanna an G.Chr. vom 6.Sep. 1851, Nbrg Schw Chr 30). In diesem Brief kann man auch herauslesen, wie junge Mädchen damals darüber dachten, welche Qualitäten eine etwaige Anwärterin als Missionsbraut haben müßte.

2.4.4. 1852 - Das letzte Jahr in Basel und Aufbruch nach London

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Für den kleinen Familienbetrieb (Näherei) der Christallers in Winnenden war das Jahr 1852 eine ausgesprochene Krisenzeit. (vgl. Dok 52/1) Die beiden Schwestern lebten aber zuversichtlich ihrer persönlichen Zukunft entgegen, und in den Briefen nach Basel spürt man etwas von ihrem beglückenden Brautstand, vor allem bei Hannele. Gottliebin ist da etwas zurückhaltender und möchte lieber noch etwas warten mit einer endgültigen Bindung (16.Mai 1852 Dok 52/2).

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Das sommerliche Missionsfest in Basel und ein etwaiger Besuch von Hannele bewegen die geschwisterlichen Gemüter. (23.Juni 1852 G.Chr. an Gottliebin Merkle, Dok 52/3) Aber dann kommt der Bruder in Basel auf wichtigere Probleme, die ihn erfüllen:

Schon gestern Nacht und dann diesen Morgen u Vormittag warteten wir mit ziemlicher Spannung auf die Ergebnisse der Committee-Beratung hinsichtlich unserer Bestimmung (im Original unterstrichen). Diesen Morgen hörten wir durch Hrn Richter auf dem Comptoir, die vier ersten [...] sollen nach England kommen.

Endlich wagte ich es, um in diesem Brief das Wichtigste nicht fehlen zu lassen, Herrn Inspsector in seinem Arbeitszimmer zu stören. Er sagte mir, über meine Angelegenheit werde später beraten. ich werde aufs Fest nicht eingesegnet. Das war mir unerwartet. wenn auch nicht ungeahnt, aber leicht erklärlich:

Ich erwartete jedenfalls erst in einem der letzten Monate dieses Jahres abgesandt zu werden, wozu denn so bald die Einsegnung; es ist also ganz natürlich, Euch aber wird es vielmehr befremdlich sein als mir.

<60>

Am Tag darauf, dem 24.Juni (Dok 52/4) setzt er sich mit dieser für ihn eigentlich unbefriedigenden Entscheidung im Brief nach Winnenden näher auseinander.

Zunächst spricht er von seiner Gesundheit und der ihn belastenden Schlaflosigkeit, dann reflektiert er über seinen weiteren beruflichen Weg. Der Inspektor habe anscheinend nicht genug Zeit, um zu Auskünften bereit zu sein, doch "wegen meiner weiß ich ja einstweilen genug, während Br. Steinhauser über sich noch gar nichts erfahren hat; wahrscheinlich gehen wir beide hernach Einen Weg."

<61>

Es sei ihm doch recht lieb aus mehr als einem Grunde, daß er am Fest noch nicht eingesegnet werde; jedenfalls hatte Christaller sich noch einige Zeit in Rechnung genommen, um die Otschi Grammatik und das Wörterbuch mit Br. Riis zusammen noch zum Druck zu bringen, aber dieser sei noch im Urlaub, und so wolle er geduldig abwarten, um dann nach Rückkehr seines Sprachlehrers die fraglichen und fertiggestellten Bücher "doch nothwendig gleich" aufs Missionsfeld mitnehmen zu können.

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Am 15.Sep. 1852 bestätigt dann das Committee (Prot. 83,7), auch Gottlieb Christaller zusammen mit dem schon zwei Jahre vor ihm in die Missionsschule eingetretenen August Steinhauser aus Langenwinkel/Baden nach Afrika ausreisen zu lassen. Christaller war zur Arbeit auf der Station Akropong bestimmt, Steinhauser für die Station Osu (= Usu) bei Christiansborg . Ein vierwöchentlicher Zwischenaufenthalt in London wurde ihnen noch zur Festigung ihrer Englischkenntnisse verordnet (Henninger aaO S.12). Daß Christallers Ausbildungszeit so sehr verkürzt wurde, läßt darauf schließen, daß man mit seinem Engagement sehr zufrieden war und hoffte, durch seine Sprachkenntnisse die Mission an der Goldküste wesentlich zu fördern.

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Die Schwestern in Winnenden merkten jetzt, daß es mit dem Abschied sehr bald ernst werden sollte. Die Tatsache, daß sie den Bruder in dieser Weise verlieren müssen, hat mit dazu beigetragen, Differenzen der Schwestern untereinander zu bereinigen (worum es ging, ließ sich nicht herausfinden), und am 1.Okt. 1852 ist ein wichtiger Brief der Gottliebin an den Bruder Gottlieb nach Basel datiert (Dok 52/5). Drei Wochen später, als Christallers Einsegnung unmittelbar bevorstand, schreibt Gottliebin am 24.Okt. einen zweiten Brief (Dok 52/6) wegen der Ordination nach Basel: Sie habe die Nachricht von der bevorstehenden Einsegnung des Bruders erhalten, freue sich darüber, auch wenn sie bange Gedanken dabei hege, zumal es der Mutter Christaller gar nicht sehr gut gehe. Sie meinte, daß die Mutter bei der Einsegnung nicht zugegen sein könne, denn sie werde wohl nicht mehr lange leben.

<64>

Die feierliche Ordination fand dann erst am 7.Nov. durch Dekan Moser in Backnang statt. Es war damit, wie zumeist üblich, der öffentliche Vortrag des eigenen Lebenslaufes verbunden, und den hatte Gottlieb Christaller wiederum sehr gründlich ausgearbeitet, er sollte nach den Statuten ein "gesiegeltes Zeugnis der Wahrheit" sein wie bei der Aufnahme und ist tatsächlich großenteils eine Zusammenfassung dessen, was er schon 1847 der Basler Mission eingeschickt hatte (s. oben Seite 4 ff), ist aber für die Ordination noch auf den allerneuesten Stand gebracht und zeigt als theologischen Hintergrund eine Christologie, die speziell dem Wirken des Heilands im Felde der Mission gewidmet ist. So verschiebt sich der ganze Vortrag weg vom eigenen Lebenslauf des Redners und hin zu einer völlig im Glauben aufgehenden Predigt (Dok 52/7).

<65>

Der Vortrag wurde auf weite Strecken zu einem öffentlichen Sündenbekenntnis und zeigte Christallers Bereitschaft zu Buße und persönlicher Reue für all das, was er zu gestehen hatte. Und nach Darstellung seines Werdeganges bis weit über die Konfirmation hinaus erwähnt er den Namen jenes Mannes, dem er so unendlich viel verdankte: Inspektor Joseph Josenhans. Wieder zitiert er dessen bekanntes Wort: "Die Ernte ist groß, aber wenig sind der Arbeiter - darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende", und er wiederholt noch einmal öffentlich die damalige Bitte von Josenhans: "Der Herr möge doch auch aus unserer Stadt oder Gemeinde einen solchen sich herausnehmen, der als Heidenbote könne ausgesendet werden." Diese Bitte habe ihn, den nun zu ordinierenden Christaller zutiefst und dauerhaft erfüllt, so dass heute der Tag gekommen sei,

an dem ich vor Euren Augen samt meinem geliebten Mitbruder (Steinhauser) den Segen der Kirche und die feierliche Einsezung in das Amt, das auch für die Neger in Afrika die Versöhnung prediget, empfangen soll, ein Denkmal sein der wunderbaren und gnadenreichen Führungen meines großen Gottes und Heilandes mit mir armem sündigen Menschenkinde.

<66>

Dann sprach er von der großen Freudigkeit und seinem Mut, nach Afrika zu gehen, auch davon, dass er wisse, dass Gott ihm gerade auch in seiner Schwachheit helfen werde und ihm die Gnade und Seligkeit gewiss sei. Dabei führt er kurz aus:

So ist mir doch das im Glauben gewiß: Jesus Christus ist mein Heiland, er ist aber auch und will sein aller Heiland, und ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden. Darum muß dieser Name auch den Menschen in Afrika verkündet werden. Christus ist darum für alle gestorben, auf daß die so da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist. Auch die armen Neger sollen nicht mehr sich selber leben, sondern Christo, in welchem allein sie ihr Leben wahrhaft finden können.

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Auf diese Weise könne so auch der größte Wunsch Jesu vor seinem Vater erfüllt werden, womit Christaller seine Predigt schließt: "auf daß die Liebe, damit Du mich liebest, sei in ihnen und ich in ihnen! Das geschehe an uns und an recht vielen mit uns. Amen." (Ende des Lebenslaufes, bei der Ordination vorgetragen.)

<68>

Dieser Vortrag vor der Backnanger Gemeinde findet sich stark gekürzt im Anhang (Dok 52/7). Die meisten Formulierungen, die der Sprecher hier gebrauchte, sind zwar Allgemeingut eines belesenen Bibelkundigen, zeigen aber den Extrakt der Anschauungen eines jungen Mannes, der sich der Gesellschaft der Basler Mission "für immer zur Verfügung" stellen wird, sich streng selbst geprüft hat und seiner göttlichen Berufung sicher ist, so wie es den Aufnahmebedingungen für die Mission damals entsprach.

<69>

Die nächsten Stufen seiner Aussendung aufs Missionsfeld sind schnell erklommen: Die Verabschiedung durch Insp. Josenhans, die Einsegnung durch Pfarrer Geß am 22.Nov. 1852 in der Basler Elisabethenkirche (Prot. 109,4), und die abschließende Instruktion und Verabschiedung im Committee fanden am 24.Nov. statt mit der genauen Festlegung:

Christaller soll die Odjisprache studieren und bearbeiten, um später die nötigen Schulbücher abzufassen und zuletzt die Heilige Schrift zu übersetzen. Er wird zweiter Lehrer am Katechisten-Seminar (in Akropong/Goldküste) und nimmt seine Kost bei Geschwister Dieterle. (Prot. 111,1,2 und Henninger aaO S.12)

<70>

Die Abreise von Basel nach London war auf den 25.11.1852 festgesetzt, von London nach Plymouth am 23.12.1852 und die Einschiffung in Plymouth am 24.12.1852 sollte auf dem Dampfer "Forerunner" erfolgen.

<71>

G. Christallers Verbindung zu seinen Familienangehörigen war in dieser gedrängten Zeit von Abreise, Fahrt und Englandaufenthalt kaum möglich. Doch am 1.Dez. 1852 geht ein erstes umfangreiches Schreiben von London nach Basel hinaus, in welchem G. Christaller und Bruder A. Steinhauser einen detaillierten Bericht an den Inspektor Josenhans geben (Dok 52/8), der viele wichtige Einzelheiten bringt, die auch im biographischen Teil angedeutet werden.

<72>

An den "theuersten Herrn Inspector" ist dieses wichtige und interessante Schreiben gerichtet, das Christaller als Federführender und Steinhauser als Mitunterzeichner am 1.-4.Dez. 1852 im sitting-room der drei Brüder Gerst, Kefer und Maser in London verfaßten; es waren 8 eng beschriebene Seiten, die Darstellung hangelt sich an den jeweiligen Tagesunternehmungen von Basel bis nach London entlang.

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Zunächst gelangten sie zu viert gemeinsam in zwei Gruppen bis nach Heidelberg; die beiden für Afrika bestimmten Missionsbrüder fuhren über Mannheim per Schiff nach Norden, an Mainz und Coblenz vorbei bis nach Köln. In Elberfeld hatte Christaller Gelegenheit, einen Oheim (Bruder seiner Mutter aus Grunbach) kennenzulernen und im Missionshaus in Barmen unterzukommen.

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Hier denken nun die beiden Basler Missionsbrüder über die Unterschiede zur Basler Mission nach. Daß sie sich dafür interessierten, ist aus ihrer momentanen Situation des Umbruchs und des Abschieds von Basel her zu begreifen; auch stellt Christaller einen gewissen Vergleich an zwischen dem Inspektor Josenhans in Basel und dem Leiter der Barmer Mission , Wallmann. Er schildert z.B. seine erste Begegnung in Barmen, wenn er schreibt:

Herrn Inspector Wallmann sahen wir erst beim Kaffee (im ganzen Bergischen Land gibt es mittwochs und samstags Kaffee statt des Nachtessens); daß er uns nicht grüßte, war uns allerdings auffallend, aber über Tisch sprach er einiges mit uns und von den ältesten Brüdern hörten wir hernach, wie sehr sie ihn lieben und schätzen, ungeachtet seines schroffen einsilbigen Benehmens, was nun einmal seine Eigentümlichkeit ist, auch unterwegs grüße er niemand (kenne auch niemand wegen Kurzsichtigkeit).

Die Abendandacht hielt er jeden Abend in der Weise, wie sie im Basler Missionshause Sonntagabends im Speisesaal stattfindet. Auch bei der Morgenandacht am Sonntag, dem 1.Adventsfest, waren wir zugegen und lernten da den Mann abermals um seines Ernstes und seiner Gebetsinbrunst recht schäzen, überm Frühstück redete er mehr mit uns in ernster und wohlthuender Weise über den Beruf eines Missionars, insbesondere in einem solchen Todeslande wie Westafrika, war aber ohne 'guten Morgen' oder ein ähnliches Wort des Grußes gekommen, nur zur hinteren Thür herein und raschen Schritts seinem Plaz am Tische zu, so gieng er auch wieder weg und nachmittags konnten wir uns nur von seiner Frau verabschieden, weil er gerade in der Kirche war.

<75>

Auch waren Christaller und sein Kollege am Gottesdienst der neuen lutherischen Kirche interessiert, wobei Christaller vermerkte, daß der Prediger auf das in Frankreich sich erhebende Kaisertum Napoleons (III.) als das 'antichristische Reich' in Verbindung mit dem Menschen, der die zweifache Krone trägt, hinwies. Auch beeindruckte ihn eine Predigt in Düsseldorf, die er als "ungemein klar und faßlich, recht biblisch und die Gemüther anfachend" charakterisierte.

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Die Verschiffung und Überfahrt nach England öffnete für die Süddeutschen interessante Aspekte, die Schilderung im Brief beweist, daß beide Passagiere zwar die Gelegenheit sahen, sich im Englischen zu üben, was eine gute Vorstufe brachte zu dem vierwöchigen Sprachenstudium in London, das für die beiden Reisenden vorgesehen war; aber in der Seefahrt blieben sie wirklich blutjunge Anfänger:

Das vollgepfropfte Boot glitt wie eine Nußschale über die Wellen, man mußte auf einer Leiter hinab, und als es nach vollendeter Fahrt mit Mühe dem Dampfschiff genähert und daran befestigt war, in letzteres hinaufsteigen, ich stürzte statt mit aufrechten Füßen aufs Verdeck zu kommen, auf die Knie und dachte dann an Wilhelm von der Normandie 'Ich ergreife dich, England'. Das Flämisch der schreienden Bootsleute verstand ich nicht, es deuchte mich aber troz Finsterniß und Wogen lustig auf dem schaukelnden Boote, weil ich mich unter dem Schirm des Höchsten wußte. Auf dem Dampfschiff war es nun freilich nicht sehr heimelich, weder oben noch unten, außer Anfang als Steinhauser und ich als einzige Reisende II. Classe in der kleinen Cajüte beisammen waren und von einem Rest eines Mainzer Brodlaibchens aßen. Steinhauser suchte die englischen Herren, fand sie alle in einer schöneren Cajüte und holte mich auch hin, aber es zeigte sich bald, daß wir kein Recht dahin hatten. So hatte uns das Herumstolpern nichts genüzt, und ich gieng wieder zurück in die kleine Cajüte; schon aber verspürte ich die Wirkungen von dem Schwanken des Schiffes und erfuhr sie in bekannter Weise einigemal, doch so, daß ich mich nach den paar krampfhaften Zusammenziehungen des Magens jedesmal wieder ordentlich fühlte. Steinhauser blieb auf dem Verdeck auch nicht verschont.

<77>

Sie landeten dann in Dover, die Zollformalitäten gingen in schöner Ordnung vor sich und die Weiterfahrt nach London fand mit der Eisenbahn statt. Von den ersten Kontakten in London und der Eingewöhnung in der Metropole handelt nun der Schluß dieses umfangreichen Schreibens. Von den englischen Sprachstudien wollte Christaller in einem späteren Brief noch schreiben, z.B. über die Art, wie die Engländer ihre Tage verbringen (Mahlzeiten etc.). Hier äußert er sich nur kurz, vermerkt, daß sie eigentlich zum Schreiben zu wenig Zeit hätten bei der in England üblichen Zeiteinteilung. Am Schluß wünscht er, daß sein Brief den Mitbrüdern in Basel bekannt gemacht werde, und beschließt am 2.Dez. 1852 mit herzlichen Grüßen den acht Seiten langen Brief.

2.5. 1853 - G. Christallers Seereise nach Afrika

Seine erste Eingewöhnung in Akropong

<1>

Wenn wir Gottlieb Christallers Spuren auf seiner Reise nach Westafrika weiter verfolgen, so tritt jetzt natürlich eine längere Pause der Berichterstattung ein, denn beidseitige briefliche Kontakte waren während der 31-tägigen Überfahrt nicht möglich, weder Winnenden noch Basel waren direkt erreichbar. Zwar wollte der überaus aufmerksam beobachtende und gerne protokollierende Passagier Christaller während der Überfahrt von Plymouth nach Christiansborg (Goldküste) sich unterwegs seine eigenen Notizen machen, aber die Erschütterung durch die Maschine ließ das Schreiben nicht zu, "man mußte froh sein, lesen zu können und auch das greift den Kopf mehr an, der durch das mannichfaltige Gepolter, Gehacke, Gerassel usw der verschiedenen Theile der Maschine schwach und blöde gemacht wird." Seine von ihm erwähnten Briefe aus Plymouth dürften als verloren gelten.

<2>

Schließlich schreibt er dann erst nach seiner Ankunft in Akropong zwischen 1. und 3.Feb. 1853 seinen sehr aufschlußreichen "Reisebericht über die Fahrt nach und die Ankunft in Afrika und zuletzt in Akropong." (Dok 53/2) Das Schreiben ist für alle möglichen Briefempfänger gedacht, an die Verwandten und Freunde gerichtet und natürlich fehlt wiederum der fromme Vorspruch nicht. Der Herr habe ihm nun seine "nunmehrige Wohnung und Arbeitsstätte (Akropong) angewiesen". Erreicht sei nun das Ziel seiner Reise und seiner Sehnsucht "nach dem wahren Vaterlande und der ewigen Heimat", die nun Hauptinhalt seines Lebens werden sollte.

<3>

Fast poetisch drückt er sein überwältigtes Gefühl bei der Ankunft aus in Analogie des Sprichwortes: Der Vogel hat sein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, da sie ruhen können. Auch eine Redensart der Odschineger steht ihm dabei zu Gebote: 'Mein Herz ist gefallen oder liegt (=ruht) in meinem Bauch', d.h. er sei fröhlich und vergnügt; sein Herz verlange nach Arbeit und voller Erwartung sieht er seinen neuen Aufgaben entgegen. Nach Bequemlichkeit und Ruhe habe er nun überhaupt kein Verlangen, es drängt ihn zu Aktivitäten, es kann für ihn keine vita contemplativa mehr geben, nachdem die Seereise zu Ende gegangen ist.

<4>

Er möchte sich möglichst sogleich mit frischen Kräften 'auf die Sprache werfen', Kontakte mit Negern suchen und das, was er theoretisch im Missionshaus erlernt hatte, in der Praxis realisieren - von Reisemüdigkeit überhaupt keine Spur mehr. Damit haben wir Einblick in seine ganze seelische Gestimmtheit zum Zeitpunkt eines völlig offenen Beginnens.

<5>

In seiner Rückschau auf die nun beendete Seereise läßt er noch einmal Station für Station an sich vorüberziehen und schildert minutiös den Verlauf seiner Reise. Er erklärt den Schraubendampfer "Forerunner", auf dem sie gereist waren, vergleicht diesen mit den sonst üblichen Segelschiffen auf dieser Route, befaßt sich mit den Reisekosten und der Kapazität für Passagiere und läßt die einzelnen Reisestationen dem Leser sehr lebendig werden.

<6>

In Plymouth ging Christaller mit Steinhauser an Bord. Da für ihn eine Schiffsreise etwas außergewöhnlich Neues war, verweilt er in seinem Bericht fortwährend bei Einzelheiten, was gerade für einen späten Betrachter den ganzen Reisebericht ungemein spannend und interessant macht. Sensibel wie Christaller nun mal ist, stören und belasten ihn natürlich die dröhnenden Schiffsgeräusche, ungeübt in der Seefahrt hat er unter Seekrankheit zu leiden und die dreimalige Ausfahrt des nicht voll seetüchtigen Schiffes aus dem Hafen Plymouth gewinnt in seiner Darstellung besondere Brisanz. Auch interessieren ihn persönlich die zehn mitreisenden englischen Offiziere, die zu einem Regiment gehören, das Leute für die afrikanischen Besitzungen zu liefern hat:

Sie wechseln alle Jahre; die Wesleyanische Missionsgesellschaft läßt ihre westafrikanischen Missionare nach 3 Jahren zurückkehren zur Erholung oder um sie zu versetzen, die englische Kirche nach 4 Jahren; ihre Soldaten sind natürlich Neger.

<7>

Erst mit der dritten Ausfahrt aus dem Hafen, nach der umständlichen Reparatur der Schiffschraube, gewinnen sie die offene See und das Erlebnis der Seereise beginnt für ihn an Silvester 1852. Dann beschreibt er den üblichen Alltag an Bord während dieser Seefahrt mit allen Widrigkeiten, aber auch mit viel eindrucksvollen und schönen Details, vor allem aber mit seinen religiösen Empfindungen, wie sie z.B. eine "liebliche Konferenz der fünf Deutschen an Bord über den 34.Psalm und am Morgen eine deutsche Predigt" abhielten anstelle des Schiffsgottesdienstes. Allmählich hatten sich die reisenden Missionare an den Seegang und das völlig Neue einer solchen Fahrt gewöhnt und Christaller fiebert förmlich dem Neuen entgegen.

<8>

An Madeira und Teneriffa vorbei wurde es dann etwas gemütlicher. Das Schiff nahm Wasser und Kohlen auf, ein Teil der Fahrgäste ging an Land. An Afrikas Küste ging es dann entlang, und eingehend beschreibt Christaller nun die Küstenlandschaft, die Siedlungen und die französischen Festungen. Dabei beobachtet er die Neger, Häuser, Straßen und Bäume, bis sie die Mündung des Gambia-Flusses erreichten. Erst dort kam eigentlich eine völlig neue Stimmung unter den Passagieren auf, die sich auch im schriftlichen Bericht Christallers spiegelt. Da wir hier eine sehr reichhaltige und sprachlich schöne Schilderung in seinem langen Schreiben vorfinden, sei hier ein größerer Abschnitt zitiert:

Nun merkten wir erst recht, daß wir uns unter afrikanischem Himmelsstrich befinden. Die Luft war dick und schwül, mit eigentümlichen Nebeln oder Dünsten angefüllt, so daß die Sonne ähnlich wie in den Nebeln und Steinkohledünsten Londons nur wie eine rothglühende Kugel hindurch schimmerte, das Meer zeigte eine seltsame Färbung, blaßrosig, bläulich und weiß ineinander übergehend; es erinnerte unwillkürlich an das Blut der Choleraleichen, von dem wir in Basel eine Zeichnung gesehen hatten, und an die Worte einer christlichen Parodie von 'Freiheit, die ich meine' - von den französischen Farben gesagt: blutig, bleich und blau, Todtengleich, die Farben auf des Lebens Au.

Es wurde bei solcher Beschaffenheit der Luft um so bälder dunkel und der Kapitän konnte mit seinem Fernrohr die Küste u die Wahrzeichen darum für die Schiffahrt nicht unterscheiden; er gab zwar Zeichen durch Raketen, Lichtfeuer und ich glaube 2 Kanonenschuß, aber kein Lotse (oder Pilot) kam, das Schiff zwischen Untiefen und gefährlichen Stellen hindurch in den Fluß hineinzuführen. Ein Matrose hatte seit einiger Zeit beständig das Senkblei geworfen und die Tiefe des Wasser ausgerufen. Als sie weniger als 5 Faden betrug, hielt es der Kapitän nicht für rathsam, weiterzuziehen, man warf Anker und das Schiff blieb an dieser Stelle über Nacht. Am andern Morgen kamen ein paar Fischerkähne und endlich auch ein Lotse, ein Timma Neger. Nun ging es wieder rascher vorwärts und in einigen Stunden, zwischen 10 und 11 Uhr legte das Schiff an der Landungsbrücke von Bathurst an, so daß es (dieses einzige mal) keines Bootes bedurfte, um ans Ufer zu kommen.

<9>

Dann berichtet Christaller von seinen ersten Kontakten mit den Negern und dortigen Missionaren an Land. Auch an Bord machte er mit den hier zusteigenden neun schwarzen Leuten Bekanntschaft, und beim Gespräch mit einigen englischen Offizieren stellte sich für ihn interessanter Weise heraus, daß diese "den Negern eine Mittelstufe zwischen Affen und weißen Menschen anweisen wollten." Kurz vor dem Ende dieser Seefahrt hatten die Matrosen Probleme, da die Kohle an Bord zur Neige ging, so wurde am 17. Tag der Reise

alles entbehrliche Holzwerk zusammengesucht, Stangen zersägt, leere Kisten und Fässer zerschlagen, uns so gelangten wir doch noch am Abend desselben Tages mit Hilfe des Leuchtthurms und eines Lotsen in den Hafen von Orantown, der Hauptstadt von Sierra Leone.

<10>

Damit unterbrach Christaller seinen Brief, denn er sitzt ja mittlerweile an seinem Arbeitstisch in Akropong, ein unvorhergesehenes Schreibgeschäft für die Station kam dazwischen und die Zeit, die Briefe abzusenden, war gekommen, die (kürzere) Fortsetzung wollte er auf den nächsten Brief versparen.

<11>

Ans Land kamen sie wieder in Mouronia, auch Cape Coast Castle, am 25. früh sahen sie Accra und in einigen Stunden war alles am Land."Die Akroponger Brüder waren auch da, sie hatten mehrere Tage nach beendigter Conferenz auf uns gewartet."

<12>

Nach Br. Lochers Hochzeit mit Jgf. Diez, die auf dem Schiff mitgereist war, wurden sie am andern Morgen 3 1/2 Uhr mit Br. Dieterle, bei dem er Kostgänger werden sollte, von 2 Negern (die mit anderen abwechselten) in einer Hängematte getragen, auf dem Weg nach Akropong."Ich gieng natürlich mitunter auf eigenen Füßen, an manchen Stellen gebietet das schon der Weg."

<13>

So kommt er nun endlich zum Schluß dieses ersten in sich sehr weitgefaßten und anschaulichen großen Afrikabriefes, der sehr fein erkennen läßt, mit welchen Gefühlen und Erwartungen G. Christaller nun seinen "ersten Feldaufenthalt" beginnt - ein Begriff, der sicherlich auch Anklänge an die militärische Welt in sich trägt.

<14>

Zufrieden, weil in praktischen Dingen nicht sehr lebenstüchtig, erwähnt er abschließend, daß er seit 2.Feb. (also unmittelbar nach Ankunft) einen heidnischen Knaben bei sich habe, der das Bett mache, das Zimmer reinige, Wasser hole u.s.w. und nicht englisch verstehe. Er schicke ihn zur Schule, die er nicht besuchen konnte, solange er zu Hause bei seiner armen Mutter gewesen sei. Er bekomme monatlich 1 f 12 Kr nach unserem Geld und habe die Mahlzeiten zu Hause."Von meiner Lebensweise, der Station, den Einwohnern von Akropong, dem König, den ich in seiner Wohnung besuchte und der dann auch zu uns kam, das nächstemal."

<15>

Es tue ihm leid, daß er ein schlechter Briefschreiber sei, der Inhalt dieses langen Schreibens solle dann über Basel auch den dortigen Brüdern bekannt gemacht werden, sei aber zur öffentlichen Mitteilung, z.B. in einer Missionsstunde natürlich ganz und gar nicht geeignet oder gedacht. Grüße werden aufgetragen, für die Heimat insgesamt, aber nicht im einzelnen. Die Geistesgemeinschaft zwischen Afrika und Württemberg oder Basel hänge nicht von genau formulierten Grüßen ab. Er schließt: "Gottes Gnade u Wahrheit, die sich beweise so hoch der Himmel ist und so weit die Wolken gehen, walte dort über Euch und hier über Eurem Gottlieb Christaller."

<16>

Und damit begann seine eigentliche missionarische Arbeit vor Ort. Er war hauptsächlich als Lehrer am Katechistenseminar und für literarische Arbeiten vorgesehen und abgeordnet in das "Gemeindlein" Akropong mit 33 Erwachsenen und 18 Kindern; dazu kommt noch die Außenstation Date mit zwei Dörfern, eine halbe Wegstunde von Akropong entfernt. Er solle so nahe wie möglich am Institut wohnen; dafür sei an Dieterles Haus ein Zimmer für ihn anzubauen und als Wohnung einzurichten (Comm. Prot. S.48a vom 20.4.53).

<17>

Die Missionsstation betreuten 1853 als leitender Missionar Johann Georg Widmann aus Gniebel (bei Tübingen) mit Familie, Johann Christian Dieterle (aus Forchtenberg) mit Familie, Joseph Mohr (aus Appenberg) mit Familie, zuständig für Oekonomie-Fragen, der ledige Johann Adam Mader (aus Mägerkingen) und seit Anfang Februar nun der noch ledige Johann Gottlieb Christaller. Zeitweise war auch Missionar Süß dabei.

<18>

Man sieht, die Württemberger überwiegen auch hier, wie überhaupt im Missionshaus 1852 von 47 Zöglingen insgesamt 27 aus Württemberg und 9 aus Baden kamen (Heidenbote 52 Nr.8), die anderen: 5 Schweiz, 2 Norddeutschland, 1 Jütland, 3 Mitteldeutschland.

Die Organisation in Akropong umfaßte:

  • die Knabenschule mit 41 Schülern (Leitung Mader)

  • die Mädchenschule (32 Mädchen) (Leitung Widmann mit Frau und Frau Mohr)

  • die Katechistenschule (10 Zöglinge) unter Br. Dieterle

<19>

Dazu noch einige eingeborene Hilfskräfte, vor allem der westindische Alexander Clerk und der Afrikaner Jonathan Palmer, zwei hervorragende Arbeitskräfte, deren Namen häufig in den Unterlagen vorkommen. Das gemeinsame Arbeitsklima scheint schon infolge landsmannschaftlicher Gemeinsamkeiten gut gewesen zu sein.

Die Missionsbehausungen bestanden in 1 Katechistenhaus, 10 Hütten, Küchen, Stallung, Schmiede und Vorratskammer.

<20>

Der Briefwechsel, auf den sich unsere Darstellung hier alleine stützen muß, lief zu Beginn 1853 sehr langsam an, G. Christaller kann nicht so ausführlich schreiben wie er möchte, auch wenn man in Winnenden natürlich sehr begierig war, Details zu erfahren; für die Angehörigen und Freunde war alles interessant, was dem Bruder in Akropong begegnete, gerade weil alles so unbekannt und neu war und der christlichen Fürbitte anheimgegeben werden sollte. Selbst die Hochzeit der Gottliebin mit Philipp Merkle trat dabei etwas zurück; (G. Chr an Philipp 5.Sep. 1853 Dok 53/4):

Ich will um jene Zeit besonders an Euch gedenken, wir wollen uns freuen auf die Hochzeit des Lammes und das wünsche ich mir und Euch, daß unser ganzes Leben und Euer Braut- und Ehestand eine Vorbereitung auf diese Hochzeit sein möge.

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Sonst schreibt er voller Dankbarkeit, daß ihm Briefeschreiben ein "Mittel zur Unterstützung und Beförderung unserer Gemeinschaft im Geiste" von Gott verliehen worden sei (am 28.Aug. 1853, Dok 53/3). Durch das Betrachten von Bildern (= Fotos?) lebe der andere in der Erinnerung, so daß wir nicht durch die Macht der Finsternis aufgerieben werden. Er bitte innig gerade um die Fürbitte, "fahrt fort, denn wir brauchen's!"

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Auftretende Nachrichten von Schwierigkeiten oder Katastrophen der Seefahrt erregten noch immer die Gemüter, auch wenn sie nun ja überstanden sind. So ist auch der glücklich gelandete Seefahrer Christaller immer noch in Gedanken bei dem dreifachen Versuch des Kapitäns, von Plymouth wegzukommen, "wo wir dreimal aus unserem Hafen und dem englischen Kanal auslaufen wollten, aber nach 15-stündiger unangenehmer Schaukelung unseres Schiffes durch Sturm und Wellen wieder den Hafen sehen mußten und das dritte Mal mehrere Tage lang es nicht viel besser fanden." So schienen auch Gerüchte und Sensationsmeldungen sich zu überstürzen. Es war eben eine ungewöhnliche Heftigkeit der Stürme gewesen, doch die Kraft des Gebetes habe geholfen.

2.5.1. Drei Hauptprobleme beschäftigen nun in dem gleichen Brief die Gedanken des Neuankömmlings:

<23>

a) Gesundheit

Wir alle sind, seit ich hier bin, von erheblichen Krankheiten verschont geblieben, Bruder Widmann hatte ein paarmal Fieber, Bruder Mohr desgleichen, früher und in den lezten Tagen einen Anfall von Dysenterie oder Ruhr. Von Bruder Münzenmaier habe ich gar nichts Näheres vernommen, als daß er lieber in die Heidenwelt gegangen wäre und zwar, wie Ihr schreibt, zu mir. Lezteres war nicht wohl denkbar; daß er nicht zu den Heiden kam, darüber wollte ich ihn und seine Gefährten gerne getröstet u beruhigt haben. (Dok 53/3)

b)

Da eben für manche die noch ungeschriebene oder sonst schwierige Sprache ein stetes Hindernis der Arbeit bleibt, und oft längeres geduldiges Ausharren erheischt, ehe man z.B. den nach geistlichen Schä(t)zen so wenig begierigen Negern die Notwendigkeit, Vortrefflichkeit und den Reichtum des Wortes Gottes u dessen, was darin dargeboten ist, zeigen kann, zumal die heidnischen Sprachen oft so wenig noch für das Wort Gottes zugebildet scheinen oder sind. (Dok 53/3)

c)

(Bei dem sozial so niedrigen Stand der Eingeborenen sei) auch das Gefühl der Erlösungsbedürftigkeit, der Unentbehrlichkeit eines Heilandes ohne welches das Evangelium weder eindringt in die Herzen noch darin haftet, vielleicht bei manchem anderen Volke und vollends bei den von christlichen Landen ausgenommenen, wenn auch z.T. geistlich sehr verkommenen Deutschen leichter hervorgerufen als bei den Negern. (Dok 53/3)

<24>

Im AT übersetzten sie seit 23.Juni 1.Samuel 1 und 2 und Sam. 4, aber er selbst schrieb nicht die vollständige Übersetzung. Auch mußte er nicht neben der Otji-Sprache in die Ga-Sprache etwas hineinmachen, "weil ich über die zum Druck bestimmten Arbeiten unserer Brüder in Usu auch ein Wort mitreden soll", wie er recht stolz im Bewußtsein seiner besonderen sprachlichen Begabung schreibt. (Dok 53/3)

<25>

Im Jahresbericht der Missionsanstalt vom 6.Juli 1853 wird dann zusammengestellt, daß es 1853 in Westafrika 40 Missionare, davon 24 verheiratete gegeben hat. Auch wird vom dortigen Feldbau, vom Handel und Gewerbe geschrieben. (Heidenbote 1853 Nr.8). Speziell ein Exkurs über die dortigen Neger findet sich in HB Nr.11 S.88 ff.

2.5.1.1. 1854 - Christallers erster Rechenschaftsbericht nach Hause

<26>

Auch für das Jahr 1854 sind die Unterlagen und Dokumente über Christallers Aufenthalt und Arbeiten an der Goldküste noch recht spärlich. Das Missions-Magazin erwähnt neben seiner Seminartätigkeit unter dem Vorsteher Missionar Dieterle sprachliche Angelegenheiten und speziell seine Übersetzung der im März vollendeten Biblischen Geschichten; das Lukas-Evangelium war handschriftlich übersetzt und abgeschlossen, unter Mithilfe Jonathan Palmers, der anstelle von Paul Staudt getreten war (Dok 54/2). Jonathan leistete bessere Dienste im Übersetzen, jedoch brachte die Beengung im gemeinsamen Zimmer für Christallers empfindliches Gemüt manche Erschwerung und damit auch Verzögerungen.

<27>

Zu irgendwelcher Korrespondenz zwischen Akropong und Winnenden gibt es in dem hier zu betrachtenden Jahr so gut wie keine Unterlagen in den Archiven. Nur die Urkunde über den Nachlaß der Mutter Johanna Christaller (Dok 54/1) und Gottlieb Christallers Anerkenntnis derselben vom 26.Jan. 1854 liegen vor, ferner sein sehr umfangreiches Schreiben an seine Anverwandten in Winnenden, das uns neben seinem dritten offiziellen Quartalsbericht von 1853 (MM 54 I, S.31.) wertvollen Aufschluß gibt über seine Tätigkeiten in diesem Jahr und für unsere Darstellung eine wahre Fundgrube darstellt, zumal wir hier Christaller als Mensch und Gottesdiener in der Missionsgesellschaft nacherleben können. Dieser Brief ist vom 7.-10.Aug. 1854 datiert und die auf mehrere Tage ausgedehnte Datierung erweist wieder einmal, daß er beim Schreiben immer wieder unterbricht, um dann eine neue gründlichere Fortsetzung am nächsten Tag zu erarbeiten (Dok 54/2). Dieses Verfahren setzt er vielfach auch in den kommenden afrikanischen Jahren fort. Ein solcher Brief ist für den Chronisten wohl wichtiger als manche der nicht immer ganz objektivem Artikel im amtlichen Missions-Magazin.

<28>

Der hier nun folgende Bericht mit einigen Zitaten über das Jahr 1854 bezieht sich auf dieses viele Seiten lange Schreiben und umfaßt inhaltlich die Monate seines dortigen Wirkens vom Januar bis August 1854 und war sicherlich vor allem zur Information für den Missionsverein in Winnenden gedacht. Diesem an sich familiären, aber im Zusammenhang doch eher öffentlichen Schreiben wenden wir uns jetzt zu: Die Nachricht vom Tod der Mutter nimmt er sehr gefaßt entgegen: "Ende gut, alles gut", heißt es ganz einfach. Man könnte hier von einer in absoluter Frömmigkeit gelebten Distanz sprechen: "Ich weiß, wir alle werden einst auch mit Lob und Dank unser Leben beschließen, aber würdig den Herrn zu preisen, werden wir erst jenseits des Grabes imstande sein. Einstweilen wollen wir lernen und üben."

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Der Tod einer Mutter ist für ihn kein bewegendes Ereignis mehr in einer afrikanischen Welt, die alltäglich mit dem Sterben der Mitmenschen konfrontiert ist, und zwar nicht nur der Eingeborenen, sondern vor allem auch und vertieft mit dem Tod der eigenen Brüder im Herrn, deren körperliche Konstitution den Erfordernissen des Klimas einfach nicht gewachsen war. So wird das Leben des Menschen im Hinblick auf das im Glauben erwartete oder sogar auch ersehnte Jenseits zu einem Mittel verfremdet, um im Lernen und Üben dem Kommenden entgegenzugehen.

<30>

Um seinen Briefempfängern in Württemberg die Missionswelt an der Goldküste deutlicher zu skizzieren, erzählt Christaller vom dortigen Klima, besonders im Winter, spricht von der Regenzeit, der Topographie des Landes und macht sich sogar Gedanken über die Möglichkeiten, sich im Missionsgebiet anzusiedeln, was ein wenig auch nach kommerzieller Zielsetzung der Mission klingt, worüber man unsere Darstellung natürlich erweitern könnte, doch unser Schwerpunkt bleibt das Leben und die Arbeit Christallers.

<31>

Seine auf konsequente Durchleuchtung der Eingeborenensprache ausgerichteten Bemühungen stehen dabei in einem gewissen Kontrast zu den eigenwilligen Aktivitäten des Missionars Süß: Dieser hatte den etwas voreiligen Versuch machen wollen, auf eigene Faust und eigenes Vermögen daran wendend, in Gyadam eine Missionsstation zu begründen, hat sich nun aber, auch wegen der politischen Unruhen neuerdings wieder unter die Stations- und Generalkonferenz und die Leitung der Committee gestellt, welche die Station genehmigt hatte. Er hatte sich dabei nach Christallers Meinung wohl etwas übereilt an das Missionsmagazin gewandt, um von all dem Mitteilung zu machen. Christaller aber hält es für gegeben, in Betrachtung seiner eigenen Leistungen die Angehörigen in Winnenden darauf hinzuweisen, daß "Ihr hie und da wenigstens eine Erwähnung meiner finden" könnt.

<32>

Daneben klagt er jedoch darüber, von der Heimat durch mangelnde Briefkontakte so gut wie abgeschnitten zu sein, die Postgeschäfte liefen sehr schleppend und aktuelle Nachrichten fehlten vielfach. Die Kommunikation nach Basel oder Württemberg war anscheinend völlig unzureichend und erschwerte die geforderten Arbeiten eines Missionars.

<33>

Die freudige Familiennachricht von der Vergrößerung der Familie Rapp führte ihn nun dazu, sich wohl erstmals stärker für kleine Kinder zu interessieren; er ist ja mittlerweile auch in dem Alter (ca. 27 Jahre), in dem der Gedanke an Familiengründung langsam aufkommt, auch beschäftigte er sich, sehr theoretisch allerdings, mit Fragen möglicher Kindererziehung, natürlich aber einseitig vom Glauben erfüllt, daß "die Kleinen auch Engel zu Hütern und Wächtern haben".

<34>

Wenn man seine theoretischen brieflichen Äußerungen dabei betrachtet, kann man schon im Vorfeld begreifen, daß er später seinen eigenen Kindern ebenfalls recht distanziert gegenüber stand. Liebende Gefühle Kindern entgegenzubringen oder gar erotische Leidenschaftlichkeit einer Frau gegenüber zu zeigen, schien bislang grundsätzlich an seiner eigenen Zurückhaltung und Abwehr, aber zunächst auch noch am Reglement und den Wünschen der Missionsgesellschaft zu scheitern.

<35>

Auch mehren sich nun die Feindseligkeiten an der Goldküste zwischen Eingeborenen und den englischen Kolonialherren, welche dann besonders 1855 fast bürgerkriegsähnlichen Charakter annehmen. Was Christaller allerdings darüber zu Papier bringt, scheint nicht unbedingt der ganzen Wahrheit zu entsprechen, sondern er wird es auch vom Hörensagen übernommen und weitergetragen haben: Die Usu-Leute und die übrigen Bewohner der Küstenebene ostwärts bis an den Volta-Fluß nähmen eine aufrührerische feindliche Haltung gegen die Engländer ein, [...]" und einige Male war es in Usu auf dem Punkt, daß von dem Fort, aus dem auf die bewaffneten Neger geschossen oder die von den meisten Einwohnern verlassene Stadt zusammengeschossen worden wäre. Durch Absetzung oder Rücktritt des verhaßten Kommandanten [...] und Verzicht der Engländer auf Wiedererhebung der Kopfsteuer wurde der Friede wiederhergestellt, nur daß die Neger 2.000 [...] Haufen Cowri-Muscheln, das sind etwa 3.333 Gulden Strafe zahlen mußten."

<36>

Christaller ist bei solchen Schilderungen stark an den dortigen politischen Zuständen interessiert, gleichzeitig zeigt sich ein gewisser Stolz auf seine Arbeiten; etwas verwunderlich ist es, daß sein Name recht selten in den offiziellen Berichten erscheint, was damit zusammenhängen mag, daß seine wissenschaftlichen Arbeiten und Sprachstudien eben in der Stille vor sich gehen und erst nach Fertigstellung einer Übersetzungsarbeit gebührend gewürdigt werden können.

<37>

So spricht er von der Übersetzung einiger Lieder (wohl Choräle) ins Otji, betont dabei aber bescheiden (so im Quartals-Bericht vom 28.8.1855): "Ein Dichter bin ich nicht, aber das Übersetzen gelingt mir eher, freilich wird die Übersetzung oft nicht ganz getreu, z.T. ist auch dieses möglich." Seine sonstigen Arbeiten zu diesem Zeitpunkt waren: Sammlung von Sprachstoff, grammatische Studien, Übersetzung der Katechismus-Sprüche und der Haustafel aus dem Calwer Sprachbuch, der Hausordnung für das dortige Institut, eines Teiles des Heiligen Lucas und Lektionen am Institut. Es gehe aber nicht so geschwind wie mit dem Dampf der Schiffe, sondern brauche alles sehr viel Zeit, und oftmals fehle es ihm an Geduld. So untergraben auch die wiederholt auftretenden Fieber seine Arbeit an der Bibel, er gibt davon am 26.Juni einen ausführlichen Bericht, wie sich bei ihm die so häufig wiederkehrende Krankheit entwickelt:

Am 26.Juni arbeitete ich mit Jonathan von 8-9 an Lucas 12, fühlte aber dann, daß der Kopf den Dienst zu weiterer Arbeit versagte und wohl das Fieber im Anzug sein werde. So wars auch, es trat am Montag noch nicht stark auf, hielt aber am Dienstag, wo ich morgens anfing, Chininpillen zu nehmen, und von Mittwoch an bis Mittwoch nachts Schweiß kam, daß ich 6 Hemden und 2 Leintücher durchnäßte. Doch war wieder schön Wetter zum Trocknen und Gesundwerden. Ich hatte das Fieber nicht heftig, konnte bei Tage viel schlummern, doch mühte sich dabei besonders nachts der dumpfe Kopf mit sonderbaren fixen Ideen ab. In den nächsten Tagen fühlte ich nicht viel besser, konnte aber ziemlich schwitzen und ging bald wieder ein wenig spazieren.

<38>

Das Katechisten-Institut sollte nach Wünschen aus Basel in naher Zukunft umstrukturiert werden und durch Vereinigung von Akropong und Usu eine bessere Organisation ermöglichen; das mittlerweile verlassene Aburi war dafür als zentraler Ort vorgesehen. Dies war dann ja auch jene Station, die Christaller im Juli 1862 zugewiesen wurde; für die vorläufig zu erwartende Wiederbesetzung waren Br. Dieterle oder Mader im Gespräch, beide waren zwischenzeitlich auf Erholung in Europa gewesen.

Kleinere Erlebnisse Christallers seien hier kurz skizziert:

1

Ein besonderes Beispiel für den Umgang eines Missionars mit Eingeborenen zeigt die Briefpartie, in der er beschreibt, wie er selbst einer Negerin Hilfe angeboten hatte bei ihrer Arbeit.

2

Ähnliche Berichte finden sich auch in den gängigen Missionszeitschriften, die hierbei wohl die offizielle Linie abstecken.

3

Von den Schwierigkeiten im Transportwesen und von der verbreiteten Angst vor Ansteckung bei Krankheiten ist hier auch die Rede. Dies kann auch Einblick geben in manche bestehende Spannungen zwischen der Missionsgesellschaft und dem kolonialen Mutterland England.

4

Der größere Abschnitt vom 6.Juli schildert den Beginn eines Zöglingsausflugs. Auch hier werden die Missionare in Hängematten von Trägern befördert, während die Zöglinge natürlich zu Fuß gehen müssen. Zugleich gibt dies Schreiben Aufschluß über verschiedene Möglichkeiten von Kontakten zwischen Missionaren und Eingeborenen auf einem solchen Ausflug.

<39>

Dieser interessante Teil des großen Schreibens veranschaulicht mit fast filmischer Genauigkeit die einzelnen Stadien des Ausflugs, weswegen wir ihn hier wörtlich zitieren wollen:

5

Am 6.Juli wollte Br. Zimmermann mit seinen Zöglingen den vorgeschriebenen jährlichen größeren Missionsausflug antreten und auf einem Weg, der halb durch Ga, halb durch Otschi-Gebiet führte, wollte er zuerst mich nach Akropong begleiten, um von dort womöglich Br. Locher, der seit 14 Tagen mit seiner Frau noch bei den wiederholten Fiebern Erholung gesucht hatte, mitzunehmen auf seine Reise gegen den Volta hin. Wir brachen morgens 5 1/2 Uhr auf, ich mit Hängematte u 6 Trägern, da ich, um keinen Fieberanfall zu bekommen, mir keine Anstrengung erlauben durfte. Der Weg über die Ebene war gut, wir machten einmal unter einem Baum, dann in einem Dorfe Halt (Zimmermann liebt diese Jahreszeit zu reisen unter anderem weil man überall reifen Mais u Welschkorn antrifft, dessen Kolben gesotten oder gebraten sehr schmackhaft abzunagen sind. Ich esse sie sehr gerne, Ihr könnts Euch auch probieren, denn unser Mais ist ganz dasselbe wie Euer Welschkorn, nur daß die Stengel oft um ein ziemliches höher wachsen).

Gegen Mittag aber hatte sich der Übergang des schönen Wetters in Regenwetter entschieden, der Regen überfiel uns unterwegs u hielt uns einige Stunden des Nachmittags in einem Negerdorfe hin. Doch brachen wir nochmals auf, um noch Damsa, wo fünf christliche Familienväter wohnen, zu erreichen, was auch vor Einbruch der Nacht geschah; der Weg aber führte durch viel Wasser, so daß wir froh sein durften, Träger zu haben (auch Br. Zimmermann hatte eine Hängematte u zwei Träger für solche Fälle mit sich). In Damsa besuchten wir die Christen in ihren Häusern, Zimmermann redete mit ihnen, auch ich konnte mit einem in Otschi verkehren; nachts waren einige bei unserer Abendandacht u sprachen nachher noch mit Zimmermann; ich konnte dabei ordentlich folgen, denn durch das als Mitglied der Censurcommission mir obliegende Lesen der Übersezungsarbeiten von Br. Zimmermann u meinem zweimaligen Aufenthalte in Usu war mir die Ga Sprache soweit bekannt, daß ich Predigten von Br. Zimmermann fast vollständig verstand. Zum Nachtessen hatten wir eine von unserem Hauswirt bereitete Landessuppe mit einem Huhn darin. Das Wasser, das man hier herum hat, sieht aber so grau wie dicke Lauge (aus). Es war Zimmermann u mir in dem Negergehöfte ein Zimmer, wenn mans so heißen will, angewiesen worden, nach vorn ganz offen; wir breiteten das grobe Tuch unserer Hängematte auf den harten Lehmboden u deckten uns mit wollenem Teppich. Br. Zimmermann befestigte den Deckel meiner Hängematte, (der mir aber den Regen nur nothdürftig abgehalten hatte u den ich mit den Schnüren daran rechts u links hatte dirigieren müssen, damit er, [...] als es durchs Gebüsch ging, nicht zerreißen würde) sowie ein Leintuch an dem Dache, so daß wir durch diese zwei Vorhänge auch nach vorne ein geschlossenes Schlafgemach hatten. Ich mußte Gott ganz besonders danken, daß er mich gesund erhalten hatte; mein Jonathan u einer von Zimmermanns Zöglingen hatten Fieber, wozu wohl das Waten durch das Wasser beigetragen hatte, sie waren aber nicht einmal so gescheit gewesen, ihre Hosen weit genug hinaufzustülpen. Ich schlief (in den Kleidern) bald ein, selbst unter dem gellenden Getrommel in unserer Nachbarschaft, das wie darauf berechnet schien, uns im Schlaf zu stören und uns daran erinnert, daß auch in diesem kleinen Plantagendorf außer den 5 Christen noch Fetischdiener wohnen. Morgens erwachte ich nach einem guten Schlafe, wie ich öfters in Akropong u Usu ihn nicht gehabt hatte.

Br. Zimmermann verkehrte noch weiter mit den Christen, die recht lernbegierig u auch auf äußere Verbesserung ihrer Lage bedacht sind. Das Regenwetter ließ uns erst um 9 Uhr aufbrechen u nun gings, zunächst auf schön vom Busch gereinigtem Wege dem Gebirge zu. Gottfried Alema, jener kranke Zögling blieb zurück, Jonathan ließ sich nicht dazu bereden u meinte, es sei besser für ihn zu gehen. Einmal schlugen die vordersten einen falschen Weg ein, der zu einem Plantagendörfchen führte, doch gabs auch von da aus einen Weg nach Aburi. Als wir eine längere Strecke durch einen von dichtem Buschwerk gebildeten, die Sonne auch wenn sie geschienen hätte, kaum durchlassenden Tunnel abwärts gegangen und nun an dem eigentlichen Fuß des Gebirges angelangt waren, wo es zunächst in dem steinigen Bette eines Waldbächleins aufzusteigen galt, hatte es bei mir mit dem Getragenwerden ein Ende.

Br. Zimmermann gab mir seinen Stock u ließ mich vorangehen - 10.Aug. - aus Sorgfalt für meine Gesundheit, öfters zum Langsamtun ermahnend oder nach meinem Befinden fragend.

Ich bin unter solchen Umständen nicht verwegen, aber in dem, was Umstände u Beruf uns zumuten, auch getrost, und der Herr erhielt mich auch gesund.

Wir hatten nur 25 Minuten eigentlich zu steigen, weniger als auf dem gewöhnlichen Wege, dann giengs auf dem schmalen Wegchen durch den Busch weiter, endlich wieder abwärts in ein Tälchen, wo wir eine Aburi-Plantage trafen u wieder aufwärts, bis unser Weg in den wohlbekannten nach Aburi einmündete.

In dem verlassenen Missionshause rasteten wir über Mittag; die Leute wünschen immer wieder einen Missionar u eine Schule bei ihnen, was ihnen vielleicht bald gewährt wird. Der fernere Weg war theilweise sehr schlecht - gerade an solchen Stellen mußte ich gehen; in Mampong hielt ich eine Ansprache an die Leute; ich mußte noch, weil es Nacht wurde, mitunter den Weg mit dem Stock untersuchen u mich auf dem Rücken über Wasser tragen lassen, aber wir kamen glücklich u wohlbehalten in Akropong an.

Ich mußte nun eine Weile langsam thun mit Geschäften, bin aber nun ordentlich wieder in Gang u habe Freudigkeit, Zuversicht u Hoffnung, wenns auch des Aufhaltenden und Niederhaltenden Manches gibt, was man ja nicht anders erwarten darf. Letzteres besonders ist ja nothwendig.

<40>

Nach dieser langen Erzählpartie kehrt Christaller wieder auf den Boden seiner persönlichen Tatsachen zurück und entschuldigt gewissermaßen seine Weitschweifigkeit beim Erzählen: "Nun bin ich ja noch recht umständlich geworden, weiß wohl, daß Ihrs auch in anderen Dingen gerne so hättet. Ich sollte Euch auch für Euren Missionsverein brauchbare Mittheilungen machen, aber schöne Bekehrungsgeschichten u auffallende Wirkungen der Predigt können wir nicht berichten, denn dem Volke selber, das eben gar fest in seinem Jahrtausende alten Heidentum steckt, konnten wir offen gestanden noch nicht einmal verständlich genug predigen, haben noch nichts von der Bibel gedruckt, auf das wir fußen könnten."

6.

Resignierte Töne mischen sich immer wieder in Christallers Briefe, so auch hier, wenn er von Erfolgen beim Taufen sprechen möchte: Aber es werde jetzt bald die Zeit der Anbahnung vorüber sein, es seien nun einige Gehilfen herangereift, die jungen Leute, welche zur Erziehung und als Dienstboten in den Häusern der Missionare waren und [...] für die Wahrheit gewonnen wurden, mehrten sich, es sei eben wieder ein halb Dutzend im Taufunterricht, und auch Alte stünden nahe, bei denen es sich hauptsächlich um einen Anfang des Durchbruchs handele, während andere freilich gleichgültiger und feindseliger würden.

So bleibe er auch weiterhin voller Hoffnung und optimistisch im Vertrauen auf die gnädige Führung Gottes.

7.

Es folgt hier noch ein kleines Beispiel über den Zusammenhang von Aberglauben und Gesundheit der Kinder: Körperlich geschädigte oder gezeichnete Negerkinder wurden anscheinend immer wieder aus engem Aberglauben von ihren Eltern getötet. Aber die Mission sorgte vielfach auch für diese Kinder, die dann den Missionaren gehörten, d.h. von der Mission betreut wurden. Eine sehr originelle, aber für Christaller typische Bemerkung schließt diesen umfangreichen Brief an die Angehörigen in der Heimat: 'Nun lebt wohl, der Herr mache uns tüchtig zum Erbtheil der Heiligen im Licht.'

So ist dieses Schreiben vom 7.-10.Aug. 1854 (in Dok 54/2 sonst ungekürzt), auf das wir hier mehrfach Bezug genommen haben, eine echte Fundgrube, wenn man über Einzelheiten im Missionsfeld Näheres erfahren will.

2.5.1.2. 1855 - Kleine Details aus dem den Quartalsberichten Christallers und aus den Basler Missions-Protokollen

<41>

Da in den Familienarchiven für 1855 für unsere Thematik keinerlei Unterlagen vorhanden sind, beziehen wir uns für dieses Jahr ausschließlich auf Christallers Quartalsberichte aus dem Basler Archiv und auf andere dortige Missions-Protokolle, sonstige Dokumente konnten nicht aufgespürt werden.

<42>

1855 ist ein Krisen- und ein Bürgerkriegsjahr an der Goldküste. Das Volk wollte keine Taxe bezahlen und es kam zu einer tiefgreifenden Gärung unter den Eingeborenen. Das Fort Christiansborg setzte sich in Bereitschaft, das Volk aber versammelte sich bewaffnet im Felde. Eine Bombe platzte mitten in den Fetisch-Tanz (Zimmermann am 6.Feb. 1855).

<43>

Die Engländer waren bereit, nicht auf die Häuser der Missionare zu feuern, sie versprachen, die Missionarsfrauen in ein Fort oder nach Jamestown in Sicherheit zu bringen. Aber die Missionare ihrerseits wollten um des Werkes willen da bleiben, gegebenenfalls für ihre Sicherheit auch mit Geld bezahlen (16.Feb. 1855).

<44>

Am 31.März schreibt Br. Steinhauser über die Situation der Missionare in diesem Krieg im Busch: "Wie sich, durch die Umstände herbeigeführt, unser Heerlager überhaupt in 2 Divisionen abgetheilt hat, die eine an der Küste, die andere im Busch, so war bei mir das vergangene Quartal ein einzelnes kleines Abbild davon." Hier werden militärische Begriffe wohl bewußt vermengt mit dem ideologischen Kampf gegen die Heiden oder mit dem gezielten Einsatz der Missionare an vorderster Front des Missionfeldes (31.3.1855).

<45>

Eine weitere Meldung über kriegerische Ereignisse findet sich am 11.Sep. 1855: Es gab ein Bombardement; beschädigt wurden drei Missionshäuser, Kapelle und Zimmermanns Haus, es entstand großer Schaden an Gebäuden und Hausrat. Auch Plünderungen kamen vor. Aber die Missionare vermerkten: "Die Beschießung unserer Häuser ist uns bis jetzt ein Rätsel."

<46>

Daraufhin kam eine Antwort aus der Downingstreet in London: "Es konnte für die Missionshäuser keine Ausnahme gemacht werden, kein Schadenersatz. Eine Zahlung nur möglich: "not as a matter of right, but as a special favour."

<47>

Demokratische oder partnerschaftliche Ideen gemeinsam mit den Eingeborenen zu entwickeln, lassen sich aus manchen Bemerkungen einiger Missionare herauslesen. So schreibt z.B. Bruder Steinhauser (31.3.1855), das Leben mit den Leuten sei besser als über ihnen (wie es z.B. in der Stadt der Fall sei). Man möge auf der Straße und in den Dörfern predigen.

<48>

Auch Bruder Zimmermann ist optimistisch gestimmt (6.Feb. 1855):"Wegen unserer Mission seien Sie unbekümmert; sie hat bis jetzt im Wesentlichen, an innerem Gehalt, nichts verlernt. [...] Wir sind in Usu und Akropong dem Volk zu fern und zu nah. Neben dem englischen Government, den Kaufleuten, den Fetischpriestern ist unsere Mission bis jetzt zu schwach, um durchzudringen und die Suchenden anzuziehen." (Juli 1855) Christliche Dörfer sollten entstehen, Bauern und Handwerker dorthin auswandern.

<49>

Br. Johannes Zimmermann möchte gerne selbständig werden, also Ackerbau betreiben und missionieren. Das Committee kann dies nicht in solcher Form akzeptieren, setzt ihn also gelinde unter Druck, indem ihm die Heiratserlaubnis verweigert wird. (Protokollband Nr.26, Sitzung vom 11.Juli 1855, S.88).

<50>

Am 20.Sep. 1855 heißt es im Protokoll I der Missions-Kinderziehungs-Commission betr. Mischehen der Missionare: Br. Zimmermann heiratet eine Farbige mit schwarzen Kindern, die dürfen nicht in Basel erzogen werden, seine eigenen Mischlinge ja, sie können später (aber) nicht in Europa versorgt werden, da Zimmermann in Afrika bleibt.

<51>

Zimmermann spricht für die Eingeborenen, sie regierten sich selbst, er möchte sie als gleichberechtigt ansehen, anders als die Engländer oder viele Missionsleute zu Hause. Dazu ist er bestrebt, landwirtschaftliche Projekte und eine Mission durch Arbeit mit den Leuten zu erreichen (Juli 1855).

<52>

In der erwähnten 26. Sitzung wird für Akropong der Bau eines Versammlungshauses zwischen Dieterles Haus und dem Dateweg erörtert. Br. Mohr solle sich die Backsteinbereitung in Abokobi ansehen, eine Hütte zum Trocknen sei nötig, damit die Steine nicht wieder auseinanderfallen.

<53>

Br. Widmann, der über die Moral und Sünde bei den Negern nachdenkt, ist keineswegs mutlos: Es gebe "Lichtseiten im Negerleben, denn Gott ist auch der Heiden Gott". So wollten in Aburi 13 junge Männer Christen werden, weil die Fetischpriester betrügen, doch die Station zu Aburi stehe leer, vielleicht könne sie höchstens mit einem eingeborenen Lehrer und einem Katechisten besetzt werden. (25.10.1855, Dok 55/11)

<54>

So war schon in der Committee-Sitzung vom 19.Sep. 1855 die Frage der Knaben- und Mädchenerziehung ein sehr prekärer Besprechungspunkt. Es heißt da: Alle Knaben werden Br. Mohr übergeben und tüchtige Leute für die Oeconomie gebraucht, die Mädchen sollten samt und sonders zu Frau Widmann kommen.

<55>

Also lautet der Beschluß: Wo die Knabenanstalt ist und das Katechisteninstitut, dürfen keine Dienstmädchen ins Haus genommen werden, nur ältere Mägde und zu den Mädchen dürften keine Dienstknaben eingeteilt werden. Widmanns Absichten, etwaige Sexual-Probleme im Vorfeld bereits auszuschließen, sind hier deutlich herauszuhören. Diesbezügliche Forderungen des Inspektors Josenhans finden bei den im Bereich von Sittlichkeit und öffentlicher Moral sehr wachsamen Missionaren entsprechenden Gehorsam und Zustimmung, was natürlich auch aus der Sorge um die eigene Gesundheit der Europäer erwächst.

<56>

Daß die Kinderfamilien der Eingeborenen sich bei schulischer Ausbildung finanziell beteiligen sollten, versteht sich in der so prekären Finanzlage der Basler Misison von selbst, die Eltern schwarzer Kinder seien anzuhalten, diese bis ins 14.Jahr in der Anstalt zu lassen und einen kleinen Beitrag zu bezahlen - womöglich unter Garantie des Königs oder eines Ältesten. Mit welchem Erfolg hier etwas zu erreichen war, ist nicht mehr festzustellen.

<57>

Von der Vereinigung beider Katechisteninstitute ist in der Sitzung vom 12.Dez. 1855 (S.125ff) die Rede. Auch Br. Christaller hält eine solche Vereinigung für wünschenswert [...] wegen Förderung der sprachlichen Arbeiten. Beide Sprachen würden sich ergänzen. Die Akroponger Zöglinge sprächen mehr oder weniger Ga, und die anderen würden in wenigen Wochen Odschi lernen. Immerhin wohnten auf Missionseigentum mittlerweile 6-8 Accra-Familien. Und Akropong scheine als Mittelpunkt der Region besonders geeignet.

<58>

Christaller selbst bewahrte in diesem Krisenjahr seinen gottergebenen persönlichen Optimismus, wenn er anläßlich einer neuen Fieberunterbrechung schrieb: dies gehöre eben zum afrikanischen Missionsleben und werde auch wieder besser kommen. (4.9.1855, Dok 55/8). Daß ihm aber ernsthaft anzuraten sei, zur Wiederherstellung der Gesundheit eine Seereise zu machen, ist im Comm. Protokoll Nr.26 S.88c besonders vermerkt.

2.5.1.3. Über Giftmorde und die Fetische

<59>

In diesem politischen Krisenjahr kam es vor allem unter den Eingeborenen zu starken Zwistigkeiten. Giftmorde häuften sich, man forderte ein Gottes- oder Fetischurteil, um Schuldige zu finden. So geschah es, daß in einem Sonderfalle auch ein Fetisch betroffen war (vgl. Missionsarchiv Afrika 1855 VII D-1,6): "Endlich tranken sie das Wasser aus dem Topf des hiesigen Hauptfetisches mit der Bestimmung, wenn er binnen 40 Tagen die Giftmischer nicht ans Licht bringe, reißen sie sein Häuschen nieder, zerschlagen seinen Topf u jagen die Fetischpriester mit den Seinigen davon." (28.8.1855) Auch die Stammeshäuptlinge (Könige genannt) waren vielfach in solche Unruhen verwickelt.

<60>

Die jungen Leute verlangten bei Vergiftungen ein Gottes- oder Fetischurteil, um die Wahrheit zu erfahren; aber sie wollten solche Sachen (wie Fetisch- oder Gottesurteil) nicht vor den englischen Governor bringen, weil sie kein Vertrauen zu ihm hatten (28.8.1855). Aber in Br. Widmanns erster Zeit in Afrika seien sogar noch Menschenopfer vorgekommen; Br. Widmann erläuterte im Protokoll weiter: Die Neger hätten fast gar kein Sündengefühl, jeder sage sich: "Ich bin ein guter Mensch." So sollen sich die Menschen (auch in Europa) die Heiden zu Herzen gehen lassen, ohne erst auf etwaige Briefschilderungen aus Afrika zu warten. (25.10.55)

<61>

Was Gottlieb Christaller persönlich betraf, so wurde Anfang April 1855 das fertig ausgearbeitete Manuskript der Übersetzung von Hrn Dr. Barths "2 x 52 Biblische Geschichten" in die Odschi (Tyi)-Sprache, mit Vorwissen u Genehmigung der Br. Widmann und Zimmermann "behufs des Drucks nach Europa abgesandt", die Censurkommission der B(asler)M(ission) an der Goldküste (Widmann, J. Zimmermann und Christaller) beurkunden, daß es "mit gewissenhafter Sorgfalt bearbeitet, so auch seinem Inhalt nach geprüft und als brauchbar, sowie dessen Druck als wünschenswert erkannt worden sei". (Akr. 16.Juni 1855) Die Evangelien hingegen lagen 1855 noch nicht zum Druck vor, doch im November ist Matthäus zum Druck fertig, Markus und Lukas müßten aber erst noch abgeschrieben werden.

<62>

Da sich für Christaller infolge häufigen Fiebers und eigener Schwachheit manches verzögerte, wollte er gerne selbst nach England, um sich dort zu erholen und den Druck zu besorgen. Er vermerkte gesondert, er wolle 10 mal lieber arbeiten als krank sein. Dabei scheine ihm sicher, "daß man in Europa die Hälfte oder doppelt soviel arbeiten kann als in Afrika, und dabei sich in dem Maße erholen kann als in Afrika die Kräfte schwinden werden." (28.8.1855)

<63>

Für ihn war eben der ideale Zustand im Missionsfeld eine Negergemeinde mit eingeborenem Gehilfen für die Schule, und für den Missionar die notwendige Zeit für Übersetzungen und die anfallende Missionsarbeit. Besonders wichtig dabei sei aber, daß die Bibel in der Landessprache vorliege.

<64>

Christaller hatte 50 Otschi-Lieder gesammelt, die auch mit den Angestellten zusammen gesungen wurden, wohl um besser in die Melodie der Sprache eindringen zu können. Dabei verfaßten sie selbst Lieder, ohne aber den Anspruch aufzustellen, selbst Dichter sein zu wollen. (28.8.55) Grundsätzlich legte er grammatische Detailfragen wie auch alle Übersetzungen zuvor der Approbation seines Gehilfen vor, wobei er bestätigte, daß die Bibelkenntnis der herangewachsenen Christen (z.B. Salomo, Paul und Jonathan) gut sei, zumal man ihnen die innere Wahrheit nicht absprechen könne. (28.8.1855) Die Tschi-Sprache sei "wie gemacht fürs schnelle Sprechen".

<65>

Christaller war 1855 vornehmlich mit Übersetzungen aus Mose und dem 1.Joh. Brief beschäftigt, auch 16 Seiten des Calwer Spruchbuches seien bereits bearbeitet. Bei diesen Arbeiten stellte er viele Gemeinsamkeiten im Bau der Sprachen Ga und Tschi heraus, es gehe ihm nun um den Versuch, eine besondere Bibelsprache zu bilden mit Unterstützung der Gehilfen und des bekannten Bibelinhaltes. Zwar verstehe er fast alles bei Vergleichung beider Sprachen, doch fehlten ihm oft ganz bestimmte Ausdrücke, für die es nichts Entsprechendes gebe. So tauchten Schwierigkeiten auf bei Begriffen wie: Ewigkeit, Gewissen, Gottseligkeit, Gottlosigkeit, Keuschheit, Treue, Fleiß, Ordnung, es seien dies Begriffe, für welche die Neger eben keinerlei Ausdrücke haben. Das gleiche gelte auch für andere Abstracta oder Ausdrücke für körperliche Gebrechen. Jonathans Mithilfe sei bei derlei Worten besonders vonnöten.

<66>

Christaller beweist in seinem Bericht sehr genaue Landeskenntnisse. Er hatte ja auch geographische Karten gezeichnet (s. Anlage). Er bat in seinem Bericht um Spenden aus der Heimat, und dies mit der eigenwilligen Begründung: "Der Antichrist nimmt euch doch alles!"

<67>

Das Committee ermahnte ihn, seine Gesundheit zu schonen, so blieb er bis zur Ankunft des nächsten Schiffes mit 5 neuen Brüdern in Christiansborg. Er verzichtete damit auf die bereits bewilligte Seereise, da er sehr von Fiebern angegriffen war. Er wiederholte noch seine früheren Angaben über die Reisetechnik an der Goldküste und im Busch. Zumeist bewege er sich mit Trägern und Hängematten fort, oder auch zu Fuß; dabei halte er immer mal wieder Predigten auf der Straße, so in Tutu, Abokobi oder Christiansborg.

<68>

Die voranstehenden Ausführungen Christallers stammen aus seinem großen und sehr präzisen Quartalsbericht vom 28.8.1855.

2.6. 1856 - Vorbereitung der "Brautschau"

<1>

Bei Gottlieb Christaller kann man schon im Jahre 1855, also bereits im dritten Jahr seines Aufenthaltes im Missionsfeld, eine gewisse Müdigkeit, vielleicht auch Unzufriedenheit mit den afrikanischen Gegebenheiten feststellen, auch scheint es, daß er sich gelegentlich ziemlich isoliert oder zumindest vereinsamt fühlte. So kam es, daß er sich Gedanken über seine unmittelbare Zukunft machte und er seine Situation im Hinblick auf eine mögliche Verheiratung, allerdings sehr vorsichtig und zögernd, durchdachte.

<2>

Dabei bekennt er, daß er im gegenwärtigen Erwartungszustand wirklich ruhiger als zuvor sei, da er nichts zu erwarten habe, wie er brieflich berichtet. Er war froh, seine Bitte an die Committee um Heiratserlaubnis (Gesuch vom 9.März) so entschieden bereits gestellt zu haben; zu einem späteren Zeitpunkt würde er, wie er am 4.Mai 1856 im Schreiben an Josenhans (Dok 56/3) andeutet, vielleicht den Mut dazu nicht mehr aufgebracht haben.

<3>

Falls die in Betracht gezogene Mine (d.i. Wilhelmine) Maurer nicht direkt zustimmen oder gar ablehnen sollte, so wollte er den Gedanken an Heirat zwar nicht gänzlich fallen lassen, aber eher bestrebt sein, nach Europa zurückzukehren, wohl mit dem Hintergedanken, sich selbst diesem Problem zu widmen - was man bei seiner zurückhaltenden Art eher weniger für möglich halten kann. Der Zeitpunkt, um nun heiraten zu dürfen, war ja nach den Statuten der Gesellschaft zweifelsfrei gekommen, denn er hatte sich im Missionfeld mittlerweile auch als Junggeselle bewährt.

<4>

Um dieses sein Zögern verständlich zu machen, darf man nicht nur Christallers zurückhaltenden Charakter in Betracht ziehen, sondern muß zum besseren Verständnis einen Blick auf die "Grundsätze der ev. Missionsgesellschaft [...] von 1837" in Bezug auf die Frage der Heirat werfen:

1.

Im allgemeinen darf der Missionar vom Ehestand nicht ausgeschlossen werden.

2.

Doch kann die Ehe auch nicht als Pflicht betrachtet werden; sie ist vielmehr eine an Bedingungen geknüpfte Befugnis.

4.

Ohne die bestimmte vorher einzuholende Einwilligung der Committee darf keine Ehe geschlossen werden.

7.

Ein Missionar muß seine Neigungen dem Werke Christi unterordnen und nötigenfalls aufopfern.

8.

Die Einwilligung von der Committee kann nur in dem Fall erteilt werden, wenn sie eine genaue Kenntnis von dem christlichen Charakter und der Tauglichkeit einer vorgeschlagenen Missionarin erlangt hat. (aus: Missionsmagazin 1838, S 424-438.)

<5>

Christallers große Unsicherheit in derlei Fragen ist außerdem aus seiner ganzen Erziehung und menschlichen Entwicklung heraus zu verstehen, wenn er z.B. an Josenhans schreibt: "Es ist nur gut, daß der lb Gott oft besser weiß als ich, was mir gut ist und zugleich dem Werke." (Dok 56/3)

<6>

Aber seine beiden Schwestern zuhause sollten von der ganzen Sache mit Mine Maurer zunächst nichts erfahren, er wollte sich anscheinend doch noch Alternativen offen lassen, ohne bei der eigenen Familie gar ins Gerede zu kommen. Auf keinen Fall solle vorzeitig im "Heidenboten" von der Heiratserlaubnis geschrieben werden. Und da er selbst gar so wenig mutig schien in der ganzen Angelegenheit, fragte er bei Insp. Josenhans an, ob nicht "ein etwaiges Braut-Werbebrieflein" auch von dessen Frau geschrieben werden könnte, falls der Inspektor als Heiratsvermittler selbst verhindert sei. (Dok 56/3)

<7>

Drei Wochen später hatte er sich dann aber anders besonnen. Am 29.Mai 56 (Dok 56/4) schreibt er ("fast mit Widerstreben") an Schwester Gottliebe: Die Heiratsangelegenheit liege ganz in der Hand des Herrn, es sei wohl besser, wenn diese Frage "vorderhand verneinend entschieden" werde. Dabei schwindet ihm so ziemlich der frühere Mut, sich zu aktivieren, er schiebt gesundheitliche Erwägungen in den Vordergrund, er könne seiner Gesundheit eben doch nicht auf die Länge trauen, auch wenn eine Seereise für die er auf Gelegenheit warte, seiner "gegenwärtigen Angegriffenheit ein Ende machen würde."

<8>

Diese auf Erholung zielende Seereise, von der in der Comm. Sitzung vom 16.Jan. schon die Rede war, trat er dann aber erst am 20.Juli 1856 an. Er muß gesundheitlich damals sehr angeschlagen gewesen sein und setzte dann den am 29.Mai begonnenen Brief schließlich erst am 29.Juli in der Stille des Erholungsortes Fernando Po fort (Dok 56/11). Mit Hinweis auf den früheren Brief schrieb er jetzt, er habe das Gefühl gehabt oder meine es noch zu haben, daß zuviel Un- und Kleinglaube damit unterlaufe und habe durch die Umstände und innerlich nicht die Freiheit gehabt, den Brief abzuschicken."Ich bin nun (29.Juli) im Grunde nicht viel weiter, nur das hoffe und glaube ich, daß der Herr die Sache in seiner Hand hat, und ich deshalb auch jede Entscheidung freudig und dankbar werde hinnehmen können."

<9>

Aber dem Committee in Basel schien es dann mit dem Vollzug der Brautwerbung doch etwas eiliger zu sein, wohl um die Stimmung des körperlich und seelisch sehr belasteten Missionars baldmöglichst zu heben. Die - bis jetzt aber noch nicht gefundene oder zumindest namhaft gemachte - Braut solle bereits am 24.Sep. von London, also schon am 12.Sep. von Basel aus aufbrechen mit der Reisegesellschaft, die nach Akropong beordert werde. Aber noch am 2.Juni 1856 hatte Josenhans an Gottliebin Merkle geschrieben: "Die Frage ist eben, wer die Erwählte sein soll." (Dok 56/5)

<10>

Warum nun plötzlich diese Eile geboten war, mag eines der Geheimnisse der Basler Mission sein. Solche unklaren Dispositionen oder auch überstürzten Projekte wie hier im Falle Christaller waren anscheinend auch beim Inspektor kein Sonderfall, erschwerend kam aber die Tatsache hinzu, daß der heiratswillige Missionar im Grunde eine eigene Entscheidung scheute und schließlich seinen Weg in die Hände des lieben Gottes zu legen wünschte. Und wenn die Brautschau in absentia des Ehewilligen von anderen vollzogen werden soll, dann bleibt die Verwirrung beträchlich.

<11>

Die Heiratserlaubnis (Committee-Sitzung vom 27.Aug.: "Es sei ihm bei Gelegenheit eine Braut zuzuführen") war nun gerade ein paar Tage alt, und schon soll das Glücksrad umgehend ins Rollen gebracht werden. Und Christaller selbst ist, wie man längst weiß, gewiß kein Mann schneller Entschlüsse. Er konnte bei seinem scheuen Wesen aus der Ferne und bei den so schleppenden postalischen Kontakten sich eigentlich gar nicht unmittelbar an allen denkbaren Vorbereitungen beteiligen. Vieles lag aber auch an der Unentschlossenheit und Bedenklichkeit des die Ehe begehrenden Anwärters. Auch war es bei der Basler Mission allgemein üblich, vielleicht auch erwünscht, unbekannte Jungfern aufs Missionsfeld zu den wartenden jungen Missionaren hinauszuschicken.

<12>

Mehrere Mädchen waren im Gespräch, so blieb Gottlieb Chr. keine andere Möglichkeit, als seine Verschwiegenheit zu beenden und die Schwestern einzuschalten, zumal Josenhans schrieb: "Ich habe es über, so direkt zu kuppeln." Er wollte eben einen bestimmten Namen nennen (das war zunächst Wilhelmine Maurer) und er bat dann die Schwestern, zu veranlassen, sich nach dieser, wenn Christaller sie in Betracht ziehe, zu erkundigen und deren Bekanntschaft zu suchen. Im Notfall wolle Josenhans dann gerne den Schritt der Werbung auf sich nehmen. Dies erschien ihm dabei ganz einfach: "Seyd Ihr versichert, die Wilh. Maurer passe für Gottlieb, so will ich in seinem Namen um sie werben. Glaubet Ihr dagegen, daß Rickele Steinbrenner besser tauge, so bitte ich, daß Ihr mir dies schreibet, dann will ich um sie anhalten." (vom 2.Juni 1856, Dok 56/5)

<13>

Auf die in der Basler Mission üblichen Auswahlkriterien bei einer solchen Brautwahl wirft der eben zitierte Brief von Josenhans ein besonderes Licht: Ausgesprochene Bedenken hatte der leitende Missionsinspektor in solchen Fällen, wo in der Familie gewisse Krankheiten vorlagen, die sich leicht vererbten und "im tropischen Klima noch gerner als im kalten und gemäßigten eintreten". Josenhans suchte also äußerst gesunde und stabile Mädchen für den aufreibenden Dienst im Missionsfeld zu gewinnen, was angesichts der hohen Sterblichkeitsrate in Westafrika ja auch verständlich war, was aber auch im Sinne der Finanzverwaltung im Missionshaus durchaus anzuraten war.

<14>

Über Wilhelmine Maurer heißt es im amtlichen Schreiben des Inspektors:

Die W. Maurer ist äußerlich nicht unangenehm, aber man sieht ihr gar nicht an, was sie ist. Sie ist ein ganz vortreffliches Mädchen; aber sehr zart, vielleicht wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, wenn nicht Gottlieb und ihre Figur sehr conform wären und unsere Leute in unserem Haus mich auf diese Person aufmerksam gemacht hätten. Sie ist die Tochter des Apothekers Maurer, ehemals in Endersbach, dann in Strümpfelbach, jetzt in Rudersberg. Soviel ich weiß, ist Minnele jetzt in Strümpfelbach, sie war ungefähr 2 1/2 Jahre bei uns und hat an meiner Frau und Kindern viel gethan. Meine Frau hatte eine wahre Freundin an ihr und meine Kinder haben bei ihr außerordentlich viel gelernt und hängen mit der größten Liebe an ihr. Ihre Familienverhältnisse könnten aber leicht Schwierigkeiten bereiten.

Hier werden anscheinend junge Mädchen fast nach einem gewissen Marktwert gehandelt und dann an den Mann gebracht.

<15>

Aber nicht nur von Basel aus war man bemüht, für Christaller eine geeignete Braut in Württemberg zu finden, sondern auch an der Goldküste selbst waren Missionskollegen bestrebt, ihn zu einer baldigen Entscheidung zu drängen. Eine in Jamaica von christlichen Eltern geborene Jungfrau hat wohl rechtes Aufsehen in den christlichen Gemeinden erregt, denn diese wollte gerne nach dem Wunsche ihrer Eltern einen christlichen Missionar als Ehemann gewinnen."Sie ist" - wie Christaller nach Hause schrieb - "derb oder groß und stark genug gewachsen, ist gesund und im warmen Klima heimisch, so daß sie wohl auch auf gesunde und kräftige Kinder würde rechnen können. Auch da hätte ein Weißer abzusehen von der Farbe und ich könnte es, wenns nur das wäre; [...] auch würde ich sie wohl leichter als ein anderer meine Muttersprache lehren und mich im Englischen bewegen, aber, wie sie und die Ihrigen wohl nicht alle Erwartungen würden in Erfüllung gehen sehen, so hätte ich nicht, was und wann ich es bedarf." (vom 29.Juli 1856 aus Fernando Po, Dok 56/11.)

<16>

Wieder ist bei ihm diese Unsicherheit offenkundig, aber er wollte nun mal "keine Barmherzigkeit an ihr thun", wie Br. Widmann ihm nahelegte, denn er hatte dabei wohl auch nicht die Absicht, es Br. Zimmermann gleichzutun, der eine Farbige geehelicht hatte, aber in der Frage, wie deren farbige Kinder etwa dann im Missionshaus willkommen wären, daran scheiterte schon im Vorfeld dieses mögliche Eheprojekt, zumal die Stationskonferenz der farbigen Anwärterin Unaufrichtigkeit nachwies und sie deswegen für einen Monat "von ihrer Stellung an der Mädchenschule dispensierte."

<17>

Aber die Heiratsfrage gibt Christaller nun keine Ruhe mehr, auch Inspektor Josenhans fühlt sich von der schwindenden Zeit gedrängt und gibt die Unruhe weiter, denn Zeit sei ja "keine mehr zu verlieren, wenn das (noch nicht bestimmte) Mädchen anfangs September reisefertig hier sein soll." (Dok 56/5 Insp. an G. Merkle vom 2.Juni 56) Die näheren Modalitäten der Brautreise ins Missionsfeld sind dem Schreiben noch beigefügt, zumal die Heiratswillige für ihre Aussteuer selbst nach ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten aufkommen mußte."Was sie mitnehmen soll, das werden wir ihr seinerzeit sagen", heißt es, leicht von oben herab. Aber es müsse dem Committee angezeigt werden, welche endgültige Wahl G.Chr. dann getroffen haben sollte.

<18>

Die endlich von G.Chr. und von Josenhans bevorzugte Anwärterin Mine Maurer kam dann allerdings doch nicht zum Zuge, weil nach der Einmischung ihrer Verwandten sie das Angebot abgelehnt hatte. Der betroffene Missionar Br. Christaller wurde überhaupt nicht mehr zu Rate gezogen. So "ohne weiteres dreinfahren" wollte der Inspektor dann aber schließlich auch nicht, obwohl Minele seine Vorzugswahl gewesen wäre.

<19>

Mine Maurer wurde später als weibliche Arbeitskraft nach Westafrika geschickt und hat sich dort nachweislich durch ihre gar zu selbständige Art und mangelnde Bereitschaft zur Kooperation nicht gerade von der besten Seite gezeigt.

<20>

Christaller wollte und konnte seinen Verwandten nichts von einer Sache schreiben, die für ihn ganz in der menschlicherseits unbestimmten und ungewissen Zukunft eben nur in der Möglichkeit lag. In seiner Erwartung setzte er ganz auf den Standpunkt des Glaubens, des Stilleseins und des Harrens.

<21>

Aber auch zum Zeitpunkt, als sowohl Minele Maurer wie auch R. Steinbrenner als Bewerberinnen schon ausgeschieden waren, stellte er sich präzise vor, wie er sich seine kommende Braut und Frau denke, und er formulierte brieflich eine Liste, in welcher er eine genauere Charakterisierung der von ihm erwarteten Braut gibt, und schließlich reichte er diese Aufstellung dann nach Winnenden weiter:

"Um noch einmal auf die Wahl zu kommen - die Eigenschaften, die mir an meiner Lebensgefährtin besonders erwünscht wären, sind u.a.:

  • Die Gotteskindschaft zuerst

  • Liebe zur Einfachheit

  • praktischer Sinn in Kleidung und Hauswesen

  • Sinn für Leitung und Anstellung einer Anzahl Untergeordneter und Dienstboten und Erziehungskinder (ist in Afrika in den meisten Fällen notwendig)

  • Wohlgefallen an literarischen Bildungsmitteln und dergl., Gewandtheit mit der Feder

  • sollte einen Kaufladen führen können (also dem Finanzhaushalt vorstehen)

  • zärtlicher Anhänglichkeit von Kindern sich erfreuen (was nicht unerheblich sei)

  • Doch für alles gilt: Mein Herz ist vergnüget mit dem, was Gott füget."

<22>

In der ihm eigenen Bescheidenheit kommt er zu dem Schluß:

Was nun das Nicht-Entsprechen des Äußeren betrifft, so verwerfe oder unterschätze ich zwar solche Rücksichten durchaus nicht, aber oft siehet der Mensch, was vor Augen ist, der Herr siehet das Herz an; sodann kann und will gerade ich in dieser Beziehung keine Ansprüche machen und würde in äußerlicher Unscheinbarkeit eine Hilfe zum Demütig- und Klein-Bleiben, zum Flehen um die Kraft des Herren, die in den Schwachen mächtig sein will, erblicken. (vom 29.Juli 1856, Dok 56/11)

<23>

Daß die in diesem Brief vorgetragenen Anschauungen vertraulich und nur für die Empfänger gelten sollten, vermerkte er extra, was sich bei der zurückhaltenden Einstellung des Schreibenden von selbst verstand. Das hier zuletzt theoretisch entworfene Bild der erhofften Partnerin steht dann keineswegs in stärkerem Kontrast zu jenem Menschen, der ihm auf dem Schicksalsweg entgegenkam und ihm von Gott ausersehen war. Und so wird sich die weitere Darstellung mit der Erwählten Emilie Ziegler aus Waiblingen beschäftigen.

2.6.1. Emilie Ziegler kreuzt G. Christallers Lebensweg

<24>

Die beiden verheirateten Schwestern G. Christallers, Gottliebin Merkle u Johanna Rapp, die sich um die Eheanbahnung bemüht hatten, bekamen nach den oben geschilderten vergeblichen Versuchen den Lebenslauf der Emilie Ziegler aus Waiblingen in die Hände, der ihnen mit zwei anderen von der Missionsgesellschaft zugesandt worden war. Es war dies der hierbei übliche Weg, um gewisse Auswahlkriterien dem betroffenen Missionar selbst oder bei dessen Abwesenheit seiner unmittelbaren Familie zu überlassen. Usus war, daß dann aus drei Lebensläufen einer gewählt werden sollte.

<25>

Emilie Ziegler war die zweitälteste Tochter des Ratsschreibers von Waiblingen, die der Stuttgarter Prälat empfohlen hatte und die längere Zeit als sogen."Ladenjungfer" bei Gebr. Spring in Stuttgart tätig gewesen war.  [7]

<26>

Nach dem langwierigen Suchen, unterschwelligen Prüfen, brieflichen Disputieren und nach persönlichen Interventionen, welche sich seit G. Christallers Gesuch nach Basel wegen der Heiratsbewilligung vom 29.März 1856 bis zur Sitzung der Committee in Basel vom 27.Aug. 1856 erstreckten, wurde schließlich die erfreuliche Nachricht mitgeteilt, daß nun doch noch eine Braut für Bruder Christaller gefunden und die Verlobung genehmigt worden sei.

<27>

Als Vertreter der Christallerschen Verwandten besuchte gewissermaßen als Brautwerber der Taubstummenlehrer Rapp die Eltern Ziegler in Waiblingen, bei denen zufällig auch Emilie anwesend war. Diese überließ als brave, aber bereits 26-jährige Tochter die Entscheidung ihren Eltern.

<28>

Der Vater Ziegler gab, nachdem er gute Auskünfte über die Familie und besonders über den vorgesehenen Schwiegersohn eingeholt hatte, freudig seine Zustimmung. Nach Christallers eigener Meinung wurde dabei jedoch nicht gefragt. Er mußte sich auf die Wahl verlassen, die seine Schwestern getroffen hatten. Gottliebin Merkle schildert ihre künftige Schwägerin: "Gesund und nett, vor allem recht fromm und brav. Ich glaube, daß sie ganz für Gottlieb paßt." (zitiert aus Lebensbild 8 "Emilie Ziegler" im Familienarchiv Christaller in Neuenbürg.)

<29>

Nach dem Idealbild, das Gottlieb Christaller zuvor selbst erstellt hatte, kann man annehmen, daß die Erkorene ihm tatsächlich genehm sein werde.

Nun hätte eigentlich Ruhe eintreten können für alle Beteiligten. Aber da die Ausreise der erkorenen Braut bereits auf 12.Sep. in Basel anberaumt war, damit diese noch fristgerecht London und anschließend die Goldküste erreichen konnte, war erneut Eile geboten, was für alle Betroffenen doch recht aufregend wurde.

Die Aussteuer der Braut mußte gerichtet, gesichtet und versandt werden, damit die Brautleute wenigstens über die wichtigsten

<30>

Habseligkeiten auf der Missionsstation verfügen konnten, und der ganze Aufbruch zur Reise mit allem Drum und Dran, die Verabschiedung von Freunden und Verwandten brachte in der Tat manche Unruhe und es war ja wirklich ein Abschied auf eine völlig unklare Zukunft mit der unterschwelligen Frage, ob es bei den Verhältnissen in Westafrika nochmals ein Wiedersehen geben werde."Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird's wohl machen!" - dieser später gewählte Trautext aus Psalm 37,5 wird die ausziehende Braut in ihrer Zuversicht gestärkt haben.

<31>

Am 4.Sep. kam abends um 10 Uhr eine telegraphische Depesche aus dem Missions-Committee Basel, worin Emilie gefragt wurde, ob sie ohne zu große Not am 10.Sep. in Basel sein könne, um am 12.Sep. abzureisen, eine telegraphische Antwort war erwünscht und die Erwählte stimmte sogleich zu. In der Sitzung in Basel hieß es ganz speziell, die Jungfer Ziegler sei auf der Reise "anständig zu behandeln" und solle auf alle Fälle "Englisch treiben und die Erbauung nicht vernachlässigen" (Prot. 10.Sep. 1856). Sie reiste dann nach Stuttgart, um von Verwandten und Freunden Abschied zu nehmen; von dort sollte es nach Basel weitergehen, wo ihr Abschied im Kreise des Missions-Frauenvereins gefeiert werden sollte.

<32>

Es war ein schwerer Abschied von den Ihren, sie habe im Eisenbahnwagen den Schmerz ausgeweint, bis ihr wieder leicht ums Herz wurde: "Unterwegs rollte noch manche Thräne über die Wangen, und als ich wieder gefaßt war, blutete die Wunde aufs neue in Eßlingen; als ich dann in der Abenddämmerung ungestört im Eisenbahnwagen saß, weinte ich, sozusagen, den Schmerz aus, denn es ist mir dabei wieder ganz leicht ums Herz geworden, das Bild, das man auf dem Weg von Gmünd nach Süßen so oft sieht, Christus am Kreuz, stellte sich vor meinen inneren Augen auf, u es war mir, als ob es zu mir sagte: Dies that ich für dich, was thust du für mich? Es stand so lebhaft vor mir, wie er mich aus den Wegen des Verderbens gerettet, wie er mein Herz gerühret, daß ichs gern ihm gab, wie er mich treu geführet, daß ich ihn noch hab."

<33>

So äußerte sich die von pietistischer Glaubensintensität ganz erfüllte menschliche Seele und fand den tiefen Trost in ihrem Heiland, (so im Abschiedsbrief an die Familie in Waiblingen vom 4.Sep. 1856, Dok 56/16). Auch ein in Form und Inhalt an kirchliche Choräle erinnerndes Abschiedsgedicht an die Freunde brachte ähnliche Aussagen. (Brief Emiliens an ihre Freunde in Stuttgart vom 10.Sep. 1856, Dok 56/17.)

<34>

[...] Daß die Heiden unter der Knechtschaft des Satans stünden u daß ihnen die Erlösung durch Christus gebracht werden müsse - die ganze christliche Heilsgeschichte u Heilslehre - das waren für sie u ihre Freunde glasklare Tatsachen und das Bewußtsein darum hatte sie immer wieder in Zeiten der Mutlosigkeit oder gar der Trauer still geleitet. Dann trat sie, begleitet von einigen Missionsmännern, die große Reise an, zunächst nach London.

<35>

Die Ereignisse bei dieser ersten Ausfahrt aus London, verbunden mit dem Schiffbruch, der Rettung der Missionsgeschwister, der Genesung Emiliens, der acht Genesungswochen in London mit der anschließenden zweiten Ausfahrt sind zwar an einem anderen Ort dargestellt und finden sich in "Der evangelische Heidenbote" 1856 Nr.11 und 57 Nr.2.- sind aber in dieser Zeitschrift heutzutage nur noch sehr schwer zugänglich sind (z.B. Uni-Bibliothek Tübingen und Missionsarchiv in Basel), so daß wir ihnen in unserer biographischen Darstellung ein eigenes Kapitel widmen; die einzelnen Briefe sind im Anhang unter Dok 56/18 bis Dok 56/22 registriert, wobei die darauf bezogenen Dokumente aus den Familienarchiven unter getrennten Nummern verzeichnet sind.

2.6.1.1. I. Der Schiffbruch (genauer Text nach dem "Heidenboten":

<36>

Den 12.Sep. d.J. reisten sechs Missionsgeschwister, von den Gebeten und Segenswünschen unseres Hauses begleitet, von Basel über Paris nach London, um dort sich nach der Goldküste in Westafrika einzuschiffen. Es waren die Brüder Heck, der als ordinirter Missionar nach Ussu bestimmt war, sodann die drei Missionsgehülfen Schall, Haas, und Ried, welche von der Anstalt auf St. Crischona aus an uns sich angeschlossen hatten; ferner Br. Zimmermann, der auf eigene Kosten zu seinem Bruder in Westafrika zieht, um ihm in seinem Werk zu helfen. Mit diesen Brüdern zog endlich auch Jungfrau Ziegler aus Würtemberg, welche die künftige Gattin des Br. Christaller in Akropong werden soll.

<37>

Sonntag, den 14.September, erreichten sie glücklich und vergnügt die große Weltstadt London und bereiteten sich zur Abfahrt nach Afrika."Gestern", schreibt Br. Heck vom 16.Sep. aus London, "gestern war ich auf unserem Schiff Ida. Es war sechs Monate lang im schwarzen Meer gewesen und hatte Krieger nach der Krim gebracht. Aber wir sind ja auch Kriegsleute unter dem höchsten Feldherrn und König Jesu. Ihn im Herzen können wir uns getrost den Wellen überlassen und hinausziehen in den heißen Krieg Afrikas. Begleiten Sie uns mit Ihren Gebeten."

<38>

Mittwoch den 24.Sep. sollten sie das Schiff besteigen und Europa verlassen; wenn wir in jenen Tagen dieser lieben Geschwister gedachten, so stellten wir uns vor, wie sie ruhig und getrost über die Wellen des Meeres dahingleiten und mit sehnsuchtsvollen, aber glaubensfrohen Blicken dem Ziele entgegensehen, dem sie munter zusteuerten. Wir hatten keine Ahnung, daß sie eben damals mit dem Tode rangen.

<39>

Der Schreiber dieses Textes war Sonntag, den 28.September, mit großen Schaaren, die aus der Nähe und Ferne herbeigekommen waren, in der Kirche zu Sindelfingen (Würtemberg) zur Feier eines Missionsfestes versammelt. Wer von uns hätte in jenen stillen, ernsten Stunden, wo wir von den Hindus in Indien, von den Kaffern in Südafrika, von Gottes Liebesthaten und des Teufels Macht und Tücke vernahmen, wer hätte geahnt, daß in denselben Stunden unsere Geschwister gleichsam schon in der Tiefe des Meeres lagen und nur wie durch ein Gnaden- und Allmachtswunder des Herrn mit dem Leben davon kamen? Ach, wie sollten unsere Missionsfeste viel mehr den Charakter von Betstunden tragen!

(Der Schreiber schildert anschließend die Schiffahrts-Bedingungen, wenn man durch den Kanal zwischen Frankreich und England hindurchfährt.) [...]

<40>

Die Stelle, wo unsere lieben Geschwister Schiffbruch litten, ist etwas westlich Dover, da wo das Städtchen New Romney ein paar hundert Schritte landeinwärts liegt. Von dort kam ihnen Hülfe; dort fand auch Jungfrau Ziegler und andere Damen, die auf dem Schiffe Ida sich befunden hatten, in der Familie des wackeren Predigers gastfreundliche Aufnahme. Von dort aus ist auch der Brief geschrieben, den Jungfrau Ziegler, zunächst an ihre Eltern u Geschwister, dictirte, weil ihre rechte Hand in Folge schwerer Verletzung nicht zu gebrauchen war, und den wir hier nun folgen lassen. Wir werden aus den andern Briefen einschalten, was zur Veranschaulichung des traurigen Ereignisses dient:

<41>

New Romney, 29.Sep. 1856

Theure, liebe Eltern u Geschwister!

Noch einmal erhaltet Ihr einen Brief von mir, ehe ich auf afrikanischem Boden stehe, was Euch um so unerwarteter sein wird, da ihr nicht einmal meine Handschrift erblicket. Doch seid ruhig, der Herr, in dessen Dienst ich getreten bin, ist freundlich und seine Güte währet ewiglich. Ich will Euch der Reihe nach erzählen, wie es bisher gegangen ist.

Am Mittwoch, den 24.Sep., kamen wir auf unser Schiff Ida. Da aber die Schiffsleute um 5 Minuten zu spät daran waren, so versäumten sie die Fluth und deßwegen mußten wir einen Tag auf dem Schiff zubringen, ohne abfahren zu können, was mir angenehm war, weil man sich an das Schiffsleben gewöhnen konnte, ohne die Seekrankheit befürchten zu müssen. Ich bewohnte ein Cajüte mit 2 englischen Damen; obwohl diese kein deutsches Wort verstanden, waren sie doch sehr freundlich und gefällig gegen mich. Die Betten sind je zwei übereinander, deren Größe sehr bescheiden ist. Da ich immer gerne Luft und Licht habe, so wählte ich das obere, an dem ein kleines rundes Fensterchen angebracht war. Die Zahl der Passagiere war außer uns noch acht, nämlich 3 Damen und 5 Herren, lauter gebildete Leute, mit denen es gut umzugehen war. Da keines von denselben deutsch reden konnte und wir nicht viel Englisch, so kamen wir wenig in Berührung mit ihnen. Donnerstag Morgen um 10 Uhr fuhren wir aus den Docks in die Themse. Das Schiff gleitete den ganzen Tag ruhig durch die Wellen. Abends kamen wir in Gravesend an, wo geankert wurde, um noch allerlei Ladung einzunehmen, und wo wir über Nacht blieben. Den andern Tag gings in die Nordsee hinaus und dem Kanal zu, auf den mirs immer heimlich angst war. Es ist hier gefährlich durchzuzkommen und schon manches Schiff ist hier gescheitert. Es erhob sich ein ziemlich starker Wind, der das Schiff sehr ins Schwanken brachte, so daß ich bald die Wirkungen der Seekrankheit empfand. Vormittags aß ich noch mit Appetit Brod und Fleisch; beim Mittagessen aber, das um 4 Uhr Nachmittags stattfindet, mußte ich mich, nachdem ich Suppe gegessen hatte, gleich ins Freie begeben, wo ich dann bald seekrank wurde. Aus dem starken Wind wurde Abends ein heftiger Sturm, so daß Welle um Welle über Bord herein schlug ins Schiff; auch fing es an zu regnen. Das Schiff schwankte furchtbar hin und her, so daß ich ohne mich zu halten, nicht mehr stehen konnte und ins Bett gehen mußte. Da der Sturm sehr heftig wurde und man in offener See nicht ankern konnte, mußte das Schiff am Freitag Abend wieder gegen das Land zurückkehren, wo es über die Nacht blieb. Am anderen Morgen, Samstag früh um 3 Uhr gieng es bei immer noch anhaltendem Regen und Sturm weiter. Ich stand des Morgens nicht auf, denn ich fühlte mich sehr krank, konnte auch gar nichts zu mir nehmen. Der Sturm brauste furchtbar; das Schiff erlitt viele heftige Stöße, so daß ich oft dachte, es werde zerbersten. Ungefähr um Mittag kam ein so gewaltiger Stoß, daß alle Thüren aufsprangen, das Geschirr, Gläser und Lampen zerbrachen und eine unglaubliche Verwirrung entstand. Wir glaubten, das Schiff sei zerschmettert. Aber es ging dennoch weiter. Ich blieb aber dennoch in meinem Bettlein liegen und dachte: Ich bin in meines Hirten Arm und Schooß. Mittags um 2 Uhr mußten wir jedoch alle aufstehen und uns reisefertig machen, um im Nothfall auf einem Boot zu entfliehen. Bald saßen wir alle bereit in der Kajüte und warteten auf das Kommando des Ausmarsches. Hier blieb man sitzen bis Abends 5 Uhr, wo wir etwas genießen sollten, alle in den Reisekleidern. Ich dachte dabei an die Kinder Israel, wie sie das Passah aßen, an den Lenden gegürtet, die Schuhe an ihren Füßen und die Wanderstäbe in ihren Händen, als die da hinweg eilten. Der Sturm heulte entsetzlich; das Schiff streifte mit dem Kiel immer wieder auf Felsen, und dadurch geschah es, daß endlich das Steuerruder abknarrte und brach. Nun war für das Schiff keine Rettung mehr; man mußte es den tobenden Wellen überlassen und in jedem Augenblick erwarten, daß es an einem Felsen scheiterte und von den Fluthen verschlungen wurde. So brach die Nacht herein.

(Br. Schall:) Man ließ wiederholt in der Nacht Raketen als Nothzeichen in die Luft steigen; aber menschliche Hülfe kam keine. Doch der Heiland war bei uns, und Er hatte bereits den Rettungsplatz für uns ausersehen. Der erste Matrose lief auf dem Verdeck immer umher und gab mit seinem Pfeifchen die nöthigen Befehle; endlich kam eine Welle, die ihn niederschlug und in die wilde Fluth hinausschwemmte. Er war das erste uned einzige Opfer. Alle Matrosen kamen jetzt in die Kajüte, aßen und tranken, um sich zu stärken. Aus der Kajüte konnte man nicht mehr; eine Welle um die andere kam über das Schiff her, und das tönte jedesmal, wie wenn man eine Kanone abschöße. Unten stieß es immer auf dem Grunde auf, und von der Gewalt des Sturmes wurde das Schiff so hin und her gewiegt, daß man nicht wußte, wann es links oder rechts überstürzte.

<42>

Kehren wir zu dem Schreiben von Schwester Ziegler zurück. Sie schreibt:

Gegen Morgen legte ich mich wieder auf einige Stunden ins Bett und mein Leben in Gottes treue Hände. Bald jedoch wurde ich wieder geweckt, um mich reisefertig zu machen. Ich nahm in die Tasche mein Geld, meine Uhr und mein Testamentchen, zog meinen Mantel und mein Halstuch an, setzte mich auf eine Bank, lehnte mich, da ich durch das entsetzliche Schwanken des Schiffes zu schwach war aufrecht zu sitzen, an Bruder Heck, der mir mit aufopfernder Treue zur Seite stand. So brach der Sonntag Morgen herein. Ach! einen solchen hatte ich noch nie gesehen. Ich machte mich aufs Sterben gefaßt. Nirgends zeigte sich Hülfe. Wir sahen in der Ferne wohl das Land, aber der Wind war ganz dagegen; und in einem Boot fortzukommen wäre unmöglich gewesen, denn die Wellen thürmten sich wie Berge auf in schäumender Wuth. Meine 5 Reisegefährten und ich saßen wortlos da; jedoch mit Gebet beschäftigt. Jetzt kam mir so manche bange Ahnung wieder in den Sinn, die ich den Tag vor der Abreise hatte. Ich hatte an jenem Tag den 46ten Psalm für uns aufgeschlagen; den gleichen traf Br. Heck, was mir etwas bange machte, weil dort von großen Nöthen geschrieben ist.

Vormittags 9 Uhr blieb das Schiff plötzlich auf einem Felsen sitzen, nachdem es vorher fürchterliche Stöße erhalten hatte, in Folge wovon alle Gegenstände im Schiff zusammen gestürzt waren. Vom Verdeck schoß das Wasser herab in die Kajüte, so daß man sich an den Säulen anklammern mußte.

(Br. Schall:) Alles schrie: aufs Verdeck! aufs Verdeck! Aber die Wellen ließen uns nicht hinaus. Da aber die Kajüte immer mehr sich mit Wasser füllte, so drängten die Hintersten vorwärts, die Vorderen mußten nachgeben und sprangen aufs Verdeck. Als ich aus der Kajüte kam, schlug gerade eine Welle herein und warf mich und einige andere nieder, und kaum erwischte ich noch ein Seil, ehe die nächste Welle mich weggespült hätte. Das Hintertheil des Schiffes fing an zu sinken, so daß wir uns nach vorne flüchten mußten. Man mußte dabei sich immer an dem Geländer, das ums Schiff herumläuft, halten und so weiter kriechen. Ach, wie war mir zu Muthe, als ich sah, daß wir nur etwa 300 bis 400 Schritt vom Land entfernt waren und viele Leute am Ufer standen, die uns gerne geholfen hätten, und doch nicht konnten! Das Schiff sank immer tiefer und wir konnten uns zuletzt nur noch auf dem vorderen höchsten Punkte des Verdecks aufhalten, wo wir uns an einem eisernen Geländer festhieltn, daß uns die Wellen nicht fortnahmen. Unsere Hülfsboote waren alle zerschmettert bis auf eines, das aber zu klein war, um in die wilde See sich hinauszuwagen. Es war ein schauerlicher Anblick, zu sehen, wie manche an den Strickleitern hinaufkletterten, um sich über dem Wasser zu halten. Da standen wir Stunden lang, ohne Hülfe, im Regen und Gewühl der Wellen; hinter uns das wüthende Meer, vor uns das nahe Land mit den hin und herlaufenden Leuten, die nicht helfen konnten, unter uns das zerbrochene, sinkende Schiff! Das läßt sich nicht beschreiben. Übrigens war keines von uns niedergeschlagen. Ich konnte lange nicht glauben, daß es mit uns zumn Sterben gehen solle; erst als ich das Schiff augenscheinlich sinken sah, dachte ich: Hast du es nach deinem Liebeswillen so beschlossen, o Herr, so schenk uns ein seliges Ende durch Christi Blut!

<43>

Hören wir auch, wie Schwester Ziegler sich darüber ausspricht:

Endlich als das Schiff auf dem Felsen fest stand, mußten wir aus der Kajüte hinauseilen, wo uns schon das Wasser entgegen kam. Das Schiff lag auf der Seite und war ganz den Wellen des Meeres preisgegeben, die mit großer Macht hereingestürzt kamen. Der Wind tobte und das Schiff krachte. Wir sechs sagten zusammen: Wir wollen miteinander sterben. Aber auf einmal erscholl der Ruf: wo sind die Damen? Denn diese genießen in England überall den Vorzug; deßwegen war man auch jetzt zuerst auf unsere Rettung bedacht. Ob ich wollte oder nicht, ich wurde von zwei starken Armen gefaßt, von den Brüdern weggerissen und mit den andern Damen unter das vordere Verdeck des Schiffes gebracht. Ich dachte: nun ja, du stirbst mit dem Heiland, der ist der beste Gefährte. Ganz durchnäßt, zitterte ich vor Kälte und saß so einige Stunden auf dem Bette eines Matrosen. Still und in mich gekehrt betrachtete ich den Gräuel der Verwüstung. Die Thiere, welche zu unserer Nahrung auf das Schiff gebracht worden waren, Schafe, Schweine, Gänse, Enten, Hühner schwammen umher und erhoben ein klägliches Jammergeschrei. Die herein brausenden Wellen und die Nothrufe der Matrosen und das Krachen des Schiffes, von dem man keinen Augenblick mehr wußte, wenn es fortgerissen werde, machten das Schauspiel entsetzlich. In diesen Stunden dachte ich viel an Euch, Ihr Lieben.

Bis jetzt hatte ich noch nichts wieder von den Brüdern gesehen; ich glaubte sie in der Ewigkeit und dachte: O hätte ich doch auch mit dürfen! Wie gerne wäre ich heimgegangen! Aber ich durfte ja nicht früher kommen, als der Herr mich rufen wollte, und mußte daher gehorsam mir gefallen lassen, was man mit mir anfing. Von Zeit zu Zeit spähte mein Auge hinaus auf die Meereswellen, ob ich keinen der Brüder darin schwimmen sehe. Ich sah aber nichts. Endlich erblickte ich in dem Gange vor mir Br. Hecks Gesicht, der sich gerade nach mir umsah. Ach welche Freude war das, mich nicht mehr allein zu wissen. Mit bebendem Herzen rief ich hinaus: wo sind denn die Andern? Denn ich dachte mir schon, sie seien daheim. Statt dessen hieß es, sie seien alle oben auf dem Verdeck. Mit fröhlicherem Herzen dankte ich dem Herrn für die Hülfe. Jetzt erst hatte mein Leben wieder mehr Werth in meinen Augen und ich wünschte gerettet zu werden. Nach und nach füllte das Wasser den Raum in dem wir saßen, und wir mußten auch hinauf gebracht werden auf das Verdeck. War unten der Anblick schon schaudererregend, so war er es oben noch mehr.

<44>

Inzwischen war es gelungen, wie die andern Briefe melden, vom sinkenden Schiffe aus mittelst einer Rakete ein Doppel-Seil ans Ufer zu schießen. Das eine Ende des einen stärkeren Seils wurde am Ufer, das andere auf dem Schiff befestigt und straff gespannt. An dieses wurde sodann ein Strick in der Form einer Schleife gehängt, so daß sich eine Person darin, wie in den Sitz einer Schaukel, setzen konnte. An diesem Stricksitz war das zweite Seil befestigt, mittelst dessen derselbe nach dem Ufer und wieder zurück aufs Schiff konnte gezogen werden."Natürlich", schreibt Br. Schall, "war man, wenn man in diesem eigenthümlichen Sitz ans Ufer gezogen wurde, bis an den Kopf im Wasser und wenn eine Welle kam, sah man oft lange nichts mehr, obwohl die Leute das starke Seil, an dem die Schleife hin und her lief, so straff als möglich anspannten."

<45>

Schwester Ziegler fährt fort:

Zwei Damen vor mir machten den Weg zuerst; dann kam die Reihe an mich. Ich stellte mich in die Mitte der Matrosen; meine Füße wurden unter dem Kleid zusammen gebunden. Mein Halstuch knüpfte ich vorher selber über dem Mantel um den Leib, damit meine Arme frei waren. Nun wurde ich hinaus gehoben aus dem Schiff und in die Schleife gesetzt. Mit der rechten Hand mußte ich mich an die Schleife halten; in die linke Hand wurde mir das andere Seil gegeben, woran die Leute am Land drüben mich hinaus zogen. Dieß alles ging sehr schnell, weil noch viele nach mir auf ihre Rettung warteten. In der Eile wurde mir die Schleife, in der ich saß, nicht recht in die Hand gegeben. Als man anfing, mich fort zu ziehen, bemerkte ich erst, daß mein Daumen zu nahe an dem Seil war, an welchem die Schleife hinrollte, was mir empfindlich weh that. Es war nichts mehr zu machen, ich wußte, wenn ich die Hand zurückziehe, so ists um mein Leben geschehen. Ich entschloß mich daher, meinen Daumen daran zu geben. So schnell diese schauerliche Seilreise auch von statten ging, so dauerte sie mir doch zu lange, denn mein Daumen, an dem das ganze Gewicht meines Körpers hing, that mir schmerzlich weh. Ich mußte mir viel, viel Gewalt anthun auzuharren. Endlich, als ich ziemlich über die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, war mein Daumen pelzig; meine Hand verlor ihre Kraft, das Seil entglitschte mir und ich lag in den Wellen des Meeres, mit der linken Hand immer noch das Seil festhaltend, was mir aber nicht mehr viel helfen konnte, weil es mit dem, das vom Schiff ans Ufer ging, nicht in Verbindung war. Ich kämpfte eine Weile mit den Wellen und dachte dann: jetzt bist du am Ende deines Lebens angekommen. Ich legte meine Seele in meines Heilands Hände. Euch, Ihr Lieben in der Heimath, sagte ich im Geiste Lebewohl. Dann fühlte ich, daß meine Besinnung, die mir bisher immer klar geblieben war, mich verließ. In diesem Moment - ich fühlte es, es war der letzte der Möglichkeit der Rettung meines Lebens - streckten sich einige Arme nach mir aus und hoben mich hervor aus dem Wasser. Als ich meine Augen, die ich, so wie den Mund, die ganze Zeit über geschlossen hielt, aufschlug, sah ich 6 Matrosen um mich her, die mich mit zartfühlenden Händen, wie ichs diesen rauhen Männern nicht zugetraut hätte, von den Banden und Stricken los machten und mich hinauf trugen ans Ufer, wo mich eine Menge Menschen umringte, besonders einige wehklagende Frauen. Sie richteten verschiedene Fragen natürlich in englischer Sprache an mich, als ich triefend und zitternd vor Nässe und Kälte da stand. Ich erwiderte rasch und laut: ich verstehe nicht Englisch, bringt mich ins Bett. Ich hielt ihnen meinen Daumen hin, der bis aufs Gelenk hinein zerfleischt und durch die Anstrengung gekrümmt war und meine Hand ganz mit Blut bedeckte. Die Männer erschracken, und einer riß von seinem wollenen Mantel ein Stück herunter und verband meine Hand damit; einer gab mir Liqueur zu trinken und dann wurde ich den Berg hinab in einen für mich bereit stehenden Wagen getragen, in welchem ich ungefähr 10 Minuten durch den Ort fuhr zum Haus des Predigers, der auch sogleich herauskam an den Wagen, mir freundlich den Arm bot und seine Theilnahme bezeugte, ebenso seine Frau, sie nahm mich unter der Hausthüre in Empfang und führte mich in ein geheiztes Zimmer, wo die zwei vor mir geretteten Damen sich befanden und mich mit großer Freude bewillkommten. Hier wurde ich meiner Kleidung entledigt, mit einem warmen Bett versehen und dann zu Bett gebracht, wo ich mich bald wieder erholte.

Bald hernach kam Br. Schall und hinter ihm Br. Heck, beide sich freuend, mich lebend und munter wieder zu erblicken. Sie brachten mir zugleich die beruhigende Botschaft, daß Alle gerettet seien, wofür ich dem Herrn von Herzen dankte.

Jetzt erst fiel mir ein, wie arm ich dastehe, gar nichts mehr Eigenes habe, als was ich auf dem Leibe trug. All mein Hab und Gut, das wir mit so viel Sorge und Mühe zusammen brachten, besonders der Kürze der Zeit wegen; all die theuern Denkzeichen der Liebe, die ich mit bekam; mein kostbares Bibelbuch, das ich nicht für zehn andere gegeben hätte, weil ich schon 9 Jahre daraus Brod und Wasser des Lebens schöpfte; alles, alles war dahin. O es war schmerzlich; aber der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen; der Name des Herrn sei gelobt. Ich habe Schiffbruch gelitten, aber nicht am Glauben, der steht fest, wie der Fels im Meer, der sich durch die Wucht unseres Schiffes nicht vom Platz bringen ließ. Der Herr hat ernste Worte mit uns geredet und sein Weg ist mir verborgen, aber eines leuchtet mir daraus hervor, nämlich seine allmächtige Liebe. Seine Engel hatten sich um uns her gelagert und uns durchgeholfen; hat, was ich mir kaum zu denken wagte, uns alle gerettet auf wunderbarem Weg. Er hat diese Schreckensszene nicht bei Nacht vorfallen lassen, wo eins oder das andere - ich jedenfalls - zu Grunde gegangen wäre, weil man mich bei Nacht im Meer nicht hätte finden können. Mein Daumen schmerzte mich sehr. Da es an einer gefährlichen Stelle ist, so verlangte ich den Arzt, der in der Person des Vaters der beiden geretteten Damen erschien. Er erklärte die Wunde für sehr böse, aber nicht gefährlich. Sie wurde verbunden, und ich denke, es werde keine Gefahr mehr haben. Doch muß ich das Bett hüten und den Arm in der Schlinge tragen. Vier der Brüder sind heute nach London abgereist, um die Freunde dort in Kenntniß zu setzen von unserem erlittenen Schiffbruch, und wo vielleicht auch Schritte gethan werden können zu einer, wenn auch theilweisen Vergütung unserer Sachen. Letzteres jedoch bezweifle ich sehr. Der Kapitän des Schiffes hat all sein Hab und Gut verloren. Es war seine Pflicht, bis auf den letzten Mann im Schiff zu bleiben, der er auch treulich nachgekommen ist, und daher gar nichts mehr retten konnte, gleich uns. Br. Heck bleibt hier bei uns, bis ich in ein paar Tagen nach London reisen kann, wo wir dann warten wollen, was die Basler Committee über uns beschließen wird. Indessen dankt mir mir dem Herrn für alles, was Er bisher Großes an mir gethan hat und glaubet sicher, daß ich bei ihm gut aufgehoben bin. Emilie.

Den 30.Sep. Ehe ich diesen Brief gestern fortschicken wollte, erhielt ich zu meiner freudigen Verwunderung die Nachricht, daß unsere Kisten und Koffer gerettet und in amtliche Sicherheit gebracht seien. Ich wartete daher mit dem Fortschicken dieses Briefes bis heute, bis ich das Nähere darüber wußte. Diesen Vormittag kam Herr Linder aus London, Agent der BMG (= Basler Missions-Gesellschaft), hierher. Er hatte am Montag in der Zeitung von unserm Schiffbruch gelesen und kam deßhalb zu uns. Es wurde nun heute nach unseren Sachen gesehen, die aber durch das Seewasser, in welchem sie drei Tage gelegen waren, wahrscheinlich unbrauchbar geworden sind. Doch denke ich, daß meim Weißzeug und meine wollenen Sachen noch zurecht gebracht werden können, was, sobald man sie fortschicken kann, in London geschehen wird. Meine Brieftasche ist zerfetzt, aber sie kam, ihren Inhalt von Briefen unversehrt in sich tragend, ans Land geschwommen. Denselben Rettungsweg fand eines meiner kleinen Büchlein und ein Porträt, das Bild des lb Hrn Prälaten Kapff, was eine große Freude machte. Mit meinem Daumen gehts ordentlich. Ist die Gefahr des Brandes mit der Hülfe Gottes vorüber, so kann die Wunde ausgeheilt werden, und ich, so der Herr will, gegen Ende dieser Woche nach London abreisen.

Nun, Ihr Lieben, danket dem Herrn für alle Barmherzigkeit und Treue, die Er bis jetzt an mir gethan hat und noch thut. Ja lobet Ihn und seid herzlich gegrüßt von Eurer Emilie.

<46>

In "Der evangelische Heidenbote" Februar 1857 Nr.2 (S 12ff) schließt sich noch ein kürzerer Bericht an, der hier in Auszügen wiedergegeben wird:

2.6.1.2. Nachträgliches über den Schiffbruch unsrer Geschwister an der Küste von England.

<47>

(Die eigentlichen "Leidensscenen" werden darin übergangen, es ist nur beigefügt, "was sich nach der wunderbaren Rettung weiter ereignete", und der würdige Prediger Mackarneß in Dymchurch wird lobend erwähnt.)

[...] Die ärztliche Kunst und Gottes Segen ließen bald auch [...] (Emilie Ziegler) so weit erstarken, daß sie mit verbundener Hand den übrigen Brüdern nach London folgen konnte, wo alle Geschwister den 7.Okt. sich wieder in ihrem früheren Quartier bei unsrem deutschen Freunde Otte zusammenfanden. Das 'deutsche Hospital' beschenkte die Geschwister mit Kleidern und Hemden. Einige Freunde boten bereitwillig Geldhülfe. Der ehrwürdige Gottesmann, Dr. Steinkopf , machte ihnen trotz seines hohen Alters und der Entfernung selbst einen Besuch, blieb eine Stunde lang bei ihnen, redete stärkende und tröstende Worte und betete dann auf den Knieen mit Allen, dem Herrn dankend für ihre herrliche Errettung. Am Sonntag darauf theilte er seiner Gemeinde öffentlich die Sache mit und forderte zu Dank und Fürbitte für die Geschwister auf.

Mehr als 8 Wochen blieben sie in London, nützten die Zeit zum Erlernen der englischen Sprache und rüsteten sich neu für die Seereise nach Afrika. Denn ihr Glaube war ungeschwächt und frisch ihre Liebe für ihren großen Beruf, wie auch brennend ihre Sehnsucht nach der Arbeit an den Negern Afrikas - so heißt es auf S.13 weiter.

<48>

Schwester Emilie Ziegler kann mit eigener Hand unter dem 20.Nov. aus London an Insp. Josenhans schreiben (Nbrg Em 4):

Meinen herzlichen Dank für Ihren Brief, sowie für den früheren, den ich noch nicht selber beantworten konnte; der Herr hat geholfen, daß ich meine rechte Hand wenigstens zum Nöthigsten wieder benützen kann.

Br. Christaller weiß allerdings jetzt, daß ich komme, lebt aber gerade deshalb in noch peinlicherer Ungewißheit als vorher, er erhielt nämlich die Nachricht von Hrn Linder, durch die, den 24.Sep. abgegangene Post, und erwartet uns daher mit den übrigen Geschwistern seit Ende Oktober, er wird sich wohl nichts anderes, als daß wir Schiffbruch erlitten, denken können. Br. Heck schrieb unsre Erlebnisse. Br. Widmann mit der, den 24.Okt. abgegangenen Post, mit dieser Gelegenheit gieng auch Ihr Brief für Br. Christaller ab, mögen nun diese Briefe bald ankommen und die lb Geschwister, besonders der theure Br. Christaller mit uns dem Herrn danken für unsre wunderbare Rettung.

Ihre Ermahnung in Bezug auf mein Verhalten gegen meine Umgebung nehme ich mit dankbarem Herzen hin; begleiten Sie mich mit Ihren Gebeten. Und wird der Herr mich wohlbehalten an den Ort meiner Bestimmung gebracht haben, so wird auch dort mein Bestreben sein, Ihren Vorschriften getreulich nachzukommen, wozu der Herr mir Weisheit geben wolle.

Ihre Mittheilungen von den nach Indien Gereisten und den Bremer Geschwistern thun mir sehr weh; war ich vorher schon mißtrauisch gegen mich selber in dieser Beziehung, so machts diese Nachricht mich noch mehr; wie armseliger Werkzeuge muß sich doch der Herr beim Aufbau seines Reichs bedienen, möge der treue Gott und Heiland, der uns dem leiblichen Tod entrissen, nicht minder wachen über unser geistliches Leben, damit nicht der letzte Betrug ärger werde, denn der Erste; lieber wollte ich noch einmal Schiffbruch leiden, und mein Leben dabei beschließen, als dem Feind, gegen den ich, wenn auch in meinem kleinen Theil, ins Feld ziehen soll, heimlich Thür und Thor öffnen.

Meine lb Eltern u Geschwister sind gottlob und Dank an dem Wege, den der Herr mich führt, nicht irre geworden; natürlich war die Nachricht für sie sehr betrübend u beunruhigend, doch konnten sie es vom Herrn annehmen, und mich ihm befehlen, mein Vater schreibt: Es sei nur gut, daß sie nicht einmal etwas geahnt hätten von jenem Schreckens Sonntag, denn viel leichter wäre es ihm gewesen, den Schiffbruch selber durchzumachen, als mich in demselben zu wissen; daß ers aber gehörig zurechtzulegen wußte, beweist, was er weiter schreibt: 'Wie Jonas aus des Wallfisches (sic!) Bauch bist Du nach 3 Tagen wieder neu ins Leben gekommen, sei nur nicht wie dieser verdrießlich und mürrisch, wenn Deine Kürbis Staude verdorrt und vieles nicht nach Deinem Sinn und Wunsch geht, sondern Du mußt Dich ganz in seinen Tod begeben, für den Du lebest.'

Diese Worte von einer wahren und geraden Vaterliebe zeugend, thun mir unaussprechlich wohl und lassen mich ruhig immer weiter von der Heimath gehen.

Gestern Abend wurden wir von dem ehrwürdigen Hrn Dr. Steinkopf in der Bibelstunde verabschiedet; er gab Jedem ein Reisegeld 1 Pfd und 1 Bibelspruch auf den Weg, derjenige, welcher mich traf, steht Jak. 1,12: Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet usw. Der freut mich.

Daß Br. Heck letzte Woche krank war, wird er Ihnen berichtet haben, ich bekam dadurch Gelegenheit, ihm gleiche Liebe zu erweisen, mit der er mir auf dem Schiff beigestanden ist; wo ich oft Gott dankte, daß Br. Heck die Reise mit uns machen mußte, denn zu keinem der übrigen Brüder hätte ich mich können dessen versehen, was er an mir gethan hat.

Mit herzlicher Hochachtung Sie grüßend Emilie Ziegler.

Ähnlich hatte auch Bruder Jacob Heck an Inspektor Josenhans nach Basel die Geschehnisse geschildert (datiert Capt. 8 Meilen von Folkstone, vom 28.Sep. 56. Nbrg Em 4)

2.6.2. Emiliens erste Seereise vom 24. Nov. 1856-29. Dez. 1856

<49>

Es ist wohl hier nun der Ort, ein ganz besonderes Briefdokument in unsere Darstellung einzubringen, das den Übergang von der Zeit nach dem Schiffbruch bis hin zu ihrem ersten Aufenthalt an der Goldküste illustrieren kann: Emilie Ziegler hat nämlich ihre erste Seereise vom 24.Nov. 1856-29.Dez. 1856 von England nach Christiansborg in Form eines Brieftagebuches genauestens verfolgt und schriftlich niedergelegt. Da es sich hier um ein originales und sicherlich unbekanntes Schriftstück handelt, wird es in unserer Biographie aus dem reinen Dokumentenanhang (des Christaller-Archivs in Neuenbürg) herausgelöst und in die erzählende Darstellung eingeflochten.

<50>

Wir werden unsere Chronik dann mit den Ereignissen an der Goldküste und in Akropong selbst in den ersten Januartagen des Jahres 1857 weiterführen.

30.12.1856 Akropong, Emilie an Eltern u Geschwister (Nbrg-Em):  [8]

Herzlich geliebte Eltern u Geschwister!

Seid mir von dem Euch fernen Afrika aus im Herrn gegrüßt, der mich wie auf Adlersflügeln getragen, fröhlichen Herzens den Ort meiner Bestimmung erreichen und meinen lb Bräutigam wohlbehalten, in freudiger Erwartung meiner Ankunft, antreffen ließ. Meine Freude wäre es, auch ein recht treffendes Bild meiner Erlebnisse darzulegen, um dem Herrn auch aus meinem Munde ein Lob zu bereiten, aber wer ist imstande, die Taten des Herrn auszureden, von denen wir ohnehin mit unseren kurzsichtigen Augen nur den kleinsten Theil erblicken können; drüben erst werden wir mit verklärten Augen und Zungen den Herrn erkennen und ihn preisen können über seiner Gnade und Barmherzigkeit, mit der er uns auf unserem Pilgerwege geleitet und begleitet hat; inzwischen wollen wir unseren Dank in Schwachheit lallen, das ist dem Herrn wohlgefällig, denn er hat gesagt: Opfere Gott Dank; und wer Dank opfert, der preiset mich!

Ich habe meine Erlebnisse Tag für Tag aufgeschrieben, wie Du, lb Vater, es gewünscht hast, und will es nun gerade so hersetzen.

Mo 24.Nov. morgens 5 Uhr verließ ich mit 8 Brüdern das mir nach einem Aufenthalt von 10 Tagen recht lieb gewordene London, um aufs Neue einen Fuß aufs Meer zu setzen, dessen gewaltige Macht ich bereits erfahren hatte, und was mir auch in diesen Tagen mit neuer Lebendigkeit vor die Seele tritt; abends 6 Uhr langten wir hier in Plymouth an, morgen, Mittags zwei Uhr, sollen wir auf dem Post Steamer 'Etiope' uns einfinden, der uns, so der Herr will, nach Afrika bringen wird.

25.Nov.- Auf dem Schiff. Wo ich ihn nur habe, ist mein Vaterland, so dachte ich heute, als ich durch die Straßen Plymouths gieng, wo ich nur fremde Gesichter u Sprache vernahm, [...] Nachdem wir uns heute unter gemeinschaftlichem Gebet dem Schutz des Allmächtigen mit Leib und Seele übergeben hatten, begaben wir uns an den Hafen, wo uns ein Boot nach unserer neuen Wohnung brachte; sie ist geräumig und sieht besonders von Innen recht freundlich aus; meine Kajüte hat für vier Passagiere Raum, ich bewohne sie mit zwei Damen (englischen), die eine reist mit ihrem Vater nach Madeira, ihrer Heimath, die andere zu ihrem Mann nach Gambia; die erstere spricht gebrochen deutsch, was mir angenehm ist, wir sind 35 Passagiere.

26.Nov.- Heut mittag 4 Uhr gieng das Schiff ab, bald darauf lag ich seekrank im Bett, ebenso meine beiden Zimmergenossinnen.

27.Nov.- Diesen Morgen, als wir erwachten, stand der Boden unserer Kajüte handhoch unter Wasser, Schuhe und was auf dem Boden war, schwamm, mein erlebter Schiffbruch stand mir wieder vor Augen und ich fürchtete mich im ersten Augenblick, er möchte sich wiederholen, denn ich glaubte das Schiff sei leck geworden und fange jetzt an zu sinken. Doch diese Furcht war ungegründet, das Wasser kam vom Reinigen des Verdecks her. Mit der Seekrankheit komme ich diesmal gut weg, ich fühle nur noch etwas Schwindel beim Aufseyn, deßhalb bleibe ich im Bett und mache mitunter Gedankenreisen nach Würt(t)emberg.

29.Nov.- Heute war ich zum ersten Mal auf dem Verdeck und erfreute mich an den Bergen und Tälern der Wasserwellen, die das Schiff in starkes Schwanken bringen; wir haben guten Wind, alle Segel sind aufgezogen, so daß das Schiff pfeilschnell durch das wogende Meer eilt, ich denke, die Gebetskraft der Lieben in der Heimath ist mit im Spiel.

30.Nov.- Heut ist der 1.Advent, ich war mit im Geist in der Stiftskirche in Stuttgart, und damit ich nicht leer ausgehe, wurde eine Predigt von H Prälat Kapf gelesen, die ich letzten Advent selber gehört und abgeschrieben hatte. Bei Euch in Würtemberg ists jetzt kalt, während wir herrlich warm haben, denn unser Wasserweg führt uns wirklich unter Spaniens schönem blauen Himmel dahin. Ihr sprecht wohl heute auch von mir und ich denke an Euch.

1.Dez.- Am Ende dieses Monats bin ich, so Gott will, in Afrika, ich freue mich, endlich nach einem vierteljährigen Wanderleben eine Heimath zu erreichen. Die Seekrankheit hat unter einzelnen Passagieren immer noch nicht aufgehört, besonders unter den Frauen, die deßhalb selten zum Vorschein kommen, ich bin der Held unter ihnen. Morgen kommen wir nach Madeira; man sieht eine Menge Seemöwen, die sich von den Wellen hin und her schaukeln lassen.

2.Dez.- Nach 7-tägiger Fahrt hatten wir den unseren Augen ganz wohlthuenden Anblick von Land, alles machte sich heute früh auf die Beine und aufs Verdeck, eine Menge Perspektiven (= Ferngläser) und dergl. kamen zum Vorschein, obgleich lange nichts zu sehen war als hohe kahle Berge und schroffe Felsen; nach und nach ward die Gegend wirthlicher, wo auf unbebautem Boden einzelne Häuser oder besser gesagt Hütten mit Strohdächern, auch ganze Dörfchen zum Vorschein kamen. Das Schiff fuhr ungefähr 1/4 Stunde entfernt längs des Landes hinaus, wo es endlich in der Nähe des Städtchens Funchal landete. Gegenüber von uns stand das von Afrika zurückgekehrte und nun nach England gehende Postschiff, einige der Brüder schrieben Briefe, um es demselben mitzugeben. Da das Schiff erst abends 8 Uhr weiterfahren wollte, giengen die meisten Passagiere worunter auch wir ans Land, an Gelegenheit fehlte es nicht, denn eine Menge Boote hatten das Schiff belagert, die alle uns hinüberfahren wollten. Es entstand ein eifriger Krieg, der es für einige Zeit unmöglich machte, die schwankende Schiffstreppe zu passieren, endlich gelang es uns, von einem Boot Besitz nehmen zu können, dessen Inhaber dann mit triumphierenden Mienen durch die besiegten sich ihren Weg bahnten; wir schaukelten nun bei freundlichem Sonnenschein dem Ufer zu, wo uns ein neues Abenteuer erwartete; es ist nämlich dort eine kleine Brandung; wenn da das Boot am Ufer zu sein glaubt, so kommen große Wellen hintendrein, die dasselbe wieder zurückreisen (sic) in die See, das wiederholte sich dreimal bei unserem Boot, dann sprangen die Ruderer heraus ins Wasser und zogen und schoben es ans Land, worauf wir uns dann bald des wohlthuenden Gefühls erfreuten, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

Wir trafen hier einen sehr verdorbenen Menschenschlag an, man sah niemand arbeiten, aber betteln und das mit einer Zudringlichkeit, wie ichs noch nie gesehen habe. Wir nahmen von den vielen Führern, die sich anboten, einen, während das übrige Heer wie eine Arriere-Garde hinterdrein lief und ließen uns durch den ziemlich großen katholischen Ort führen, der mit seinen nahen Gassen und niederen Häuschen und schmutzigen Menschen wenig Erhebendes darbot. Merkwürdig war mir auch, daß die Leute Sommer und Winter mit Schlitten fahren, ihre Gassen sind nämlich sehr schlüpfrig gepflastert und gehen immer bergauf und bergab. Ich sah auch Droschken, von innen u außen mit gelben und roten Tüchern behangen, welche von stattlichen Ochsen gezogen werden. Wir bestiegen nun einen hohen Berg, wobei wir ordentlich schwitzten, aber durch die herrliche Aussicht, die wir dabei genossen, hinlänglich belohnt wurden. Zu beiden Seiten prangten Citronen, Orangen u Bananenbäume, deren herrliche Früchte, eben reif, uns entgegenlachten, wir sahen das Zuckerrohr und Caffeebäume; Kaktusse von ungeheurer Höhe; und die schönsten Blumen u Gesträuche, die man daheim ganz sorgsam in Blumentöpfen aufzieht, wachsen hier, ganz ohne Pflege, wie wild.

Als wir oben auf der Höhe alles im Blick hatten und weit drunten die ruhige See, die in heiterem Sonnenschein sich spiegeln sahen, da sagten wir zueinander: Es ist ein Garten Gottes, mir fielen dabei die Worte ein: Ist es hier so schön auf Erden, was wirds erst im Himmel werden, wo dann auch die Bewohner keinen Contrast mehr bilden gegen die äußere Natur. Wir sangen manch schönes Lied und nachdem wir uns im Dorf unten erquickt hatten mit einem Glas Wein, schickten wir uns zum Rückzug an, wurden aber wieder unangenehm berührt durch ein ganzes Heer Bettler, die uns bis ins Wasser hinein verfolgten; wir kamen glücklich über die Brandung und fuhren nun unter Gesang des Liedes: Wo findet die Seele die Heimath, die Ruh, unserem schwankenden Wasserhaus wieder zu. Abends wurde bei günstigem Wind weitergefahren.

3.Dez.- Heute wiederholte sich bei den meisten Passagieren, die an Land waren, die Seekrankheit, ich kam mit etwas Schwindel davon. Jetzt gehts wieder zwischen Wasser und Himmel dahin, man sieht nichts als hie und da Seemöwen, Fische habe ich noch keine gesehen.

4.Dez.- Heut kamen wir nach Teneriffa, wo einige Stunden gehalten wurde, um frisches Wasser und sonstige Nahrungsmittel einzunehmen, das Wasser, welches man auf dem Schiff bekommt, hat einen schlechten Geschmack und ist ganz warm, ich trinke es gewöhnlich mit Wein vermischt, den ich mir genommen habe. Die Kost ist sehr gut, zu meiner Verwunderung kocht man hier auch Suppen, was mir in der Seekrankheit die einzige Nahrung ist, worüber sich meine Zimmer Genossinnen nicht genug wundern konnten, diese aßen oft zum Frühstück Häringe und eingemachte gräulich saure Gurken oder Zwiebel, es war mir oft unbegreiflich, daß sie ihrer Ansicht so treu blieben, während sie doch sahen, daß ich bei meiner Kost schnell die Seekrankheit verlor, während sie dieselbe immer wieder bekamen. Wir haben herrliches Wetter und guten Wind, so oft die Segel aufgezogen werden, fällt mir die Strophe eines bekannten Liedes ein: Das Gebet spannt Segeltücher, ich denke dabei an die Gebete der Lieben in der Heimath; es ist mir oft, als wollte der Herr uns den erlittenen Schiffbruch vergelten; wie erbarmungsvoll ist er.

5.Dez.- Heut fahren wir an der großen Sandwüste Sahara hin, doch bekommt man sie nicht zu Gesicht, wohl aber eine Menge Seemöwen, hie und da auch Raubvögel.

6.Dez.- An die Stelle der Seekrankheit ist jetzt bei allen Passagieren gesunder Appetit getreten. Die Wärme oder vielmehr Hitze wird ziemlich stark, hinter dem wärmsten Ofen in Würt(t)emberg ists jetzt kälter. Manche klagen über Schlaflosigkeit, ich darf dies gottlob nicht. Obgleich zum Schutz gegen die Sonne, die jetzt senkrecht niederstrahlt, Tücher aufgespannt werden, bekommen doch alle eine dunklere Gesichtsfarbe. Die Morgen und Abende sind herrlich, wir setzen uns da zusammen und reden von der verlassenen, und von der uns erwartenden Heimath, vergessen auch dabei der Oberen nicht, sondern singen ihr zu Ehren manches Lied.

7.Dez. und 2.Advent - Heut hat H Prälat Kapf wieder gepredigt auf unserem Schiff. Die Mühe des Abschreibens dieser Predigten ist mir schon hinlänglich belohnt worden. Sie sind mir doppelt lieb, weil sie mir von den Wellen nicht geraubt werden durften. Wenn wir so zusammen lesen und singen, fehlts an heimlichem Spotten und Lachen der übrigen Passagiere nicht, doch kümmerts uns wenig, denn wir alle wissen, daß dies der Christ in den Kauf bekommt. Im übrigen sind die Leute ordentlich gegen uns, was auch dadurch kommen mag, daß unser viele sind.

8.Dez.- Heut abend hatten wir den ersten Anblick von afrikanischem Land, es war die Insel Gora, es wurde gelandet, wir bekamen neue Passagiere, meist Schwarze, worunter vier Negerinnen, jede mit einem Kind auf den Rücken gebunden, letzteres war mir ein ganz neuer Anblick, es standen mir die Thränen in den Augen, und doch mußte ich wieder lachen, denn es war gar zu posierlich, wie das kohlschwarze Köpfchen am Rücken der Mutter aus einem weißen Tuch hervorguckte und ganz behaglich um sich sah, während diese arbeitete. Die Neger blieben auf dem Verdeck übernacht, eingehüllt von Kopf bis zu Fuß, wie Mumien.

9.Dez.- Diesen Morgen, als wir die Insel Gambia zu Gesicht bekamen, stieß das Schiff auf Klippen, alles kam in Unruhe, Kapitän und Schiffsmannschaft kam in Alarm und war vollauf beschäftigt; die Dampfmaschine wurde eingestellt, was ungefähr ein Gefühl giebt wie Müllersleuten das Stillstehen der Mühle; weil die Maschine eine ununterbrochene Erschütterung und Lärm macht; das Senkblei wurde geworfen, welches zeigte, daß man auf gefährlichem Standpunkt sey. Nach einer halben Stunde gelang es endlich, fortzukommen, und bald sah man ein Boot in der Ferne, das uns einen Lotsen zu Hülfe brachte, der immer bei der Hand sein muß, sobald ein Schiff diesen Weg kommt, der da, wo die offene See in den Fluß Gambia einmündet, sehr gefährlich ist, so daß schon manches Schiff dort gestrandet ist. Vormittags 11 Uhr wurde geankert, worauf meine letzte Zimmer Collegin vollends ausstieg, was mir angenehm ist, denn es ist ein eigenthümliches Gefühl, mit Jemand so eng zusammenzuleben, der einen weder von außen noch von innen versteht. In den Booten, die herüber ruderten, bekamen wir lauter halbnackte Neger zu Gesicht, deren Wesen von viel Rohheit zeugte. Davon nur ein Beispiel; zwei Neger waren noch auf unserem Schiff und wollten das letzte noch an Land gehende Boot benützen, auf die Gefälligkeit der Inhaber desselben konnten sie nicht rechnen, und kletterten deßhalb außen am Schiff hinunter, um ungesehen von den Bootsmännern mit einem Satz ins Boot zu gelangen, dies merkten jedoch jene, und stießen unter Hohnlachen vom Schiff, so daß die beiden zwischen Himmel und Wasser dahingen, und mit grimmigen Gesichtern dem fortgehenden Droh- und Scheltworte nachriefen. Einer unserer Offiziere bat ein gegenüberstehendes Schiff um ein Boot, das die ungeladenen Gäste ans Land brachte. Mittags kamen zwei englische Missionare an Bord, in der Hoffnung, Geschwister zu finden, sie waren erfreut, uns zu sehen, und nahmen die Brüder mit ans Land (ich hatte nicht Lust zu gehen), wo sie in eine Schule bekehrter Neger geführt wurden, die sich hocherfreut zeigten, als man ihnen sagte, daß diese Missionare Eltern und Geschwister und Freunde verlassen haben, um ihren Brüdern in Accra zum Heiland zu predigen.

11.Dez.- Morgen kommen wir nach Sierra Leone, wo das Schiff einige Tage bleiben wird. Ich denke wirklich viel an Euch, und sehe manchmal nach der Gegend, wo die verlassene Heimath ist, könntet Ihr nur auch einmal mit mir auf dem Verdeck stehen und hinaussehen auf den weiten Ocean, auf dem unser Schiff, so groß es auch ist, wie eine Nußschale dahinschaukelt, da bekommt man so recht einen Eindruck von Gottes Größe und Macht, aber auch von seiner Güte, daß er schwache Menschenkinder beschützt, wenn sie zwischen Himmel und Wasser so wehrlos dahinfahren.

12.Dez.- Mittags 4 Uhr sollten wir Sierra Leone zu Gesicht bekommen, es ward 6 Uhr und finstere Nacht, während man immer noch nicht Land sah. Der Kapitän gieng unruhig auf und ab und alles vermutete, wir seien nicht recht gefahren. Plötzlich wurde die Dampfmaschine gestellt und Senkblei geworfen, was zur Befriedigung ausfiel, das Schiff wurde gedreht und fuhr nunmehr rechts, worauf wir bald das Licht eines Leuchtturmes erblickten und in einer halben Stunde waren wir im Hafen; nun kamen eine Menge Boote auf uns zugesteuert, die unser Schiff bald mit Menschen füllten, welche theils erwartete Bekannte abholen wollten, theils den Zweck des Stehlens im Auge hatten, für letztere wurden Matrosen an beide Seiten der Treppe gestellt.

13.Dez.- Als wir heute eben im Begriff waren, ein Boot zu besteigen, das uns nach der Stadt bringen sollte, kam ein Neger an Bord mit einem Brief, der die Aufschrift hatte: An die deutschen nach Afrika reisenden Brüder; diesen Brief hatte Christaller, als er vor drei Monaten hier war, für uns hinterlassen, es befanden sich darin Adressen von Missionaren und einige Verhaltensregeln, worüber wir sehr erfreut waren; unser Neger führte uns ins Missionshaus, wo Miss. Jones, ein eingeborener Amerikaner und daher von schwarzer Farbe, uns erwartete und uns in seine, eine halbe Stunde entfernte Wohnung brachte, diesen Weg durften wir aber nicht zu Fuß machen, der großen Hitze und des ungesunden Klimas wegen. Die Brüder machten ihn zu Wasser und ich mit Mr. Jones in seinem kleinen Chaisechen, vor das ein kleines Pferdchen gespannt war, zu Lande. Der Weg führte mich nach der Stadt namens Freetown, zu beiden Seiten waren Verkaufsläden, aber anderer Art als die in der Stuttgarter Königsstraße. Es waren z.B. an einem Fenster oder vielmehr viereckigem Loch Tücher und Kleidungsstoffe ausgebreitet, an der anderen Seite war Küchengeschirr zu haben und unten auf dem Boden standen Eßwaren; vor diesem allen hat sich eine kleine Herde Neger gelagert, als ob sie auch zum Verkauf wären. Es ist aber der Eigentümer des Ladens mit seiner Familie, die Erwachsenen sind halb, die Kinder gar nicht gekleidet. Nachdem diese Straße passiert war, giengs durch den Busch, in welchem drin versteckt ein Muhammedanerdorf ist, dessen Hütten meist so armselig und niedrig sind, daß die Bewohner hineinkriechen müssen; sie schließen sich ganz von anderen Menschen, wie von Unreinem, ab.

Bald hatten wir das auf einer Anhöhe gelegene Haus Mr. Jones erreicht, dessen eine Hälfte von ihm, die andere Hälfte von Bischof Wenk bewohnt wird. Hier war gerade auch besuchsweise Frau Miss. Frey, bei welcher Christaller während seines dreiwöchentlichen Aufenthaltes hier logiert hatte: ich wurde aufs freundlichste bewillkommt, und mußte gleich versprechen, hier zu bleiben, bis das Schiff weiter gieng, was am 17.Dez. geschieht.

17.Dez.- Ich hatte recht vergnügte Tage in Freetown (deutsch Freistadt), vernahm auch manches, was mir von Wichtigkeit und Nutzen ist; Frau Jones ist aus Bremen, und Frau Frey aus dem Kanton Bern, letztere ist schon 15 Jahre hier, erstere 9 Jahre. Frau Wenk ist Engländerin. Hier aß ich zum ersten Mal Jams, es hat beinahe den gleichen Geschmack wie Kartoffel, wird auch in gleicher Weise zubereitet.

18.Dez.- Heut ward gelandet an der Küste Liberia beim Städtchen Monrovia, hier stiegen vollends die letzten Frauen aus, Mulattinnen, jetzt bin ich noch die einzige Frau auf dem Schiff. Es ist hier auch ein deutscher Kaufmann, den wir auf dem Schiff sprachen.

22.Dez.- Heut sind wir am Cape Coast, die Neger hier fahren in ausgehöhlten Baumstämmen, mit denen sie ungeheuer schnell weiterkommen, die aber sehr leicht umschlagen, was aber diesen Leuten nicht viel ausmacht, sie schwimmen gut und die Kleider sind auch bald trocken, denn sie haben fast nichts am Leib. Von denen, die heut an Bord kamen, wurde ich als große Merkwürdigkeit betrachtet, denn eine weiße Frau ist hierzuland etwas sehr Seltenes, der Kaufmann in Monrovia sagte, daß er in den zwei Jahren, die er hier sei, noch keine gesehen habe. Morgen, so Gott will, kommen wir nach Accra, unserer Landungsküste, von wo ich noch 14 Stunden nach Akropong habe, ich denke aber, wenn Christaller gesund ist, wird er herunterkommen nach Usu oder, wie mans auch nennt, Christiansburg, und mich erwarten (diese Stadt liegt an der Küste), und ihre Missions Station ist von Miss. Locher besetzt, und Br. Rottmann betreibt hier sein Kaufmannsgeschäft.

23.Dez.- Lobe den Herrn meine Seele und was in mir ist seinen heiligen Namen! Jetzt ist manches überstanden, in diesen Tagen landeten wir in Accra, in freudiger Erwartung sahen wir hinüber nach Christiansburg, wo, wie wir uns dachten, die Geschwister jetzt herübersehen nach unserem Schiff. Bald sahen wir auch von dorther ein Boot kommen, worin sich ordentlich bekleidete Neger befanden, als sie näher kamen und uns ins Auge fassen konnten, machten sie eine Bewegung gegeneinander, als wollten sie sagen: Ja, sie sinds; einer zeigte einen Brief, und wir zweifelten nun nicht mehr, daß wir jetzt abgeholt werden und so war es auch. Der Brief war von Br. Locher. Wir erfuhren auch, daß Christaller schon seit vier Tagen in Christiansburg sei, mich zu erwarten, Ihr könnt Euch denken, daß mir das Herz pochte bei dieser Nachricht; so sehr ich mich auch in der letzten Zeit nach dem Ziel meiner Reise gesehnt hatte, so wär mirs jetzt doch lieb gewesen, wenn sie noch einige Tage gedauert hätte, doch ist hier auch ein Guttheil Ängstlichkeit zugrund gelegen, weil nämlich die Landung hier sehr schwierig, ja gefährlich ist; mir war bange, aber ich verzagte nicht, ich legte alle Ängstlichkeit von innen und außen auf den, der mich aus der Heimat führte in dies fremde Land, und mich sicher durch alle großen Gefahren brachte, und bestieg fröhlichen Herzens das Boot, während ich der Worte gedachte, die Frau Frey mir auf den Weg gab: Aus 6 Trübsalen wird dich der Herr erretten, und in der siebenten soll dich kein Leid rühren. Wir wurden im Boot tüchtig hin und her geschaukelt, denn die Brandung drüben, die das Landen so schwierig macht, übte ihre Gewalt bis weit in die See hinein aus, so daß unser Dampfschiff, obgleich es geankert hatte, furchtbar schwankte und sich beinahe auf die Seite legte, daß im Schiff alles übereinander fiel, natürlich war so auch das Besteigen des Bootes eine mißliche Sache, weil es dem Schiff nicht ganz nahe kommen konnte, sondern immer hin und her schwankte; mir giengs dabei gut; der Kapitän, ein gewandter kecker Seemann, führte mich die Schiffstreppe hinunter, faßte mich dann mit seinem Arm und machte mit mir einen Satz in das hin und herschwankende Boot. Gott vergelts ihm. Je näher wir der Brandung kamen, je höher hob sich das Boot der Länge nach auf einer Seite, während es auf der anderen Seite ganz drunten war und man sich festhalten mußte, um nicht zu überpurtzeln, endlich waren wir in der Mitte des Ungestüms, und unsere Leute warteten jetzt auf die nächste Strömung, die bald wie ein hoher Berg daher rauschte. Sie ruderten uns mit aller Macht, ihm vorzukommen, damit er unser Boot mit sich hinaustreibe ans Ufer, was auch gelang, und so waren wir im Nu allem Schrecken entronnen, gottlob, denn das Wasser ist ein Schreckenskönig, wenn es zu wüthen anfängt. Am Ufer erwarteten uns Br. Locher und führte uns in seine nahe Wohnung, wo ich mich vom Schrecken und der Hitze erholen konnte; (die Sonne schien sehr heiß und einen Schirm durfte man auf dem Boot nicht benutzen.) Bald darauf öffnete sich die Thür meines Zimmers und Christaller trat herein, wir bewillkommten uns im Herrn; wie mir dabei zumuthe war, ist nicht gut beschreiben, nur soviel, es war mir nicht, als ob er mir ein bisher unbekannter Mann wäre, nein, ich meinte, er sey mir schon längst nahe gewesen; wir fühlten: Der Herr hat uns zusammen geführt. Er erfreute mich auch mit einem Gedicht, dessen Abschrift hier folgt. Da es nach Akropong zwei Tagereisen sind, konnten wir vor Weihnachten nicht mehr dorthin kommen, (es ist Dienstag), sondern verschieben die Abreise bis nächsten Montag, auch die übrigen Brüder entschlossen sich zu letzterem, und so bekam Br. Locher das Haus voll.

5.Jan. 1857 - Zum Weihnachtsgeschenk bekam mein lb Bräutigam das Fieber, weil ja hier unten keine Rose ohne Dornen blüht. Aber nichts destoweniger waren wir fröhlich und vergnügt, über all dem Großen, das der Herr bisher an uns gethan hatte, und dessen wir uns beide für unwürdig achten; mahnte uns ja gerade dieser Tag an das große Ereignis, daß unser himmlischer Stellvertreter für uns den stärksten Dornenstich fühlte und überwand, uns so die Pforte zu einer seligen Heimath öffnete, wo, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, die Rosen ohne Dornen blühen. Wie selig ists, wer solche Hoffnung hat.

Das Missionsgebäude in Christiansburg ist ziemlich groß, es steht in der Mitte einer Menge von Ruinen von Negerhütten, die vor zwei Jahren von den Engländern niedergeschossen wurden, die Leute wollen sie nicht wieder aufbauen aus Furcht vor den Geistern der Verstorbenen, die, wie sie glauben, immer darauf hin und her schweben. Doch ich muß eilen, und Euch mit manchem auf einen späteren Brief verweisen, damit dieser zur rechten Zeit fertig wird.

Montag morgen 5 Uhr machten wir uns auf den Weg, um den letzten Rest der Reise vollends zurückzulegen, natürlich nicht zu Fuß, das wäre ein Europäer nicht im Stande; man muß sich in einer Hängematte tragen lassen, diese besteht aus einem Tuch in der Größe eines Hautuches (? wurde korrigiert), nur etwas schmäler, dies wird oben und unten an beiden Enden einer Stange befestigt, welche zwei Neger, einer vornen, der andere hinten, tragen; unter den Kopf wird ein Kissen oder zwei gelegt, damit man eine etwas sitzende Haltung einnehmen kann; es ist eigenthümliches Gefühl, wenn man sich zum ersten Mal in einer solchen Matte befindet, es kam mir vor, wie wenn man einen Todten in einem Sarg hinausträgt; aus diesen Betrachtungen, die Ihr Euch aber gar nicht schrecklich vorstellen müsset, denn es ist ein ganz natürlicher Vergleich, wurde ich bald geweckt, denn meine Hängematte rüttelte und baumelte tüchtig herum, so daß, wenn ich nicht von einer Seereise hergekommen wäre, ich die Seekrankheit bekommen hätte. Der Weg führte zuerst über eine Heide, hier dürft Ihr Euch aber keine Straße denken wie die von Waiblingen nach Winnenden, denn es ist ein Fußpfad, der oft so schmal wird, daß man meinen könnte, die Neger laufen bloß mit einem Fuß, auch gehts nicht immer eben fort, sondern der Weg ist ganz abschüssig, daß die Träger oft nicht wissen, wohin sie den Fuß setzen sollen, und ich einige Mal Angst hatte, sie werden mich hinwerfen, was, wie Frau Locher mir erzählte, schon manchmal geschehen ist.

Als es Tag war, erreichten wir das erste Dörfchen, wo Halt gemacht wurde, weil die Träger ihr Frühstück einnehmen wollten; hier, sowie in den anderen Dörfern, wo Halt gemacht wurde und wir aussteigen mußten, versammelte sich die Einwohnerschaft in einem Halbkreis um uns her, wo ich dann wie ein großes Wunder betrachtet wurde von Kopf bis zu Fuß, obgleich mich dies genierte, so konnte ich mich doch oft des Lachens nicht enthalten, wenn sie, besonders die Weiber, Töne der Verwunderung von sich gaben, gerade wie Kinder, wenn sie am Weihnachtstisch stehen und ihre neue Puppe besehen. Christaller, den die Meisten kannten, ward dann gewöhnlich gefragt, ob ich seine Frau sei, worauf dann einige mir ganz ehrfurchtsvoll die Hand boten.

Vormittags 10 Uhr erreichten wir Abokobi, welche Station von Br. Steinhauser besetzt ist. Hier blieben wir über die heißen Stunden des Tages und nahmen ein Mittagessen ein.

Um zwei Uhr giengs weiter, jetzt führte der Weg ganz durch den Busch, zuerst giengs einen sehr steilen Berg hinauf, den ich zu Fuß machen mußte, was mich sehr erhitzte und ermüdete, weßhalb Christalller darauf bestand, daß ich wieder getragen werden mußte, noch ehe die Höhe erreicht war. Die Neger sind nämlich sehr träge, wenn man nicht fest hinsteht, so treiben sie Einen wegen jedem Bergel aus der Matte, was man sich bei zwei oder vier Trägern gefallen lassen muß. Ich hatte aber Sechse, welche mit dem Tragen wechselten; wenn man den Berg droben ist, dann gehts wieder abwärts, dazwischen hinein kommt ein Sumpf, zur Abwechslung dann eine Art Wasserfall, neben dem aber kein gangbarer Weg hinzieht wie an dem bei Heslach. Oh nein, der Weg geht durch Wasser und Gestein, vor und aufwärts, so daß mir oft dabei die Strophen eines Liedes einfielen, des Christen Weg geht: durch Dornen und durch Hecken, über Stock und über Stein, Berg und Thal und Felsenklüften, Feuer, Wasser und in Lüften, und was mehr kann schrecklich sein.

Der Weg ist so eng, daß die Träger sich oft durch das Gestrüpp wahrhaft hindurch reißen müssen, was natürlich dem Passagier in der Hängematte nicht sehr erquicklich ist, wenn man nicht immer auf der Wacht ist, so bekommt man, ehe man sichs versieht, einen Streich ins Gesicht von dem hereinhängenden Gebüsch, bald wird man über einen auf dem Weg liegenden Baumstamm gezogen, bald liegt der Ast eines solchen zuweit heraus, so daß man bald da, bald dorther einen Puff bekommt, dazu kommt noch, daß durch das Vorbeistreichen an dem Gebüsche Staub und dergl. leicht in die Augen kommt, deren Gebrauch hier doch so nöthig ist, ich legte deßhalb die eine Hand auf meine Augen und blinzelte durch die Finger, um zu sehen, wann und wo ein Ast oder dergl. käme, und dann die betreffenden Gliedmaßen noch zeitlich in Sicherheit bringen zu können, mit der anderen Hand fing ich die derbsten Schläge des hereinhängenden Gebüsches auf, die außerdem meinem Gesicht zu Theil geworden wären; gut wäre es noch gewesen, wenn wenigstens der Weg gerade fortgegangen wäre, aber man macht sich keinen Begriff von diesem Gewirre, ganz Hufeisen förmig schlängelt er sich durchs Gebüsch, was das Tragen einer Matte sehr schwierig und das Liegen darin sehr mühsam macht.

Sehet, so ist eine Reise hierzulande beschaffen, und was meint Ihr, was man bezahlen muß, wenn man wie gerädert am Ziel ankommt? 1 Träger bekommt 1/2 Thaler Traggeld, und noch ein besonderes Zehrgeld, so daß also für eine Person die Reisekosten sich auf 11 Gulden belaufen. Ein Weg von 14 Stunden, den man in der Heimat in drei Stunden zurücklegen und dabei sich gemüthlich hinsetzen kann, und mit ein paar Batzen die Kosten deckt, kostet in Afrika auf diese Art Reise, die noch gut zu nennen ist, 11 Gulden.

Dies zu schreiben nahm ich mir vor, als ich den Busch passierte, weil ich in der Heimath in Stuttgart manchmal zu hören bekam, man wisse nicht, wo das Missionsgeld hinkomme.

Abends 5 Uhr erreichten wir endlich Abude (d.i. sonst auch als Aburi bezeichnet), eine Station, die von einem Catechisten besetzt ist; hier wollten wir übernacht bleiben, meine Träger waren Christallers, der nur 4 hatte, weit vorausgekommen, und so ward ich denn allein durchs Dorf, dessen ganze Einwohnerschaft auf den Beinen war, getragen, Alt und Jung lief voraus und hintendrein, meine Träger nahmen ihr Theil Ehre auch daran, sie liefen nicht wie vorher hintendrein, sondern ganz feierlich zu beiden Seiten der Matte, es war ganz ergötzlich anzusehen. Im Missionshaus angekommen, traf ich auch drei uns vorausgegangene Brüder, die auch hier übernachten wollten, so daß das Haus voll war.

Den anderen Morgen um 7 Uhr traten wir den letzten Abschnitt der Reise an, es gab eine ganze Karawane zusammen; wir waren fünf Geschwister mit unseren Trägern, der uns begleitende Catechist mit den Seinigen, und die, welche unser Gepäck trugen, alle zusammen waren wir zu 40. Der Weg von Abude bis Akropong ist etwas besser und leichter, so daß die Neger Luft hatten und da sangen und sprangen sie hintereinander drein, denn sie sind ein lustiges Volk. Mich beschäftigte mittlerweile das Lied: So führst du doch selig, Herr, die Deinen usw. Meine jüngsten Erfahrungen hatten mich oft daran erinnert, und mein gestern zurückgelegter Weg gab mir oft recht handgreiflich manchen Aufschluß darüber.

Ungefähr eine halbe Stunde vor Akropong begegneten uns schon viele Bewohner desselben, worunter auch einige der Geschwister, und als wir uns einer Anhöhe näherten, saß ein Häuflein Neger (Zöglinge des Instituts) da, und sangen in Deutsch das Lied: Wenn ich Ihn nur habe usw., was mich sehr erfreute, denn ich hatte es in der letzten Zeit oft gesungen.

Im Dorf angekommen, hatten wir wieder großartige Begleitung, meine Träger sprangen, so schnell sie konnten, voraus, und was Füße hatte, hintendrein. So kam endlich der merkwürdige Zug an Bruder Mohrs Haus an, wo die Geschwister alle, Widmanns, Maders und Zimmermanns mich herzlich bewillkommten; und ich fühlte mich vom ersten Augenblick an, ganz heimelich, und freute mich bei dem Gedanken, daß nun meine Reise ein Ende hat; ach, so wirds uns einst sein, wenn wir am Ziel der irdischen Pilgerreise in der ewigen Heimath angekommen sind, ja mein heimathliches Gefühl hier ist nur ein schwaches Vorbild von jener Stillung unseres Heimwehs in dieser irdischen Fremde, denn sind wir in jener Heimath angekommen, dann hat auch immer alles Leid ein Ende, und das Herz ist vollkommen befriedigt, während ich hier, so wohl mirs auch zumuth ist, doch noch Fremde fühle, und, wie es im Heidenboten von uns 6 Schiffbruch erlittenen Geschwistern heißt: mich in Afrika kein Rosenweg erwartet. Letzteres macht mir nicht bange, seit der Herr mir so augenscheinlich neues Leben und neue Kräfte gab, ist mirs mehr als vorher tief eingeprägt, daß ich nicht mehr mir, sondern meinem Herrn lebe, leide oder sterbe, und da darf mich nichts kümmern, denn er hat mir beim Schiffbruch gezeigt, daß er nicht schneiden will, wo er nicht gesät hat; daß er nicht mehr auflegt, als er Kraft zum Tragen giebt.

Doch wollen wir jetzt auch wieder nach Akropong gehen, damit Ihr erfahret, wer meine neuen Pilgergefährten sind; Frau Mohr ist aus Winnenden, und Frau Widmann und Frau Mader (Schwestern) sind aus Kornthal, wir sind einander in der Heimath so nahe gewesen, und müssen uns nun im fernen Afrika kennenlernen. Frau Mohr ist jetzt 7 Jahre hier und geht dieses Frühjahr mit ihrem Mann und 4 Kindern in die Heimath zur Erholung, wenn sie fort ist, übernehme ich die Haushaltung, über die ich auch dann später ausführlich schreiben werde. Für wirklich logiere ich bei ihr, was mir recht lieb ist, denn ich kann mir so ihre vieljährigen Erfahrungen am Besten zu Nutzen machen, ich bin froh, in die Gesellschaft erfahrener Schwestern gekommen zu sein; gebe der Herr, daß unser Zusammenleben für uns und andere gesegnet sein möge.

Sobald ich mit meinen Briefen fertig bin, mache ich mich ans Lernen der Sprachen, der Otschi-Sprache, ich freue mich darauf, mit den Eingeborenen reden zu können; der gute Christaller wird freilich dadurch manche Geduldprobe bekommen.

Nun, lb Eltern u Geschwister, nehmet mit diesem Geschriebenen vorlieb, ich hätte Euch gerne noch mehr geschrieben und an Stoff würde mirs nicht fehlen, aber an Zeit, ich muß jeden Tag gewärtig sein, daß das Schiff, welches uns hieher brachte, nun von seinen weiteren Stationen zurückkommt und da müssen dann die Briefe parat und in Christiansburg sein. Danket mit mir dem Herrn, denn er hat mich mit Vatertreue und Mutterliebe getragen und gepflegt, und hat mir kein Gutes mangeln lassen und stellt mich nun hier im fremden Lande an die Seite eines in der kurzen Zeit, in der ich ihn kennenlernen konnte, mir lieb und theuer gewordenen Mannes, dessen Gemüth so ganz dem meinigen entspricht; ich bin fröhlich in meinem Gott; mein herzlichster Wunsch und Gebet ist, daß mein Leben, solange er es fristen wird, zur Verherrlichung seines Namens dienen möge.

Unsere Trauung findet am 27.Jan. statt, wahrscheinlich werdet Ihr diesen Brief nicht vorher bekommen. Der Gott des Friedens sei mit Euch und Eurer Emilie.

Lasset Eure Briefe immer am 15. des Monats in Basel sein, damit sie am 24. von England abgehen können. Wenn Ihr diesen Brief von Gmünd und Eßlingen wieder zurück habt, so schicket ihn meiner Freundin Nane Heller, bei Frau Consul Georgin in Stuttgart, und auch den lb Verwandten in Stuttgart, die ich alle in herzlicher Liebe grüße.  [9]

2.7. 1857 - Nach der ersten Begegnung der Brautleute

<1>

Im Januar 1857 schreibt Christaller an seine Schwester Gottliebe über die Zeit des Wartens auf seine Braut, rückblickend erlebt er noch einmal seine Sorgen um das verspätete Schiff und seine Übung in der Geduld, die er als eine willkommene Aufgabe ansieht. Am 5.Jan. 1857 (Dok 57/3) geht diese eingehende Beschreibung Christallers an die von ihm bevorzugte Schwester in Gmünd, um zu berichten, wie Emilie angekommen ist, wie er auf das Schiff gewartet hatte und wie schließlich das Canoe mit der ersehnten Braut an Land kommt. Er wünscht, die Schwester hätte "Zeuge unseres Glückes sein können".

<2>

Da dieser überaus große Brief gründlichen Einblick gibt in die Gemütslage Christallers und so indirekt auch eine Charakterisierung ermöglicht, soll er hier im Textzusammenhang ungekürzt erscheinen:

Geliebte Schwester und Schwager Merkle.

Eure mir so lieben Briefe vom 7.Sep. u 2.-15.Nov. wurden mir am 23.Dez. durch meine lb Braut eingehändigt. An diesem Tage wurde es mir also durch Schauen zur Gewißheit, die keinen zweifelnden Besorgnissen mehr Raum ließ, daß ich die theure Emilie mein nennen dürfe. Daß sie, wenn sie nur einmal käme, die rechte für mich bestimmte sei, daran zweifelte ich nie, und die Gewißheit, die jedes von uns beiden davon hatte, daß der Herr uns zusammen geführt hat, wurde durch die gegenseitige Mittheilung (hier ist ein Loch im Brief) so, daß ich glauben möchte, es werden selten Verlobte sie in solchem Grade haben. Auch uns stand u steht, um Deine Worte, lb. Gottliebe, zu gebrauchen, 'endlich nun Gottes ganze Führung vor unseren Augen', und wir können sagen mit den Worten eines Liederverses, der mir während meiner vierwöchigen Wartezeit in Christiansborg einmal lieb wurde, 'Herr mein Hirt, du Brunn der Gnade, deine Pfade enden alle wunderbar.'

Ihr werdet nemlich aus meinem Brief an G. Hafner schon ersehen haben, daß ich auf einem Brief von Br. Widmann von Christiansborg vom 23.Okt., der mich aus zwei Briefen von Br. Stanger u Hrn Linder den einfachen Schluß machen ließ, daß meine Braut, mit der 'Ida' alle Tage dort ankommen könne, ich also Bräutigam sey, mich am 25.Okt. auf den Weg machte, um sie in Christiansborg zu erwarten; daß sie vor mir dort ankommen werde, war mir nicht wahrscheinlich.

Ich verließ Akropong am Sa VM mit zwei Trägern, wurde aber ehe ich Mamse erreichte, durch einen Regen, der in zwei Minuten den Weg in ein Bächlein verwandelte, ganz durchnäßt, was mir aber den stillen Dank u die Heiterkeit nicht verdarb, denn ich dachte, zugleich im Rückblick auf meine Vergangenheit, an die Worte Paul Gerhardts; 'Wenn der Winter ausgeschneiet, tritt der schöne Sommer ein: also wird auch nach der Pein, wers erwerben kann, erfreuet.' In einer Otji-Übersetzung des herrlichen Liedes drückte ich mich hier etwa so aus: Laß den Regen nicht erst peitschen, bis die Sonne wiederkommt, und ich werde mit Geduld warten, das was er mir tun wird. Alle Dinge schwinden hin, nur nicht Gottes Liebessinn. (Er gibt hier die Übersetzung dieser Verse in die einheimische Sprache.)

In Mamse konnte ich mich bei meinen alten Freunden aus meinem Koffer umkleiden, meine nassen Kleider teilweise waschen, auswinden u unterwegs trocken werden lassen, sprach auch unterwegs, wo es Gelegenheit gab, zu den Leuten, wurde übrigens noch ehe ich Aburi erreichte, abermals von einem Regen überfallen u durchnäßt. Die 3 1/2 Stunden weiter bis Abokobi mußte ich deshalb am So Morgen machen, ich traf dort Br. Süß bei Bruder Steinhauser u beide beglückwünschten mich. Am Mo gings nach Christiansburg.

Die erste Woche war mir das Warten lieb, dann stiegen mir wohl auch Besorgnisse auf, aber wir wußten, der Herr kann 6 Missionsgeschwister nicht ohne Rettung verunglücken lassen, dachten an Kohlenmangel, an Beschädigung der Dampfmaschine, an die mindere Zuverlässigkeit der neuen Gesellschaft usw., u nachdem wir ein paarmal durch ankommende Kriegsdampfer nächtliche Raketen von den Forts u Kanonenschüsse vorübergehend getäuscht waren, warteten wir nicht wohl mehr so sehr auf die 'Ida' als auf das nächste Postdampfschiff. Ich kann sagen, ich war des Wartens nie überdrüßig oder unzufrieden, war ich ja nicht schuld daran, konnte nichts machen u wußte alles in Gottes Hand.

Diese Zeit war mir eine gesegnete, u ich suchte sie zu benüzen so gut ich konnte, sah sie zugleich als eine weiter vergönnte Erholungszeit an, stiller u ruhiger als die auf dem Schiff und in Sierra Leone.

Endlich am Abend des 19.Nov, meines Geburtstages, kam die 'Candace'; vom Fort in British Accra wurde unvorsichtigerweise noch in der schon eingebrochenen Nacht ein Canoe abgeschickt, um die Post abzuholen; die auf dem Schiff befindliche Witwe des kürzlich verstorbenen holländischen Gouverneurs von Elmina bestand, trotz der abmahnenden Bitten des Kapitäns, darauf, in diesem Canoe ans Land zu gehen mit ein oder zwei Kindern u ein paar Dienstboten. Sie war von Accra gebürtig, u weil erst ihr Mann u ihr Großvater gestorben waren, schämte sie sich, bei Tage in die Stadt zu kommen. Aber in der Brandung schlug das Canoe (sprich Kanuh) um, u Mutter u Kind ertranken. (Die Postsäcke blieben mit Ausnahme eines einzigen glücklicherweise in dem vorne bedeckten Teil des Canoes hängen, sonst wären wir um die sehnlich erwarteten Briefe von Basel u von unseren schiffbrüchigen Geschwistern gekommen.)

Am anderen Morgen ging Br. Stockmann an Bord, Br. Locher u ich guckten uns durch das Fernrohr die Augen müde, um das verabredete Zeichen, daß die Geschwister dort seien (Frau Locher hätte das auch wegen des Kochens wissen sollen).

Endlich stieß das Canoe vom Schiff ab, aber als es näher kam, sah ich nur zwei Herren darin, die ich allerdings auch erwartet hatte: Bischof Weeks von Sierra Leone u Br. Frey, sein Begleiter, bei dem ich in Waterloo drei Wochen gewesen war. Letzterer sagte mir gleich von dem Schiffbruch der 'Ida' u dem Unfall, der meine Braut noch besonders dabei betroffen, er meinte aber, sie habe den Daumen abgebrochen. Um besonderer Umstände willen erhielten wir die Briefe erst nachmittags von Accra herüber. Die den Brüdern bei der Aussendung mitgegebenen Committeebriefe (alle von Hrn Insp.) erfreuten uns, mich besonders der über meine Braut, den Zunamen wußte ich schon aus einem Briefe vom 3.Aug., den Taufnamen Emilie, den auch Lochers Kind führt, ließ sich Frau Mohr in eben diesen Tagen träumen, so daß sie ihn schon wußte, als ich hinauf kam. Und Br. Hecks Brief über den Schiffbruch u die Errettung beruhigten uns, mich besonders freute der Gruß, den Emilie schreiben ließ, und obwohl wir nur mit tränenden Augen u brechender Stimme lesen konnten, wie sie sich schon zum Sterben bereiteten und einander den Trost des Ew. Lebens zusprachen, so erkannten wir doch, daß der Ursache zum Dank u Preis, ja zur Freude überwiegend mehr sei u in dieser Stimmung trat ich auch des anderen Morgens unverweilt meine Rückreise nach Akropong an, um auch den dortigen Geschwistern ihr ungewisses Harren zu beendigen. Da Bruder Locher, der am NM den Bischof u Bruder Frey nach Accra begleitete u dort ihre Wiedereinschiffung für Lagos besorgt hatte, u Bruder Rottmann, der sonst Geschäfte gehabt, erst abends mit ihren Leuten zurückkamen, so wurden die drei Mann, die ich für Hängematte u Koffer brauchte, erst des andern Morgens zusammengebracht u es wurde über die Ebene hin sehr heiß, während meine Haut trocken blieb.

In Abokobi blieb ich, schon wegen eines nach meiner Ankunft gekommenen Gewitterregens, über Nacht, hatte deshalb am nächsten Tag (Sa) noch etwa 9 Stunden mit vier Trägern. In Tutu, durch etwas Regen aufgehalten, ging ich zu dem Vater eines durch meine Veranlassung unter Mohrs Arbeiter eingetretenen u dann in Accra getauften jungen Mannes u hatte in einem von Leuten vollgepfropften Häuschen eine lebhafte Unterredung mit ihm u den anderen Anwesenden, aber als ich wieder auf die Straße herauskam, überfiel mich Fieberfrost, so daß ich mich, obwohl der Regen noch nicht ganz aufgehört hatte, in die Hängematte legte u die übrigen drei Stunden mich fast immer tragen ließ, bis es dunkel wurde u die Träger sagten, sie sehen den Weg nicht mehr; so ging ich noch eine halbe Stunde, wenn auch nicht so rüstig wie sonst, u kam wohlgemuth in Akropong an, aber am andern VM (So 29.Nov.) kam ein starkes Fieber, das wie meine früheren seine vier Tage haben wollte. (Der unangenehmste Teil, die auf den Frost folgende Hitze u große Mattigkeit, dauerte nur eine oder ein paar Stunden). Doch dann erholte ich mich wieder gut u wunderte mich, daß ich am 10.Nov. abends wieder Fieber bekam. Es war freilich auch die Witterung ungesund, in der Stadt gab es viele Kranke, u meine Beschäftigung mit den Censurbemerkungen zu den Evangelien u anderem mochte auch dazu beitragen.

Am 13.Nov. Abends holte man mich, so müde ich noch war, zu einem Manne, dem eine zersprungene Fließe (= Fliese) Haut u Gelenke von Daumen u Zeigefieber zerrissen u von letzterem die Spitze hinweggenommen hatte. Ich tat was ich konnte u verband die Hand, sie brachten ihn aber des andere Tages, wie sie dies oft mit Kranken tun, auf ein Plantagendorf u überhoben mich dadurch weiterer Behandlung.

Am 18.Dez. Mittags wollte ich mich wieder auf den Weg machen nach Christiansburg in der Hoffnung, dießmal zu meinem Zwecke zu gelangen. Einer mußte doch die Geschwister für Akropong abholen u ich hätte es mir nicht nehmen lassen, meine Braut dort zu empfangen u herauszubringen. Br. Zimmermann, der seine Brüder erwartete, hatte überdieß die unerfreuliche Gewißheit bekommen, daß er in seinem rechten Unterschenkel den Guinea-Wurm habe, der anfing, ihm Schwellung u Schmerzen zu verursachen u ihn am Gehen zu hindern.

Am Abend zuvor u am Morgen des 18. waren sechs Mann für mich gefunden, also einer zuviel, da ich nur einen Lastträger für meinen Koffer u vier Hängemattenträger wollte. Da die bestellten auf 11 Uhr nicht kamen, schickte ich nach ihnen, da wollten zwei nicht mehr, ich dachte, das thut nichts, schickte nochmals nach dem Kofferträger, da war dieser schon fortgegangen u kein anderer zu finden. Ich ließ den Koffer stehen u nahm das Nötigste in meine Hängematte mit den zwei Trägern; nun machte mir mein Knabe noch die meiste Unlust, der ein Kistchen mit Mangofrüchten und grünen Bohnen für Lochers Tisch nicht aufnehmen wollte. Ich bat Frau Mohr, mir für diesen Fall ihren Kochjungen mitzugeben u ließ mich, nachdem ich den ersten rauhen Teil des Weges gegangen, bis Mamse tragen. Dort war eine Kostüme (d.i. wohl eine Art Festlichkeit?), der Kochjunge kam mit dem Kistchen, u mein Knabe mit, obwohl ich ihm wiederholt gesagt hatte, wenn er das Ding aus Stolz oder anderen Gründen nicht tragen könne, ich ihn nicht behalte. Einen meiner Träger aber, als er die Kostüme mit Trommeln, Tanzen, Palmwein in vollem Gang sah, däuchte es lustiger mitzutanzen u zu trinken, als sich nach Accra hinunter müde Füße zu machen. Er nahm sein Säckchen mit den 12 Kr Weggeld, womit er sich für sein Tragen bezahlt halten konnte, aus der Hängematte, als ich grade zu Fuß zum Ort hinaus vorausgegangen war. Man sagte es mir, aber ich fand es am geratensten, ohne weiteren Zeit- und Wortverlust meines Weges zu gehen u ließ die Hängematte mit dem was darin war, durch den einzig übriggebliebenen Mann nachtragen.

In Mampong traf ich mehrere junge Männer auf der Straße u fragte sie, ob keiner tragen u sich etwas verdienen wolle. Aber, wie ich erwartet hatte, zeigte keiner Lust, außer um das Doppelte des Lohnes, den ich bot. Nun, ich lief gerne vollends bis Aburi, sprach auch in den drei Dörfern bis dahin einiges mit den Leuten, z.T. zu meiner eigenen Ermunterung.

In Aburi bekam ich dann zwei unserer dortigen Christen u einen Accra-Mann zu Trägern, mit denen ich die schwierigen u steilen Stellen auf die Ebene hinunter natürlich gehend, in Abokobi bei Br. Steinhauser eintraf. Diesen fand ich auf einem Schmerzenslager; er hatte kurz vorher einen etwa zwei Fuß langen Guinea-Wurm aus dem Unterschenkel nahe am Knie herausgekriegt, u einen anderen hatte er noch in der Fußsohle. Er hatte ein Stück davon bereits in der Nähe der großen Zehe herausgezogen, als er unglücklicherweise abriß, wodurch der Prozeß langsamer u schmerzhafter wird, da es nun durch eine neue Geschwulst u Vereiterung geht. Es ist selten, daß Europäer diese Plage der Goldküsten, besonders der Accra-Neger bekommen. Hier in Akropong bekommen ihn auch fast nur die Accraer, die gangbarste Art Ansicht schreibt die Entstehung der Würmer dem Wasser an der Küste zu. Die Brüder Zimmermann u Steinhauser werden von den Accra-Negern als durch diesen Umstand naturalisiert betrachtet u mit großer Teilnahme besucht u beraten. Diese neue Verknüpfung mit dem Gefühl oder Herzen der Eingeborenen ist ihm natürlich nicht unlieb, u Br. Steinhauser konnte nun über diesen den europäischen Ärzten noch so rätselhaften Parasiten im menschlichen Körper u seine Ausscheidungsgeschichte an sich selber Erfahrungen machen, aber, infolge der Dicke der Sohlenhaut u der dort befindlichen zahlreichen Nerven so schmerzte, daß er, als ich zu ihm kam, bereits etwa 6 Tage bei Nacht vor Schmerz gar nicht geschlafen hatte. Er schnitt sich den Fuß an jenem Abend noch auf, wodurch er einige Erleichterung bekam, aber er schrieb nach Chr(istiansborg), der Herr möge jeden von uns in Gnaden davor bewahren, u an Zimmermann schrieb er: Oh liebliches Afrika! Hat man den Nuzen, so hat man auch den Buzen!

Ich hätte gern dem auf sein Schmerzenslager gebannten Br. Steinhauser bis den anderen Tag Gesellschaft geleistet, aber das Schiff konnte an diesem Tage kommen u dann war keine Zeit zu verlieren, wenn wir vor Weihnachten nach Akropong kommen wollten. Steinhauser konnte seine Braut mit diesem Schiff erwarten, hatte uns kurz vorher nach Akropong geschrieben, auf was für Freiersfüßen er gehe oder vielmehr herumliege oder herumhinke. Es wurde Nacht, eine gute Weile ehe ich nach Chr. kam. Da ging ich natürlich zu Fuß, ein Träger, der in Abokobi in die Stelle des von Akropong mitgenommenen trat, da dieser in Zimmermanns Dienst war u Eier einkaufen sollte, meinte, so oft ich auf dem mitunter unebenen steinigen Weg stolperte, ich werde fallen, aber ich sang wohlgemuth einige Lieder u führte dann mit ihm eine Unterhaltung in Otji, bis wir zwischen den Ruinen von Usu (Osu) u an dem Fort Chr. vorbei auf das Missionshaus zukamen.

Am Sa war ich müde von der Reise, vom So u Mo weiß ich nichts besonderes, am Die war die engl. Flagge des Forts wegen eines amerikan. Kriegsschiffes, das sich zu 3 - 4 Kauffahrerschiffen auf der Rhede (= Reede) von Accra gesellt hatte, aufgezogen, aber unvermutet machte ein Kanonenschuß vom Fort Chr. auf das von unten herauf kommende Postdampfschiff aufmerksam, das in der Frühe an Accra vorbeigesegelt war u nun wieder umkehrte. Es kam näher, während das Kriegsschiff durch Abfeuerung aller seiner Kanonen zuerst die englischen Forts begrüßte, was vom Fort Chr. in gleicher Weise beantwortet wurde, u dann das holländische. Ob letzteres u das englische Fort in Jamestown (Brit. Accra) auch antworteten, darum kümmerte ich mich nicht, denn unsere Aufmerksamkeit war auf den Mail-Steamer gerichtet, der endlich Brit. Accra gegenüber Anker warf u seinen Schuß hören ließ.

Bruder Rottmann ließ sein Canoe mit eingeborenen Gehilfen u einem Katechisten von Chr. abgehen, er selber begab sich nach Accra, um dort die Briefe zu empfangen u dann auch aufs Schiff zu gehen.

Ich hatte noch etwas zu schreiben, dann stellte ich mich hinter Lochers Fernrohr u bald sahen wir, nachdem unser Canoe den 3/4 stündigen Weg zurückgelegt hatte u am Schiff angelangt war, ein weißes Sacktuch vom Hintertheil des Dampfschiffes hin und her geschwenkt, worauf wir durch eine weiße Flagge mit rotem Kreuz vom platten Dach des Missionshauses Antwort geben ließen.

Ich machte mich bereit, meine Braut zu empfangen, sah durch das Fernrohr ein Frauenzimmer in dem nahenden Canoe mit drei Europäern. Als sie sich der Brandung näherten, hatten sie ihre Schirme zugemacht u ich sah dann gerade noch, wie sie eine der überstürzenden Wellen glücklich auf ihrem Rücken dem Strand zugleiten ließ; letzteres, also auch das Aussteigen verdeckte mir des Mulatten William Haus.

Bruder Locher hatte die Geschwister am Strande empfangen, die Bevölkerung des Missionshauses natürlich größtenteils mit ihm. Ich wartete in Lochers Saal, begrüßte die Brüder Heck, Knecht und Haas, u dann sagte mir Bruder oder Schwester Locher, daß meine Braut bereit sei, mich zu begrüßen oder zu empfangen. Ich ging in ihr Zimmer, in dem auch ich bei meiner Ankunft mit Bruder Mader untergebracht worden war, und bewillkommte sie im Namen des Herrn, drückte meine Freude u meinen Dank gegen den Herrn aus, erkundigte mich nach ihrer Seefahrt, ihrem Daumen, nach Euch usw. Sie sagte mir, wie Du, liebe Gottliebe, gewünscht habest, auch nur diesen ersten Tag bei uns u Zeuge unseres Glückes sein zu können. Nun ja, glücklich waren wir, fühlten uns wie lange schon bekannt, wozu wohl Du, lb Schwester, nicht wenig beitrugest, denn auch ihre Züge erinnerten mich, wie ich mir nachher bewußt wurde, an die Deinigen, neben dem, daß wir von Dir sprachen, u bald auch Deine Briefe miteinander lasen oder einander mittheilten.

Wenn sie Dir gleich sieht u Du mir gleich siehst, so sehen wir auch einander gleich, u wirklich habe ihr auch Frau Jonas in Sierra Leone gesagt, ihr Gesicht komme ihr so bekannt vor. Sie meine, ein ähnliches noch nicht lange gesehen zu haben, u dann sich erinnert, daß ich das gewesen sei. Auf dasselbe kamen die westindischen Frauen hier, als sie uns begrüßten, u dann mit Frau Mohr mit uns redeten. Ebenso finden unsere heidnischen u christlichen Eingeborenen, die über solche Persönlichkeiten oft ein sehr richtiges Urteil haben, daß wir so zueinander passen, u sagten von mir: Gott ist wahrhaftig mit ihm, Gott liebt ihn viel. Sie wunderten sich (wie Frau Mohr sagte), wie man das daheim so habe wissen können, u wirklich ist es merkwürdig, wie bei Widmann, Dieterles, Mohrs, Maders auch die äußere Gestalt so zusammenpaßte. Doch das Wichtigere ist natürlich das innere Zusammenstimmen, u dies findet bei uns, wie ich gewiß glaube, nicht weniger statt. Wir fanden dies schon in manchem, z.B. in Lieblingspsalmen oder Liedern, dann kamen wir auch auf gemeinsame persönliche Bekanntschaften, daß sie mich in Waiblingen einmal gesehen, der lb Bruder Münzenmaier, der in ihrem elterlichen Hause so bekannt war u dessen Tod wir gerade in Chr. erfuhren, dort von mir erzählte, hat sie Dir vielleicht gesagt.

Nun, um nicht zu weit abzuschweifen, wenn wir eine Mittelsperson noch bedurft hätten, so hättest Du, lb G(ottliebe), am besten dazu gepaßt, aber wir waren ja doch nicht alleine, u ich sagte meiner lieben Emilie, wir wollen den Herrn Jesum stets den ersten in unserem Bunde sein lassen. Übrigens, wenn wir auch Zeugen unserer vertraulichen Unterhaltung gehabt hätten u hatten, so konnten sie wohl ruhige u gesprächige Heiterkeit, aber nichts Außerordentliches oder Leidenschaftliches bei uns wahrnehmen. Schon während jener vier Wochen war mir ein Vers von Zinzendorf lieb geworden, der so lautet:

So kommt ihr längst Erwarteten

u laßt Euch brüderlich empfangen!

Die durch das Kreuz Erharrteten

sind mäßiger in dem Verlangen,

als ungebrochene Herzen sind,

die alles wollen, was sie mögen;

ein von dem Herrn gezogen Kind

eilt seinem Willen froh entgegen.

Auch der nächste Vers [...] stehe hier. [...]

(Ob der) obige Ausdruck: 'Die durch das Kreuz Erharrteten' für mich nicht zu stark ist, weiß ich nicht, obwohl es in Afrika an Übungen der Geduld u Selbstverleugnung nicht fehlt u ich auch einen Gewinn gleich dem obigen angedeuteten davon hatte, getraue ich mir doch nicht, meine bisherigen Erfahrungen 'Kreuz' zu nennen, und doch darf ichs so nennen, sonst müßte ich ja schließen, ich gehöre noch garnicht zu seinen Jüngern u Nachfolgern, aber man findet eben beim Rückblick, daß des Christen Trübsal im Grunde doch nur vorübergehend zeitlich und leicht ist. Ja, sein Joch ist sanft u seine Last ist leicht, daß man schon mit und unter ihr Ruhe findet für die Seele. [...] Aber obwohl wir schon am 29. u 30.Dez. hieher reisten u glücklich ankamen, kam ich ebenso lange nicht zum Schreiben. Wir sind in Afrika - es mit mehrerem zu erklären, wäre zu weitläufig, u ich wars oben schon, am unrechten Orte. Was meinen Dank an Euch betrifft, muß ich nur in großartigerem Maßstabe machen wie unsere Neger, die sich für ein Geschenk erst am anderen Morgen bedanken. Der Herr segne Euch u Euren G. Christaller.

<3>

Den zweiten Brief dieses Jahres 1857 richtet der nun glückliche Bräutigam an die Brauteltern in Waiblingen (vom 6.Jan. 1857, Dok 57/4); es ist eigentlich ein Dankschreiben dafür, daß ihm nun die Braut zuteil wurde; er hatte unmittelbar nach Emiliens Eintreffen in Akropong geschrieben, und seine Worte zeigten seine ehrliche Bereitschaft, die kommende Lebensgefährtin mit der ganzen ihm gegebenen Liebe zu umhüllen; er wünschte, auch innerhalb der Waiblinger Familie anerkannt und aufgenommen zu werden:

Ich werde sie stets betrachten als ein theures Geschenk, als eine edle Gabe, und sie zu umfassen mit der ganzen Liebe, deren ein Herz fähig ist, ich werde also mit ihr glücklich sein, wie ichs schon bin vom ersten Tage an.

<4>

Mit solchen Worten suchte er das Herz der Waiblinger Eltern und fand es, allerdings erst nach und nach. Er spürte dabei die Schwierigkeiten, die sich für die Schwiegereltern ergaben, weil sie bislang keine Chance hatten, ihn überhaupt annähernd kennenzulernen und nur vom Hörensagen oder durch seine Briefe sich ein Bild von der Wirklichkeit machen konnten. Eine solche Art der Brautwerbung, wie sie von der Basler Mission damals gewohnheitsmäßig betrieben wurde, wird in sehr vielen Fällen kommunikative Schwierigkeiten im Gefolge gehabt haben. Diese Tatsache versuchte Missionar Christaller in treffenden Worten zu bemänteln, indem er schrieb:

Ihr habt, indem Ihr um des Herrn willen Eure Tochter dem Zuge und Rufe zu Seinem Dienst unter den Heiden folgen ließet, und sie in Selbst-Verläugnung Ihm übergabet, zugleich mir, dem Unbekannten, es zu Theil werden lassen, Eure geliebte Tochter auch meine geliebte Emilie nennen zu dürfen, meine vorerst als verlobte Braut, und will`s Gott, von heute über 3 Wochen als glückliche und mich beglückende Ehegattin.

[...] Daß Ihr sie so mein werden lasset, hat sie zwar Eurer unmittelbaren Nähe entrückt, aber dennoch habt Ihr sie gegeben, ohne sie zu verlieren, durch das Anrecht an sie, das mir zu Theil wird, habt Ihr das Eurige nicht eingebüßt. Freilich werdet Ihr in diesem Falle kaum zugeben können, daß Geben seliger ist als Nehmen, und an mich würde es sich seltsam schicken, zu sagen, es sei doch so.

Ich will dieß auch nicht behaupten, denn ich weiß gewiß und das glaube ich aber auch zuversichtlich, daß ich Eure Emilie in gewissem Sinne Euch nehme und aus Eurer und des Herrn Hand hinnehmen darf, wird mir nicht nur zur Glückseligkeit gereichen, sondern auch zur Seligkeit.

Denn wir sollen ja auch durch einander geheiliget werden, einander selig machen durch gegenseitiges Ermuntern zum Trachten nach dem, das droben ist, einander helfen in der Zubereitung auf jene Welt, wo man weder freiet, noch sich freien läßet. So ist mir mein Nehmen ein seliges, aber Euer Geben wird Euch auch ein seliges sein.

<5>

Und wenn die Tochter nun ihre Eltern verlassen habe um des Reiches Gottes willen, so werde dies vielfältig vergolten werden in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt durch das ewige Leben.

Darauf ist Christallers theologische Argumentation zugespitzt, wodurch zugleich auch ausgesagt ist, daß der innere Segen für dieses Hergeben der Tochter auch sonstigen Segen im Gefolge haben werde.

Der glückliche und erwartungsvolle Bräutigam schließt diesen ersten Brief nach Waiblingen:

Ich hoffe zum Herrn: Er werde an mir und Emilien seine Huld und Gnade noch ferner beweisen, und uns einander und dem Werke, in das er uns berufen, zu Seinem Preise und zum Segen für viele, noch lange erhalten.

<6>

Über diesen Anfang des Jahres 1857 haben wir auch andere ausführliche Briefe, die über das Zusammenleben der Eheleute in Akropong Auskunft geben, ferner eine Beschreibung der Hochzeit. Nicht nur Gottlieb Christaller sucht sich den Schwiegereltern anzunähern, Emilie ist besonders am Anfang ihrer afrikanischen Zeit und auch später stets auf engen Kontakt zur Heimat bedacht und berichtet schon im Februar ganz genau, wie es in ihrem Haushalt aussieht. Im Januar (Dok 57/2) schreibt sie mit einem beigefügtem Bild sehr liebenswürdig, aber durchaus sachlich, über die erste Begegnung mit G. Christaller, über sein Auftreten, sein Äußeres und sein "edles Herz".

<7>

Am 24.Feb. 1857 (Dok 57/5) erzählt sie ausführlich von der Hochzeit am 27.Jan. in einem Brief an ihre Eltern. Ihr ist sehr wohl beim Rückblick auf ihr Leben und sie sieht voll Zuversicht und Gottvertrauen in die Zukunft. Um 10 Uhr gingen alle zur Kirche, Br. Widmann vollzog die Trauung unter der Anwesenheit der Missionsgeschwister Zimmermann, Mader, Mohr, Haas, Zimmermann der Jüngere, Süß, Bauer von Akim, Hack von Abokobi und Rottmann aus Christiansborg.

<8>

Man sang "Jesu, geh voran", der Trautext lautete: Befiehl dem Herrn deine Wege, er wirds wohl machen. Es gab ein großes Hochzeitsmahl, bei welchem zahlreiche Gedichte vorgetragen wurden.

<9>

Am 2.März (Dok 57/6, Brief an Rapps in Eßlingen) berichtet nun der glückliche junge Ehemann vom ersten gegenseitigen Kennenlernen der beiden Frischvermählten, daß sie sich gleich in herzlicher Liebe zugetan waren, erläutert, wie sie die mitgeschickten Sachen ausgepackt und sich bei Geschwister Mohrs eingerichtet hätten; noch vor der Hochzeit hatten sie einen Besuch bei dem Häuptling in Abiriu (= Aburi?) gemacht, der zugleich Hauptfetischpriester des Landes sei. Sie bereiteten sich dann anschließend auf die Hochzeit vor u Frau Mader gab Emilie ihren mitgebrachten Myrtenkranz. Die übrigen Ereignisse des Monats Februar werden dann rückblickend noch kurz dargestellt; er dankt für die Briefe aus der Heimat, besonders da er nun mit Emilie darüber sprechen könne, welche die dortigen Verhältnisse in Winnenden und Waiblingen kenne. Dann will er noch versuchen, die Adressaten einige Blicke in das Leben vor und nach dem Hochzeistage (27.Januar) tun zu lassen und darum greift er noch etwas zurück:

Von den glücklichen Tagen unseres friedevoll und ruhig fröhlichen Zusammenseins in Christiansborg (23.-28.Dec.) will ich nur das dem in meinem früheren Briefe Mitgetheilten noch beifügen, daß meine Emilie am 2. oder 3. Tag ihrer Ankunft bei Br. Münzenmeiers Erwähnung zufällig von Br. Knecht hörte, er sei in New Orleans gestorben, was sie mir gleich mittheilte, u was mir sehr nahe gieng; doch zweifeln wir nicht, daß wir die treue edle Seele im Himmel wieder treffen werden. Wir sprachen manches über ihn u lasen hier die Briefe, die er an mich in Winnenden und Basel vor seinem Eintritt geschrieben. Er hatte ja meiner Emilie manches von mir erzählt, mich ihr sogar gezeigt, als ich einmal, bald nach der Februar Revolution 1848 mit Merkle in Waiblingen war, um selber auch einmal den Gustav Werner zu hören, über den uns auch seine Auslegung u Anwendung von Johannes alsbald ins Reine half. Freilich sah mich Emilie nur noch von hinten und mir blieb es bis in die neueste Zeit unbekannt, daß es eine mir nun so theure E. Z. in der Welt gebe.

Auf die Reise mit m. l. E. hieher am 29. u 30.Dec. blicke ich, troz etlicher Unannehmlichkeiten mit den Leuten unterwegs mit demselben Vergnügen zurück wie auf die sechs Tage in Christiansborg. Mit der Ankunft hier trat dann freilich nach Außen wieder mehr Zerstreuung und Unruhe ein, aber umso erquickender war dann unsere gegenseitige herzliche Liebe in und vor dem Herrn, und sie nahm nur zu und nie ab, so daß ich auch darauf die Worte anwenden kann: Da geht man in seinem Glück immer fort und nie zurück.

Als Vorkommnisse und Geschäfte, unter denen wir besonders auf den morgen- und abendlichen Spaziergängen uns gegenseitig zur Freude, Erheiterung und Erholung waren, führe ich an: In den ersten 1 1/2 Wochen Aus- und Einräumen meines Kleiderkastens (man muß die Sachen von Zeit zu Zeit sonnen), Auspacken der Sachen meiner Emilie (die aber zum Theil lange auf sich warten ließen, da die Br(üder) an der Küste nicht jederzeit Lastträger haben können, diese auch bisweilen unterwegs verweilen) und dann Unterbringung theils in Br. Mohrs Zimmerchen, ihrer einstweiligen Wohnung, theils in meinem Zimmer, in das zunächst noch eine Commode kam.

<10>

Dann kommt G.Chr. auf das an der Goldküste so zentrale Thema zu sprechen, indem er von Krankheiten, Schwangerschaften oder Geburten spricht. Es ist für ihn eine schier endlose Berichterstattung, und er nimmt diese Gegebenheiten jederzeit als ein von Gott dem Menschen auferlegtes Schicksal an, auch seine eigenen Fieberanfälle, die er immer sehr gewissenhaft registriert:

Anfangs Januar hatten wir starken u sehr kalten Harmattanwind (sonst, wenn dieser Wind nicht weht, u besonders Mittags, haben wir auch im Januar heiße Zeit); in einer sehr kalten Nacht zog sich Br. Zimmermanns Georg vom Schlafen auf der ziemlich offenen Bühne eine heftige Lungenentzündung zu, die Sorge darüber und vielleicht noch der Schreck über eine leichte Ohnmacht, die Christoph Zimmermann während Georgs Behandlung befallen, machte Frau Zimmermann bedenklich unwohl und hielt sie für einige Tage im Bett, bis die Folgen mit Verlust neuer Elternfreude vorüber waren; zu gleicher Zeit war Br. Zimmermann durch den Guineawurm in dem Fleische seines rechten Wadenbeines zum Liegen genöthigt und litt noch dabei große Schmerzen. Da waren denn Hilfeleistung soweit als möglich und Besuche sehr angelegt. Vom 7.-11.Jan. hatte Br. Haas sein erstes Fieber, u die Woche darauf hatte ich, gerade drei Wochen nachdem an Weihnachten gehabten, wieder Fieber; da that mir die Pflege u Unterhaltung von Seiten meiner lb Emilie recht wohl, obwohl es mir schwer werden wollte, daß ich noch so von Krankheit u Schwachheit heimgesucht war. In der nächsten dritten Woche hatten wir am So Abend einen Besuch in Abiriu bei dem Häuptling, zugleich Hauptfetischpriester des Landes gemacht, lasen u betrachteten manches miteinander, deutsch und englisch, ließ mein Zimmer weißnen u herrichten, gegen Ausgang der Woche bekam auch Frau Mader Fieber, sie hatte es, außer ihres Wochenbettes, eigentlich noch gar nicht gehabt.

<11>

Das Großereignis der Hochzeit wird rückschauend erneut zu Papier gebracht, wenn er an die Rapps schreibt:

Am 25.Jan. fühlte sich Emilie nach der Zurückkunft von einem Abendspaziergang nach Abiriu ermüdet und so bis gegen Abend des folgenden Tags, an dem Fr. Mohr mit Fr. Widmann u Fr. Zimmermann Vorbereitung für die Hochzeit machten. Am Hochzeitsmorgen aber befand sie sich wieder gesund u wohl. Statt eines Kränzchens von Ölzweigen (wir haben ein Ölbäumchen im Garten) gab ihr Fr. Mohr ihren mitgebrachten Myrtenkranz, der meiner theuren Braut recht wohl anstund, wie nicht minder ihr weißes Hochzeitskleid, von dem ich den merkwürdigen Umstand anführen muß, daß es sich mit anderen Kleidern in einer während des Schiffsbruchs reichlich mit Seewasser getränkten Kiste befand, die erst drei Tage nach der Strandung ausgeliefert u dann unausgepackt nach London geschickt wurde, aber von allen Kleidern, die theilweise ihre eigene Farbe an die anderen abgaben, war dieses weiße allein ganz ohne Flecke. Mein Herz war voll von stillem Dank u Freude u es war mir innig wohl, als ich die mir vom Herrn zugeführte u geschenkte Braut zur Kirche führen durfte. Der deutsche Gesang: Jesu geh voran und Br. Widmanns deutsche Predigt über: Befiehl dem Herrn deine Wege u hoffe auf ihn, er wirds wohl machen, waren recht ansprechend und für uns passend. Die Trauung wurde nach dem würtb. Kirchenbuche vollzogen. Das Hochzeitsmahl war natürlich in Mohrs Haus, wo wir 16 Missionsgeschwister die Stube ordentlich füllten, während die Kinder draußen auf dem bedeckten Hausgang waren. Außer den 4 hies. Geschwisterpaaren waren Br. Süß von seiner neuen Niederlassung am Volta, Baum von Gyadam, Rottmann von Christiansborg, Heck von Abokobi, Haas u Christoph Zimmermann Theilnehmer unserer Freude. Br. Steinhauser u Schall bezeugten schriftlich ihre Theilnahme, und so hernach Br. Locher u Christian Rottmann. Lezterer ist von der Bremer Gesellschaft für Quitta (Keta) bestimmt, vorderhand aber noch bei seinem Bruder Hermann, der nächsten Freitag, 6.März, mit der mehrjährigen Lehrerin an der Usuer Mädchenschule, Regine Hesse, einer Mulattin, Hochzeit haben wird.

Unser Zimmer hatten wir recht hübsch, für Afrika, abgetheilt und eingerichtet, u fiengen sogleich an, in täglicher Morgen- und Abendandacht gemeinsam unsere Knie zu beugen vor dem Gott aller Gnade und alles Trostes, vor dem Herrn und Heilande, durch den allein uns alles Gute zu Theil wird u der der Erste in unseren Herzen und unserem Bunde sein u bleiben soll. Es ist eine große Erleichterung für meine lb Frau, daß sie nicht gleich eine vollständige Haushaltung zu übernehmen hatte u wir noch länger bei den Geschw. Mohr in Kost gehen konnten, doch ist ihr keineswegs bange davor, kam es ihr ja zuhause vor 9 Jahren einmal vor, daß sie in Abwesenheit ihrer Mutter nicht nur für die eigene Haushaltung, sondern eines Tages noch für 25 Taglöhner allein zu kochen hatte. Abends besonders erzählt sie mir manches aus ihrem früheren Leben, dem ich mit größtem Vergnügen zuhöre. Es gewährt uns beiden viel Genuß, so auf die Führungen und Begebnisse eines - nun zu einem so befriedigenden vorläufigen Abschluß gekommenen Lebens zurückzublicken - meine l. E. hat am 11.Feb. das vierte 7 Lebensjahr zurückgelegt - aber wir begnügen uns natürlich nicht mit diesem Abschluß, sondern es gilt uns jezt erst recht gemeinschaftlich uns zu bereiten u auszustrecken nach dem, das da vorne ist. So glücklich wir miteinander sind, u ganz unbeschadet dieses Glückes ja zur Weihung und Vertiefung desselben, konnten wir am 1.Febr. in traulicher Abendstunde von unserem Heimweh sprechen, nicht nach der irdischen Heimat, sondern was uns darauf brachte, waren die Worte: 'in des Hirten Arm u Schoß, Amen, ja mein Glück ist groß', welche meiner Emilie Gedanken ausfüllten, als sie noch seekrank in ihrer Kajüte lag, und als Augenblicke des Rufs, das strandende Schiff zu verlassen, gewärtig sein mußte.

Am 31.Dec. hatte Br. Heck auch wieder Fieber bekommen, das aber gut vorüber gieng. Er las mit uns am 2.Febr. eine Predigt von Staudt und wir lasens am 3.

Am 2.Febr. wurde ich nach dem beendigten Mittagessen zu meinem Zimmer hinübergerufen, wohin man von Mamse einen jungen Mann (keinen meiner Bekannten) gebracht hatte, dem ein Schuß bei einer Leichenfeier den linken Daumen aus der Hand gerissen hatte, ganz wie früher dem Arbeiter bei Mohrs, der sich seither hat taufen lassen. Ich verbinde sie noch jeden Morgen u Abend, sie wird aber bald schön geheilt sein.

Vom 2.Feb. an arbeitete ich wieder regelmäßig mit David Dieterle, gab dann auch wieder Lectionen, aber nachdem ich am 7. die in Maders Studierzimmer verpflanzte Stationsbibliothek, meine eigene und meine Papiere schließlich in Ordnung gebracht hatte, bekam ich am 8. u 9.Febr. wieder Fieber, u ebenso nach einem durch verschiedene einander unmittelbar ablösende Beschäftigungen zu sehr ausgefüllten Montag am 24., 25., 26.Febr., was mir eben zeigt, daß ich mir noch fernere Einschränkung u Verläugnung in meiner Arbeit gefallen lassen muß. (Die Gründe dafür ließen mich auch mit der Februarpost nicht schreiben, noch auch angefangene Briefe nach Basel u Winnenden mit dieser vollenden).

Meine lb. E(milie) ist treulich u weislich um meine Gesundheit besorgt, übrigens werfen wir beide auch diese Sorge, wie unseren ganzen Weg getrost auf den Herrn, u ich bin guter Zuversicht, daß es besser mit mir gehen wird. Das letzte Fieber war ein Ausnahmsfall, sonst waren meine neueren Fieber alle und zunehmend leichter als meine früheren vor der Reise. Meine lb. E. ist mir Bürgschaft u Angeld für jeden weiteren Segen. Die Geschw. Mohr verlassen uns vielleicht schon Mitte März, dann werden wir in ihr Haus (mit drei Zimmern) hinüberziehen. Br. Haas, der Mohrs Arbeiten übernimmt, wird bei uns in die Kost gehen. Gestern hat m. Em. die Kleinkinderschule (nachmittags von 2 - 4) von Fr. Mohr übernomnen. Letztere wird Euch hoffentlich mehrere Briefe von uns bringen.

Vom 14.-28.Febr. waren der edle Bischof Weeks von Sierra Leone, der vor 32 Jahren als Katechist u Schullehrer herausgekommen war und von diesen 32 mehr als 30 Jahre in Afrika verlebt hat, mit Miss. Frey von Waterloo (bei dem ich drei Wochen gewesen) liebe Besucher, sie wohnten bei Widmanns auch Br. Steinh. war auf 8 Tage mit ihnen gekommen. Seid nun mit allen die diesen Brief lesen oder nach mir fragen, herzlich gegrüßt von Eurem G. Christaller.

<12>

Im selben Monat (März 1857, Dok 57/7) gibt auch Emilie im einzelnen Auskunft über die vorgefundenen hauswirtschaftlichen Verhältnisse: Zunächst habe sie sich um Christallers zerrissene Garderobe mit Hilfe zweier eingeborener Schneider gekümmert. Sie schreibt von dem Schuhmacher, vom Waschen, wie man Seife macht und davon, was sie essen.

<13>

Man bekommt einen Einblick in Küchen- und Waschhaus und das Küchengeschirr. Man ißt dort Suppe, Huhn und Ziegenfleisch, Emilie findet, daß alles 'ungefähr den gleichen Geschmack' habe. Sie bringt ihren Ekel über das zahlreiche Ungeziefer zum Ausdruck, an das sie auch bis zum Ende ihres Lebens sich niemals gewöhnen konnte. Dabei wartet sie dringlich auf Briefe aus der Heimat, aber sie vertraut auf den Herrn, vor allem in dem Gefühl, daß sie in 'Feindesland' sei. Im Mai bereits bekommt Emilie das erste Fieber, Christaller selbst wird regelmäßig davon betroffen.

<14>

Dann schreibt sie am 28.Juli 1857 (Dok 57/10) von dem Garten, in dem sie Spinat, Bohnen, Salat haben und wünscht sich sehnlichst heimatliche Kräuter. Mittlerweile hatte sie endlich auch Nachricht von ihren Eltern bekommen. Ihre Antwort darauf zeigt, daß sie noch stärkere Bindung an zu Hause hatte, wohl auch ein leichter Anflug von allmählich überwundenen Heimwehgefühlen ist dabei zu erkennen, wenn sie nach den heimatlichen Linden fragt.

<15>

Mit weiblich liebevoller Berechnung gelingt es ihr ab und zu, den Ehemann zur Mithilfe im Haushalt zu veranlassen oder einen gemeinsamen Spaziergang zu erreichen: "Denn er tut mir zulieb viel leichter und lieber etwas, als sich selbst." Der Gatte ist aber sehr abgespannt und will in Aburi etwas ausruhen. Von Haushaltssorgen spricht sie über die schmale und wenig hygienische Fleischversorgung vor Ort und über die eigene Hühnerzucht. Sie hätten nur Fleisch von Ziegen und Schafen, manchmal von Wildschweinen, hauptsächlich aber Hühner. Sie klagt darüber, daß die Eingeborenen alles stehlen, aber das gehöre sichtlich zur Tagesordnung dort, und man müsse auf alles ein scharfes Auge haben. Auch bekennt Emilie den Eltern, daß sie jetzt dafür dankbar sei, daß sie zu Hause 'alles habe thun müssen wie eine Magd', diese Kenntnisse kämen ihr jetzt sehr zugute.

<16>

Die Ehe muß in diesen ersten gemeinsamen Monaten sehr glücklich gewesen sein. Am 4.Aug. (Dok 57/13) schreibt Christaller an seine Schwester Gottliebe: "Wir sind glücklich, sehr glücklich miteinander und fröhlich in Hoffnung." Hier kündigt er schon versteckt Emiliens Schwangerschaft an: "Es geht meiner lieben Emilie so gut als man nur wünschen kann, und wir sind der Zuversicht, es wird ihr auch ferner gut gehen, bis Mitte Dezember und darüber hinaus." Bis dahin erwartete sie das erste Kind.

<17>

Daß den Missionar die große Arbeitslast bei seiner schwankenden und auch schwindenden Gesundheit sehr drückte, veranlaßte ihn, bei der Akroponger Stationskonferenz den Antrag einzureichen, ihn von der Lehrtätigkeit am Katechisteninstitut zu entbinden, er wolle sich nur noch einer einzigen Sache widmen und das ohne Einschränkung.

<18>

Im Basler Committee-Protokoll Nr.28 vom 9.Sep. 1857 (S.126-127) wird diese Entlastung bestätigt, in der Aussprache über Christallers Gesundheitszustand wird von Josenhans zum ersten Mal erwogen, ihn in die Heimat zurückzurufen und ihm die Stelle eines Archivars und seines Sekretärs zu übertragen. Daneben könnten die Sprachstudien noch weitergetrieben werden, könnte eine spätere Wiederaussendung nach Afrika durchaus als möglich gelten:

<19>

Es wäre damit seiner schwankenden Gesundheit und einem Bedürfnis der Heimath Rechnung getragen. [...] Es lasse sich überlegen, ob man Chr. jetzt schon seine Übersetzungsarbeiten und die literarischen Aufgaben entziehen [...] und in die Heimath berufen wolle, [...] während es so schwer halte, sprachgelehrte Brüder zu finden.

<20>

Christaller habe sich mit Talent und Erfolg in sein Fach hineingearbeitet. Auch als Schreiber für Insp. Josenhans würde ihm noch Muße genug übrig bleiben, 'seine literarischen Übersetzungsarbeiten mit Hülfe des David Asante fortzusetzen' (S.128). Ein endgültiger Beschluß wurde doch noch zurückgestellt. Es solle Christaller selbst überlassen werden, ob er nach Deutschland komme oder in Afrika bleiben wolle (S.129).

<21>

Die familiären Ereignisse waren dann der Anlaß, daß erneut von Rücksendung gesprochen wurde, denn am 17.Dez. wurde das erste Kind, Gottreich Erdmann in Akropong geboren, und damit war eine völlig neue Situation gegeben. Daß vor allem die junge Mutter nun auf dem Gedanken der Heimkehr beharrte, ist verständlich, und so wurden für 1858 die Weichen neu gestellt.

2.8. 1858 - Die Heimkehr der Familie nach Europa

<1>

In Akropong besuchten 1858 14 Mädchen und 7 Knaben die Schule, wurden die Kaffeepflanzungen erweitert und die Engländer bauten im Lande neu auf nach den kriegerischen Auseinandersetzungen, die Negerstadt Usu lag aber noch in Trümmern.

<2>

Die literarischen Arbeiten der Missionsbrüder und der Druck christlicher Schriften machten Fortschritte, eine Ga Grammatik samt Ga Lexicon wurden vollendet. In Otschi sind die 4 Evangelien und die Ap. G. abgeschlossen, und ein Otschi-Gesangbuch wird gedruckt. Aber der Tod Br. Steinhausers war zu beklagen.

<3>

So scheint dies doch eine positive Bilanz für 1858 zu werden, und Christaller selbst setzte am 3.Jan. (Prot. S.39) dem Committee seine Gründe auseinander, welche es ihm als wünschenswert erscheinen ließen, etwa ein Jahr länger in Afrika zu bleiben. Seine Gesundheit habe sich in den letzten vier Monaten wieder gehoben, und bei zurückgekehrter Arbeitslust wolle er einige Arbeiten noch vollenden.

<4>

Doch da nach Ansicht im Basler Committee Christaller selbst mit seinen Nerven derart angegriffen war, mußte er sich, der Weisung aus Basel zufolge, für die Heimkehr rüsten; ein weiteres Jahr könne nicht gestattet werden, da Hilfe in der Heimat dringend nötig sei. (Prot. v. 3.3.68, vgl. auch "Heidenbote" 1858)

<5>

Am 3.Jan. 1858 (Dok 58/1) hatte der glückliche Vater pflichtschuldigst die Ankunft des ersten Kindes Erdmann Gottreich den Eltern in Waiblingen gemeldet (geboren am 10.12.1857 in Akropong). Nun bittet er den Vater um Übernahme der Patenschaft, auch Christallers Schwestern waren für diese Aufgabe vorgesehen. Bei der eigentlichen Taufhandlung, die der Vater am 25.Dez. in Akropong selbst vornahm, waren stellvertretende Taufzeugen geladen.

<6>

Über die letzten Monate in Akropong finden sich keinerlei Unterlagen, es wird erwähnt, daß im Frühjahr die Heimreise vermutlich mit dem Bremerschiff "Dahomey" (oder "Daphonie") erfolgt sei. Die Stationschronik von Akropong bestätigt dies mit dem Datum vom 10.März: "[...] verabschieden sich diesen Morgen mit der Dahomey, um nach Europa zu gehen."

<7>

Über die Ausbootung zum Schiff hinüber findet sich im Familienarchiv folgende kurze Bemerkung: Bei der Rückreise sollte der kleine Erdmann, der noch im ersten Lebensjahr stand, regelmäßig seine Milch bekommen. Es wurde eine Ziege mitgenommen; sie sollte täglich gemolken werden. Aber das Tier wurde von Unruhe gepackt, als es vom Land auf einem kleinen Boot zum großen Schiff gebracht werden sollte. Es sprang über Bord und ertrank. Man konnte sich nur dadurch helfen, daß Suppen aus Schiffszwieback bereitet und diese dem Kleinen anstelle von Milch gegeben wurden. Er erhielt vermutlich nebenher noch andere Kost. (Aus: Lebensbild Nr.8 "Christiane Emilie Ziegler" von Martin Schubert Seite 13 im Christaller Archiv Neuenbürg.)

<8>

Die einzigen aktuellen Angaben über diese erste Heimreise finden sich in zwei Schreiben Christallers, einem an die englische Verwaltung in Christiansborg gerichteten Brief (13.März 1858 Dok 58/2), in welchem er die Taufurkunde Gottreichs bestätigen lassen will, ferner benötigt er eine Urkunde über die Dauer seines Aufenthaltes an der Goldküste und ein Ausreisevisum des Negermädchens Anyama; das zweite Schreiben ist an Br. Zimmermann gerichtet, es ist nur ein kleiner Zettel (Dok 58/3) und aus London datiert vom 22.Mai 1858: Der Kapitän habe große gesundheitliche Probleme gehabt und sei unterwegs an Dysenterie verstorben; Emilie habe zur Seekrankheit am 20. und 23.März noch zusätzlich Fieber bekommen, auch das mitgenommene 12-jährige Negermädchen Anyama habe einiges durchstehen müssen.

<9>

Aber die erfolgreiche Ankunft der Familie in Basel mit diesem 12-jährigen Negermädchen ist mit dem 4.Juni datiert (Prot. S.63,1 vom 9.6.58)."Wegen dringender Geschäfte" habe Christaller aber "noch nicht von der Committee begrüßt werden können." Einen detaillierten rückschauenden Bericht liefern die Christaller-Eheleute am 6.Juni 1858 von dort an ihre Verwandten in Waiblingen. (Dok 58/4)

2.8.1. Emilie schildert die einzelnen Stationen dieser Fahrt

<10>

nach zweimonatiger Seereise erreichten sie am 19.Mai Bristol. Von dort ging es nach London, wo Christaller zu tun hatte. Ein Dampfschiff brachte die vier nach Holland, denn sie zogen des Kleinkindes wegen die gemütlichere Reise per Schiff der kürzeren Eisenbahnreise durch Frankreich vor. So gelangten sie mit Unterbrechungen bis nach Mannheim, setzten von dort nach Besuchen in Heidelberg bei der Missionarswitwe Steinhauser die Reise nach Basel fort, wo sie abends ankamen.

<11>

Zunächst wohnten sie noch im Missionshaus. Natürlich lud Emilie ihre schwäbischen Angehörigen wie üblich zum Missionfest ein, zumal nach der langen Trennung auf beiden Seiten das Bedürfnis, sich wiederzusehen, groß war. In einem kurzen Zwischenabschnitt des gleichen Briefes erläuterte sie die Mitnahme des Negermädchens:

Wir kamen nicht zu dritt, sondern zu viert hier an, wir brachten ein Negermädchen Anyama mit. Sie war in Akropong als Dienstmädchen bei uns und wir gewannen sie recht lieb; ihre Mutter übergab sie uns mit vollem Vertrauen. Ich will sie nun, wenn der Herr mir Kraft schenkt, erziehen, daß sie in einigen Jahren zurückkehren und ihren Landleuten von Nutzen sein kann.

<12>

Doch Anyama mußte getrennt von der Familie Christaller in Basel untergebracht werden. Als Reise-Mitbringsel erwähnte der Missionar eine größere Kaffeekiste, deren Inhalt an die Verwandten verteilt werden solle.

<13>

Am 16.Juni wurde Christaller im Kommittee offiziell begrüßt (Prot. Nr.29, S.77,10) und es wurde in der Sitzung rekapituliert:

Unser afrikanisches Missionswerk war er (d.i. Chr.) immer geneigt, mehr von der Schattenseite aufzufassen: die Bevölkerung weit geringer als in Yorubaland, die Missionare der Landessprache zu wenig kundig, die Verkündigung des Wortes unter den Einwohnern zu sparsam, die Christen meist solche, die schon als Kinder zur Mission gekommen etc. Die Christen der unteren Stationen haben ihm besser gefallen. Die Gemeinde in Akropong besteht aus ohngefähr 100 Seelen.

<14>

Hier ist nun Christallers ganze skeptische Einstellung zur dortigen Missionsaufgabe herauszuhören, seine kritischen Äußerungen stehen doch in einem gewissen Widerspruch zu seinem eigenen rastlosen Wirken für die Mission. Daß er sogleich den Posten als Sekretär des Inspektors antreten sollte, paßte ihm sichtlich nicht, denn er war vor allem auch "gemüthlich" angeschlagen. Aber die Christallers seien froh, endlich einmal ein eigenes Plätzchen zu haben, "soweit wir als 'Fremdlinge und Pilgrime', was Missionare in doppeltem Sinne sind, von eigen reden können." Da sie aber nicht viel zur Ruhe kamen, zumal das Missionsfest ins Haus stand, beantragte er ziemlich umgehend einige Wochen Erholungsurlaub mit einer Kur in Württemberg durch Vermittlung von Dr. Albert Zeller von der Königlichen Heilanstalt in Winnenden.

<15>

Das Negermädchen Anyama, das sie aus Afrika mitgebracht hatten, durfte nach dem Willen der Committee nicht in die Wohnung der Familie aufgenommen werden. Im Protokoll der Sitzung vom 12.Juli (S.95,5) wird deutlich gemacht, daß die Comm. die gute Intention dabei wohl anerkenne, "nemlich demselben die Anschauung eines geordneten christlichen Hauswesens zu verschaffen, (sie, d.i. die Comm.) hält aber dennoch dessen Verbringung nach Europa für unzweckmäßig und darum angemessen, dasselbe mit der 'Dahome' in ihr Vaterland zurückkehren zu lassen." Hier wird mit trockenen Worten über das Schicksal eines 12-jährigen Mädchens entschieden, ohne auch nur entfernt an die Gemütsverfassung eines solchen Kindes zu denken.

<17>

Von der erwähnten gemeinsamen Kur der Eheleute, welche dann auf notwendige acht Wochen ausgeweitet wurde, findet sich eine ganze Reihe von Briefen im Merkle-Archiv, aber auch im Missions-Archiv ein ausführlicher Brief Christallers an Insp. Josenhans (vom 17.8.1858, Dok 58/9), in dem er von seinem Aufenthalt in Dizenbach berichtete.

<18>

Schwester Gottliebin Merkle hatte sich zwischenzeitlich helfend um den kleinen Sohn Gottreich gekümmert und mehrfach erwähnte sie brieflich so manche große und kleine Errungenschaften des in Gmünd untergebrachten Pflegekindes (vom 25.7.1858, Dok 58/7 und vom 4.8.1858, (M3,58 GM 2).

<19>

Nach einer weiteren Urlaubsverlängerung war wohl Ende August diese Epoche geschlossen; Emilie hatte sich selbst stärker um organisatorische Fragen des Urlaubs bemüht. G. Christaller seinerseits gedachte, am 9.Sep. wieder in Basel zurück zu sein, um die laufenden Sekretärsarbeiten zu übernehmen. Daß auch Korrekturen sprachlicher Arbeiten anfielen, versteht sich von selbst.

<20>

So begann für die junge Familie im "Vögtlinschen Haus vor dem Thor" der erste gemeinsame Basler Aufenthalt, für ihn mit reichlich Arbeit im Missionshaus belastet, und die Gattin erfüllte ihre hausfraulichen Pflichten und teilte der Mutter (am 15.Oktober 1858, Dok 58/11) kurz mit, sie habe wieder auf solche Sachen zu denken, "als ich bei Euch war, wußte ichs noch nicht gewiß und glaubte es auch gar zu gerne nicht, es ist mir ganz bang auf diese Geschichte, sie wird sich ausgangs Januar ereignen." So sah sie also ihrer zweiten Niederkunft entgegen, nicht so recht bereitwillig oder freudig, und von vertrauensvoller Ergebenheit in Gottes Willen ist hier gewiß nicht die Rede. Aber das Gefühl, jetzt einmal endlich daheim zu sein, erfüllte sie mit Freude, "ich mache diese Reise so bald nicht wieder. Überall hat mir etwas gefehlt." Und daß der Ehemann nur 8 Wochen Urlaub hatte und nicht wie andere zumindest ein ganzes Jahr lang Ruhe habe, vermerkte sie der Schwägerin Gottliebin Merkle gegenüber in gewissem anklagenden Ton (vom 16.Okt. 1858, Dok 58/12).

<21>

Christallers Zusatz zu diesem Schreiben beweist eine gewisse Schlampigkeit; der Brief blieb wieder einmal 14 Tage liegen, ohne daß er sich zur Beendigung dieses Schreibens entschloß, natürlich meldete er Verzögerung infolge "äußerer Umstände".

2.8.2. 1859 - Viel Arbeit, familiäre Probleme und Wochen der Erholung in der Schweiz

<22>

Für die junge Familie Christaller brachte das Jahr 1859 im Vögtlinschen Haus in Basel manche <41>

Veränderung mit sich. So wurde am 21.Jan. Tochter Martha Theodora geboren, wodurch dann natürlich die Wohnfrage für die nun vierköpfige Familie neue Aspekte erhielt; doch es hatte den Anschein, daß Emilie als Familienmutter die Situation relativ gut meisterte, sich auch gerne die Waiblinger Mutter zum Missionsfest nach Basel herbeiwünschte, wohl auch um mit ihren beiden Kindern zu renommieren; auch Gottlieb Christaller zeigte in seinem Begleitschreiben zu Emiliens umfangreichem Brief an die Eltern (vom 30.Apr. 1859, Dok 59/6), der allerdings wieder einmal bis 11.Mai im Haus liegenblieb, bis er selbst zum Schreiben kam, in knapper Kürze seine Einstellung zu familiären Fragen. Aber er klagte erneut wie so oft darüber, daß die Zeit dahin sei und er gerne noch weiteres geschrieben hätte.

<23>

Doch zum ersten Mal liest man hier davon, daß er für Sohn Gottreich liebenswürdige Worte findet:

Er hat ein kleines hölzernes Pferdchen, da zieht er mich, wenn ich morgens gehen will, am Rock, führt mich in das Zimmer und zu dem Ding hin, indem er sagt: hotto, bis ich ihn drauf setze und ein wenig herumführe; er hebt sich an Hals und Ohren oder sitzt frei darauf, schaut rechts und links und pappelt, was er weiß. Die lb Großmutter sollte eben selber kommen und sehen.

<24>

Dies sind für G. Christaller ungewohnte Töne. Als Familienvater kann man sich ihn in diesen Jahren in Europa sonst kaum vorstellen. Leider gibt es dazu auch so gut wie keine interessanten Unterlagen über das Verhältnis Vater-Sohn. Jedenfalls scheint schon in einer sehr frühen Phase dieses Verhältnis getrübt worden zu sein, wozu dann natürlich später auch die elternlose Erziehung im Missionshaus einen erheblichen Teil beigetragen hat.

<25>

Nun fordern die beiden Kinder ihre Mutter auf sehr eigene Weise, aber es stellt sich das Ambiente dar wie eine schwäbische Durchschnittsfamilie, wie es dieser Brief Emiliens an die Mutter Ziegler schildert: Die kleine Martha sei ein herziges Mädele, mit eigenem Wägele und einem netten Kütschle, Gottreich (der Name Erdmann wird erst in späteren Jahren gebräuchlich, als der fast erwachsene Sohn aus Opposition gegen das christliche Umfeld der großen Familie auf "Gottreich" verzichtete) wird hier als "rechter Gassenvogel" bezeichnet, der so oft er könne aus dem Hause gehe, auf die Straße laufe, wo dann alles hinstehe und über das kleine Figürle lache, daß es schon laufen könne. Und wenn er dann die Leute mit seinem lb Gesichtle so ehrlich ansehe, sich gar nicht vor ihnen fürchte, sondern gleich schwätze, da habe alles eine Freude an ihm."Da höre ich manchmal sagen: O Jegerl, des isch a siferlich (= säuberlich) Maidele. Man hält ihn meistens für ein Mädchen, obgleich er jetzt ein Bubenhütle aufhat." Daß er aber in Kleidern ging, war seinerzeit üblich.

<26>

Dieser leicht schwäbische briefliche Exkurs zeigt etwas von Emiliens Mutterstolz in ihrer bescheidenen und ungekünstelten Erzählweise. Aber aus der so seltenen Korrespondenz zwischen den Ehepartnern, vor allem von 1859, kann man etwas mehr die persönliche Seite des Missionars herausschälen.

<27>

Christaller befand sich in den eigentlichen Urlaubswochen in Felsenegg (Schweiz) zur Erholung. Über diesen Urlaubsort hoch auf dem Zugerberg, ist ein detaillierter Erzählbericht Christallers vom 19.Juli 1859 im Archiv Neuenbürg vorhanden, den wir hier unter Dok 59/9 einbringen. Wie so oft schildert er streng chronologisch seine Reise in diese Bergeseinsamkeit, die Schiffahrt über den Vierwaldstättersee, die jeweiligen Kosten für die Fahrten, ferner seine Reisegesellschaft und letztlich seine Ankunft im Haus Felsenegg, das er wiederum präzise beschreibt, um seiner Emilie genauesten Einblick in die Gegend zu geben.

<28>

Natürlich berichtet ihm andererseits auch Emilie in fein gesetzten Worten von ihren Beobachtungen an den beiden Kindern, sie läßt dabei durchblicken, daß sie sich trotz oder gerade wegen der Kinder etwas alleine fühle (vom 22.Juli 1859, Dok 59/10):

Es fehlt mir immer etwas und wenn ich mich darüber besinne, so ists, ich kann mich nicht anders darüber ausdrücken, als es fehlt mir ein Stück von mir, ich denke, es ist auch eine Art Heimweh.

<29>

Anders hingegen setzt und formt sie ihre Worte, wenn sie ihre Gläubigkeit und Gottergebenheit zum Ausdruck bringen möchte. Dazu mag der ganze Anfang desselben Briefes an den Ehemann nach Felsenegg als Modellfall dienen (vom 22.Juli 1859, Dok 59/10):

Grüß Dich Gott, mein lb theurer Gottlieb. Dein mir sehr liebes Briefchen erhielt ich gestern vor dem Essen, das mir dann doppelt schmeckte, ich freu mich, daß Du gut an Ort und Stelle kamst und danke Dir, daß Du mir das Bild geschickt hast. Ich kann nun sehen, wie Du herumläufst.

Freilich wärs netter, wenn ich das Bild im Original sehen und bei Dir sein könnte. Doch kann ich mich darein schicken, daß dies nicht sein kann, und merke, wir können vieles, zuletzt alles entbehren, nur eines nicht, unseren Heiland. Wenn der von Zeit zu Zeit fort müßte, ach, was wär das noch ärger als wenn ich die lb Martha liegen ließe und ginge fort; gottlob, daß wir einen solchen Herren haben; doch mußt Du diese Worte nicht als eine allzuweit gehende Zufriedenheit auslegen, ich fühle es wohl und erfahre es durch unsere Trennung: Ich kann nicht mit ruhigem Gewissen sagen: wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts [...] sonst hätte ich Angst, der Herr stelle mich auf eine solche Probe und ich weiß, ich könnte sie noch nicht bestehen.

Darum auch hier: mein alles sich zum Ernst aufs neue strecket; der treue Hirte bringe uns durch Beieinander und Getrenntsein nur vorwärts, immer vorwärts; Du liest vielleicht Unterstrichenes mit einem Seufzer oder doch mit Wehmut, es ist mir, als sähe ichs, aber traue dem Bauherrn.'Die vollendete Arbeit wird oft von einigen unansehnlichen Lumpen bedeckt,' las ich gestern in Lopsteins Weckstimmen; nicht soll das heißen: ich bin zufrieden, wie es ist, und Du sollst's auch sein, und das Weitere wird von selbst kommen, und wie Du mir als mein Ruhigersein auslegst, nein, Mut wollen wir uns machen zum Weitergehen; doch wir haben schon genug hierüber gestritten, und das bringt uns nicht vorwärts, darum punctum. [...] Aber das wollen wir thun, uns immer mehr im Heiland lieben lernen, dann haben wir auch in Ihm Ersatz, wenn wir getrennt sind.

<30>

Von echtem Glauben zu sprechen, traut der Chronist eher der Mutter Emilie zu als der vielfach so trockenen Ausdrucksweise ihres Gemahls.

<31>

Am 30.Juli war immer noch kein Antwortbrief des Ehemanns gekommen, Emilie beginnt, unruhig zu werden, zumal die Kinder kränklich sind. Und wenn der Arzt rät, Basel zu verlassen, um den Kindern Luftveränderung zu geben, weiß sie nicht so recht alleine weiter (so am 30.7.1859, Dok 59/11):

Ich habe es schwer, wirklich, meine Lage treibt mich recht ins Gebet; der Herr ist meine Stütze und meine Stärke, er hilft von einem Tag zum andern: auf Gnade kann man trauen, man traut ihr ohne Reu, und wenn uns auch will grauen, so bleibt: der Herr ist treu.

Gottlieb solle aber daher ruhig sein und fleißig für die Seinen beten.

Schreibe mir aber gleich, daß ich wenigstens einer Sorge enthoben bin, in treuer Liebe Deine Emilie Chr.

<32>

Jetzt reagiert er postwendend aus Felsenegg am 31.7. (M3,59 G C) auf diese sorgenvolle Epistel: wenn der Herr das Gebet erhört und die Kinder gesund gemacht habe, so wolle er noch auf 8 Tage woandershin gehen, um die genehmigten Urlaubswochen weiter auszunutzen; sollte aber Emilie seiner Stütze und Hilfe bedürfen, so ginge er gleich morgen oder übermorgen von hier ab und käme zu seiner Familie.

<33>

In der ersten Augustwoche gehen zwischen den Ehepartnern noch einige Briefe (M3,59) hin und her. Der Ehemann plant wegen der noch nicht voll wiederhergestellten Gesundheit der beiden Kinder einen Nachurlaub zusammen mit der Familie, und Emilie scheint zwar zunächst mit seiner Fürsorge und der vorgeschlagenen Reise einverstanden, doch im Endergebnis heißt es bei ihr dann (vom 5.8.1859, M3,59 Em 6a): "Ich fürchte, daß ich auf der Reise und an einem anderen Ort mehr Not mit den Kindern habe, als wenn ich mit ihnen daheim bleibe; und dann ist das Geld umsonst ausgelegt." - Sie scheint sich durchgesetzt zu haben durch ihren Hinweis auf die Sparsamkeit, auch hatte seine wie üblich schwankende Entschlußkraft hier die Ereignisse weitgehend beeinflußt.

<34>

Im September sollten nun die beruflichen Weichen für Missionar Christaller neu gestellt werden. Er hatte schon am 13.Juli gemeint, er könne sein hiesiges Schreibereigeschäft nicht für seine Lebensaufgabe halten und wünschte für Spracharbeiten nach Afrika zurückzukehren (Henninger aaO S.20).

<35>

Davon wollte aber Insp. Josenhans, der Ende September 1859 die Familie besuchte, nichts wissen (Brief Emiliens an Gottliebin Merkle, vom 28.9.59, Dok 59/13). Er meinte, wenn G. Christaller wieder nach Afrika ginge, habe er ein beständiges Siechtum zu erwarten, denn er werde nie mehr gesund, er sei bereits in seinem 18. Jahr schon krank gewesen, er sei eben ein Hypochonder.

<36>

Emilie hielt dem entgegen, daß man es mit einer ordentlichen, längeren Erholungszeit probieren solle, doch der Inspektor vertrat recht kühl die Meinung, daß auch wenn er ein halbes Jahr Urlaub nehme, dies nichts helfen würde, weil er sich doch keine Ruhe gönnen würde. Und mit dieser Ansicht lag er wohl richtig, auch wenn G. Christaller selbst sich dagegen wehrte, einseitig als kränklich hingestellt zu werden, er sehe selbst ein, daß er nie so ganz gesund und kräftig wie andere werden könne, aber dabei könne er doch noch lange leben und dürfe aufs Wirken hoffen, "wenn auch nicht wie ich wollte und sollte". Seine eigene Ruhelosigkeit mag er selbst genug gekannt haben. (Zusatz zu Brief vom 28.9.1859, Dok 59/13.)

<37>

Für den Termin des 19.Oktober wurde dann auf Grund eines ärztlichen Gutachtens (Prof. Dr. Streckeisen vom Lehrerkollegium des Missionshauses) von Basel ein vierwöchentlicher Urlaub bewilligt, weil Christaller kränklich sei. Ruhe, Stille, Diät, Körperpflege und mäßige Arbeit werde damit verordnet (Henninger aaO S.20); aber er wurde zunächst noch nicht von seinem Sekretärsposten abgelöst, weil ihm ja mäßiges Arbeiten anempfohlen wurde.

<38>

Ein weiterer deutlicher Blick in Emiliens Gläubigkeit findet sich als Begleittext auf einem grünen Zettel zu ihres Mannes Geburtstag am 19.Nov. (M3,59 Em 9):

So ich im Finstern sitze, so ist doch der Herr mein Licht. (Micha 7,8). Diese Losungsworte an Deinem Geburtstag, mein lieber lieber Gottlieb, wollen wir als Angeld nehmen, daß wir auch in diesem Jahr, wenn der Herr es uns schenkt, manchmal im Finstern sitzen werden, aber Er will unser Licht sein, wir wollen dies auch nehmen, immer Anspruch darauf machen, Er wird durchhelfen; Amen.

<39>

Schlichter und einfacher kann man eigentlich die religiöse Grundhaltung der Ehefrau nicht zusammenfassen.

<40>

Nach dieser aus Briefen abgeleiteten Darstellung der familiären Situation im Vögtlinschen Haus in Basel und während des Urlaubs auf Felsenegg dürfte es sinnvoll sein, ein langes Handschreiben Missionar Christallers heranzuziehen, das in Grundzügen bereits in Henningers Schrift "Für Afrika" (S 20) erwähnt wird; da dieses sich aber speziell der sprachlichen Arbeit Christallers zuwendet, wird es hier nun als Anhang zum Jahre 1859 dargestellt.

<41>

Die sehr bescheiden gemeinte Adresse "Verehrte Väter und Vorgesetzte in dem Herrn!" zeigt die ganze Ergebenheit in die verantwortliche Führung der Missionsgesellschaft. Das Schreiben (Juli 1859, Dok 59/8) gliedert sich am Beginn in die Bitte, die Wohlthat der Vacanz auch 1859 wieder zuteil werden zu lassen, natürlich nur nach dem Ermessen des Inspectors, aber unter Berücksichtigung der schuldigen Rücksicht auf die eigene Gesundheit. Rückschauend hatte die Erholung 1858 doch keinen bleibenden Erfolg gehabt.

<42>

Im Hinblick auf seine literarischen Arbeiten stellte er fest, daß die Masse der notwendigen Arbeit doch seine Leistungsfähigkeit überstieg:

  • Druck der Akra- und Otschi-Schriften

  • Correktur der Probebögen des Otschi-Gesangbuches mit 328 S.- Apostelgeschichte in Otschi

  • Schultabelle in Akra

  • Jesaia in Akra

  • Überarbeitung der Fibel von Br. Auer in Otschi.

<43>

All das zu bewältigen, war in seine Hände gelegt und bei seiner Gewissenhaftigkeit in der Tat zuviel für seine augenblickliche Gesundheit. Er möchte bei all dieser geleisteten Arbeit "vergessen, was dahinten ist, und Entschuldigungen und Rechtfertigung auch da, wo Grund vorliegen und Anerkennung zu erwarten sein dürfte [...] nicht als Gewinn, sondern als Schaden [...] achten", (gerade auch) hinsichtlich seiner Stellung zur Basler Mission in Afrika.

<44>

Letztendlich glaube er doch, hier unterbewertet zu sein, wofür auch die Tatsache spricht, daß zum Beispiel im "Heidenboten" der Name Christaller fast nicht erwähnt ist, wogegen z.B. Mader, Zimmermann oder andere viel häufiger erscheinen.

<45>

Daß er aber beständig sich selbst neue und selbstgesuchte Themen oder Aufgaben vorlegt, die er bearbeiten wollte, liegt in seiner wissenschaftlichen Geradlinigkeit begründet, so z.B. sein Streben, gewisse lexikalische und grammatische Bearbeitung des gesammelten Stoffes zu forcieren ("concentriren").

<46>

All dies dürfte nicht möglich sein, solange er in seiner jetzigen Stellung verbleiben müsse als Sekretär des Inspektors, auch sei dringend nötig, Beihilfe von eingeborenen Brüdern (z.B. David D. Asante) zu bekommen für die dringenden Arbeiten am NT.

Das Ziel seiner sprachlichen Arbeit umreißt er folgendermaßen:

  • Der mündliche Verkehr ist wichtig

  • Erleichterung und Beförderung des Reisens und Wohnens im Lande (d.i. Afrika)

  • Für die Notwendigkeit der genauen Übersetzung läßt er sich dann folgendermaßen aus:

Widmen sich einzelne der Ökonomie, den Straßenbauten zum besten der andere, so darf sich ja auch ein einzelner solchen Spracharbeiten widmen, für welche die anderen trozdem, daß sie auch die Sprache zu erlernen haben, nicht die Zeit finden; und wenn z.B. einer der Tüchtigsten unter diesen seinen Zuhörern sagt, was geschehen müsse, daß sie selig werden, der Zuhörer aber hernach sich verwundert, wie doch der Missionar dazu komme, sie einmal über das andere 'Hundsfott' (oder eigentlich noch Schlimmeres) zu schelten, wenn wegen mangelhafter Übersezung Raum gefunden wird, für eine Verstorbene eine Sklavin zu opfern und dergl., so kann man doch nicht sagen, daß auf Genauigkeit und Richtigkeit im Ausdruck nicht so viel ankomme.

<47>

Er stößt sich hier eben an der Gedankenlosigkeit oder auch Schlampigkeit anderer Übersetzer, gerade weil er selbst glaubt, es besser machen zu können.

Kein Wunder, daß die verehrten Väter in Basel etwas von einer "gemütlichen und melancholischen Disposition" Christallers bemerken und dies ihren kommenden Überlegungen zugrunde legen.

<48>

So findet das Ende des Jahres 1859 Gottlieb Christaller immer noch als Sekretär des Inspektors Josenhans, doch daß es unterschwellig schon zu Reibungen gekommen war und die ursprünglich verbindliche Freundlichkeit beider Männer aus der früheren Winnender Zeit nicht mehr so ganz harmonisch blieb, ist aus manchen Zeilen leicht herauszuhören. Also wird auch Christallers Beschäftigung als Sekretär bald in Frage gestellt werden müssen, zumal ihm selbst diese Arbeit immer wieder zu mühsam erscheint.

2.8.3. 1860 - Umzug von Basel in die schwäbische Heimat

<49>

Im Jahre 1860 waren die Eheleute Christaller zumeist in Basel beisammen, es gab wohl nur kurzfristige Unterbrechungen, wenn den beurlaubten Missionar Christaller wieder einmal das Reisefieber packte oder wenn er zur Pflege des familiären Zusammenhaltes zu seinen württembergischen Verwandten nach Waiblingen, Winnenden, Grunbach oder Stuttgart unterwegs war. So sind in den Familienarchiven nur wenig Briefe vorhanden.

<50>

Am 27.Apr. 1860 (M3,60 G C 1) berichtet er Emilie aus Waiblingen von den Unternehmungen während seiner Frühjahrsreise nach Württemberg, erwähnt seinen Besuch bei der kranken Schwiegermutter oder erzählt vom Schwager in Amerika.

<51>

Seinen Gepflogenheiten entsprechend blieb der an einem Freitag geschriebene Brief wieder liegen, bis er am Dienstag, 1.Mai sein Schreiben in Gmünd (Dok 60/2) fortsetzte, wo er bei der Schwesterfamilie Merkle zu Gast war und zu Fuß einige weitere Unternehmungen durchführte, sich fast wanderburschenmäßig bei Bekannten und Verwandten zur Nacht einfand, auch möglichen Predigtbesuch nicht versäumte.

<52>

Dabei beschreibt er genauestens diesen Besuchswochenplan, wo und an welchem Tag er mit wem zusammentraf: Er liebt das Umherstreifen und die Begegnung mit alten Bekannten, bleibt aber sehr empfindlich, wenn die Unruhe in seiner Umgebung überhand nimmt. So sagt er über die Familie seiner Schwester Johanne Rapp, die demnächst nach Frankfurt/Main umziehen werde, er wolle dort nicht über einen Tag bleiben, "da sie es unruhiger haben als Merkles" in Gmünd.

<53>

So ganz zufrieden scheint er mit seinem Tatenbericht nicht zu sein und er hat die Empfindung, daß Emilie doch auch auf ein paar persönliche Worte warten könnte:

Ich habe Dir (d.i. Emilie) nun alles dürr und trocken geschrieben; daß ich meine Liebe wenig in Worte zu legen verstehe, weißt Du schon, daß sie nicht destoweniger im Herzen lebt, traust Du mir zu. Ich freue mich, bis ich wieder bei Dir und den lb Kleinen bin. Grüße und küsse sie in meinem Namen. Am Mittwoch hoffe ich wieder in Basel einzutreffen. [...]

<54>

Seltene und für ihn, der geistig viel in anderen Regionen schwebt, eigentlich überraschende Zeilen, aber er habe sich in der Fremde nicht recht behaglich gefühlt und dabei gedacht: "Am besten und einfachsten sei es eben, wenn man zuhause bleibe." Im Endergebnis war er aber mit den gemachten Besuchen und Besorgungen zufrieden, vor allem auch, daß er bei Herrn Zeller gewesen sei.

Und eine kleine, für das Europa 1860 politisch gemeinte Wendung findet sich überraschend am Schluß dieses Schreibens:

Der irdische Sinn (das Malzeichen des Tieres) ist bei vielen sehr vorherrschend, die Treue gegen den König bei vielen wenig wert; Napoleon (III.) dürfte auch in Deutschland manches finden, was ihm die Einmischung und Erreichung seiner Zwecke erleichtert."

<55>

Der beachtliche Umfang dieses im Anhang nur gekürzt wiedergegebenen Dokumentes ist für den fleißigen Briefschreiber Christaller an sich nichts Ungewöhnliches. Die Präzision der Berichterstattung seiner persönlichen Erlebnisse und der liebenswürdig gefärbte registrierende Mittelteil zeigen jedoch eine Seite, die man bei ihm sonst recht oft vermißt. Theologisch-geistlich aufmunternde Sprüche finden sich merkwürdigerweise hier überhaupt nicht, er scheint in diesen Tagen, wo er als "Urlauber und Literat" seine Freiheit genießt, einen der Gesundheit sehr zuträglichen Abstand von seiner das Gemüt bedrückenden Melancholie gefunden zu haben. Auch Emilie berichtet in einem längeren Antwortbrief (vom 5.Mai 1860, Dok 60/3) von ihren Kindern und von einer ganzen Reihe von Bekannten. Ihr zentrales kommunikatives und religiöses Anliegen legt sie aber in die Worte: "Du glaubst nicht, wie ich oft ganz hungere und dürste darnach, daß doch auch eins von den Meinen (d.i. in Waiblingen) sich lebendig und von ganzem Herzen auf den Weg des Lebens wende, ach, nur auch eins; ich meine, es wäre auch für mich ein Segen, den ich nothwendig brauche; was hat den die Welt? Was baut sie an? ach, man sieht's an dem armen Weltkind. [...] Es ist jammervoll."

<56>

Erstmals erscheint hier auch der Name von Frl. Scholtz , die uns als Betreuerin des Basler Mädchenhauses später noch stärker beschäftigen wird: "Frl. Scholtz ist sehr betrübt und halbkrank, "H(err) Insp. war den Tag nach seiner Ankunft bei ihr und hat dort sehr, wie ers kann, mit ihr geredet, so daß sie mir von Entlassung sprach. Ich glaube, sie hat schon sowas brauchen können, aber sie hats ja wirklich auch ohnedies schwer genug; es schien mir, als denke sie wieder an ihr liebes Rußland."

<57>

Die Sitzung des Committees am 11.Juli 1860 in Basel befaßte sich mit dem bevorstehenden großen Umzug ins neue Missionshaus, aber auch mit der Situation verschiedener Mitarbeiter. Dabei muß hier ein wichtiger Protokoll-Auszug (bei Henninger, aaO S 20 und Comm.-Prot. 60, 28. Sitzung, S.90,12a) zitiert werden, in welchem Insp. Josenhans die Zwiespältigkeit von G. Christallers Charakter beleuchtet:

"Und mit Br. Christaller hat es eine eigene Bewandtnis. Er glaubt, nicht in seiner rechten Stellung zu sein, ist nervös angegriffen und gemüthlich deprimiert, zudem von dem Gedanken eingenommen, eine angefangene afrikanische Arbeit vollenden zu müssen und bei seiner gegenwärtigen Beschäftigung sich nicht erholen zu können. [...] Er sehnt sich nach einer anderen Lage und mehr Muße für seine afrikanischen Spracharbeiten und nach Umständen sogar nach einer Rückkehr auf das afrikanische Arbeitsfeld. Inspector hält letzteres um seiner Kränklichkeit willen für unthunlich und den Drang, eine Odje-Grammatik samt Lexicon abzufassen, für eine von Christallers krankhaften Ideen, zumal sein Plan viel zu weitläufig angelegt, mithin unausführbar sei."

<58>

Mit dieser Bemerkung stellte Josenhans den Antrag, Christaller von seiner Sekretärsarbeit zu entbinden und ihm eine längere Vakanz zu gestatten, er solle sich dann für einen von der Mission unabhängigen Lebensberuf entscheiden. Mit beiden Anträgen kam Josenhans eigentlich Christallers schon mehrfach geäußerten Wünschen entgegen, nur wollte der Inspektor von einer Wiederaufnahme der Arbeiten auf dem Missionsfeld zunächst überhaupt nichts wissen. Es sei anzunehmen, daß auch nach Ablauf eines Ruhejahres mit entsprechenden Kuren an eine Erneuerung seiner afrikanischen Laufbahn nicht zu denken sei, dann wäre eher eine Position in Amerika oder eben in der Heimat denkbar. Daß Hofrat Zellers Ansicht einzuholen sei, verstehe sich dabei von selbst.

<59>

Mittlerweile war mit der Geburt des Sohnes Paul am 21.Aug. 1860 die familiäre Lage der Christallers in Basel noch schwieriger geworden und die Eheleute betrieben dringend die Rückkehr nach Deutschland, zunächst nach Winnenden. Am 23.Oktober (Prot. vom 21.11. S.144,6) kam die fünfköpfige Familie "mit der freundlichen Durchhilfe Gottes" auf der Reise wohlbehalten in Winnenden an, nachdem sie die Wohnung in Basel aufgegeben hatten. Die ersten 14 Tage brachte der Umzug eine Menge Arbeit mit Einrichten der neuen Wohnung (G.Chr. an Josenhans nach Basel, vom 16.11.1860, Dok 60/6).

<60>

Gleich am folgenden Tag, 24.Oktober, bemüht sich G. Christaller um theologische Aktivitäten, und zwar mit Genehmigung Dr. Zellers, nimmt er teil an der Bibelstunde und an Sonntagspredigten in der Heilanstalt, am 4.Nov. kommt es auf Einladung Dr. Zellers zu einem gemeinsamen Spaziergang mit Gesprächen über seine mögliche Tätigkeit in Winnenden: lateinische Unterrichtsstunden und Beschäftigung mit Englisch, dies sollte an den Vormittagen den psychisch recht belasteten Missionar wieder aufrichten und auf andere Gedanken bringen; auch Ausflüge waren vorgesehen, nur das "eigentliche Arbeiten" in der kalten Wohnstube verbiete sich von selber.

<61>

Er glaubt, daß sprachliche Correctur-Arbeiten in Akra seiner Gesundheit und Herstellung der Arbeitsfähigkeit förderlich wären, er bettelt förmlich darum, an der Otschi-Grammatik fortfahren zu dürfen."Aber wenn ich Sie recht verstanden habe, so ist mir gerade das verboten und ich muß mein Pfund vergraben", d.h. also auf Ergebnisse seiner eigentlichen Begabung verzichten.

<62>

Für die Zeit nach dem Erholungsjahr solle er nach dem Wunsche Dr. Zellers einen anderen Wirkungskreis ins Auge fassen, so z.B. sah Christaller den Gedanken der Judenmission als mögliche Betätigung an, hatte diese Idee dann aber wieder unentschlossen wie so oft beiseite gelegt.

<63>

Von Liegenlassen, Verzetteln und Vertrödeln der Arbeitskräfte durch etwaige Krankheit hielt er sehr wenig, er wünschte ein behutsames, nicht überspanntes "Concentriren auf einen den eigenen Kräften zunächst am meisten angenehmen Gegenstand". Und das wäre natürlich sein Lieblings-Arbeitsfeld der sprachlichen Forschung an der Goldküste.

<64>

Doch von einem Transfer nach Afrika konnte nach Sachlage und Anschauung von Josenhans und Dr. Zeller bislang überhaupt nicht die Rede sein, und Christaller schickte sich an, die von Dr. Zeller vorgesehene länger dauernde Beschäftigungstherapie zu akzeptieren, die nun darin bestand, konsequent englische Unterrichtstunden in der Heilanstalt zu geben, ferner mit Interessenten beider Konfessionen Caesars "de bello civili" zu erarbeiten. Auch mit Schillers Dramen wurde er hier nun konfrontiert und arbeitete sich auch in diese Materie ein, und das offizielle Attribut "Urlauber und Literat" mag seine so unklare Position gewiß charakterisieren. Aber in Winnenden heimisch zu werden, vermochte er gewiß nicht, am ehesten noch in der Heilanstalt, wo er auch diesen selbstgewählten Aufgaben nachging.

<65>

Aber zufrieden war er auch hier nicht, denn das Mißverhältnis von Zeitaufwand und Arbeitsergebnis machte ihm sehr zu schaffen. Auch war er keineswegs glücklich mit seiner eigenen Leistungsfähigkeit. Also brannte er förmlich darauf, wieder seine afrikanischen Sprachstudien weiterführen zu können.

"Wenn ich einmal vollständiger weiß," so heißt es im hier skizzierten Novemberbrief an Josenhans, "was mir Hr v Zeller zu sagen hat, so werde ich wohl etwas auführlicher an Sie und die verehrte Committee schreiben dürfen."

<66>

Da aber v. Zeller ziemlich schwer erreichbar blieb, schien Christaller eher zu einem Spielball zwischen den verschiedenen Fronten zu werden. Josenhans als Aktivist in der Missionsgesellschaft und verantwortlich für das Management fühlt sich berufen, neben seiner Verantwortung für das gesamte Getriebe des Missionsaufbaus im Fernen Osten, in Indien und in Afrika, auch für den Sozialaufbau innerhalb der Mission Sorge zu tragen und dabei dem Einzelnen das eigene Maß zuzuordnen, aber auch für dessen Wohlergehen einzustehen. Das Committee steht ihm dabei beratend und auch finanzierend zur Seite, soweit die Opferbereitschaft der Mitglieder und Freunde der Mission reicht. Die vielen Missionsfeste landauf und landab sollen dabei den Gedanken der Mission hinaustragen, aber auf diesem Wege über Großkundgebungen auch das finanzielle Polster der Mission aufbessern.

<67>

Der einzelne Missionar muß dabei im Glauben an den Herrn religiöser Idealist bleiben, ohne zum Fanatiker zu werden, und seine persönliche Opferbereitschaft und der unerbittliche Gehorsam werden stets von ihm gefordert.

<68>

Im Falle Christallers schiebt Josenhans die Verantwortung über das für den Missionar im Urlaub Zumutbare auf den Hofrat und Mediziner Dr. Zeller, und in diesem Spannungsfeld kann der im Gemüt stark gedämpfte Christaller sich nicht mehr voll auskennen, er wird gewissermaßen hin und her gezerrt, ohne daß man aber sagen kann, er sollte verschaukelt werden. Aber sein schwieriges Temperament bekommt dabei keiner so recht in den Griff und darum fühlt er sich oft allein gelassen. Und in dieser persönlichen Einsamkeit drängt es ihn dann hinaus auf kleinere oder größere Reisen, um bei Bekannten sich beraten zu lassen, oder ganz einfach, auch mal von den seelischen Strapazen auszuruhen oder aus dem familiären Umfeld zu entweichen. Denn die Ehefrau Emilie und das Ambiente der großen Familie kann ihm dies anscheinend nicht vermitteln, und auch die verschiedenen Kuraufenthalte während seiner Beurlaubung bringen den unzufriedenen Mann nicht zurück auf den Boden betretbarer Realität.

2.8.4. 1861 - Urlaub - Gesundheitesprobleme - Differenzen zwischen Christaller und der Basler Mission

<69>

Gottlieb Christallers körperliches Ergehen hatte sich auch 1861 zunächst nicht wesentlich gebessert. Ihn hatte vor allem im Winter die Engigkeit der Wohnung in Winnenden und der naßkalte Herbst 1860 beschwert und angegriffen, auch Sorgen um das Gedeihen des jüngsten Kindes (Paul) legten sich auf die Stimmung innerhalb der Familie.

<70>

Am 8.Mai hatte ihn Insp. Josenhans in Winnenden besucht und ihm die Verpflichtung auferlegt, über sein Ergehen Nachricht zu geben. Christaller hätte dabei lieber geschwiegen (17.7.1861 Christaller an Insp. Josenhans, Dok 61/1). Er sei kaum in der Lage, über sein hiesiges Sein eine Darstellung zu geben, "um der Inhaltslosigkeit willen" sei ihm dies fast peinlich. Jedenfalls habe sich sein Zustand seit dem Austritt aus dem Secretariat in Basel eigentlich nicht geändert. Aber er glaube und hoffe, daß er durch Fortsetzung seiner sprachlichen Arbeiten, z.B. an der Otschi-Grammatik, wieder Aufwind verpüren könnte, doch müsse er ja, verabredungsgemäß, sich anstrengender Arbeit enthalten.

<71>

Aber dann hatte er doch so gar keinen rechten Mut, sich über seine persönlichen Dispositionen mit Josenhans auseinanderzusetzen, denn er fürchtete neue Mißverständnisse dabei, Mißverständnisse, die anscheinend bei diesen beiden in der Luft lagen. Und dann klagt er sich selbst der Versäumnisse wegen seiner eigenen Schüchternheit an. So möchte er nun, daß Josenhans in dieser Vacanz-Zeit des Jahres 1861 eine Gelegenheit zu ruhiger Erörterung gewähren möge.

<72>

Er bettelt dabei förmlich um einen solchen Dialog mit dem Bemerken, "daß ich nicht zweifle, daß mein Zurechtkommen mit Ihnen, vielleicht mehr als irgendeine Bade- oder Wasser-Cur den günstigsten Einfluß auf meine seelische und leibliche Gesundheit haben würde."

<73>

Auf diesen Brief, der so stark Christallers innere Zerrüttung und Spuren seelischer Erkrankung zeigt, gibt Josenhans am 29.Juli 1861 (Henninger aaO S 22) eine knappe und in der Summe doch recht lieblose Antwort, ohne die psychische Situation des Gegenübers gebührend oder in christlicher Sicht und Nächstenliebe wohwollend zu betrachten.

Der Tenor dieses Schreibens lautet:

  1. Christallers Gesundheitsumstände sprechen nicht für eine Rückkehr aufs Missionsfeld.

  2. von einem persönlich gestörten Verhältnis zu Christaller wisse er nichts.

  3. um die Pensionierung zu beantragen, sei Chr. mit 34 Jahren noch nicht alt genug, zumal die Missionsgesellschaft bei den vielen Invaliden finanziell stark belastet ist.

  4. als zeitweiser Invalide solle er andere Beschäftigung suchen.

  5. wenn Dr. Zeller eine Aussendung befürworte, wäre Josenhans bedingt mit einverstanden.

<74>

In der Zeit zwischen 5.Juli und 30.Sep. 1861 bringt die durch Urlaub bedingte Trennung der Eheleute eine überaus reichhaltige Korrespondenz, vornehmlich Christallers Berichte über den Kuraufenthalt in Dizingen, seine Briefe aus Calw und Teinach wie auch Emiliens Erwiderungen oder einige Schreiben der Gottliebin Merkle. Diese ganze Serie (unter Dok 61/1-10 zusammengefaßt) beleuchtet besonders die persönliche Lage der Familie und des beurlaubten Missionars Gewohnheiten, im Urlaub sich seinen Mitmenschen zuzuwenden.

<75>

Herausgegriffen werde hier sein Schreiben an Emilie vom 26.Juli aus Dizenbach vom vierten Tage seines dortigen Urlaubs (Dok 61/2). Umständlich beschreibt er seine Fahrt dorthin, doch zeigt gerade eine solche fast pedantisch genaue Zusammenfassung die damaligen Verkehrsverhältnisse im Remstal und die einigermaßen fortschrittliche Möglichkeit, ein abgelegenes Ziel auch wirklich unbeschwert zu erreichen. Daß die persönliche Aufnahme bei pfarramtlichen Kollegen in Württemberg vielfach gang und gäbe war, läßt sich auch aus diesem Schreiben herauslesen. Der Brief gibt durch seine zuverlässig genaue Darstellung ein recht amüsant wirkendes und völlig anderes Bild des Missionars, als wir es aus seiner sonstigen Korrespondenz mit der Missionsgesellschaft oder deren einzelnen Vertretern kennengelernt haben. Hier mischen sich sprachlich schön formuliert Landschaft und die eigene Vergangenheit, mitmenschliche Kommunikation wie auch ein leichter Anflug von Humor, und dies gibt insgesamt eine Zeichnung G. Christallers, die den Chronisten mit vielerlei sonst überflüssig scheinendem Beiwerk in seinen Briefen versöhnen kann.

<76>

Emilie antwortet ziemlich postwendend, aber sehr kurz am 28.Juli (Dok 61/3). Mit den Kindern gehe es bei Nacht ordentlich, freilich bei Tag desto herber, besonders mit unserem Erdmann: "Ich habe ihm schon diesen Morgen gesagt, ich möcht ihn nur in eine Schachtel packen und Dir schicken können." Hier erübrigt sich wohl jeder Kommentar, die Mutter stöhnt auf ihre Weise, hat keinerlei Ruhe zum Schreiben und schließt: "Nun weiß ich weiter nichts besonderes zu schreiben, nur das noch, eile nicht, von Dizenbach fortzugehen, wenn oder solange Dirs gut tut. Bete fleißig für uns." Und dann folgt eine eilige Meldung als Nachtrag (noch Dok 61/3): Aufträge der Gesellschaft an Dich würden morgen oder übermorgen kommen, aber der H Inspektor werde nicht kommen.

<77>

Auch die zweite Urlaubsphase Christallers in Calw und Teinach wirkt sich auf ihn nicht so recht beruhigend aus. Besonderen Mut, etwaige Arbeiten anzupacken, zeigt er weniger, so wie er sich dann auch in einem Brief an Emilie (vom 15.8.1861, Dok 61/6) persönlich Mut zusprechen möchte:

Die Sachen wollen uns eben Glauben lehren, Sterben mit Christo, Auferstehen und Leben in Seiner Kraft. Wir wollen durch die Trübsal uns recht in die Geduld einführen lassen, Geduld bringet Erfahrung, diese Hoffnung, und die Hoffnung auf Gott läßt nicht zuschanden werden. Der Herr wolle durch Seinen Geist uns beten lehren ohne Unterlaß. Lerne Du, bes(onders) auch den lb Kindern gegenüber, Geduld und erzähle ihnen vom lb Heiland. Ach, wir selber sind eben nicht kindlich genug und kennen und lieben den Heiland noch zu wenig.

So ging der Urlaub mit der letzten Augustwoche zu Ende.

<78>

Dies war also die Sachlage im Sommer des Jahres 1861, über seine Stellung als "Urlauber und Literat" kam G. Christaller gewiß nicht hinaus. Aber sein Wunsch und Ehrgeiz suchte sich wieder höhere Ziele als Caesar zu übersetzen oder Englisch zu dozieren. Also bemühte er sich um neue Kontakte zu Insp. Josenhans, der ja die eigentliche Instanz im Getriebe der Missionsgesellschaft war, die für ihn, den Unzufriedenen und Entbehrenden, einen neuen Weg an die Goldküste hätte bahnen können.

<79>

So kam in einer recht außergewöhnlichen Aktion im Herbst 1861 Gottliebin Merkle auf die Idee (vielleicht hatte auch der vielfach so zaghafte und schüchterne Christaller selbst die stets hilfsbereite Schwester dazu animiert), für ihren Bruder beim Committee zu intervenieren, man möge ihm seinen Platz als Basler Missionar nicht nehmen. Daraufhin ist in Basel der Fall Christaller wiederum im Gespräch, eine etwaige Aussendung sei aber nur möglich, wenn ein diesbzügliches ärztliches Zeugnis Dr. Zellers das befürworte. So wird seine Wiederausreise wohlwollend erwogen.

<80>

Das Committee hatte am 9.Okt. 1861 (Henninger aaO S.22, Prot. 38. Sitzung S.141ff) von Christaller ein ärztliches Gutachten verlangt und gewünscht, das Ehepaar Christaller möge zur Anhörung nach Basel kommen. Allerdings war es für Christaller schwierig, Dr. Zeller zur ärztlichen Beratung zu erreichen, zwar habe er sie schon einigemal in Aussicht gestellt, aber sie konnte ihm bis jetzt noch nicht zuteil werden.

<81>

In absentia wurde in dieser Committee-Sitzung (Nr.28) über den Gesundheitszustand Christallers und seine eventuellle Rückkehr nach Afrika beraten. Insp. Josenhans war zuvor nach Gmünd gefahren, Dr. Zeller bezeugte ihm, Chr. könne nach Afrika zurück, 'er war damals nicht gesund, ist jetzt nicht gesund'. Am besten solle er sich, nach Josenhans, eine Stelle in der Heimat suchen, was ein Ausscheiden aus der Mission bedeute. Er, Josenhans, habe große Bedenken wegen dessen Rückkehr nach Afrika. Man könne ihn nicht eigentlich geisteskrank nennen, doch gemütskrank, 'wodurch sein Geist zu Zeiten ganz gebunden sei'. Eine starke Reizbarkeit führe ihn dazu, daß ihn jeder Vorfall in 'heiße Kämpfe' stürze. Damit beide Christallers angehört werden könnten, solle man sie nach Basel einladen; so könne dem Vorwurf begegnet werden, als hätte man sie nicht angehört (Comm. Prot. v. 30.10.61 S.152).

<90>

Im Gespräch war auch für ihn eine etwaige Aufgabe in Amerika. Sollte er nach Amerika gehen wollen, so zahle die Committee die Überfahrt. Wenn er in der Heimat bleiben wolle, so erhalte er ein Schluß-Gratiale von 150 Fr.

<91>

Dieser Vorladung folgten schließlich beide Eheleute am 28.Oktober (Comm. Prot. 1861 S 152,3), anscheinend mit einem günstigen ärztlichen Zeugnis, das eine Wiederausreise ermöglichen sollte, und zwei Tage darauf am 30.Okt. 1861 (Prot. S 153,3) wurde die Rückkehr nach Afrika vom Comm. zwar beschlossen, doch ohne Ehefrau wegen deren bevorstehender neuerlichen Niederkunft; Ernst Gotthold wurde dann am 11.Nov. in Winnenden geboren.

<92>

Christaller sei, wie vermerkt wurde, 'geistlich und geistig reifer als im vorigen Jahr'. Seine sprachliche Begabung wurde anerkannt, zu anderen Dingen sei er nicht so brauchbar. Seine Frau sei aber durch die ersten afrikanischen Erfahrungen 'ängstlich und kleinlaut' geworden. Also kam man zum Beschluß: Wiederaussendung ist möglich, aber die Ehefrau bleibt zu Hause; inzwischen solle Chr. arbeiten an der Schulgrammatik und Übersetzung eines paulinischen Briefes.

<93>

Kurz drauf erfolgte der Umzug der Familie nach Waiblingen. Eine erneute Bitte Christallers vom 16.Nov. (Dok 61/11, vgl. Prot. S.165f) um 1/2 Jahr Urlaub, damit er mit Emilie gemeinsam reisen könne, wurde negativ entschieden, er solle im Februar oder März 1862 ausreisen, seine Frau aber ihm frühestens nach Jahresfrist nachreisen. Dies war die nur einigermaßen abgeklärte Situation am Ende des Jahres 1861.

2.8.5. 1862 - Ein besonderes Krisenjahr für die Eheleute Christaller

Lange Trennung und neue Schwangerschaft Emiliens

<94>

Es ist für den Biographen ein recht schwieriges Unternehmen, das Jahr 1862 darzustellen. Man könnte versucht sein, aus der Kenntnis einer sehr Intimes betreffenden ehelichen Korrespondenz einfach zu den trockenen Fakten des Wohnungs- und Ortswechsels überzugehen.

<95>

Die Frage eines Wohnungsumzuges von Winnenden nach Waiblingen beschäftigt im Januar 1862 die Gemüter. G. Christaller wendet sich diesbezüglich an den Schwiegervater (vom 10.1.1862 Dok 62/1):

Emilie hat nun, weil es vormittags keine Fahrgelegenheit gibt und 7 1/2 Uhr zu frühe ist, vorläufig geschrieben; ihr Hauptbedenken ist eben die Gemeinschaftlichkeit von Herd u Küche, sie meint, das werde sich nicht wohlthun. Ich wünschte nun, die Mutter möge sich darüber aussprechen, ob sie die gemeinschaftliche Benützung des Herds für ausführbar hält u ob sie überhaupt mit unserem zu-Euch-Ziehen einverstanden ist. (Ich denke, es würde, wenn etwas daraus wird, jedenfalls nicht so schnell geschehen, sondern erst in 2 oder 3 Monaten.) Man darf freilich wohl überlegen, ob die Personen, die miteinander zu thun haben, auch selber den ernstlichen Entschluß u im Blick auf den Herrn die Hoffnung haben, gut miteinander auszukommen; wie es da zB mit Bertha steht, weiß ich nicht; unser gegenwärtiges Dienstmädchen ist willig u auf alles aus, was recht u gut ist, aber sie ist weichherzig u empfindlich. Wenn dann Emilie Unverträglichkeiten mit ansehen u weil sie eben kein Mann ist, nicht abhelfen könnte u die Sachen in sich hineindrücken u unter dem Drucke dahingehen müßte, so wäre ihre Lage nicht erleichtert, sondern mehr erschwert als wenn sie hier allein bliebe. Wenn aber die lb Mutter Zuversicht faßt, daß es gehen werde, so würden mich die möglichen Reibungen u Anstöße nicht schrecken; wenn nur eines im Glauben sich darunter üben läßt u im Beten, so können u werden sie zum Segen werden.

<96>

Letztendlich wurde der Umzug nach Waiblingen aber vollzogen, G. Christaller meldet dies nach Basel und bekundet dem Insp. Josenhans nun seine Bereitschaft, wunschgemäß für ein paar Wochen ins Missionshaus zu kommen, um über die aufgetragenen sprachlichen Arbeiten sich mit ihm zu beraten (vom 3.4.1862 G.Chr. an Josenhans, Dok 62/2).

<97>

Im Mai ist Christaller dann mit Übersetzungen von Phil, Kol. und Thess. in Tschi beschäftigt und er interessiert sich für die Korrekturen bei der britischen Bibelgesellschaft (vom 24.5.1862 G.Chr. an Sekretär Weitbrecht in Basel, Dok 62/5).

<98>

Da 1862 für Emilie aber ein äußerst notvolles und schwieriges Jahr war und ihr Probleme aufbürdete, die sie allein kaum oder gar nicht bewältigte, muß hier der Briefwechsel befragt und ausgewertet werden. Es geschieht diese Aufarbeitung auch im Hinblick auf die Nachfahren, die sich von vielen Zuständen und Vorstellungen der damaligen Zeit gar kein oder ein nur sehr unzureichendes Bild machen können. Zugleich werfen die Nöte und Auseinandersetzungen dieses Jahres ein Licht auf die beiderseitigen Charaktere der Eheleute sowie auf die z.T. verheerenden seelischen Konsequenzen eines eng ausgelegten Glaubensbildes.

<99>

Noch im April, als Christaller in Basel ist, war völlig ungewiß, ob er wieder nach Afrika gehen sollte. Außerdem wird er von Pfarrer Geß scharf kritisiert, daß er "die grammatischen Arbeiten in den vollen 6 Monaten (es seien aber nur 5 gewesen) nicht fertig gebracht" hätte. (so G.Chr. am 15.Apr. 1862 an Emilie, Dok 62/3). Dann eröffnet ihm Insp. Josenhans, daß in Akropong kein Platz für ihn sei und er zu Mohrs nach Aburi gehen solle, um dort am Mädcheninstitut zu helfen.

<100>

Christaller selbst möchte anscheinend nicht gern zu dem bestimmten Zeitpunkt im Juni gehen. Über seine Arbeit schreibt er: "Meine Schulgrammatik soll deßwegen deutsch oder englisch sein, damit die betr. Committee-Mitglieder oder Beauftragte sie lesen und ihr Urteil darüber abgeben können." (Dok 62/3) Die Unstimmigkeiten über die Arbeit unter den Missionaren selbst charakterisiert er in dem gleichen Brief folgendermaßen: "Die Brüder in Afrika müssen einander vielfach verklagt haben, nun traue eben keiner mehr dem anderen."

<101>

Hier schon wie auch in den späteren Briefen aus Afrika wird deutlich, daß G. Christaller immer ganz stark auf seine Arbeit fixiert bleibt und weniger die Schwerpunkte in den Bezügen zu seiner Familie findet; dieser Mangel an Gleichgewicht in den Beziehungen der Eheleute ist auch vielfach ein Grund für Emiliens Leiden, da sie ganz auf die Familie beschränkt bleiben muß, zugleich aber die charakterlichen Defizite ihres Mannes auszugleichen bemüht ist.

<102>

Sie weiß natürlich sehr wohl um die Schwierigkeiten, die es in Basel zwischen ihrem Ehemann und Insp. Josenhans gibt. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt schon eine starke Leidenswilligkeit verinnerlicht, die sich auf das eigene Leben und die Arbeit ihres Mannes bezieht: "Der Herr stehe Dir bei, wenn Du saure Schritte zu machen hast, und stärke Dich in Deinem Leidenssinn, wenn Du verkannt bleibst. Er wirds danach herrlich hinausführen, wenn Du, wir gelernt haben, was wir unter diesem Gericht lernen sollen." (19.4.1862, Emilie an G.Chr., Dok 62/4)

<103>

Es ist nicht zu übersehen, daß G. Christallers Gefühle seinem Auftrag gegenüber zwiespältig bleiben, so schreibt er am 26.4. an Emilie: "Die Freudigkeit im Juni schon abzureisen, ist mir noch nicht gekommen, wenn gleich nun auch David (Asante) geht." (M1,62 G C 3).

<104>

Emiliens eigener psychischer Druck ist in dieser Zeit der Trennung so groß geworden, daß sie in dem oben angeführten Brief an ihren Mann (Dok 62/4) schreibt, daß es in ihrem Schlafzimmer "nicht ganz geheuer" sei und sie darin nicht mehr allein bleiben wolle.

<105>

Am 1.Mai 1862 kommt Gottlieb Chr. aus Basel nach Waiblingen zurück, ein für das Ehepaar denkwürdiger und folgenreicher Tag. Mitte Juni ist er dann bereits wieder in Basel und versucht, in einem überaus langen Brief seiner Frau durch geistlichen Zuspruch über den Schmerz einer ungewissen Trennung hinwegzuhelfen (18./19.Juni 1862, Dok 62/6). Am 19.Juni heißt es darin:

Heute ist also unser Abreisetag. Bis hieher hat uns der Herr geholfen. Er wird uns auch ferner helfen. Ihm wollen wir ganz u gar vertrauen u auch über Menschen nicht mehr klagen; die, mit denen wirs zu thun hatten, meinen es doch gut, wenn sie auch nicht immer das Rechte treffen. Aber Er hat alles in seiner vorwärts und rückwärts alles überschauenden Weisheit wohl gemacht.

[...] Wir werden nun morgen nachmittags 2 Uhr hier abreisen und über Straßburg am Fr Mittag um 12 Uhr in Paris anlangen, dann nur 2 Std verweilen und nach Boulogne fahren, um von dort über den Kanal zu fahren, wobei wir wohl in Folkstone, nicht fern von dem Platz, wo ihr Schiffbruch gelitten, landen werden.

In diesem Fall werden wir also 22 Stunden auf der franz. Eisenbahn sein, und die folgende Nacht wieder auf Eisenbahn und Dampfschiff, am Sa (Nachmittag?) und Sonntag in London, am Montag Abreise nach Liverpool, am Dienstag Abfahrt von dort.

Ich möchte nun wohl gerne wissen, wie es Dir besonders geht, aber ich befehle Dich Gott u seiner Gnade. Laß Gottliebe bald zu Dir kommen. Ein schwarzes Halstüchle wirst Du noch gefunden haben. Macht nichts. Das Zollstäbchen auch. In meinem Kasten liegen Bücher [...] Sollte nun noch etwas vergessen sein, so wirds keinen Schaden für die Ewigkeit bringen. Wir müssen vergessen u über Kleinigkeiten wegsehen lernen. Das hast Du ja erfahren. Benutze u genieße den Trost, der in wahrer Fülle Dir zu Gebot steht bei dem, der reich ist über alle, die ihn anrufen. Küsse die Kinder in meinem Namen u weise sie treulich zu Jesu. Ihm dem Treuen sei befohlen mit Deinem G.Chr.

<106>

Zu diesem Zeitpunkt haben die Eheleute noch die Hoffnung, daß Emilie bald ihrem Mann nach Afrika folgen werde, doch sollte alles ganz anders kommen. Während er freudig von seinem zukünftigen Arbeitsprogramm schreibt, läßt er eine völlig depressive Frau zurück, die von zunehmenden, für sie zunächst unerklärlichen körperlichen Gebrechen geplagt wird. Besonders auch der älteste Sohn Gottreich leidet unter der Trennung von seinem Vater:

Gottreich sagt oft, der Papa soll doch nur wieder kommen und soll mit dem Schnellzug fahren. Von eigener Munterkeit weiß ich nicht viel zu sagen, es stehen mir immer die Thränen in den Augen; in meinem Gesundheitszustand hat sich noch nichts geändert, fühle immer nur eine große Mattigkeit in den Gliedern und zuweilen Leibschmerzen, wenn ich allein den gegenwärtigen Tag vor mich nehme und für alles andere die Augen zudrücke, so finde ich Kraft und Mut, weiter zu pilgern, nur diese Waffe habe ich, im übrigen stehe ich wehrlos da und mag gar nicht an meine Lage denken.

Pf Geß u Conf(erenz) kamen mir grad vor wie viele Ärzte, die gar nicht sehr empfindsam sind für die Schmerzen, die ihre Verordnungen hervorrufen. Sie denken nur, andere habens ja auch leiden müssen; über kurz oder lang stehen wir auch in der Zahl seiner angeführten Märtyrer. (20.Juni 1862, Emilie an G.Chr. Dok 62/7.)

<106>

In diesem Brief schält sich allerdings noch etwas anderes heraus, das neben den eigenen körperlichen Leiden das Schwinden des Vertrauens in die Mission dokumentiert:

Deine traurigen Neuigkeiten von Afrika haben auch Besorgnis in meinem Herzen erregt. Ich fühle oft eine geheime Angst in mir, der glimmende Docht meines Vertrauens auf Gott möchte verlöschen, wie der zu den Menschen verlöscht ist. Br. Igel gönne ich seinen Heimgang, es ist ein elend jämmerlich Ding auf dieser Erde; das Schönste, das ich von Jugend mir ins Aug gefaßt hatte (Missionsdienst), ists auch. Aber gottlob, eins habe ich bei diesem allen noch, ja es wär zum Weinen und zum Verzweifeln, wenn kein Heiland wär; freilich, der Himmel ists noch nicht so für mich auf der Erde, wie ers sein sollte und könnte, aber ich hoffe, er wirds noch werden.

Auch der Briefschluß gibt einen deutlichen Einblick in ihre große seelische Not:

Lieber Papa b'hüt Dich Gott, es betet immer für Dich Dein Gottreich und Deine Martha. Leb wohl lieber theurer Gottlieb, bete fleißig für Deine Emilie. (Dok 62/7)

<107>

Sind Emiliens Briefe voll von offenen und versteckten Bitten um persönlichen Zuspruch und Trost, so wird ihr davon nichts zuteil, sondern immer kommt von Christallers Seite eine Fülle geistlichen Zuspruchs, der wohl kaum wirklich den Schmerz und das Unwohlsein der Frau gelindert hat. Auch für den Sohn hat er kaum persönliche Worte, er schreibt am 30.Juni von Bord der "Cleopatra", daß er sich immer weiter von der Familie entferne und daß der Sohn sich damit trösten solle, daß dieselbe Sonne über allen scheint, ebenso wie derselbe Heiland über allen wacht (30.Juni 1862, Dok 62/8).

<108>

Gerade das Jahr 1862 macht deutlich, wie stark und mit wieviel Akribie Christaller sich den Dingen zuwendet, die durch Reise und Missionsarbeit an ihn herangetragen werden; das geht einmal aus den offiziellen Berichten nach Basel hervor, ebenso aber aus den Briefen, die er an seine Frau schreibt. So setzt er sich im Jahresbericht vom 1.Juli 1862 ausführlich mit der Sklavenfrage in Afrika auseinander, eine Materie, die sicherlich von den Missionaren damals vollkommen unzureichend in Betracht gezogen und demgemäß auch behandelt wurde.

<109>

Immer wieder ist zwar die Empörung über die nach europäischen Maßstäben so verschiedenen Zustände zu spüren, andererseits können die nicht koordinierten Maßnahmen der Missionare gewiß keine entscheidende Änderung herbeiführen, sondern nur punktuell helfen. Es geht gerade aus diesem Jahresbericht (1.Juli 1862, Dok 62/9) hervor, daß es auch in der Mission keine zentrale Regelung gab, daß jeder mehr oder weniger auf eigene Hand arbeitete und so auch vor Mißgriffen nicht sicher war.

<110>

Die Doppelbödigkeit dieses Missionarlebens wird in vielen Beispielen aus dem Jahr 1862 deutlich. In den ersten Wochen der Trennung schreiben die Eheleute stets aneinander vorbei, er ist noch nicht in Afrika eingetroffen, sie weiß nichts von ihm, so redet jeder von seinem jeweiligen Lebenskreise. Er beschreibt umständlich seine Reise und seine Ankunft und scheut sich auch nicht, seiner Frau in aller Ausführlichkeit über Krankheiten der Missionare, über zahlreiche Fehlgeburten der Frauen zu schreiben, was Emilie in ihrem eigenen depressiven Zustand nicht gerade zu neuem Aufbruch nach Afrika ermutigen konnte. (1.Aug. 1862, G.Chr. an Emilie, Dok 62/11) Zum Schluß heißt es dann: "Auf zum Kampf gegen die Sünde [...] das ist das einzige Übel!"

Sie dagegen schlägt sich körperlich und seelisch mit den Symptomen einer neuen beginnenden Schwangerschaft herum, die sie absolut nicht wahrhaben möchte, obgleich sie schon im Juli eindeutig sein mußte.

<111>

Am 20.Juli war Christaller mit Geschw. Mader und D. Asante mit der "Cleopatra", dem Postdampfschiff, in Christiansborg eingetroffen. Die sommerliche Überfahrt war wesentlich günstiger als die erste schwierige Winterreise (1852: 24.12.1852 Einschiffung in Plymouth, Ankunft in Christiansborg am 25.1.1853; 1862: Ausreise Basel am 19.6.1862, Ankunft in Christiansborg 20.7.1862, vgl. Dok 62/12) Asante war für Akropong vorgesehen, Christaller wurde zwecks Hilfe im Mädcheninstitut in Aburi stationiert, weil er hier mit seinen sprachlichen Arbeiten am ungestörtesten weiterarbeiten könne.

<112>

Während er von seiner Arbeit an Grammatik und Übersetzung der Liturgie schreibt (25.Aug., Dok 62/13), ferner über eine neue Station am Ausfluß des Volta, über Handwerk, Landwirtschaft, Brunnen und Vieh, hat Emilie immer noch keine Nachricht, da eine Postsendung mit dem Untergang eines Schiffes verloren ging.

<113>

Er beschreibt umständlich das Wohnhaus in Aburi und betont, daß seine "hiesigen Umstände" ein Segen für seine innere Ruhe seien. Für ihn ist offenbar die Trennung von seiner Frau nicht so schmerzlich wie für sie. Er rechtfertigt sich, daß er Emilie "um der Neger und Jesu willen" verlassen habe, auch berichtet er von vielen Streitigkeiten unter den Missionaren: "Zimmermann und Mader streiten nach ihrer alten Manir"; er erzählt von Zimmermanns Unzufriedenheit, daß er seine farbige Frau nicht nach Europa mitbringen darf.

<114>

Am 8.Sep. 1862 (Dok 62/14) betont G.Chr., daß er keine Zeit habe, seinen Kindern brieflich etwas von Afrika zu erzählen, Emilie solle das tun, sie wisse ja, wie es bei Land und Leuten aussieht. Er selber gibt zu, daß er seine Frau nicht so schmerzlich vermißt wie sie ihn, daß er aber in der Ehe gelernt hätte, was rechte Liebe ist. Zugleich spricht er davon, wie ein solcher "Liebessinn [...] ohne fleischliche Regungen bei Eheleuten entsteht." Er sei allerdings vom Warten auf seine Frau nicht gerade "heimweh- und sehnsuchtskrank."

<115>

Neben diesen persönlichen Bekenntnissen und einer ausführlichen Beschreibung seiner Wohnung in Aburi spricht er dann auch über seine Arbeit:

Die Pastoralbriefe (z.B. 1.Timotheus) sind besonders schwierig zu übersetzen, weil manche Ausdrücke und ganze Reihen von Ausdrücken darin vorkommen, die entweder schon im Griechischen zu den selteneren gehören oder ohne daß (= ohnedies) schon in Otschi, das so wenig Eigenschaftswörter hat, schwierig auszudrücken sind. [...]

Die tägliche Unterrichtsstunde bei den Mädchen hatte vorigen Monat auch ihr Angreifendes oder Entmuthigendes, weil man die 2 älteren Classen zusammen zu nehmen versucht, aber ich habe nun die 7 ältesten allein (2 St Lesen in den Otschi-Evangelien, 3 St Englisch) u gebe die Stunde gerne, nur darf ich (mich) noch nicht so unmittelbar darauf an das Übersetzen hinsetzen u ich hoffe, nun in das rechte Geleise eingewiesen zu sein, u muß eben nun sachte thun, mit mir selber Geduld haben u andere müssen dann auch mit mir Geduld haben.

Man meint freilich, es sollte das und jenes möglichst bald fertig sein, man sollte da und dort Hebel ansetzen, bessere Grundlagen schaffen usw., man wünschte der Gemeinde, den Erziehungs- und Schulkindern mehr geistige Regsamkeit, Aufmerken, Auffrischung, aber wir vermögen eben den lebendigen Gottesgeist nicht einzuhauchen. (aus Dok 62/14)

<116>

Wie schon immer arbeitet Christaller am liebsten allein in den Schwierigkeiten des Übersetzens, so weigert er sich, sprachlich mit Mader zusammenzuarbeiten (8.-10.Oktober 1862, Dok 62/16) und meint, er kenne und spreche Otschi am besten.

<117>

Endlich am 16.Oktober 1862 (Dok 62/17) erhält Emilie die erste Nachricht von ihrem Mann aus Afrika, auch den verlorenen Brief, der aus dem Schiffbruch der "Cleopatra" gerettet wurde. Nun bricht in Emiliens Antwort die ganze Flut der Sorgen und Ängste aus ihr heraus, die bei ihr längst zu einer schwerwiegenden Psychose geworden sind. Obgleich sie im August schon "etwas wie Kindsbewegungen" spürte, auch inzwischen einen Arzt aufgesucht hat, will und kann sie selbst im Oktober noch nicht an eine Schwangerschaft glauben: "[...] über meinen Zustand bin ich im Ungewissen", oder "Mein Zustand ist mir wirklich ganz rätselhaft". Sie wagt nicht, sich irgendjemandem anzuvertrauen, auch ihrer Mutter nicht, obgleich sie schon auf ihren wachsenden Umfang angesprochen wird. Und dann in der Mitte des Briefes kommt endlich die ganze innere Misere zum Vorschein, die ein Licht auf die ehelichen Beziehungen wirft in Bezug auf Sünde und sogen. fleischliche Lüste, die selbst in der Ehe anscheinend nicht für erlaubt gehalten wurden.

Wäre am 1.Mai nichts vorgekommen, was vorgekommen ist, so könnte ich mit Sicherheit (sagen), ich bin nicht in der Hoffnung, und würde zu einem Arzt gehen, so aber kann ich es nicht. Du sagst wohl, Du bist gewiß nicht in der Hoffnung, aber spürtest Du, wie ich spüre, würdest Du auch zweifeln. Nun über der ganzen Sache ist mir mein verderbtes Wesen nach einer Seite hin recht offenbar worden, auch ist mir das recht eindrücklich, daß wir uns diesen Zustand so wie die Ungewißheit, die mir hauptsächlich sehr peinlich ist, selber gemacht haben, daß die Art unseres Zusammenkommens sehr sündlich war und ist; erst seitdem ich mich über diese Sünden bangen lerne, ist mir meine Lage nicht mehr so schwer, und kann nun dem Herrn alles überlassen und auf seine Barmherzigkeit hoffen. Das aber stehet fest bei mir, sollte der Herr uns wieder zusammenführen, so darf das nicht mehr vorkommen, wir haben miteinander gesündigt, wir wollen uns auch miteinander beugen und unsere Missethat bekennen.

<118>

So schreibt eine Frau, die bereits im 6. Monat schwanger ist, es trotzdem nicht glaubt, weil sie es nicht glauben will. Zum Schluß heißt es dann: "Über meine Umstände sag niemand das Nähere; wir habens nur mit dem Herrn zu tun." Zwischen all diesen persönlichen Ängsten gibt es aber in diesem Brief noch einen anderen Abschnitt, der sehr aufschlußreich ist über das Verhältnis der Weißen zu den Negern oder Mulatten, die immer noch, auch wenn sie Christen geworden sind, als Menschen 2.Klasse angesehen werden, ausgenommen David Asante:

Erzürnt hat mich auch etwas, nämlich daß David (Asante) Anyama aus Mitleid heurathen will. Ich glaube schwerlich, daß David mit einer gewöhnlichen Negerin befriedigt und versehen ist und eine weiße Frau bekommt er nicht. Anyama kann entweder in Europa bleiben oder giebt sie für einen Bruder eine bessere Frau als Frau Zimmermann, Frau Rottmann und die Mulattin Kathrina.

<119>

Es ist schon merkwürdig, welche Verdrängungsprozesse sich bei beiden Eheleuten abspielen, wenn Chr. noch am 2.Nov. 1862, also zwei Monate vor der Geburt des 5. Kindes, auf die "Wiederherstellung der Gesundheit" hofft (Dok 62/18).

<120>

Es ist das Leben dieser ersten Frau Christallers durch sehr viele äußere und innere Schwierigkeiten bestimmt, man findet kaum einmal Perioden, in denen sie wirklich glücklich ist, vielleicht die Verlobungszeit in Afrika ausgenommen. Am 17.Nov. schreibt sie:

Meine Lage will mir oft sehr schwer werden, weil ich so allein stehe; wies bei mir steht, und was ich befürchte, habe ich noch niemand gesagt, weiß und hab auch niemand, ich schaue nur von einem Tag zum andern auf den Herrn. Er hat ja dies alles voraus gewußt und hat mich doch so allein gestellt. [...] Will er mich aber abrufen von dieser Erde, so scheide ich gerne. Mein ganzes Leben ist mir ein Rätsel, aber dort wirds licht werden. Und wie wohl; gönne mirs und traure nicht, arbeite solange es Tag ist, Dir ist ja das Arbeiten beschieden, mir bloß das Leiden. (Dok 62/20)

<121>

Obgleich im Dezember 1862 an der baldigen Geburt eines Kindes nicht mehr zu zweifeln ist, macht Christaller in seinem Brief vom 8.Dez. (Dok 62/22) keine einzige Bemerkung darüber, er spricht vielmehr über seine grammatischen Arbeiten mit Br. Zimmermann und dessen "Klemme" wegen seiner Heimberufung, erläutert Allgemeines über Kindererziehung und die biblischen Geschichten als Anschauungsunterricht, und auf einem gesonderten Zettel vom 10.Dez. (Dok 62/23) kein Wort über Emiliens Zustand:

Meine Theuerste! Damit das Geschriebene nicht durchscheint durch das Couvert nehme ich noch dieses Zettelchen. Ich möchte noch gerne so lange als möglich mich mit Dir unterhalten, aber weiß nicht, welchen Gegenstand noch herausnehmen. Ich kann wirklich sagen, es geht mir gut und hoffe, es wird mir auch ferner gut und noch besser als bisher gehen. Vorigen Monat machte ich nicht an der Übersetzung weiter, und werde so vielleicht den Rest des NT nicht mehr in 1862 fertig bringen, ich habe aber Lust und Freude daran; nur zur Heidenpredigt und zum Verkehr mit den hiesigen Christen ist mir der Mund nicht weit und fröhlich und zuversichtlich aufgethan, ich weiß nicht, fehlts am Glauben oder der Liebe oder Entschlossenheit oder Kraft oder an all dem zusammen mit des Satans Widerstreben. Betet, daß das Wort des Herrn [...] gepriesen werde.

<122>

Erst am 17.Dez. 1862 (Dok 62/24) teilt Emilie ihrem Mann ganz offiziell mit, daß "nächsten Monat Dein 5. Kind das Licht der Welt erblicken wird, der Herr schenkt es uns auf unerklärliche Weise (sag das aber niemand), und wir wollens dankbar hinnehmen."

Dann berichtet sie von eigener und Krankheit der Kinder und daß der Arzt meinte, sie könne eventuell Zwillinge bekommen.

Ich möchte mich oft niederlegen und die Augen schließen, so abgeschlagen und auch gemüthlich ganz abgestumpft bin ich; wie würde mir jetzt eine Umgebung, wie ich sie wünschte, so wohlthun; nun aber stehe ich verlassen, niemand weiß von meinen Nöthen, als der Herr, und ist mir oft, als achte er nicht auf mein Flehen und verberge sein Angesicht vor meinen Thränen, die Tag und Nacht reichlich fließen.

Daß Du den Kindern etwas schickst, ist mir recht, ich kann für nichts sorgen, auch Geld kann ich brauchen, ich hatte am 1.Dez. nur noch 32 f, ich müßte noch Holz kaufen, der Ofen im unteren Logis ist nicht so leicht zu heizen. Doch mußt Du Dir nichts abgehen lassen, ich habe ja die 40 fl eigenes Geld, die werde ich auch über mein Wochenbett aufbrauchen. Bis ersten Jan. kommt eine Luise Burkhartsmaier aus Winnenden auf 2 Monate zu mir, Hr Strubel hat sie besorgt. Das erwartete Kindlein könnte vielleicht der alte Pf Renz taufen, wegen einem Namen weiß ich keinen Wunsch von Dir. Nun leb wohl u sei mit uns Gott befohlen, er kanns nicht bös meinen. Deine Emilie Chr.

(Eine kaum entzifferbare, an Stenographie erinnernde halbe Seite in Christallers Schrift schließt sich am Ende an).

So geht das Jahr 1862 für Christaller in Arbeiten fern von der Familie zu Ende, für seine Frau in tiefster seelischer Not und Einsamkeit.

2.9. 1863 - Emiliens schwere Entscheidung, wieder aufs Missionsfeld zu gehen

<1>

Auch am Anfang des neuen Jahres 1863 hat jeder von den Eheleuten seine Last zu tragen und leidet unter den jeweiligen Verhältnissen. Emilie schenkt am 2.Jan. 1863 dem Sohn Theodor Benoni das Leben, fühlt sich durch das enge Zusammenleben im Elternhaus Ziegler zunehmend bedrängt, da sie sich noch nie gut mit ihrer Mutter verstanden und vertragen hatte.

<2>

Unterdessen schreibt G. Christaller an seine Frau, ohne noch von der Geburt des Kindes zu wissen. Er fühlt sich schuldig an Emiliens Leiden und Schwangerschaft und trägt schwer an der Ungewißheit, die durch die verzögerte postalische Verbindung hervorgerufen wird.

<3>

Am 4.Jan. 1863 (Dok 63/2) erwägt er gar die Möglichkeit ihres Todes und vertraut sich in seiner Not Bruder Heck an, der seinerseits nicht recht versteht, warum Emilie so lange über ihren Zustand geschwiegen habe. Christaller bittet seine Frau in für ihn seltenen Tönen um Verzeihung.

<4>

Auch seine Schwiegereltern Ziegler bittet er in einem langen Brief vom 8.1.1863 (Dok 63/3) um Verzeihung, rollt noch einmal unter viel theologischer Argumentation sein Leben auf. Er beklagt, daß er so wenig vom realen Zusammenleben in Waiblingen weiß und erst nach so langer Zeit Antwort auf viele Fragen bekommen kann. Rückschauend zitiert er aus Emiliens Schreiben vom 17.Nov. 1862:

Will Er mich (d.i. Emilie) abrufen von dieser Erde, so scheide ich gerne; mein ganzes Leben ist mir ein Rätsel, aber dort wird Licht werden; und wie wohl wird mir dort sein. Gönne mirs und traure nicht.

Und sie spricht ihn dann direkt an:

Arbeite, solange es Tag ist, Dir (also Gottlieb) ist ja das Arbeiten beschieden, mir blooß das Leiden, aber der Herr kann nichts versehen.

<5>

Christaller fährt dann im Schreiben nach Waiblingen aber auf seine Weise fort, über sich selbst und seine Probleme zu reden:

Oh, ich meinte auch schon, anderen sei die Arbeit beschieden und mir mehr das Leiden. Aber durch Leiden wird oft mehr erreicht als durch Wirken, das sehen wir an unserem lb Heiland [...]

Echte briefliche Verständigung und Anteilnahme scheint dabei für die Eheleute nun doch recht schwierig geworden zu sein.

<6>

Am 17.1.1863 (Dok 63/4) schreibt Emilie selbst über die Geburt des Jüngsten und macht sich dann Gedanken über die Zukunft des Kindes, zugleich ermahnt sie ihren Mann, sich Basel (d.h. Insp. J osenhans) gegenüber nicht zu ducken. Andererseits ruft dieses Kind in der Frau anscheinend immer neue Gefühle der Schuld hervor auch in der Unsicherheit, ob der Sohn je in Basel werde aufgenommen werden können:

Wir erkennen und bekennen vor Gott unsere Missethat und dürfen uns dem nicht entziehen, was wir uns damit zugezogen. Wir müssen und wollen die Suppe ganz ausessen, uns demüthigen unter die gewaltige Hand Gottes.

<7>

Ende Januar jedoch empfindet Emilie das Neugeborene als einen Segen (29.1.1863 an Gottliebin Merkle. M1,63 GM 1). Allerdings teilt sie erst Ende Februar offiziell die Geburt nach Basel mit, man hat fast den Eindruck, als erwarte sie von dort eine Art Strafgericht, vor dem sie sich rechtfertigen müsse. (Dok 63/8)

<8>

Auch bei Christaller schwingt dieser Unterton mit in einem Brief vom 3.Feb. 1863 (Dok 63/5), in dem er immer noch nichts von der Geburt des Sohnes weiß. Seine Beziehung zur Committee in Basel ist tief gestört, er traut sich weder über sein eigenes Befinden zu schreiben noch auch sonst seine Meinung offen zu sagen über die Übelstände, wie er sie sieht. Als Fazit dieser Überlegungen schreibt er: "Ich habe erfahren, es ist besser in die Hand Gottes fallen als in die Hände der Menschen." Auch die Hoffnung, daß Emilie bald zu ihm nach Afrika kommen könne, ist gering.

<9>

Emilie selbst ist gänzlich unsicher, was sie tun soll, und ist zugleich froh, daß sie nicht selbst die Entscheidung darüber treffen muß, so in einem Brief vom 27.2.1863 an ihre Schwägerin Hanna Rapp (Dok 63/8). Am 8.März schreibt Johanne Rapp aus Frankfurt, sehr um ihren Bruder besorgt, an Emilie nach Waiblingen, daß Bruder Gottlieb gewiß auch recht schwer an der familiären Situation und seiner Einsamkeit getragen habe: "Es ist wirklich sehr hart für ihn, so entfernt von Euch zu sein, und ob Du gleich die Last und Mühe mit den Kindern hast, was, wie ich wohl weiß, keine Kleinigkeit ist, so hast Du doch unendlich viel Beruhigendes für Dich, da Du immer um sie bist und weißt, wie es steht. Sei doch in Deinen Briefen an ihn recht vorsichtig, daß Du nicht zuviel davon schreibst, was Dein Herz beschwert, denn da er ja so gar nichts von Dir hat als Deine Briefe, so bleibt der Eindruck davon gewiß immer in seiner Seele und wird gewiß viel zu seiner gehobenen und gedrückten Stimmung beitragen." (Dok 63/12)

10>

In seiner Einsamkeit ist Christaller sehr begierig darauf, daß Emilie möglichst bald zu ihm nach Afrika kommt und zwar zusammen mit dem Neugeborenen. Da ist seine Frau aber um vieles realistischer, auch setzt sie ihrem Mann ziemlich den Kopf zurecht:

Du schreibst von meinem Kommen mit dem Kind, das wüßte ich aber nicht wie ausführen, durch die Seekrankheit bin ich auf der Reise selber hülflos, wie könnte ich da auch noch ein Kind verpflegen; ich käme elend hinaus und brächte die Arbeit gleich mit; was würde also mein Kommen nützen, Dich gewiß nicht viel, Du hättest bei Nacht Unruhe und bei Tag Abhaltung, also das Werk auch nichts; ich hielte es für unklug zu gehen, bleib Du eben in Gottes Namen so lang Du kannst oder sollst, Du überlegst ein andermal vielleicht mehr und hast dann wenigstens das damit gewonnen. Ein anderes ists, wenn man mir sagt, Du sollst gehen, und dann wird der Herr auch die kleinen Kinder versorgen. Meine Zukunft steht mir so schwer und trüb da, daß ich gar nicht hinaus, nur hinauf sehen kann und seufzen: Ach Gott, erbarme Dich. Wenn jener erste Mai nicht gewesen wäre, wär freilich manches anders, das hab ich in der vergangenen Zeit am schwersten gefühlt, aber der 1.Mai hat nichts Ungeschicktes gehandelt, sondern wir, und darum müssen wir jetzt die Frucht unserer Werke essen. (Dok 63/13 vom 14.März 1863)

<11>

So läßt sich zu Anfang dieses Jahres im Leben der beiden Eheleute nicht viel in Einklang bringen: kontrovers laufen Wünsche, Ängste und Schuldgefühle und auch die noch schwelenden Differenzen mit Basel. Gemeinsam ist beiden allerdings die wachsende Resignation und der Verzicht darauf, sich bessere und glücklichere Tage zu wünschen.

2.9.1. Der große Brief Christallers an die Missionsfreunde

<12>

Zwischen 8. und 10.Apr. verfaßte Christaller einen bis in kleinste Details sehr umfangreichen und wichtigen Brief an die Missionsfreunde in Winnenden, Waiblingen und Gmünd (Dok 63/15), schildert darin im Rückblick die Ereignisse seiner Reise von Waiblingen am 16.Juni 1862 bis nach Christiansborg (Ankunft am 20.Juli).

<13>

Da aus diesen Jahren nach 1861 kaum ein anderes Dokument so aufschlußreich ist wie gerade dieser gründliche Brief, wollen wir ihn fast wörtlich hier einbringen:

2.9.2. Die Seefahrt nach Afrika, Ankunft in Aburi

Am 16.Juni 1862 hatte ich mich von den lb Meinigen in Waiblingen verabschiedet, reiste mit vier Missionsgeschwistern, darunter dem Negerbruder David Asante, am 19. von Basel, am 23. von London und am 24.Juni von Liverpool ab. Daß ich von Paris kaum ein Schnipfelchen, von der Weltausstellung in London nichts gesehen, kümmerte mich nicht.

In London hörte ich am Sonntag Dr. Christlieb in der deutschen Islingtonkirche und abends den berühmten Spurgeon, unter etwa 10.000 Zuhörern, über 1.Thess. 1. Das Beste, was gesagt und gehört werden kann, hat Jeder in seiner Bibel, aber der Geist ists, der da lebendig macht; das war mein Eindruck. O daß wir uns diesem Geiste Gottes recht öffneten und hingäben wie jene ersten Christen!

Auf dem Schiff reisten etwa 25 Kaufleute u 5 Ärzte für Offiziere u deren Untergebene u für Kaufleute in Afrika mit uns; außer Engländern u Schotten auch ein Franzose, ein Italiener, ein Spanier, zwei Portugiesen. Der junge Schiffsarzt u ein Kaufmann, der die Missionare Mann und Maser kannte u wieder nach Lagos ging, waren gläubige Christen. In Sierra Leone predigte ich am 13.Juli in Missionar Knödlers Kirche in Wilberforce vor einer aufmerksamen Negergemeinde in Englisch über Micha 6,8. Auf dem Schiff war es dem Kapitän nicht genehm, uns öffentlichen Sonntagsgottesdienst halten zu lassen. Auf dem Heimweg ging das schöne Schiff mit Verlust mehrer Menschenleben bei der Sherboro Insel zu Grunde. Man sagte, der Kapitän sei in Akra, vielleicht nur eine halbe Stunde zu lange bei Trinkgenossen sitzen geblieben, die Neger wollten ihn deshalb am Abend nicht mehr durch die Brandung auf sein Schiff bringen, das bereits einen Tag zu spät war. Das Einbringenwollen dieser Verspätung hat leichtmöglich den Schiffbruch herbeigeführt, weil er sich, den Weg zu kürzen, zu nahe am Lande hielt. Mehrere der Kaufleute, darunter ein alter, immer betrunkener Kapitän, Sohn eines gläubigen englischen Geistlichen u zwei der Ärzte gingen in den Bonnifluß, wo über 100 Europäer um des Palmölhandels willen auf Schiffen leben, aber wie an anderen Orten der unteren Küste, vom gelben Fieber heimgesucht wurden, das die Mehrzahl von ihnen, wohl drei Vierteile, wegraffte.

Am 20.Juli landeten wir in holländisch Akra u waren eine halbe Stunde später in Christiansborg (oder Osu), wo unsere Geschwister größtenteils in Bretterhütten lebten. Vom Mittagessen wurden wir durch einen Erdstoß aufgeschreckt, ich schlief aber nachts getrost in einem Zimmer, dessen Wände u Decke schon Risse hatten, auf dem Boden. Am 23.Juli war ich an meinem Bestimmungsort Aburi, 8 Stunden von der Küste, wo ich, wie früher drei Jahre in Akropong, wieder bei den lb Geschwistern Mohr bin.

2.9.3. Die Station Aburi

Das hiesige Missionshaus, von Missionar Dieterle erbaut, ist zweistockig; unten ist im Osten mein Zimmer, zum Arbeiten mit meinem Gehilfen, und Schlafen gerade groß genug, (mit je vier Schritten kann ich Länge u Breite des freibleibenden Raumes bequem ausschreiten), dann der Geschwister Mohr Schlafzimmer, Wohnzimmer u Bruder Mohrs Arbeitszimmer, das nun oft auch als Gastzimmer für Durchreisende oder zur Erholung hierher kommender Geschwister von der Basler oder Bremer Mission dient. Oben ist die Wohnung der Geschwister Dieterle, Studier- Schlaf- und Wohnzimmer, und ein Gastzimmer. Um das ganze Haus ist unten u oben noch ein Gang; das Dach ist von Schindeln, natürlich dicker als die unserer Ziegeldächer, doppelt aufgenagelt. In gleicher Linie von Ost nach West, durch einen Zwischenraum (Straße) von 40' getrennt, ist ein von dem früheren Missionar Meischel erbautes Haus mit Erdmauern u 3 kleinen Zimmern, in welchem jetzt 40 Mädchen mit einer eingeborenen Lehrerin wohnen, schlafen u unterrichtet werden.

2.9.4. Das Mädcheninstitut in Aburi

Schwester Mohr hat als Vorsteherin dieser Mädchenanstalt einen entsprechenden u gesegneten Wirkungskreis. Die Mädchen verdienen einen Theil ihres Unterhaltes durch Nähen verschiedener Kleidungsstücke zum Verkauf in der Nähschule nachmittags, auch durch eine Caffee- und Arrowroot Plantage und Zubereitung des Arrowroots. Sie kochen sich selber, bis jetzt unter einem auf Pfosten stehenden Grasdach, waschen natürlich auch ihre Kleider selber jeden Samstag. Diese Mädchen wurden aus 6 verschiedenen Orten des Akuapemlandes zur Erziehung in die Anstalt gebracht, die meisten von ihnen sind noch nicht getauft. Ein Frauenverein in St. Petersburg hat dieser Mädchenanstalt u der in Abokobi seine besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung zugewendet. Außer dem Lehrer für dieselbe u der Lehrerin habe auch ich täglich eine Stunde Unterricht zu geben.

2.9.5. Christallers sprachliche und seelsorgerliche Aufgaben

Meine sonstige Aufgabe ist: Übersetzung der heil. Schrift (ich vollendete zunächst das N(eue) Testament, an welchem noch 9 Briefe fehlten); Übersetzung oder Bearbeitung von Schulbüchern (zwei habe ich in Arbeit), ein Otschi Englisches Wörterbuch u eine Grammatik der Landessprache für die Volksschule, später eine für die Lehrer; sodann Verkündigung des Wortes Gottes unter Christen u Heiden, soweit Zeit u Kraft reicht. Ich habe alle 14 oder 8 Tage eine Predigt oder Kinderlehre in der Kapelle, gehe bisweilen allein oder mit meinem Gehilfen oder mit erwachsenen Gemeindegliedern in benachbarte Dörfer u Plantagendörflein, eine halbe bis zwei Stunden weit. Unsere hiesige Christengemeinde zählte am 31.Dec. 99 Seelen, mit Ausschluß der Missionsgeschwister u ihrer Kinder, aber mit Einschluß von 13 Seelen auf der Außenstation Tutu, 5/4 Stunden von hier, wo seit Sep. ein verheirateter Katechist, einer meiner früheren Schüler in Akropong, angestellt ist.

2.9.6. Das Beispiel einer Taufhandlung

Am 28.Dec. wurden in diesem Dorfe sechs meist junge Männer samt dem Kind des einen von ihnen getauft; zwei junge Männer waren schon vorher Christen, gegen zwanzig weitere sind Taufbewerber. Sie hatten die Erdmauern für eine Kapelle unentgeldlich fast schon ganz aufgeführt. Der sonntägliche Gottesdienst u die Schule wird bis jetzt in dem Hofe der für den Katechisten gemieteten Negerwohnung gehalten. An jenem Tage hatte ich die Predigt über Tit. 3,1-7 wozu ich auch Tit. 2 nahm; unter den Täuflingen war auch der Sklave eines reichen Heiden, der nicht mehr als wöchentlich 2 Tage Arbeit von ihm verlangt u gern den Sonntag durch einen anderen Tag ersetzen ließ. Dieser Sklave, ein schöner junger Mann von Akwam, war von dem Katechisten als der für die Taufe reifste bezeichnet worden.

Bei der Taufe, die Bruder Dieterle vollzog, knieten die 6 Männer nacheinander statt auf dem bloßen Erdboden, dessen Steinchen auch ihrer harten Kniehaut weh gethan hätten, auf einen der für die Kapelle bestimmten hölzernen Läden; das herzige, etwa drei Monate vorher geborene Kind des einen der Täuflinge empfing die Taufe auf meinen Armen mit dem freundlichsten Lächeln; die Zustimmung der noch heidnischen Mutter war erst am gleichen Vormittag erlangt worden.

Nachher hatten die Tutu Christen u die mit uns von Aburi gekommenen eine gemeinschaftliche Mahlzeit; in dem Hofe des ältesten der Neugetauften (zwischen 40 und 50 Jahre alt) hatten sie einige Fufumörser (etwa von der Größe u Form eines Holzspaltblocks mit einer Aushöhlung, in welcher der gesottene Jams zum teigähnlichen Fufu gestoßen wird) aufgestellt, die Türen u Läden für die Kapelle darauf gelegt, u Tücher darüber gebreitet; so gab es eine lange stattliche Tafel, an der 20 Mann oder darüber ihre Mahlzeit hielten. Nach derselben, als auch wir Missionare (Bruder Mohr war mit dabei) sie besuchten, u von ihrem Palmwein kosteten, sangen sie aus voller Kehle noch mehrere christliche Lieder u zwei der Aburi Christen hielten passende Ansprachen an die Neugetauften, denen wohl bald weitere der Taufbewerber nachfolgen werden, vielleicht wenn ihre Kapelle vollends unter Dach ist. Das Land zu letzterer hat merkwürdigerweise ein freundlich gesinnter Fetischpriester der Mission geschenkt, die anderen Fetischmänner in Tutu drohten schon die Schindeln zu dem Kapellendach zu verbrennen oder suchen sonstige Feindschaft u Verfolgung gegen die Christen zu üben. Der Katechist in Tutu schickt vor der Sonntagspredigt dreimal einen mit einer Glocke durch den Ort, die Leute einzuladen; vorgestern, am Ostermontag war ich mit einer Anzahl Aburi Christen nach Asantema (eine Stunde von hier) gekommen; nachdem wir u die Anstaltsmädchen, die mit ihrer Lehrerin auch da waren, gesungen u ich, nachher auch der eine oder andere meiner Begleiter, zu den Leuten auf der Straße geredet hatten, kam von der anderen Seite der Tutu-Katechist mit seiner Schaar, einer mit der klingenden Glocke voraus, wie im Sturmschritt daher; nachdem wir uns begrüßt u wieder gesungen, hielt auch er seine Ansprache, viel besser als ich es gekonnt.

2.9.7. Betrachtungen über die Sprache der Eingeborenen

Die Neger sind geborene Redner; es ist ein wunderbarer Fluß in ihrer Sprache, sie ist ganz auf fließendes Reden angelegt, was selbst ich, wenn ich zu predigen habe, ein wenig innewerde, der ich doch sonst so wenig von einem Redner habe. Man kann z.B. in einem zusammengesetzten Satz auch in der Schrift viel weniger Beistriche (Kommata) verwenden als im Deutschen, weil vieles eng verbunden aneinander gereiht u ineinander gestellt wird, was bei uns in gesonderten Sätzen nebeneinander stehen kann. Über die Schwierigkeiten der Sprache u Übersetzungsarbeit wäre viel zu sagen, wozu aber hier nicht der Platz ist. Sie sind im Grund doch eher zu überwinden als die Schwierigkeiten, die das träge u trotzige, fleischlich u irdisch gesinnte Menschenherz auch bei den Negern der Arbeit des Wortes u Geistes Gottes zur entschiedenen Bekehrung entgegensetzt.

2.9.8. Kontakt zu den Eingeborenen

In Aburi wurden an Weihnachten 7 Personen getauft, seither nur einige Kinder; eine Anzahl Mädchen wünschen getauft zu werden u sind im Unterricht dafür. Von den älteren Christen mußten zwei ausgeschlossen werden, weil der eine sein (noch heidnisches) Weib ohne rechte Ursache entließ, der andere wegen Ehebruchs. Seit einigen Wochen habe ich angefangen, um dem Verlangen der männlichen Christen hier nach Erweiterung ihrer Erkenntnis u ihres Gesichtskreises zu entsprechen, sonntag abends von 5-6 Uhr mit ihnen in der Kapelle zusammenzukommen, wo sie Fragen an mich stellen u ich ihnen zur Erläuterung biblischer Geschichte u Lehre auch aus der Erd-, Natur- und Völkerkunde Mittheilungen mache. Nur ist die dafür noch so ungelenke Sprache immer eine Hemmung.

2.9.9. Christallers Alltag in Aburi, sein Tageslauf im Einzelnen

Mein tägliches Leben im einzelnen, worüber nähere Mittheilung schon gewünscht wurde, bietet nichts Besonderes. Ich stehe gewöhnlich etwa mit der Sonne, also gegen 6 Uhr auf, eher, besonders wenn ich vielleicht schon von zwei Uhr an wach bin, vor ihr. Im Januar blickte ich mehrmals auf mein Thermometerchen u fand im Zimmer 20-22 Grade Reaumur, außerhalb des Zimmers in der frischen Morgenluft, die dem Neger im Januar auch am kältesten dünkt, 3 Grade weniger. Ich sah meinen Thermometer noch nie unter 17 Grad, in Akropong hörte ich, sei der niedrigste Stand schon 14 Grad gewesen. Die Wärme im Zimmer wird auch mittags nicht leicht über 25 Grad gehen, da nach 10 Uhr der kühlende Seewind durchs offene Fenster anfängt zu wehen, der gegen Abend so stark wird, daß er mir die Papiere vom Tisch nimmt, sobald die Thüre aufgeht. Im Freien u in der Sonne steigt die Hitze natürlich höher, auch im Januar. Die Sonne kommt äußerst selten an mein südliches Fenster, wegen der bedeckten Gallerie davor u weil das Haus von Ost nach West gestellt ist. Die Morgenstunde verbringe ich gerne auf der Gallerie hin und her gehend, das Herz zu Gott richtend u etwas zur Erbauung oder für meine Arbeit und Lektionen lesend, weise etwa auch meinen zwei Knaben eine Arbeit zwischen der Morgenandacht, die einer der Lehrer in der Kapelle hält, u der Schulzeit (von 8-11 Uhr) an oder lege selbst ein wenig Hand an, Wege oder Kaffee- und andere Pflanzungen von dem immer wuchernden Unkraut zu befreien u dergl. Um 7 1/2 Uhr ist Frühstück, Kaffee u Jams, der an schwach geröstete Kartoffeln erinnert. Wir lesen dann ein Kapitel in der Bibel u die Losung, u Bruder Mohr u ich beten abwechselnd deutsch, auch für Euch. Von 8-12 Uhr ist Arbeitszeit (für Bruder Mohrs Arbeiter von 7-2 Uhr). Mein Sprachgehilfe kommt, ich arbeite mit ihm in Übersetzung und sonst, wenn ich nicht meine Lektion zu geben habe, die übrigens jetzt auf den Nachmittag verlegt u auf die fähigsten Mädchen, die etwa Lehrerinnen werden können, beschränkt ist. Zwischen 9 und 10 Uhr lasse ich den Gehilfen zu seinem Frühstück gehen (er ist verheiratet, war in Akropong früher auch mein Schüler, hat aber keine gute Gesundheit). Während ich selbständig arbeite oder ins Reine schreibe für den Druck, macht er Vorarbeiten für weitere Übersetzungen oder fertigt Abschriften, die ich den Brüdern in Akropong u Bruder Zimmermann in Odumase mittheile zur Benützung oder Durchsicht und möglichsten Verbesserung. Meine u Bruder Zimmermanns Druckarbeiten sind von uns beiden gegenseitig u von Bruder Widmann, als Censurcommission vor dem Druck zu prüfen u zu begutachten. Da die beiden Sprachen (Tschi u Ga) viel Gemeinsames haben, so dient das zu gegenseitiger Belehrung und Berichtigung. Kaum verstatte ich mir um 10 Uhr eine Pause, um etwas Weniges zu genießen; oft vergesse ichs u neuerdings lasse ichs bleiben, um desto eher Appetit zum Mittagessen zu haben. Der Appetit ist bei vielen Europäern in Afrika oft so, daß man das Essen oft bleiben lassen könnte, wenns nicht sein müßte. Nach dem Essen u Bibellesen spiele ich gerne einige Choräle u leichte Arien auf Bruder Mohrs Harmonium (das er von eigenem Gelde sich anschaffte) oder lege mich aufs Bett u lese etwas leichtes bis 2 Uhr, worauf wieder Arbeitszeit ist bis 5 Uhr, wie vormittags. Um 5 Uhr genieße ich etwas oder auch nicht, sehe nach meinen Knaben, mache mir in der Kaffee-Plantage zu thun oder in den kleinen Gärtchen vor dem Hause (in dem vor meinem Fenster blüht ein Rosenstrauch, von Cape Palmas stammend, diese 8-9 Monate ohne Aufhören, oft mit 50-80 Rosen, nicht so groß und voll wie die größeren Arten daheim) oder am Weg, wo sich von Sierra Leone Gras ein Rasen bilden soll. Wenn ich dann vom Jäten oder Begießen, Hacken oder Ebnen, Steine Entfernen u dergl. in Schweiß bin, wasche ich ihn in dem Waschhäuschen ab u wechsle das nasse Unterleibchen. (Bisweilen wasche ich mich morgens früh oder vor dem Mittagessen mittels eines Badeschwamms und Übergießen von Kopf u Leib.)

Zur Abwechslung gehe ich auch in den Busch spazieren auf dem Weg, der nach Akropong führt, wobei ich mich manchmal an die auf dem Hin- oder Herweg befindlichen Leute mache, oder gehe ich in die Stadt, um mit den Leuten zu reden.

Um 6 1/2 Uhr ist in der Kapelle Bibelstunde oder Betstunde oder Abendschule für Erwachsene; an letzterer betheiligt sich mein Gehilfe mit den zwei Lehrern, ich wäre zu müde. Unser Nachtessen, wieder mit Bibellesen haben wir vor oder nach gedachten Abendstunden. Nachher unterhält man sich oder spiele ich auf dem Harmonium oder lese oder schreibe Briefe; vor Nachtarbeit muß ich mich, wenn ich nicht durch Schlaflosigkeit entgelten will, in Acht nehmen, muß deshalb für meine Briefe leider auch einen Theil der Arbeitszeit verwenden. Habe ich am Sonntag oder in der Weihnachts- oder Charwoche zu predigen, so brauche ich den Tag vorher zur Vorbereitung.

2.9.10. Stationskonferenzen und Tagesordnungen - soziale Aspekte und Fragen der Sklaverei

Auch Stationskonferenzen, Gemeinde- und Privatangelegenheiten, Christen u Heiden, Alte u Junge, nehmen oft Zeit in Anspruch. Kommen Heiden als Besucher, besonders solche, die meist auf entfernten Plantagen wohnen, so benütze ich den Anlaß, ihnen über den Zweck unseres Hierseins den auf sie selbst abzielenden Aufschluß zu geben. Die Stationskonferenzen in Bau- Schul- Anstalts- Gemeinde- Rechnungs- und dergl. Sachen machen neben dem unmittelbaren Zeitaufwand Arbeit durch die zu schreibenden Protokolle u Auszüge, oder Abschriften daraus an die Committee, gewöhnlich zuerst an den Ausschuß der Generalkonferenz, bestehend aus vier Brüdern: dem Präses der jährlich einmal sich versammelnden Generalkonferenz, dem Schulinspektor, dem Generalkassier, dem Architekten.

2.9.11. Suche nach neuen Lebensformen für die Eingeborenen

Für unsere jungen Christengemeinden müssen manche neue Lebensformen sich Bahn brechen; da müssen dann die betreffenden Bestimmungen der ausführlichen Gemeindeordnung für die Basler Missionsgemeinden in Ostindien, auch in die hiesige Landessprache, so ungefüg sie dafür ist, übertragen werden (für Gesetz, Gebot, Befehl, Recht u Satzung, Bestimmung, Verordnung, Anordnung u dergl. würden unsere Gehilfen ein- u. dasselbe Wort brauchen, für Ordnung haben sie gar keines, auch nicht für Reihe, Farbe usw.). Je nach Bedürfnis werden dann diese Bestimmungen der versammelten Gemeinde bekannt gemacht, so z.B. wenn Gemeindeältesten zu wählen sind, eigentlich eher Gemeindehelfer, die mit den Missionaren das Presbyterium bilden. So hatte ich im Auftrag der Generalkonferenz (der ich im August vorigen Jahres in Akropong beiwohnte) eine von christlichen Eheleuten zu unterzeichnende Erbrechtsbestimmung, als Grundlage eines christlichen Erbrechts, in Englisch u Tschi auszuarbeiten u den 6 Stationen unserer Mission in Abschrift mitzutheilen.

Bei den Tschi Stämmen erben nicht die Kinder, sondern der Sohn der ältesten Schwester erbt seines Onkels Weiber und Kinder u alles was er hat, als neues Familienoberhaupt; will die Wittwe wieder zu ihrer Familie gehen, so muß diese sozusagen sie wieder kaufen, hatte aber der Mann sie nicht gekauft, als er sie heiratete, so gehört sie samt ihren Kindern wieder ihrer eigenen Familie. Da bei jenem Ehevertrag doch mehrere mögliche Fälle zu berücksichtigen waren, gab es gleich mehrere (8) Paragraphen, ein württembergisches Landrecht im Kleinen (in nuce).

Es fiel mir bei dieser Arbeit und schon in der Generalkonferenz das Wort ein: 'Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbsch(l)ichter über Euch gesetzt?' Aber dieß gilt doch einem andern Fall, u wir können die bürgerliche Stellung unserer Christen unmöglich von dem heidnischen Recht abhängig bleiben lassen, hat doch Mose dem Volke Gottes auch bürgerliche Gesetze gegeben. Wir müssen ihnen nach und nach zu einer klaren von der englischen u einheimischen Obrigkeit anerkannten rechtlichen Stellung verhelfen. Ein andermal hatte ich einen Vertrag über Loskaufung eines Weibes mit zwei Kindern aus der Sklaverei, ein andermal über Umwandlung eines Pfandverhältnisses in ein Dienstbotenverhältniß auszuarbeiten, in welchen wie in ähnlichen Fällen das Schriftlichmachen für Vieles gut, ja unerläßlich ist, so wenig auch noch eine Negersprache dabei in Anwendung kam. Das Dienstbotenverhältnis ist hierzulande mit Ausnahme der Missionsfamilien, etwas ganz Neues; was nicht mit eigenen Leuten gethan werden kann, wird mit Sklaven oder Pfändern gethan. Wer Geld entlehnen muß, verpfändet kein Land - außer es seien Ölpalmen darauf, von denen dann die Benützung dem Gläubiger zusteht, noch weniger ein Haus, sondern ein Familienglied, das statt des Zinses dienen muß, oft ohne alle Aussicht der Dienstbarkeit loszuwerden; stirbt das Pfand, so verlangt der Gläubiger ein neues. Vor Kurzem ließ ein Weib nicht nach mit Bitten, bis ihr eine Schuld von 18 Thalern, auf deren Zahlung der Schuldherr drang, von einer kleinen Verwilligung für Loskaufung von Sklaven bezahlt wurde, wofür sie ihren etwa 10-jährigen Knaben, der dem Schuldherrn vorher als Pfand gegeben war und nun hätte verkauft werden müssen, uns übergab. Weil die Geschwister Dieterle u Mohr ihn nicht brauchen konnten, ist er nun bei mir, ein anstelliger, hoffnungsgebender Knabe. Seine Mutter gibt ihm das Essen; sie selber ist noch in Dienstbarkeit für eine weitere Schuld von 22 Thalern, ohne Aussicht auf Erledigung, weshalb sie, sehend daß ihr Kind zu guten Leuten gekommen (ich gab ihm zu seinem dünnen Gewand ein zweites auf den Sonntag im Werth von 1 G 20 Kr), bat, man möchte sie lieber vollends kaufen, sie wolle waschen oder irgend sonst Arbeit thun; aber wir hätten, wenn wir auch wollten, das Geld nicht dazu, u solche Fälle würden sich zu Hunderten darbieten. Nahrung hat sie zur Not, woher sie für ihre fadenscheinigen Tücher um den Leib andere bekommt, wenn sie vollends in Fetzen gehen, weiß sie nicht. Dieses Weib hat die doppelte Schuld von ihrem Vater ererbt, einem Mann aus Kwawa, einem Theil des Asante Reiches, der sich in Berekuso, 3 Stunden von hier häuslich machte. In einem von seinem Gegner immer wieder aufgewärmten u anderswo anhängig gemachten Proceß habe er zwar siebenmal recht behalten, sei aber durch die auch von dem gewinnenden Theil für die Freisprechung zu erlegenden Summen in Schulden gekommen u zu bald gestorben. Er hatte von einem Weibe in Berekuso mehrere andere Kinder, da er aber für dieses Weib nicht bezahlt hatte, so nahm ihre Familie nur sie und die Kinder in Anspruch, die Schulden aber warfen sie auf die mit einem Nebenweib erzeugte, in keinem solchen Familienverbande stehende Mutter des jetzt bei mir befindlichen Knaben.

2.9.12. Wirtschaftliche Fragen für die Neger

Es ist unglaublich, wieviele Neger in Schulden stecken, - eine der häufigsten Ausreden gegen das Christenwerden ist: ich habe Schulden, muß deswegen am Sonntag meinem Meister arbeiten usw. In diese Schulden, wenn es nicht Familienschulden von Totenfeiern u Prozessen sind, stürzen sie sich oft auf die leichtsinnigste Weise durch Spielen, durch Huren u Ehebrechen, durch Ehrenkränkung, durch Schwören, daß dieses oder jenes Gericht, ein Häuptling oder König mit seinen Ältesten, oder ein Ortsfetisch u deshalb die ganze Ortsgemeinde einen Privatstreit entscheiden müsse, was auch im besten Fall große Prozeßkosten, für Rum u dergl. verursacht; aber Leidenschaft u Haß machen so blind, daß der eine gerne ein Auge gibt, wenn man seinem Gegner beide nimmt.

2.9.13. Der schwelende Bürgerkrieg und politische Verwicklungen

An den Asanteern u ihrem gefürchteten König haben die unter englischer Schutzherrschaft stehenden Stämme der Goldküste einen immer drohenden Feind, wie die Deutschen an den Franzosen und die Egba, Yornba und verwandte Stämme in Abeokusa an dem abscheulichen Dahome König. Fast alle Jahre heißt es, die Asanteer werden kommen, u seit mehreren Wochen ist die Aufregung u Befürchtung, daß es diesmal Ernst werde, groß u nicht ohne Grund.

Ein Asante Häuptling mit seinen Leuten entzog sich der Oberherrlichkeit seines Königs u floh nach Cape Coast; die Engländer liefern ihn nicht aus, ein nach ihm geschickter Häuptling kehrte auch nicht wieder nach Kumase zurück, u nun ziehe ein dritter mit dem Hauptheer durch das Fanta Land (das in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts dreimal schrecklich von den Asanteern verheert u unterjocht wurde) gegen Cape Coast. (Von den Fantanegern sind durch die Wesleyaner Mission eine schöne Anzahl Christen geworden.) Ein zweites Heer zieht gegen

Soaduru (Soedru), dessen Königin den Asante König um 200 Unzen Goldstaub betrogen habe, und wo auch Agyemang König ist, der vor 25-30 Jahren sich der Asante Herrschaft entzog und zuerst in Akem, nach der den Basler Missionsfreunden wohl erinnerlichen Verbrennung seiner Haupstadt Gyadam aber, erst vor ein paar Jahren, bei seinen Stammesgenossen in Soaduru niederließ. Agyemang, der von Br. Süß u anderen Missionaren öfters Wort Gottes gehört hat, sandte vor ein paar Tagen einen Kopftheil (wahrscheinlich den Kinnbacken, Unterkiefer und untere Kinnlade) von einem Asanteer an den englischen Commandanten in Akra; Agyemang hatte sich von dem verwundet gefangenen Asanteer die Namen der vier gegen ihn gesandten Heerführer und die Zahl ihrer Flinten (7.000) sagen und ihm dann den Kopf abschneiden lassen, um statt eines Briefs den Kinnbacken seinen Botschaftern als Wahrzeichen mitzugeben. Ein drittes Heer, hieß es, solle sich sammeln und bereit halten von Kwawa aus den Wolta herunterzukommen. Es gieng auch das Gerücht, der alte Asante König sei vor Monaten gestorben und die Großen des Reiches wollen nun durch den Krieg Schlachtopfer erhalten (wie der jetzige Dahomakönig für seinen Vater); durch die Nachsendung von Hunderten oder Tausenden von Sklaven in die andere Welt wäre er nicht geehrt genug. Als einer der letzten Asante Könige starb, wurde die Leichenfeier drei Monate jede Woche wiederholt, jedesmal wurden 200 Sklaven geschlachtet und 25 Fäßchen Pulver verschossen. Als während eines der früheren Einfälle der Asanteer in Fanta des Königs Bruder starb, wurden 4.000 Personen, darunter 2.000 gefangene Fanteer über seinem Grabe geschlachtet. (Daß bei dem vor ein paar Monaten erfolgten Tode von unseres Bruders David Asante Stiefvater, der den Königstuhl ausgeschlagen hatte, aber vielleicht doch noch angenommen hätte und deßwegen durch den jetzigen König in Akropong vergiftet worden sein soll, wenigstens drei Sklaven getötet wurden, weiß man so gut als gewiß, so heimlich es geschah.) Wenn der bisherige Asantekönig, der seit seiner Niederlage im September 1826 auf der Ebene wenige Stunden von Akropong seinen Vorsatz, mit den Engländern und ihren Verbündeten Frieden zu halten, treu blieb, wirklich gestorben ist, so ist allerdings die Wahrscheinlichkeit eines Krieges umso größer. Als der Superintendent der Wesleyaner Mission, Herr West, ihn im vorigen Jahr in Kumase besuchte, empfieng er ihn mit möglichster Entfaltung aller seiner Macht und Herrlichkeit. Zum Schluß des ein paar Stunden lang sechs Mann hoch vorbeimarschierenden Kriegsheeres kam ein ganzer Trupp Leute, denen, wegen geringer Diebstähle oder anderer Vergehen, Ohren oder Nasen oder Lippen abgeschnitten waren. Herrn Wests Schilderung, (die ich aus seinem eigenen Munde hörte) wie ein zum Tode bestimmter Mörder von seinen Henkern von Morgens 9 Uhr bis Abends mißhandelt und herumgeführt wurde und wie ihn Herr West um drei Uhr sah, war so schauerlich, daß ich sie besser nicht wiederhole. Den Schlachtopfern ein Messer durch beide Wangen stecken, daß sie dem König nicht mehr fluchen können, ist immer das erste was geschieht, und nur der Anfang. Wo die Asanteer im Krieg sich hinwenden, ist nach erfolglosen Kämpfen der Männer für Weiber und Kinder schon vorher kein Rat als zu fliehen; es wird nichts anderes von ihnen erwartet als Kopf abschneiden. Die Akuapemer wissen zu erzählen von dem Jammer und den Drangsalen ihres Volks in früherer Zeit, den weinenden Kindern der Kopf am nächsten Baume zerschmettert, der Besitzer eines krähenden Hahns getödtet wurde, weil diese Leute den suchenden Feinden ihren Versteck im Busch verraten konnten. Wie das Volk in Masse vor dem Feind floh, bald bis an den unteren Wolta, wo sie wenigstens Wasser hatten, aber nicht bleiben konnten, sondern zurück mußten der Küste entlang bis ins Fanteland, wobei 'die Menschenkinder verbrannten wie Gras', d.h. dahinstarben wie das Gras der Küststensteppe in der trockenen Jahreszeit verbrannt wird; (dieses Feuer, mitunter von der Länge einer halben Wegstunde, sehen wir auch hier in Aburi, wo der Busch die Aussicht auf die Küsteneben gestattet. Sollte sich der Krieg wirklich auch auf unser Missionsgebiet wälzen (wir hoffen aber Besseres), so wäre das eine schwerere Heimsuchung als das Erdbeben, dessen Stöße sich je und je wiederholen, erst kürzlich traf ein ziemlich heftiger mit bedenklichen Kriegsnachrichten zusammen zur Erinnerung an Matth 24.

2.9.14. Die Missionare und ihre Einstellung zur dortigen Politik

Ich habe aber unter uns Missionsgeschwistern noch keine eigentliche Furcht wahrgenommen, so wenig, daß z.B. Schwester M. und mir das Fernesein der Besorgnisse im Herzen verdächtig sein wollte. Wenn ich oben den Ausdruck 'Heimsuchung' brauchte, so meine ich nicht, daß etwa besondere Missionssünden bei uns heimzusuchen wären, nicht einmal wie die nach dem Heidenboten vom Juni (vgl. Juli) 1862 zu vermutenden; wir sind wohl, nach jenem Wort des Heilands, 'unnütze Knechte' u mehr als das, wir sind Sünder; aber der Herr kennt uns u wir sind Sein; sondern ich meinte eine allgemeine Heimsuchung dieser Länder theils zum Gericht, theils und noch mehr zur Gnade; an beidem hätten wir mit Antheil, sind für das erstere nicht zu gut u nach dem letzteren verlangend. Unsere neueste Nachricht (9.April) lautet, der Asante König habe König Ata in Akem (Kyebi) und durch ihn an König Kwadade in Akuapem (Akropong) entbieten lassen, er habe es nicht mit ihnen, sondern nur mit König Agyemang zu thun, weil Asanteer, welche er auf Befehl des englischen Governors ausliefern mußte, zuvor durch Einschnitte aus dem oberen Backen, wie die Donko Sklaven (aus dem theilweise muhamedanischen Inneren Afrikas) haben, beschimpft habe. Man wollte darin aber auch eine List der Asanteer wittern, und wenn es Agyemang gilt, gilt es seinen Verbündeten mit. Mit Ata schloß er Frieden. Jedenfalls ist es gut, auf den lebendigen Gott zu vertrauen, sich und Andere Ihm anzubefehlen und auf alles innerlich gefaßt machen zu lassen und zur rechten Zeit auch äußerlich bereit zu sein. Aber in Europa, in Deutschland, Württemberg nicht minder. Wir haben in unserer Heimat nicht erst seit 1826, sondern seit 1815 Frieden gehabt.

Dieser Tage sagte mir ein Missionar der Bremer Gesellschaft, 1852 mit mir ausgesandt und gegenwärtig mit Frau zur Erholung hier: dem vor ein paar Jahren verstorbenen Pfarrer Vonbrunn (von Brunn?) in Basel habe ein frommer Mann die Revolution im Jahre 1848 vorausgesagt, und als sie richtig so eingetroffen war, habe er gesagt: das sei noch nichts gegen das, was i. J. 1863 kommen werde. Der Herr kann nach seiner Güte und Langmuth auch verzeihen, schon Beschlossenes noch zurückhalten; aber: 'Wachet! Betet! Seid bereit!' mahnt er für alle Zeiten, und wir Alle fühlen, solltens fühlen, wie noth das thut zu unserer Zeit, wie es aber auch gilt zu wirken, solange es Tag ist, weil eine Nacht kommt, da Niemand wirken kann.

2.9.15. Briefliche Schlußformeln

Damit will ich grüßen u schließen u verspreche Euch nicht so bald wieder einen Brief, weil ich Zeit u Kraft für meine Arbeit brauche u sie so thun möchte, daß mir der Abschied davon in der einen oder anderen Weise erleichtert ist. Was wir Missionare hier außen nöthig haben, wie Ihr, durch ernstes, gläubiges Gebet unsere besten Mitarbeiter sein könnet, wisset Ihr genugsam.

Daß die Neger u andere Heiden heutigen Tags der Hilfe bedürfen, so sehr oder mehr, als unsere heidnischen Voreltern, werdet Ihr glauben; ebenso daß der Befehl: 'Gehet hin in alle Welt!' 'Lehret, machet zu Jüngern alle Völker' noch in Kraft ist. Daß die Basler Missionare nicht nach China, Indien, Afrika fliegen u nicht im Busch schlafen können, es sei denn ausnahmsweise, auch nicht von der Luft allein leben, ist klar. Der Arbeiter ist auch seiner Speise werth, u Lohn suchen u erhalten wir ja keinen, außer dem freilich überschwenglichen Gnadenlohn vom Herrn.

Daß unsere u Eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn, das habt Ihr Winnender an ein paar Negern mit Augen gesehen; daß auch meine geringe u mir selber viel zu langsame schriftliche Arbeit nicht vergeblich, sondern eine nothwendige u nützliche ist, sehe, weiß und glaube ich. Und selig sind die nicht sehen und doch glauben, die glauben an Jesu Erlösungswerk für alle Welt u alle Creatur, so sehr auch die Macht u das Elend der Sünde u des Verderbtseins der Erde vor Augen liegt, die ihre Mitbrüder und Mitsünder auf dem Herzen tragen, die im Glauben bitten, im Glauben lieben, mit der That u Wahrheit, die in Trübsal geduldig, in lebendiger Hoffnung fröhlich sind. Ihnen wird geschehen nach ihrem Glauben; sie werden einst schauen u sich freuen ohne Aufhören mit unaussprechlicher u verherrlichter Freude. Zu dieser Freude bringe uns der treue Herr und Heiland, der gute Hirte.

<14>

Und den Abschluß dieses großen Berichtes bildete die Aufforderung, für die Mission in der Heimat die entsprechende Opferbereitschaft zu mobilisieren. Summarisch betrachtet ragt dieses Schreiben aus der ganzen Briefsammlung der untersuchten Archive heraus, weil hier ein sehr weitgezogener Horizont des Lebens an der Goldküste aufgedeckt wird.

<15>

Seinem üblicherweise an das Kommittee in Basel zu sendenden Vierteljahresbericht (ausgehandelt auf der Stat. Conf. vom 27.März 1863 über die drei ersten Monate von 1863) wollte Christaller zunächst eine Beilage mitgeben zur näheren Erläuterung seiner nicht so recht zufriedenstellenden Situation in Aburi. Da hierbei aber sehr stark auch die Ehefrau Emilie mit ihren Entscheidungen betroffen war, hatte sich Christaller zunächst an Emilie direkt gewandt, um ihre Meinung und wohl auch ihre Entscheidung einzuholen (vom 10.Mai 1863 Dok 63/19).

Der Tenor der o. a. Beilage ist folgender:

  • neben der Spracharbeit habe er zu wenig Kraft für die sonstige Missionsarbeit,

  • die Darstellung des afrikanischen Sprachgebäudes für die Missionare sei fast so nötig wie die Erbauuung europäischer Wohnhäuser, Kirchen und Schulhäuser,

  • nach seiner zwischenzeitlichen Heimkehr könne ein drittes länger dauerndes Herauskommen aufs Missionsfeld denkbar sein,

  • wenn einheimische Sprachgehilfen verfügbar wären, könne er sich intensiver auf die Bibelübersetzung werfen,

  • wenn Ehefrau Emilie um ihn sei, wäre ihm eher ein freier und reger Verkehr mit den Eingeborenen möglich,

  • Haustochter Anyama oder auch den kleinen Theodor könne Emilie dann mitbringen.

<16>

Aber Christaller hatte auf diesen Wunsch, daß Emilie das Kind mitbringe, eigentlich schon zuvor verzichtet, was doch eine gewisse Unklarheit seiner Überlegungen beweisen kann, er ist jedoch voll überzeugt, daß ihr Kommen nach Afrika richtig wäre (7.Mai 1863, Dok 63/17).

<17>

Es versteht sich, daß Emilie außerordentlich zu leiden hatte in dieser ganzen schier unlösbaren Misere, von den Kindern wegzugehen, und wieder tun sich bei ihr tiefe Depressionen kund. Man muß sich vorstellen, wie einer Frau zumute ist, die am 8.Juni Insp. Josenhans zu verstehen gibt, daß sie bereit ist, wieder mit ihrem Mann in Afrika zu arbeiten: "Wenn mein Mann in Afrika noch länger dienen und nützen kann, möchte ich es nicht hindern, und wenn Sie seine Leistungen für der Mühe wert halten, mich auch noch nach Afrika zu schicken, dann bin ich bereit zu gehen." (Henninger aaO S.24.) Dazu muß sie dann ihren Haushalt auflösen, gleichzeitig die älteren Kinder nach Basel geben, Ernst zu ihren Eltern und "ihren kostbaren Theodor" der Schwägerin Gottliebin Merkle überlassen.

<18>

Wie sehr Christaller seine Frau trotz des drohenden Asante-Krieges herbeiwünscht, geht aus seinem Brief vom 10.Mai 1863 (Dok 63/19) hervor:

Es ist mir nun bereits so, daß ich Dein Kommen wünsche, und das macht mich fast mißtrauisch gegen meine eigenen Gedanken; auf der andern Seite ist es jedoch natürlich und wenn Du kommen sollst und hast Dich nur erst mit dem Gedanken vertraut gemacht, so wird Dir das Verlangen, in Deine Heimat zu kommen (d.h. wohl zu ihm), auch die Trennung von den lb Kleinen, denen Du so viele Mühe doch mit Freude zuwendetest, erleichtern, wie es bei Frau Mohr der Fall war.

<19>

Und dann heißt es weiter ziemlich selbstbewußt: "Ohne Dich bin ich kein freier Mann, kein ganzer Mann, so you are my better half." Denn Gott habe sie ihm zur Gehülfin gegeben und dafür würden sie beide bis zum herrlichen Ende dankbar sein. Das von ihm hier vorgestellte Programm könne als Fingerzeig Gottes zu betrachten sein.

<20>

Anscheinend hatte G. Christaller bei seinem Begehren, Emilie wieder in Afrika bei sich zu haben, vor allem auch den Wünschen und Empfehlungen seiner afrikanischen Missionarskollegen weitgehend nachgegeben. Emilie ist nicht nur wegen der Kinder im inneren Zwiespalt, wieder nach Afrika zu gehen. Einerseits schreibt sie am 16.Juni 1863 (Dok 63/25) an ihren Mann: "Ich gehe gerne wieder nach Afrika und gerne wieder zu meinem geliebten Mann, das wirst Du mir doch zutrauen, wenn es sonst niemand thut."

<21>

Später geht sie aber im gleichen Brief schwer mit ihm ins Gericht wegen seiner ewigen Streitereien mit der Committee und Josenhans: "Ein tiefer Schmerz erfüllt mich über dieser Geschichte, und ich bin nahe daran, Dir auch wie Deine Vorgesetzten mein Vertrauen zu entziehen. [...] Es thut mir weh, sehr weh, daß ich so schreiben muß. Und in dieser Beziehung wird es mir schwer werden, zu Dir zu gehen." Und sie unterschreibt mit "Dein betrübtes Weib Emilie".

<22>

Doch am 26.Juni 1863 teilt sie dann dem Kommittee in Basel offiziell ihre Bereitschaft mit, die Reise nach Afrika anzutreten und die Kinder nach Basel zu schicken, zugleich bittet sie um die Verwilligung einer kleinen Summe für notwendige Anschaffungen vor der Ausreise. (Dok 63/26) Die nächsten Schritte der zeitweisen Auflösung der Familie Christaller vollziehen sich nun zwangsläufig. Aber nicht nur Persönliches wird in diesen Briefen verhandelt, ehe Emilie im Oktober in Bremen ist und auf die Ausreise wartet.

<23>

Am 8.Juli 1863 (Dok 63/27) findet Christaller, daß "unsere Zustände beklagenswert sind und die Kirche in mehr als einer Beziehung ihrer Aufgabe nicht genügt. Es muß wieder mehr Rührigkeit in den religiösen Zeitfragen kommen." Solche Aussagen wundern einen eher aus dem Munde eines Mannes, der in späteren Jahren zu dieser "Rührigkeit" und zu den Zeitfragen ein so konservatives Verhältnis zeigt (siehe den Briefwechsel mit seinem ältesten Sohn).

<24>

Im Juli hat Emilie immer noch Hoffnung, sie könne ihren Theodor mit nach Afrika nehmen, ein Ansinnen, das aber von Basel ganz entschieden abgelehnt wird. Zunächst gingen Gottreich und Paul am 15.9. nach Basel, am 17.9. Theodor nach Gmünd und Ernst zu den Großeltern nach Waiblingen. Tochter Martha nahm Emilie selbst mit sich zu ihrer Kur in Bad Boll, was sie anderen Kurorten oder Bädern vorgezogen hatte, so fiel ihr zunächst der große Umbruch leichter, da sie noch das Töchterchen bei sich hatte. Bei Pfarrer Blumhardt war sie dann vor allem auch seelisch bestens betreut; sie versucht, so durch die "ganze Geschichte" zu kommen, die oft zentnerschwer auf ihr liege (so am 3.10.1863 an ihren Bruder Julius Ziegler, M3). Am 26.Oktober 1863 schreibt sie schließlich aus Bremen in erschütternder Weise nach Waiblingen über den Abschied von ihren Kindern in Basel:

Der Abschied von den Kindern war ein sehr schwerer. Paul verstand es nicht recht, er lag schon im Bett, und wollte immer haben, ich solle bleiben, bis er schlafe. Gottreich weinte eine Weile mit mir, dann faßte er sich und sagte 'adieu Mama' und ging zur Thüre, unter derselben drehte er sich wieder und sagte: 'Komm heraus, Mamma, mußt nich in dem finstern Zimmer bleiben', ich ging hinter ihm drein, er lief nach seinem Schlafsaal, aber immer sich nach mir umsehend, er gieng zur Thüre hinein und machte sie zu; ich dachte, einmal muß geschieden sein, und gieng dann einsam in stiller Nacht in großem Schmerz meinen Weg; die gute Martha weinte sehr und sprach kein Wort.

Eine Riesenthat habe ich gethan, in der Kraft des Herrn Herrn (sic!), bei großer eigener Schwachheit; einen geliebten Mann und 5 theure Kindlein herzugeben, steht in keines Menschen Kraft. Hier stehe ich nun allein, aber nicht gebeugt: ein reicher Herr ist es, dem ich gegeben, was mir lieb und theuer ist und seine Verheißungen sind auch mir Ja und Amen. (Dok 63/46)

<25>

Auch in diesem Jahr 1863 ist deutlich zu erkennen, daß im Leben beider Partner die Zwiespältigkeiten kein Ende nehmen. Wer kann schon das Leid ermessen, das die Trennung von den Kindern verursachte, auch wenn Emilie in den Monaten vor ihrer Abreise oft genug in ihrer Erziehung fast scheitern mußte. Es ist kein Wunder, daß gerade der älteste Sohn ihr darin den meisten Kummer machte, ein Kind, das mit Inbrunst an seinem Vater gehangen hatte und nun mit allem, was auf ihn zukommt, anscheinend so gar nicht fertig wird. Er will anscheinend nicht gern in die Schule gehen, und er stehe jeden Morgen mit Weinen auf, eine seelische Notlage, mit der die Mutter in ihrem eigenen Kummer gar nicht fertig wird, und wobei der Vater nur die Ratschläge hat, der Sohn möge fleißig beten (24.Aug. 1863, Dok 63/34).

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Man kann sich nur wundern, wieviel eine Frau aushält und ertragen kann, und man kann sich auf der anderen Seite kaum noch über ihren frühen Tod wundern, wenn man einen Menschen so bis an die Grenze des Erträglichen wandern sieht. Das traurigste und bewegendste Dokument dafür war wohl der Brief an ihre Schwägerin Gottliebe Merkle vom 16.Sep. 1863 (Dok 63/39):

Liebe Gottliebe! Du erhältst nun morgen, so der Herr will, meinen kostbaren Theodor, daß Du Dich 'unaussprechlich' darauf freust, thut mir unaussprechlich wohl und meinem großen Schmerz. Gestern giengen Gottreich und Paul nach Basel, morgen mein Allerbester (scil. Ernst) und am Samstag ich mit Martha; eine merkwürdige Woche! Ach!

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hre einzige Zuflucht ist die Religion, die ihr das alles tragen helfen soll. So ganz am Rande klingt auch etwas von einem gewissen Stolz an, wenn Emilie an G. Merkle über ihren Mann vermerkt (G.M. hatte Emiliens Worte vom 30.Oktober aus Bremen am 1.11. zitiert): "Die letzten Briefe von Afrika rühmen einstimmig: Br. Christaller arbeitet drauf los, er schafft wie ein Mann, seine Arbeiten und Leistungen sind unersetzlich usw." (M1,63 GM 3) Mit solchen Bemerkungen möchte sie sich dann wohl selbst den notwendigen Mut machen für ihre weitere afrikanische Zukunft.

<28>

Noch Ende Oktober wartete die Basler Reisegesellschaft in Bremen auf das Auslaufen des Schiffes, Emilie schreibt am 5.Nov. aus Bremerhaven (Dok 63/47) nach Waiblingen und begleitet mit Fortsetzung ihres Briefes die nächsten Tage bis zum 9.Nov., als dann das Schiff endgültig ausläuft. Der letzte Gruß im Brief lautet:

Ach, Ihr Lieben, alle, lebet wohl, droben in der ewigen Heimath sehen wir uns gewiß wieder, wenn wir den Weg dahin nicht scheuen; Er ist eine Kreuzesgestalt, das habe ich in reichem Maaß erfahren, aber ein wunderbar segensreicher Weg, ich möchte ihn um das höchste Weltglück nicht vertauschen. (Dok 63/47)

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Es scheint, daß Emilie sich allmählich mit ihrem Schicksal abgefunden hat und wieder nach vorne zu schauen vermag. Daß sie erst nach 84 Tagen am 1.Feb. 1864 in Christiansborg ankommen würden, damit hatte allerdings kein Passagier rechnen können.

2.9.16. 1864 - Herbe Wochen der Trennung

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Der Januar 1864 war für die Christallers ein rechter Sorgenmonat, denn die Eheleute wußten überhaupt nichts mehr voneinander, auch von den Kindern fast nichts; einerseits war Emilie auf der "Volta", einem Segelschiff, die vielen Wochen unterwegs und hatte unter Seekrankheit, Einsamkeit und Sehnsucht sehr zu leiden. Sie führte eine Art briefliches Reisetagebuch (Dok 64/2 Brief an G. Merkle), das vom 16.-31.Jan. sehr anschaulich die damalige winterliche Seereise illustriert, zugleich aber auch den inneren Zusammenhalt der mitreisenden Glaubensgenossen während dieser z.T. sehr stürmischen und anstrengenden Seefahrt zu demonstrieren vermag. Über die letzten Tage ihrer Reise vom 1.-8.Feb. hatte sie dann erst an Land in Aburi noch eine Fortsetzung geschrieben.

<31>

G. Christaller seinerseits reiste in diesen Wochen etwas ruhelos mehrfach von Aburi an den Schiffslandeplatz bei Christiansborg und zurück, war aber durchaus in der Lage, auch die Unruhe der Wartezeit mit seinen sprachlichen Arbeiten zu überbrücken.

<32>

Sein Schreiben vom 11.Jan. 1864 aus Christiansborg an Gottliebin Merkle (Dok 64/1) zeigt zugleich, daß er nach Briefen aus der Heimat förmlich lechzt. Er ist dankbar für jegliche Nachricht über das Wohlergehen seiner Kinder, und in einiger Nervosität stellt er sich die Reisedauer der verschiedenen Schiffe nach Westafrika vor, die er miteinander vergleicht.

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Aber mutlos war er überhaupt nicht, denn sein intensives Gottvertrauen hielt ihn stets aufrecht, zumal seine Gesundheit in diesen Wochen außerordentlich stabil war. Er erwähnt, daß er noch bis zum 16.Dez. in Aburi vollauf beschäftigt gewesen sei; Bruder David Asante war auf 14 Tage von Akropong gekommen u hatte ihm in seinen sprachlichen Arbeiten geholfen. Doch die Gerüchte über die winterliche Reise der "Volta" und eine etwaige Gefährdung ihrer Passagiere beunruhigten die meisten der in Christiansborg wartenden Missionsfreunde.

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Weihnachten habe er in Englisch über die große Freude Lukas 2 gepredigt, er habe für die Wartezeit auch Arbeit mitgenommen, bereite zunächst die Evangelien für den Druck einer zweiten Auflage des NT vor, auch sonst könne er sich hier zu tun machen und den hiesigen Aufenthalt benutzen. Aber diese Wartezeiten seien doch nicht das Schwerste, was man in der Missionslaufbahn durchzumachen habe. Das eine Mal werde mehr die Geduld geübt, ein andermal mehr der Glaube, dann wieder die Liebe geprüft, meist aber gehe es in- und miteinander. Seine Zufriedenheit im Glauben kleidet G. Christaller dann in folgende Worte:

"Wir haben hier im Heidenlande auch ferner keine lieblichen oder dem Fleische angenehmen Tage, beneidenswerte Lagen oder vergnügliche Zustände zu gewarten, aber ich verspreche mir desto mehr Gewinn davon, daß wir unsere Kümmernisse und Mühen uns gegenseitig erleichtern und sie gemeinsam und eines fürs andere auf den Herrn werfen und dagegen aus Seiner Gnaden- und Liebesfülle uns erquicken lassen. Das Schreiben war uns in der Tat ein armseliger, sehr ungenügender Behelf. Und ich fühle dies in diesem Augenblick auch Dir gegenüber. Es ist eben alles Irdische ungenügend, unvollkommen u Stückwerk." (an die Schwester G. Merkle vom 11.1.1864, Dok 64/1.)

<35>

Das im Dokumentenanhang ungekürzt wiedergegebene Schiffsreise-Tagebuch der Emilie, in dem sie ihre Gefühle und Tätigkeiten während der Überfahrt schildert, wurde dann vom Ehemann noch ergänzt (Dok 64/2), der, wie zumeist, ein paar Zeilen an die Freunde zuhause anfügt; er bekundet seinen Dank für die gnädige Führung Gottes, die zeitweisen Trübungen des Gemüts schienen nun, nachdem er seine Emilie wieder hatte, völlig vergessen.

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Einen zweiten rückschauenden Bericht über ihre Seereise fertigte Emilie dann am 8.Feb. 1864 in Aburi an, um ihren Angehörigen Einzelheiten mitzuteilen. (Dok 64/3) Auch diese Aufzeichnung ist wegen ihrer Genauigkeit wörtlich im Dokumentenhang zu finden.

2.9.17. Das Christaller-Ehepaar ist wieder vereint

2.9.17.1. Kritische Anschauungen über die Basler Mission und Nachrichten über die Kinder

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Gottlieb Christallers Arbeitseifer wurde durch die Gegenwart seiner Gattin neu angespornt, und er widmete sich sogleich der Ordnung seiner familiären Obliegenheiten. So schrieb er am 9.Feb. 1864 aus Aburi eine tiefempfundene Dankadresse an die Erziehungs-Commission in Basel (Dok 64/4):

<38>

Beide Ehepartner seien sehr froh, ihre fünf Kinder so gut betreut zu wissen, die beiden jüngsten in der Verwandtschaft und die drei ältesten in der Missionskinderheimat in Basel, wo wohlmeinende und verständnisvolle Pflegeeltern sich um das Wohlergehen der Kleinen so sehr kümmern. Auch die Frage des Kostgeldes für den Jüngsten Beni bei Merkles in Gmünd möchte er in die Reihe bringen (vgl. Brief vom 9.März Dok 64/6).

<39>

Es sei den Eltern ein wohltuender Gedanke, daß stattdessen, was sie beide neben irgendeinem Lebensberuf an ihren Kindern tun können, Pflegeeltern da seien, die, wenn auch für eine größere Anzahl zugleich, doch sich ganz den Kindern widmen, und daß für Einheit der Erziehung und des Unterrichts auf dem allein heilbringenden Grunde so gut gesorgt sei, ferner, daß so viele teure Kinder Gottes der beiden Kinderhäuser fürbittend gedächten, und daß die Commission in ganz besonderer und eingehender Weise den Kindern ihre liebende und herzlich wohlwollende Sorgfalt zuwendete: "Wir wissen, das geschieht um des Herrn Jesu willen; darum ruht auch sein Segen darauf; er ruht auf dem, was gethan wird und auf denen, die es thun", so schließt dieses Schreiben nach Basel.

<40>

Constantia Scholtz, die Pflegemutter im Mädchenhaus, berichtet regelmäßig alle vier Wochen an Emilie Christaller vom Wohlergehen der Tochter Martha ,  [10] , es scheint sich hier eine gewisse Freundschaft der beiden Frauen angebahnt zu haben. Berichte der Hauseltern Meuret aus dem Knabenhaus liegen im Archiv nicht vor, dürften aber wohl in gleicher Weise und in ähnlichen Worten an die Briefempfänger gegangen sein. Auch finden sich manche Bemerkungen über die Knaben in den Briefen der C. Scholtz.

<41>

Für die jeweiligen Pflegekräfte muß diese Art der elternlosen Betreuung der zahlreichen Kinder im Missionshaus eine z.T. sehr schwierige und aufopferungsvolle Arbeit gewesen sein. Daß natürlich den von ihren Eltern getrennten Kindern hier viele Entbehrungen auferlegt waren und vor allem auch die notwendige Nestwärme weitgehend fehlte, war bei der zahlreichen Belegung in beiden Häusern kaum zu umgehen. So erhalten die Eltern Christaller immer wieder befriedigende Nachrichten aus Basel, auch aus Gmünd, wo der kleine Benoni untergekommen ist, aber von ihrem Liebling Ernst erfährt Emilie aus Waiblingen viel zu wenig, die dortigen Großeltern nahmen es mit pünktlichen Nachrichten nicht ganz so genau. Manchesmal findet Emilie auch Worte der Klage über Postarmut und überhaupt über mangelnde Kontakte nach Europa hinüber. Briefstellen wie die folgende (vom 7.März 1864, Dok 64/5) sind in der Korrespondenz häufig (an Eltern und Geschwister):

<42>

Es ist ihr erster größerer Brief seit ihrer Ankunft; sie berichtet über dortige Wohnverhältnisse und Arbeitsgegebenheiten in Aburi, erzählt auch von den Nachrichten über die 5 Kinder. (G.Chr. in seinem Schlußabsatz spricht fast nur von amtlichen Angelegenheiten):

Euren (Brief) vom Jan. erhielten wir den 23.Febr. u freuten uns herzlich über die Nachricht von unserem lb Ernst; es ist mir merkwürdig, daß ich oft von ihm, von den anderen aber nie, oder sehr selten, träume. Kennt er wohl unsere Bilder noch? Lehrets ihn auch, daß Papa u Mama in Afrika ist; das gute Kind, ach, bin ich froh, daß er Euch so lieb hat u Ihr ihn und somit es nicht fehlt, daß er nicht daheim ist.

Von Gmünd erhielten wir gottlob auch recht erfreuliche Nachrichten; der Herr vergelte Euch in reichem Maße, was Ihr an unseren Kindern thut, nach innen und außen, wie Ihrs bedürfet. [...] Ihr werdet wohl gegenwärtig in Sorge sein, weil die Post vom Febr. meine Ankunft in Afrika Euch noch nicht anzeigen konnte; ich denke, in Basel u Bremen wird man auch sehr besorgt sein; nun, in 8 Tagen werden sie u Ihr mit uns dem Herrn danken, daß er wohl an uns gethan hat.

Ich bin recht gern hier in Aburi, wir sind zwar sehr eng logiert, haben nur ein kleines Zimmer miteinander, u das noch eine geraume Zeit, es wird jetzt noch ein Haus hier gebaut, das wir bewohnen dürfen, wenns fertig ist. Das Bauen geht aber hier zu Land sehr langsam, es kommt bis 2 Jahre zu stehen; doch werden wir später noch ein weiteres Zimmer zu unserem einen bekommen, da dann Gottlieb ein eigenes Arbeitszimmer haben kann, was nöthig ist, da er oft mit einem Gehülfen arbeitet, oder Leute zu ihm kommen, im letzteren Fall muß dann je nach Umständen entweder ich das Feld räumen oder er mit den Leuten, weils zu eng ist. Eine eigene Haushaltung führe ich nicht, weil ich keinen Platz hätte, wir gehen, wie seit seinem Hiersein Gottlieb, nun beide zu Mohrs in die Kost, was freilich nicht immer angenehm ist, aber doch auch viel Gutes hat, ich schicke mich wenigstens recht gerne drein.

Was hast Du denn zu thun? wirst Du, lb Mutter, fragen, u dem lb Vater werden auch Gedanken von zuviel Bequemlichkeit u drgl. aufsteigen, deswegen will ich gleich an diesem Kapitel weiter machen.

Es ist hier eine Mädchen Anstalt, die 60 Kinder zählt, Fr Mohr ist ihre Hausmutter u eine eingeborene Lehrerin wohnt bei den Kindern im Anstaltsgebäude, das in der Nähe unseres Hauses ist; vormittags haben die Kinder in der Schule von einem eingeborenen Lehrer Unterricht in den gewöhnlichen Fächern, die in unseren Volksschulen daheim auch vorkommen u 3 mal in der Woche gibt Gottlieb auch Lektion. Nachmittags ist Nähschule, in welcher ich einheimisch geworden bin, da haben Fr Mohr, ich u die Lehrerin vollauf zu thun. Fürs erste werden die Kleider für die Kinder gemacht, auch dergl. Bedürfnisse, die von den Geschwistern auf den anderen Stationen bestellt werden, oder verfertigen wir Kleidchen zum Verkauf für die Kinder der Eingeborenen, was dann, der Erlös nämlich, der Anstalt zugute kommt. In der Regel brauchen wir den Vormittag auch dazu, die Kleider, Hosen u dgl zuzuschneidern u unter Futter zu bringen, weil man mittags immer mit den Kindern zu thun hat, man muß ihnen alles, den kleineren auch schmale Säumchen u jeden Stich, den sie zu machen haben, zu Faden schlagen; die Größeren, welche schon etwas können, haben 4 oder 5 Kleinere neben sich, die sie neben ihrer eigenen Arbeit zu bedienen haben, u nur bei Hauptsachen zu uns kommen lassen dürfen. Ihr könnt Euch denken, daß ich da noch mit einer besonderen Schwierigkeit zu kämpfen habe, weil ich die Kinder u sie mich noch nicht recht verstehen; da kommt zB eine her zu mir u sagt, sei so gut u gieb mir eine Arbeit, ich gebe ihr einen Faden, damit entdeckt sie, daß ich sie nicht verstanden, u lacht, u die anderen mit; oder ich bücke (? oder bügle?) der Rahel einen Saum, und wenn ich fertig bin, geb ich die Arbeit der Ernestine, weil ich die schwarzen Gesichter noch nicht gleich auseinander kann, dann entsteht wieder allgemeine Heiterkeit, wie ich mir dann von Fr Mohr sagen lasse, was ich gethan, dann sagen sie: Sehet sie lernt! und mit dieser Sache gehts täglich besser, weil ich durch die Schule immer Veranlassung zum Lernen habe.

Abends gehen wir gewöhnlich ein halbe Stunde spazieren, dann ist Nachtessen und der Tag zu Ende. Die großen Bohnen, welche ich mitnahm von Dir, lb Mutter, habe ich gesteckt; sie stehen nun recht schön, und jedes freut u wundert sich über die großen Blätter; heut hatten wir starken Regen, der aber lang auf sich warten ließ, alles war dürr u die Quelle versiegte fast.

Die Briefpartie über die eigenen fünf Kinder ist im Anhang wiedergegeben (Dok 64/5).

<43>

Im Schreiben der Eheleute vom 9.März 1864 aus Aburi (Dok 64/6) an Gottliebe fällt ganz gegen die Gewohnheit der Hauptteil dem Vater Christaller zu, der interessante Details über Schicksale einzelner Neger bringt, die dort herrschende Sklaverei erwähnt und von gewissen Spannungen zwischen Christen und Negern spricht. Er fügt noch einen persönlich gehaltenen Nachsatz an: "Wir sind seit unserer Wiedervereinigung recht glücklich miteinander und finden keine Ursache über die Vergangenheit zu klagen, wohl aber zu danken."

<44>

Hauswirtschaftliche Fragen oder Bemerkungen und Gedanken über die Erziehung der fernen Kinder durchziehen die Korrespondenz der nächsten Wochen, C. Scholtz schreibt stets regelmäßig und schildert Marthas Fortschritte. Geringfügig sind ab und zu auch Fragen über die Entwicklung in Waiblingen darunter, natürlich wieder versteckt die Frage, warum so selten von Ernst berichtet wird.

<45>

Außergewöhnlich will der Schwiegervater Ziegler von Christaller das theologische Verhältnis von Ahnung und Glauben erläutert hören; doch der Schwiegersohn scheint zufrieden, daß er sich um die Beantwortung drücken kann mit der Entschuldigung, es sei zunächst vordringlich, die revidierten Evangelien abzuschicken. (G. Christallers Antwort vom 8.4.1864, Dok 64/7) Allerdings hat man hier ein wenig den Eindruck, daß derlei theoretische Überlegungen seinen so ganz auf direkte Praxis zugeschnittenen Gedanken nur im Wege seien. Auch, so heißt es in einem Nebenabschnitt, sei er froh, daß Emilie mit Briefschreiben für ihn einstehen könne zumal zu einem Zeitpunkt, in dem er mit neuen Arbeiten am Vierteljahresbericht nach Basel in Anspruch genommen sei.

<46>

Daß Christaller im beginnenden Sommermonat daran denken muß, sich für sein dortiges Auftreten eine schwarze Sonntagskleidung, Rock und Hosen von schwarzem Doppel-Lüstre (d.i. glänzender Stoff), die Westen von sonst einem schwarzen Wollen Zeug in Waiblingen für passend anfertigen zu lassen und dies über einen heimatlichen Schneider erledigt wissen will, mutet uns aus heutiger Sicht fast wie eine Groteske an (Emilie an Eltern und Geschwister aus Aburi vom 7.5.1864, Dok 64/8).

<47>

Immer wieder klagt Emilie über Postmangel, von Ernst gebe es kaum neue Nachrichten, und dies beschwerte ihr Gemüt in besonderer Weise. Im Anfang habe sie sich mit dem Gedanken getröstet, der Herr werde ihr bald wieder ein Kindlein schenken, aber bis jetzt habe sie keine Hoffnung. Doch der Herr wisse ja am besten, was ihr gut und heilsam sei. Er werde es wohl machen. Am liebsten wäre es ihr, wenn Ernst nach Gmünd zu Merkles überwechseln könne, aber die Großeltern waren von solcher Lösung gewiß nicht begeistert.

<48>

Probleme der Kindererziehung durchziehen vor allem die Korrespondenz zwischen Emilie und Constantia Scholtz: Tochter Martha sei ein kleines liebes Schmeichelkind, vor dessen Liebenswürdigkeiten und dem süßen Lächeln man doch auf der Hut sein müsse, um sich nicht davon bestechen zu lassen (C. Scholtz an Emilie vom 18.5.1864). Das liest sich sehr locker und leicht, ist aber wohl symptomatisch für die Erziehungsgepflogenheiten bei der Basler Mission. Das Erziehungsziel im Kinderhaus ist anscheinend mehr auf Strenge ausgerichtet, wobei Gemütskräfte in den Kindern weniger leicht geweckt werden sollten.

<49>

Ein besonders klar registrierender Brief Christallers geht am 8.Juni an die Eltern Ziegler nach Waiblingen (Dok 64/10). Zunächst schildert er Emiliens körperliches Befinden, auch spricht er detailliert von seinen Übersetzungsarbeiten und von seinen Verwaltungsaufgaben: Emilie sei bis jetzt gesund geblieben und er habe die Zuversicht, sie werde es auch ferner sein, "da unsere Station (Aburi) gesund ist und in ihrem ganzen körperlichen und geistigen Wesen nichts ist, das zu Fieber und Krankheiten leicht Anlaß gibt, wie bei jungen vollblütigen oder lebhaften oder leicht erregbaren Personen. Auch liegt nicht zuviel Arbeit oder sonstige Unruhe auf ihr, und andererseits fehlt es nie an Arbeit und an sonstigem Sach. [...]"

<50>

Dann erwähnt er im gleichen Brief noch seine literarischen Aufgaben: die 2.Auflage der revidierten Evangelien, die in 204 Paragraphen verfaßte Gemeindeordnung, ferner Teile der Liturgie und die Fortsetzung der Psalmenübersetzung. Bruder Asante sei ihm dabei behilflich. Er sei dadurch ziemlich mitgenommen, habe auch ein rheumatisches Kopfweh bekommen, das bei zuviel Arbeit oder zuviel Störungen derselben leicht wiederkehre. Insgesamt habe er sechs verschiedene Bereiche zu bearbeiten: diese wichtige Auflistung wird hier im Textteil wörtlich gegeben:

  1. Die Revision unseres Gesangbuches, das ganz vergriffen ist und dessen 196 Nummern eine Anzahl weiterer Lieder, der Litanei aus unserer Liturgie und das Konfirmationsbüchlein beigegeben werden sollen,

  2. die Fortsetzung der Revision des NT, zunächst Apg und Römerbrief, für eine 2.Auflage,

  3. die Übersetzung der Psalmen und Sprüche, die zum Druck kommen sollten, ehe der nicht so dringliche, weil noch in 1.Auflage vorhandene Rest des NT revidiert ist,

  4. die Vollendung der Gemeindeordnung, welche von der Committee gewünscht (freilich nicht zunächst von mir verlangt) wird, damit sie den Gemeinden publiziert werden kann,

  5. die Vollendung der Übersetzung unserer Liturgie, welche wir, wie auch die Gemeindeordnung, gemeinsam haben mit den Basler Missionsgemeinden in Indien. Sie enthält außer den Sonn- und Festtagsgebeten und dergl. die Tauf-, Konfirmations-, Abendmahls-, Trauungs-, Begräbnis- und Ordinationshandlungen. Diese Handlungen kamen zwar bisher auch vor, aber z.T. ist eben eine deutlichere und verständlichere Fassung sehr erwünscht,

  6. eine Sprachlehre für die Volksschule (und danach eine größere für die Lehrer und Europäer); zunächst ist sie deswegen nöthig, daß die Eingeborenen ihre Sprache gleichmäßig und nach richtigen Grundsätzen schreiben lernen.

<51>

Es sei, fährt er fort, eben so bei einer Sprache, die nicht von lange her geschrieben wurde, daß es längere Zeit gehe, bis alles zur vollen Klarheit und richtigen Darstellung gebracht werde. Er habe nun genugsame Klarheit, aber bis dann alles recht geordnet, zu Papier geordnet, zu Papier gebracht und mit passenden Beispielen belegt ist, brauche es Mühe und Zeit.

<52>

Ein privater Nachsatz schließt auch dieses Schreiben: er selbst sei froh, daß seine liebe Emilie ihm immer die Mehrzahl der zu schreibenden Privatbriefe abnehme - er habe ja noch seine amtlichen. Zwar wünsche er sich Briefe aus der Heimat, sei aber zufrieden, wenn er keine zu schreiben hätte.

<53>

Daß die Missionarsfrauen sich gegenseitig immer wieder sehr viel helfen, vor allem in den "Stunden der Angst", wenn ein Kindbett bevorsteht, zieht sich wie ein roter Faden durch eine ganze Reihe von Schreiben, die im Archiv vorliegen. Dabei muß man allerdings beachten, daß die Missionsfrauen für einen solchen Hebammen-Dienst gewiß nicht vorbereitet waren, genauso wie jegliche medizinische Hilfe für erkrankte Europäer nur ganz von laienhaften Erkenntnissen her gegeben werden konnte, weswegen die Sterblichkeitsrate gerade an der klimatisch so anstrengenden Goldküste ungemein hoch war. Die häufige Einnahme von Chinin hatte natürlich auf die Schwangerschaften eine negative Auswirkung, ohne daß die Frauen von diesen Zusammenhängen etwas wußten. Die gebündelten Namenslisten im Basler Archiv sprechen dabei eine erschreckende Sprache und könnten die Frage der Verantwortlichkeit der Missionsgesellschaft in ein völlig anderes Licht rücken als nur die Bemerkung, daß die Hingabe an die Sache und der Wille des Heilands allein maßgebend seien für das Leben und Sterben der opferwilligen Mitglieder der Mission. Alleine von der "Sterbefreudigkeit" zu schreiben, um im jenseitigen Reich mit dem Herrn Jesu endgültig verbunden zu sein, genügt dem späten Betrachter wirklich nicht.

<54>

Ungewöhnlich kritische Töne enthält Emiliens Schreiben an G. Merkle vom 5.Juli 1864 aus Aburi (Dok 64/12). Daß Emilie schon jetzt in solchem Umfang an der Organisation der Missionsgesellschaft rüttelt, ist neu, vor allem auch was deren Finanzen betrifft. Daß aber ihre Gottergebenheit grenzenlos ist, beweist dies Schreiben im besonderen.

<55>

Es war auch zu einer leichten Mißstimmung zwischen Gottliebin und Bertha Ziegler gekommen; nun wirbt Emilie um Verständnis für ihre noch unerfahrene jüngere Schwester. Aber auch noch am 7.Dez. 1864 sagt sie: "Ich weiß nicht warum, aber ich habe immer ein "bang" für Bertha; möge der treue Gott sich nicht zurückziehen von ihr." (Emilie an G. Merkle, Dok 64/22.)

<56>

Von einer Ortsveränderung nach Kyebi berichtet Emilie laut Schreiben vom 9.Juli 1864 aus Aburi (an Eltern und Geschwister, Dok 64/13). Die Versetzung dorthin sei für G. Christallers Arbeiten wichtig geworden. Dazu klagt sie wieder über mangelnde Nachrichten von Sohn Ernst, überhaupt scheint der gegenseitige Kontakt zwischen Aburi und Waiblingen auch weiterhin nicht besonders zügig zu laufen. Sie berichtet auch von den neuesten Ereignissen, soweit sie ihre Kinder betreffen.

<57>

Vom Kinderhaus in Basel meldete sich am 19.Juli 1864 C. Scholtz (Dok 64/14) mit der Nachricht, daß die süße Martha beständig wohl sei und viel Liebe von den Missionsfreunden erfahre. Der Herr helfe, daß sie dem Kind nicht schade (als ob Liebe denn schaden könnte!). Aber es heißt in einem Bericht der Commission (Dok 64/15):

Nun wird unsern Kindern so viel Liebes und Freundliches von den Besuchenden gesagt und erwiesen, daß ihr armes schwaches Herz es nicht ertragen kann. [...] vollständig lassen sich die Folgen gar nicht einmal auslöschen.

Auch hier kann man Bedenken haben ob der strengen Erziehung durch die Hausmutter, vor allem da es doch Kinder betrifft, die so unendlich viel an Liebe und Geborgenheit entbehren müssen.

<58>

Zuversichtlich lautet aber Emiliens Antwort an die Hausmutter in Basel. Sie vertraut ihr völlig, wenn sie am 6.Aug. schreibt:

Solang des Schiffleins Ruder noch in meiner Hand war, hatte ich mehrere mal seine Richtung zu bestimmen, dann als sichs um meine Abreise nach Afrika handelte, fand Martha verschiedene Liebhaber, aber hauptsächlich dieses Umstandes wegen hielt ichs am gerechtesten, mein Kleinod in Deine Hand niederzulegen, denn Dich hat der Herr dazu berufen, ihm diese Kindlein zu erziehen, und darum wird er Dir auch in jedem speziellen Fall die nöthige Weisheit und Liebe schenken. Der Herr lasse Dich bei Deinem Liebeswerk reichlich seine Durchhilfe erfahren u erquicke Dich mit reichem Segen. (Dok 64/17)

<59>

Pfarrer Meuret vom Knabenhaus in Basel spricht sich sehr detailliert über die Erziehungsgrundätze der Mission aus (so am 10.Oktober 1864):

Es ist allerdings nicht unbegründet, daß alle Anstaltskinder nicht ebenso wie etwa die Kinder einer weniger bemittelten Familie, an den Sorgen der Eltern für die notwendigsten täglichen Bedürfnisse immer Anteil nehmen und daß sie so des in diesen Sorgen liegenden Spornes und Antriebes zur größeren Anstrengung der Kräfte entbehren.

<60>

Die folgenden Anweisungen seien dabei zu beachten: Die Erziehung zur Selbständigkeit sei in der Entwicklung des Charakters nicht so günstig wie in der Familie. Die Unterwerfung unter die Hausordnung sei selbstverständlich. Ein besonderer Mangel sei: die Kinder könnten eitel, hochmütig und begehrlich werden, wenn ihnen von den Missionsfreunden viel Liebe erwiesen werde, und so veranlasse sie dies bisweilen zu der Meinung, als seien sie etwas ganz besonderes."Wir möchten sie zur wirklichen Demut, nicht bloß zur Bescheidenheit erziehen." Dabei kann man als später Betrachter auch etwas anderer Meinung sein.

<61>

Daß bereits 1864 der Name der Schwester Bertha Ziegler häufiger in der Korrespondenz erscheint, läßt den Leser aufhorchen, denn diese Bertha wird ja später die zweite Ehefrau von J.G. Christaller werden. Am 31.Juli ist von ihrem Wankelmut die Rede, aber es werde ihr gut sein, daß ihr Kopf auch in mancher Beziehung gebrochen werden müsse, wie die Mutter Ziegler an G. Merkle scheibt. (31.7.1864, Dok 64/16)

<62>

Emilie scheint zufrieden zu sein, wenn sie erst im Dezember nach Kyebi beordert werden sollten, wie dortige Mitbrüder den Christallers empfehlen. Sie will lieber mit ihrem Mann für eine Woche nach Akropong gehen, gibt aber in ihrem Brief an Gottliebe vom 6.Aug. zu erkennen, daß sie von dem allgemeinen Klatsch der dortigen Brüder und Schwestern sehr wenig hält (Dok 64/18).

<63>

Daß sie auch keinesfalls den Gedanken hegt, auf sehr lange Dauer im Missionfeld zu bleiben, bekundet ihr Brief an die Eltern und Geschwister vom 10.Aug. 1864 (Dok 64/19), in dem sie der Mutter Ziegler nahelegt, sich um das Mobiliar der Christallers, das in Waiblingen untergestellt ist, sorgsam zu kümmern, es sei möglich, daß die Sachen für die Rückkehr der Christallers liegen bleiben, was Emilie das liebste wäre. Daß sie selbst in Aburi unter der Kälte leide, zeugt davon, daß in der Regenzeit 1864 ihre Gesundheit bereits ziemlich geschädigt war. Aber das Leben in der Mission sei ja ein ernster Verleugnungsweg, wie es in einem um Emilie sehr besorgten Schreiben der C. Scholtz vom 18.Aug. heißt (M3,64 Sch).

<64>

Über die Sorgen als Mutter ihrer fünf Kinder kommt Emilie nur sehr schwer hinweg, so erwähnt sie am 8.Sep. 1864 voller Dank ihrer Mutter gegenüber, daß es sie herzlich freue, daß die Mutter sich entschlossen habe, regelmäßig von dem lb kostbaren Ernst zu schreiben."Euch wehe thun wollte ich nicht, als ich von Weggeben des Kindes (an Merkles) sprach oder schrieb, ich dachte nur, Ihr habet vielleicht nicht so überlegt, ehe Ihr das Kind aufnahmt, daß es eben doch viel Mühe und Arbeit macht, wozu dann natürlich auch das uns Nachrichtgeben gehört, denn es ist und bleibt ja unser Kind; und wir sind besorgt um unsere Kinder jetzt, als da wir sie noch bei uns hatten." (M3,64 Em)

<65>

Mittlerweile sind die Christallers immer wieder in Gedanken auf dem Sprung nach Kyebi, doch in der Regenzeit ist der Umzug nicht so einfach, wie G. Christaller am 10.Oktober aus Aburi schreibt. Es wäre ihnen schon recht, bälder ein eigenes Hauswesen zu haben, worauf Emilie sich freue, da sie dort eine freiere Wirksamkeit mit passender Abwechslung in Aussicht habe. Sie sei aber geduldig und bereit, auch noch etwas zu warten. (G.Chr. an die Eltern, Dok 64/20.) In einem anderen Brief (vom 8.Nov. 1864, Emilie an G. Merkle aus Aburi, aus M3,64 Em) heißt es dann:

Deine Beschreibung von unseres lb Theodors Fröhlichkeit u Wohlsein hat uns höchlichst gefreut u ergötzt, auch daß er jetzt anfängt zu spechen, er ist nun bald zwei Jahre alt, ist also spät daran. Gottreich lernte es auch so spät, sprach aber dann alles deutlich aus, so wird(s) der kleine Schelm auch machen. Daß Du eine Untugend und die anderen mit Sorge überwachst, dafür danken wir Dir aus vollem Herzen. Wie wohl thut es uns, dieser Sorgsamkeit gewiß zu sein.

Wie es mit unserer Reise nach Kyebi gehen wird, ist noch ungewiß; es ist nämlich von Akropong aus ein Vorschlag an die Committee gegangen, betr. unsere Versetzung dorthin, wenn Widmanns heimgehen. Letzterer wünscht (und die anderen mit), daß Gottlieb dann seine Stelle als Seelsorger der Gemeinde übernimmt; nun wollen wir sehen, was der Herr thut. Merkwürdig ist mir nur, daß Mader, der vorher so wichtig hatte, daß Gottlieb in Aburi bleiben soll, sich nun versieht, daß er nach Akropong kommen soll. Die nächste Post wird wohl entscheiden, u dann gehen wir anfangs oder Mitte Dezember. Gehts aber Akropong zu, dann ists möglich, daß wir noch ein Jahr hier bleiben müssen, was uns nicht gefallen würde. Es ist nun bald ein Jahr, daß wir wie der Vogel auf dem Zweig sind, was für uns beide Schweres hat.

Und sie fährt fort:

Gottlieb hat hier nicht die nötige Ruhe u Stille für seine Arbeiten, die ihn deswegen umso mehr anstrengen, und mir wird ein Maiblümle blühen u dann so ein enges Stüble u keine eigene Haushaltung. Weißt, ich schreib Dir das nicht, um zu klagen, sondern daß Du Dich bei der Fürbitte orientieren kannst. (Das Maiblümle möcht ich Dich bitten zu verschweigen bis es blüht, nicht wahr? auch vor den Vertrauensleuten.)

<66>

So wurde wieder einmal Gottliebin ins persönliche Vertrauen gezogen, Emilie tröstet sich mit dem in Aussicht stehenden sechsten Kind und möchte wieder neues Zutrauen in den mannigfachen Dunkelheiten ihres Daseins finden. Auch zeigen sich in diesem Herbst wieder stark depressive Phasen bei ihr, wenn sie über den Tod einer Frau nachdenkt, daß diese nun auch zum Herrn eingegangen sei:

Eine reife Garbe nach der anderen wird eingeheimst, vielleicht bald kommts auch an uns; ich kann mich oft darauf freuen, manchmal ist mir aber auch bange, wenn ich an den großen Gerichtstag denke, ob ich auch ganz u gewiß einen Bürgen für meine Schulden haben werde, aber die Verheißungen Gottes machen mirs immer wieder gewiß. (vom 8.11.1864 in M 3,64 Em, oder auch am 9.11.1864 an die Eltern Ziegler aus Aburi, Dok 64/21)

<67>

Sie blicke zurück auf das erste Jahr des neuen Aufenthaltes an der Goldküste. Der Gedanke an das Sterben sitze bei ihr sehr tief, doch verbinde sie diesen Weg mit der tiefen Überzeugung, daß der Wille Gottes oberstes Gebot sei. Irdischer Erwerb zähle dann nicht mehr vor Gottes Gerechtigkeit.

<68>

Im Dezember macht sich Emilie verstärkt Gedanken, wie es mit ihren beiden jüngsten Buben weitergehen solle (an Mutter Ziegler in Waiblingen vom 5.12.1864 aus Aburi - M3,64, Em 15). Sie erwägt, auch diese beiden ins Missionshaus zu verlegen. Ernst scheine mit anderen Kindern unverträglich zu sein. Wenn er die soziale Anpassung erst im Missionshaus lernen müsse, dann habe er es schwer, denn dort herrsche mehr Strenge als Liebe. ("Das behaltet aber für Euch!") Besser wäre es, ihn zunächst nach Gmünd zu tun, dort könne er sich mit seinem Bruder Beni befreunden, könne bei Merkles Verträglichkeit und Sinn für Gesellschaft lernen, um dann erst, wenn Beni auch vier Jahre alt geworden ist, nach Basel geschickt zu werden. Seine dortigen Geschwister kenne er ja überhaupt nicht.

Von Basel hören wir nur Gutes, Gottreich lernt ordentlich und ist ein gewandter und fleißiger Turner; Paul spricht mal von seinen Eltern und Geschwistern, spielt gern mit Bauhölzchen und hat Geschick und Phantasie dafür, er spricht gern mit sich selber und mit den Hölzchen und sagt oft zu Pflegevater und Mutter: Ich habe Dich lieb. Das gute Kind, wie froh bin ich darüber.

<69>

Mit einem recht hilflosen und depressiven Schreiben der Pflegemutter C. Scholtz vom Basler Mädchenhaus schließt das für 1864 vorhandene Material der Archive (an Emilie vom 17.12.1864, Dok 64/23): Frl. Scholtz wird sehr stark angegriffen, sucht dabei seelische Hilfen von außen. Die Menschen seien eben vor den Augen anders als hinter dem Rücken. Alle seien Lügner, sie selbst schließe sich dabei nicht aus. Sie möchte von Emilie gerne erfahren, von wem die üblen Nachreden gegen ihre Tätigkeit ausgingen. Es könne ihr nicht gleichgültig sein, was eine Denunziantin den Eltern, deren Kinder C. Scholtz pflegt und erzieht, über das Mädchenhaus sagt. Sie möchte einen Wink erhalten, von wo aus solche Verleumdungen ihren Ausgang haben.

<70>

Man sieht bei der Rückschau auf dieses Jahr 1864, daß sich für die Christallers viele verschiedene Strömungen kreuzen: die äußeren Verhältnisse, das Ringen nach innerer Gelassenheit, die Sorgen um die eigene Gesundheit und die Sorgen um das ferne Basler Missionshaus und die zwei jüngsten Kinder. Vom ganz persönlichen Verhältnis der beiden Eheleute untereinander kann man kaum irgendwelche Erkenntnisse herausschälen. Bei derlei schwierigen Gegebenheiten scheint das eigentliche Hauptwerk der sprachlichen Arbeit darunter fast zu verschwinden.

2.9.18. 1865 - Von Aburi nach Kyebi

2.9.18.1. Neue Erwartungen

<71>

Das Jahr 1865 beginnt mit einem gewissen Mißklang. G. Christaller wollte eine kleine Reise machen, weil er recht abgearbeitet war, doch eine Krankheit Emiliens kam dazwischen, ein schmerzhafter Anfall von "Dissenterie" (an Eltern vom 10.1.1865, Dok 65/1). Bislang hatten sie noch keine eigene Haushaltsführung und wohnten zunächst etwas beengt bei Mohrs.

<72>

Emiliens Bruder, der Mediziner Julius Ziegler (sein Schreiben vom 2.2.1865, Dok 65/2) setzt sich kritisch mit Emiliens religiöser Gewißheit auseinander: wenn diese echt wäre, dürfe sie doch als Christin nicht über Mangel an Wohnplatz klagen. Aber solche kritisierende Äußerungen über die Geschwister sind in der Familie Ziegler ziemlich an der Tagesordnung. Die Harmonie unter den neun Geschwistern scheint nicht die allerbeste gewesen zu sein.

<73>

Klagebriefe stets ähnlicher Prägung schreibt allmonatlich mit ihrem Bericht über Marthas Vorwärtskommen die Basler Hausmutter des Mädchenhauses Constantia Scholtz; sie wird mit der ihr gestellten Aufgabe anscheinend auf Dauer nicht fertig (so am 18.Feb. (Dok 65/4), am 18.März (Dok 65/7), am 19.Mai (M3,65 Sch) und 19.Juni (Dok 65/11). Aber sie ist durchaus bereit, auch an sich selbst und ihrem "törichten und ängstlichen Wesen" Kritik anzulegen. Dabei klagt sie immer wieder über das grenzenlose Zerstörungswerk der Sünde in unserer Welt. Aber alle Demütigungen und Trübsale dienten den Menschen trotzdem zum Heil.

<74>

Der Briefverkehr fördert aber auch andere und erhebende Emotionen zutage, so z.B. der Brief der Marie Ziegler, Schwägerin über Julius, aus Tübingen an G. Merkle in Gmünd vom 5.3.1865, der beweist, daß Marie herzlichen Anteil am Geschehen der Afrikaner und der dortigen Mission nimmt. Wie die Basler Mission von Außenstehenden damals angesehen wurde, zeigt dieses für die damalige Situation typische Schreiben, das im Anhang (Dok 65/5) in vollem Wortlaut abgedruckt ist.

2.9.18.2. Auf dem neuen Standort Kyebi

<75>

Ende März 1865 erfolgt der Umzug von Aburi nach Kyebi. Emilie hatte Anfang April eine Fehlgeburt infolge der Anstrengungen, wie G.Chr. am 2.Mai 1865 (Dok 65/9) an seine Schwester schreibt. Seine Frau braucht lange, um sich davon zu erholen, da es in Kyebi sehr heiß ist. Im gleichen Brief schreibt Chr. vom eigenen Unvermögen und vor allem von den "erschreckenden und prüfungsvollen Umständen und Verhältnissen", unter denen sie zu leben haben. Die Einwohner von Kyebi seien noch träger als anderswo und daher sei auch die Versorgung mit Lebensmitteln schlecht.

<76>

Aus diesem Schreiben (Dok 65/9) sei hier eine große Partie wörtlich zitiert, da sie genauesten Einblick geben kann in die neuen Verhältnisse in Kyebi:

Ich sitze an meinem Schreibpult, durch mein Fenster links, nach Süden, sehe ich über die Gallerie weg ein Stück Grasplatz; u einzelne Leute auf dem Fußweg über demselben von der Stadt zu unseren beiden Missionshäusern, eine halbe Ackerlänge entfernt den Busch mit allerlei Gesträuch u Bäumen, zwischen denen man einen niedrigen Berg dicht u dunkel mit Wald bewachsen sieht. Über den an meinen Schreibtisch angestoßenen Tisch, an dem sonst ein Gehilfe sitzt, sehe ich über der Gallerie und einen im vorigen Monat angelegten Garten weg einen Streifen hohes Gras, wildes Zuckerrohr, das trotz des theilweise süßen Namens zu nichts dient. Gaißen fressen es selten, es sieht aus wie ein Schilfsdikicht u ist schwer auszurotten; gleich dahinter, kaum eine halbe Ackerlänge von unserem Haus, ist wieder die Grenze unseres Missionslandes u deshalb der Busch, so dicht, daß man nicht zwischen durch sieht.

Auf der Nordseite des Hauses sieht man zwischen den Gipfeln der Bäume etwas höhere Berge als die auf der Südseite. Durch meine offene Türe rechts sehe ich in unseren Hofraum, unsere Nebengebäude (Waschhäuschen, Mädchenkammern, Vorratskammern, Küche, Knabenkammer, Gaißenstall, alles mit Erdmauern unter einem Dach) entlang. Jenseits des Zauns steht unser kleines Schulhaus, das auch als Kapelle dient, es haben höchstens 50-60 Personen darin Platz. Die Stimme des Lehrers hallt zu mir herüber. Zunächst im Hofe waschen unsere beiden Mädchen, wie regelmäßig am Dienstag in jenem Waschhäuschen, neben dem auch der Abtritt ist, wasche ich mich selber; eine 7-stufige Treppe führt auf dieser Seite des Hauses in den Hof hinab; so hoch ist also hier der Boden unserer Wohnung über der Erde.

An mein Arbeitszimmer stößt das Schlafzimmer (mit zwei Kleiderkasten, Waschtisch, Weißzeugkästchen u eine Türe auf die südliche Gallerie), an dieses das Wohnzimmer mit Türen auf die nördliche u südliche Gallerie u dann ist noch ein 4. Zimmer im Osten für einen ledigen Bruder bestimmt, jetzt nur mit der Stationsbibliothek u einer leeren Bettstelle.

Dieses Zimmer hat wie mein Studierzimmer eine Türe nach Norden, über eine fünfstufige Treppe kommt man von der Gallerie zu einem Häuschen noch in unserem Hofe, worin Erziehungsknaben wohnen, die aber unter Br. Eisenschmids Leitung stehen. Die Gallerie oder Verandah, d.h. ein fast 6 m breiter gebretteter Gang, über den das Hausdach noch vorragt, läuft also um das ganze Haus herum, im Osten ist das 3. Türchen bis jetzt noch nicht schließbar, da wir noch keine Brüder vom Schlosser haben, weil dieser in Aburi krank ist, und eine vierstufige Treppe führt auf das andere [...] weiter. [...] (Er zählt die Missionsbelegschaft auf, beschreibt auch Br. Eisenschmids Wohnung.)

In der Stadt (Kyebi) wären manche junge Leute u auch Erwachsene geneigt, sich den Christen anzuschließen, aber erstere sind meist in Abhängigkeit von solchen, die ihr Christwerden nicht zugeben wollen, als Familienglieder oder Sklaven oder Pfänder, u letztere haben vielleicht Sklavinnen oder mehrere Weiber oder sind selber Sklaven.

In meiner schriftlichen Arbeit kam ich letzten Monat nicht weit, der Monat April war ein ziemlich schwerer Monat für uns, aber [...] der Herr hat geholfen, (bei Eisenschmids gibt es Fieber) Emilie hatte auch am 26. u 27.März eine Art Fieber u den 4.Apr. mußte sie ganz im Bett zubringen. [...] Es war Fieber, aber nicht gerade stark, am 5.Apr. stand sie wieder auf, aber abends kam Blut u Wasser u morgens darauf eine Leibesfrucht im Anfang des 4. Monats. Es war uns überraschend u schmerzlich, wir konnten nichts Besonderes als Ursache auffinden. Aber wahrscheinlich hat schon die Reise dazu beigetragen, dann die größere Hitze hier u das viele Gehen in die Küche usw. (Treppen u viele Wege etc.). Blutverlust, Schwächegefühl, Fieber u Hitze. Volle 9 Tage im Bett, die Haushaltung u Krankenpflege nahm auch mich so in Anspruch, daß ich besonders in der Nacht auf den Charfreitag u vormittags an Ostern auch Fieber hatte.

Es ist wahr, wir haben unsere Schwachheit, Unvermögen u Untüchtigkeit für das wichtige Werk, in dem wir stehen, recht zu fühlen bekommen u auch die erschreckenden u prüfungsvollen Umstände u Verhältnisse, unter denen wir hier zu leben haben.

Die Einwohner von Akem u besonders von Kyebi sind des Arbeitens u der Werthschätzung der Zeit noch viel weniger gewohnt als die von Akuapem, u weil sie so wenig betriebsam u fleißig sind, sind auch Lebensmittel u andere Bedürfnisse schwieriger oder gar nicht zu haben. Ich wollte z.B. zwei Landesfrauen kaufen für Gartenarbeit, (noch nicht mal Hacken seien zu kaufen).

In Akem wird fast alles mit Goldstaub bezahlt, diese Zahlungsweise gehört zu den schwierigsten u zeitraubendsten in der Welt. Das geringste Gewicht ist ein blaues Böhnlein, das nächste ein rotes, das dritte ein rosarotes, der Wert des Goldstaubes sollte 3, 6, oder 12 Kr oder etwas darüber sein.

Mi 3.Mai: Leben in Afrika ist eben etwas ganz anderes als in der Heimath u man hat sich recht zu wehren, um sich nur aufrecht u bei gutem Mut zu erhalten.

[...] ein Hauptanliegen ist mir, daß der Zweck meines Hierseins in bezug auf meine sprachlichen Arbeiten u auf den Verkehr mit den Eingeborenen möchte künftig besser als in diesen ersten Monaten erreicht werden. [...]

<77>

Inzwischen darf auch Emiliens Glaubensgewißheit - entgegen der zuvor erwähnten saloppen Ansicht ihres Bruders Julius in keiner Weise mehr in Frage gestellt werden, wie sie am 4.6.1865 aus Kyebi (Dok 65/10) an G. Merkle schreibt: "Ich muß mich überhaupt immer über die Weltleute wundern, weil sie soviel Selbstvertrauen und Tatkraft zeigen bei ihren Unternehmungen. Mir kommt alles, was man ohne den Herrn tut, vor, wie ein Haus ohne Grund." Auch bei Missionar Christaller behält alles im Untergrund, ohne hinterfragt zu werden, seine Geradlinigkeit und zeugt von seiner inneren Ergebung. Er listet auf, was er alles tut, wieviele Briefe etc. er schreibt und wohin.

<78>

Diese seine pedantische Genauigkeit, die in späteren Jahren seinen dann mittlerweile erwachsenen Söhnen so aufs Gemüt drückt, behält er, schon in seinen frühen Briefen, beständig bei, er sammelt, ordnet, zitiert aus vergangenen Schreiben, kontrolliert die Finanzen seiner Kinder und ähnliches, jedenfalls ein unbequemer Familienvater, bei dem man auch schwer herausfinden kann, ob er seine Kinder wirklich liebt oder sie ihm in der Vielzahl dann doch recht unbequem und lästig sind. Mit Gottreich gab es da schon sehr früh Konflikte, wenn der eigenwillige Sohn eben nicht das wollte und glaubte, was der Vater sich vorgestellt hatte.

<79>

Die heißen Sommermonate des Jahres 1865 drückten sehr auf die menschliche Widerstandskraft, und Fieberleiden häuften sich, gerade auch bei Emilie, so daß sie kaum zum Schreiben kam und der Ehemann die Korrespondenz, vor allem auch wegen der Kinder, selbst übernahm. Er tröstet sich mit der Ansicht, es gehe ihnen in vielen Stücken noch besser als anderen, und daß des Guten, der Treu und Barmherzigkeit, die ihnen der Herr erweise, mehr sei als des Schweren, und weit mehr als sie verdienten, während, was die Leiden betreffe, ihnen nie zuviel geschehe, "und das war mir vorletzte Nacht, als ich neben Emilie wachte und ihr zusprach, so groß, daß wir an Jesu einen Halt und Ruhepunkt haben in allen Lagen und Vorkommnissen, daß wir wirklich in Ihm, dem Einen, alles haben. [...] Es wäre zum Weinen, wenn kein Heiland wär - ists nicht so auf Erden gut, ein Mensch zu sein?" (so am 3.8.1865 aus Kyebi an G. Merkle, Dok 65/13)

<80>

Hier werden von ihm Glaubensregister angeschlagen, von denen er sonst kaum spricht, doch scheint in diesen Wochen in Kyebi seine innere Heilsgewißheit und Widerstandskraft doch auf eine sehr herbe Probe gestellt zu werden.

2.9.18.3. Kurzurlaub in Kukurantumi

<81>

Am 1.Sep. 1865 meldet sich G. Christaller mit Brief aus Kukurantumi bei den Verwandten in Gmünd (Dok 65/14).

In recht beschwerlicher Weise waren die Eheleute zu dieser Außenstation der Mission gelangt, wo sie einen Erholungsurlaub haben sollten und Emilie, selbst gesundheitlich angeschlagen, bei Schw. Kramer zur Geburtshilfe erwünscht war. Sie ordneten beim Aufbruch ihr Anwesen in Kyebi, mußten für die zurückbleibenden Haustiere, zwei Ziegen, drei schwarze Schafe, 28 Hühner und für den Garten vorsorgen und den drei zurückbleibenden Negerknaben ihre Arbeit zuweisen.

<82>

Der lb Gott habe ihnen in letzter Zeit soviel Gesundheit geschenkt, daß sie ohne Bedenken reisen konnten, wie Christallers Optimismus bezeugte. Sie brachen mit 10 Trägern auf und erreichten nach 7 Stunden die Außenstation.

<83>

Die Eingewöhnung dort fiel ihnen bei beengter Unterbringung nicht so ganz leicht, bei Emilie stellte sich wieder Fieber ein, so daß ihr Chinin gegeben wurde, aber die notwendigen Verrichtungen bei der Geburt konnte sie dennoch bewältigen. Br. Kromer und G. Christaller betreuten die dortige kleine Gemeinde (Predigt, aber nicht auf der Straße, Kinderlehre, Taufunterricht). Christaller selbst erledigte seine Korrespondenzen in Stations- und anderen Angelegenheiten. Beiläufig erwähnte er, daß er, wenn auch die beiden jüngsten Söhne nach Basel sollten, er selbst mit Emilie wieder nach Hause zurück wolle.

<84>

Das große Schreiben, das auch noch Äußerungen, die Kinder in Basel betreffend, enthält und sich der Frage des Kostgeldes für Theodor widmet, schließt mit kritischen Bemerkungen über den Sparsinn der Missionsvorsteher. Diese würden sich manchmal sehr verwundern, wenn sie sähen, was sie mit ihrem Sparsinn ausgerichtet haben."Dieser Sinn ist ja erklärlich, berechtigt und löblich, aber es ist eben nicht überall Württemberg; ich glaube, daß die Württemberger mehr als andere Stämme und Völker fremde Verhaltensweise und Zustände nach ihren eigenen beurteilen." (Dok 65/14) Zwischen Missionsvorstehern und Missionsfreunden mag dabei nicht immer echte Übereinstimmung bestehen.

<85>

Nach der glücklichen Entbindung der Schw. Kromer ist Emilie wieder zuversichtlicher. Den so einsam wohnenden Missionsgeschwistern sei es doch zu gönnen, daß sie passende Hilfen hätten in solchen schweren Stunden.

<86>

Ein beachtenswerter Brief G. Christallers setzt sich kurz darauf einmal theoretisch, nicht etwa nur gottgläubig, mit der Arbeit der Mission auseinander, so am 4.Sep. 1865, (Dok 65/15) in seiner Fortsetzung eines Briefes von Emilie an ihre Eltern aus Kukurantumi. Emilie hatte - was sehr selten bei ihr ist, ausgesprochen heitere Worte geschrieben.

Seine Bemerkungen zur Mission schließen sich daran an:

Von dem Volk, unter dem wir leben, und von unserer Arbeit gäbe es wohl manches zu schreiben, aber es würde mehr Muße und Sammlung erfordern, als wir gewöhnlich zusammenbringen.

Es ist eben in Afrika alles so ganz anders als daheim, aber wir werden es gewiß in der Vollendung einmal noch mehr als jetzt als etwas Großes erkennen, daß der Herr, der auch der Heiden Gott und Heiland ist, so ein paar Leutlein aus der europäischen Christenheit in die afrikanische Wildnis hineingesetzt hat, um für die Erneuerung und Wiedergeburt dieser Völker zu arbeiten. Wenn das Volk und ihre Fürsten und Ältesten auch größtentheils als eine träge, in ihren 1.000-jährigen Bräuchen und Gewohnheiten, Thorheiten und Lastern gar feststeckende Masse vor uns sind, so wissen wir doch, daß ein umgestaltender Sauerteig in sie gekommen ist und daß auch unsere schwachen Bemühungen, unser Arbeiten und Leiden unabsehbare Erfolge haben werden.

Ich wünschte mir manchmal, öfter und unmittelbarer mit den Einzelnen zu verkehren, sie in ihren Häusern und auf der Straße zu besuchen, aber meine Arbeiten nehmen mich zu sehr daheim in Anspruch, doch gerade meine schriftlichen Arbeiten sind für die Zukunft aller diese Sprache redenden Stämme von Bedeutung. Möge nur der Herr mir und meiner lb Emilie ferner gute Gesundheit, Glaubensmut, Freudigkeit und Leidenswilligkeit schenken.

<87>

Recht selbstbewußte Töne hört man hier heraus, die man sonst bei dem bescheidenen und mehr auf seine wissenschaftliche Tätigkeit konzentrierten Missionar weniger findet.

Bei Emilie klingt es hingegen viel schlichter, wenn sie am 30.9.1865 aus Kyebi (M3,65 Em) an die Eltern schreibt, die drei Wochen in Kukurantumi hätten ihr gut getan: "Es war ein Opfer, aber ich habe es schon manchmal erfahren, wie diesmal auch, wenn man um anderer willen ein Opfer nicht scheut, so kommts einem auch selber zugute."

<88>

Emilie erzählt außerdem ein wenig aus ihrer Arbeit im Mädchen-Institut: "In Aburi merkten es die Anstaltsmädchen in der ersten Stunde, sie sagten: sehet, sie macht ihre Sache links! als ich dann aber mit der Linken müde war und mit der Rechten anfieng, sagten sie: oh, sie ist geschickter als wir; sie kanns mit beiden Händen und dann kam ich noch so in Credit bei ihnen, daß die schwarze Lehrerin einmal sagte: ich hab gemeint, wir seien geschickt, aber sie macht uns alle todt, d.h. unsere Sache ist gar nichts gegen die Ihrigen."

<89>

In aufmunternden Worten, aber sehr viel vom Sohn Ernst fordernd, gedenkt am gleichen Tag (30.9.1865) Mutter Emilie ihres Lieblings zu seinem 4. Geburtstag (Dok 65/16). In diesem Brief weist sie ihren vierjährigen kleinen Sohn auf die Liebe ihrer Eltern hin und auf die Liebe des Herrn Jesus im Himmel. Sie ermahnt ihn, niemals unartig zu sein und erzählt dazu als Beispiel die Geschichte eines artigen Negerbuben.

Gelt, lb Ernst, jetzt willst Du auch recht still und gehorsam sein wie das Negerbubele Alfred. [...] Deine Brüder in Basel sind auch gehorsam und alle Knaben, die dort sind, sind gute liebe Kinder.

Der Vater schließt den Brief:

Nun, lebe wohl und sei gehorsam und lerne beten und den Heiland lieben. Wir beten alle Tage auch für Dich. Deine Eltern Gottlieb und Emilie Christaller.

Man wird sich dabei fragen müssen, ob derlei einseitige Fern-Erziehung durch die Missionseltern kinderpsychologisch gesehen nicht doch am Kind völlig vorbeigeht.

<90>

Den Oktober-Briefen Emiliens kann man schon anmerken, daß infolge mannigfacher körperlicher Probleme ihr Lebensmut schwere Einbußen erlitten hat, so am 3.10.1865 an G. Merkle aus Kyebi (M3,65 Em): "Ach, daß es doch noch ein anderes Mittel gäbe als Kreuz und Leiden, wovon einem Weltkind die Augen aufgehen können", heißt es zwar über ihre Eltern in Waiblingen, aber solche Worte reflektieren auch ihre eigene trauernde Gestimmtheit.

<91>

Trotz der großen Entfernung treffen sich doch immer wieder die Sorgen der beiden für die Kinder verantwortlichen Frauen, wenn C. Scholtz etwas von der Bürde der Erziehung der Missionskinder verlauten läßt in ihrem notvollen Brief aus Basel vom 18.Oktober 1865 an Emilie (M3,65 Sch). Und aus dem beigefügten Brieflein der Tochter Martha zeigt ein einziger Satz das Zentrum ihrer kindlichen Schmerzen: "Liebe Mama, kommst du bald?"

<92>

Dann werden Emiliens Briefe kürzer, die Kraft, sich wie früher intensiv auch mit familiären Vorgängen in Waiblingen zu befassen, läßt anscheinend etwas nach. Sie schildert am 1.Nov. (Dok 65/17) Details der Ernährung in Kyebi, für die sich die Schwägerin Gottliebe interessiert hatte, und erwähnt ihre eigene Garten- und Hausarbeit in einem weiteren Brief vom 2.Nov. an Vater Ziegler (M3,65 Em). Und als Ergebnis einer gewissen Unerfülltheit im täglichen Leben schreibt sie dann etwas resigniert am 3.Dez. aus Kyebi an die Eltern (M3,65 Em):

Ich hab immer noch nichts zu hoffen, wenn ich daheim bei meinen Fünfen wäre, käme mirs eben nicht ungeschickt vor, da ich aber so allein bin, würd ich mich doch freuen, wieder eins zu bekommen, doch danke ich auch dem lb Gott dafür, daß ich meine Nachtruhe habe, ich hatte es in den ersten Jahren meines Ehestandes doch recht sehr unruhig.

<93>

Wieder schweifen ihre Gedanken auch nach Basel, dort seien immer noch keine Hauseltern gefunden für die Knaben, es sei indessen ein Kandidat der Theologie dort, die Haushaltung besorge eine Schwester von Insp. Schmid in Winnenden. Von Paul lobten sie, er sei so aufrichtig und ehrlich. Von Gottreich schreibe der Herr, er sei für seine kleine Person doch recht kräftig und lerne sehr leicht.

<94>

Gerade dieses hier nun zu Ende gehende Jahr 1865 zeigt neben einem gewissen neuen Atemholen der Missionsleute am frisch bezogenen Ort Kyebi auch so manche Schwankungen in der alltäglichen Stimmung, aber auch die Reflexionen über den Gedanken der christlichen Mission insgesamt und speziell über die Bemühungen der Basler Gesellschaft machen deutlich, daß immer stärker auch kritische Ansätze hervortreten.

2.9.19. 1866 - Das schwere Jahr des endgültigen Abschieds von Emilie

<95>

Die erste briefliche Nachricht des Jahres 1866 ist Emiliens Lieblingssohn Ernst gewidmet. Im Schreiben an G. Merkle vom 3.Jan. 1866 (M3,66 Em 1) geht es um den möglichen Wechsel des Sohnes von Waiblingen nach Basel wie auch um die Vorgänge bei Berthas Bekehrung.

<96>

Von gewissen Sterbegedanken im Missionsfeld handelt ihr zweites Schreiben nach Gmünd vom 31.Januar. Solche Gedanken waren natürlich gerade im schweren Krisenjahr 1866 immer wieder latent vorhanden. Aber Emilie pflichtet der Schwägerin nicht bei, die ihre "Erdenwallfahrt zu beschließen" wünschte, wenn sie ihre Pflicht am Pflegekind Benoni getan habe; "nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage, ist mein Wunsch in dieser Beziehung. Hat der Herr anders beschlossen, dann geschehe Sein Wille." (M3,66 Em 0) Was nämlich, führt sie weiter aus, in diesem Leben, in dieser Gnadenzeit unser Geist in sich aufnehme, dessen Leben sich stets mehr entwickele, das sei eine Errungenschaft für die Ewigkeit. So könne es auch Helden in der Schwachheit geben wie die Schwester Eisenlohr, die ein Vorbild genannt werden könne.

<97>

Was Christallers Arbeiten betreffe, so macht Emilie in demselben Schreiben vom 31.Januar genaue Angaben:

Gottlieb ist gegenwärtig an einer Arbeit, die ihn für diese Post nicht zum Briefschreiben kommen läßt. Wenn Du Dich noch erinnerst, es wurde ihm bei seiner Versetzung hierher (auf Jahr und Tag) die Aufgabe gestellt, sobald es ihm möglich sey, ein Urteil abzugeben in Betreff des hiesigen Dialektes, wonach dann beraten wird, ob derselbe in Zukunft bei Übersetzungsarbeiten berücksichtigt werden solle. An dieser Eingabe ist er jetzt; sie wird aber dann erst mit nächster Post heimgehen, weil die Sache in Akropong zuvor beraten werden muß.

Je nachdem dieses ausfällt, könnten wir bald wieder von hier abmarschieren, aber wohin? Ist nirgends Platz für uns. Aber gottlob, das 'Sorgen' ist uns nicht aufgetragen, sondern das 'Folgen'.

<98>

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der kurze Einblick in den brieflichen Umgang zwischen Mutter Emilie und ihrer kleinen, nun siebenjährigen Tochter Martha (Brief vom 1.Feb. 1866 aus Kyebi, der hier (nach M3,66 Em 0) im genauen Wortlaut wiedergegeben wird:

Meine lb Martha! Dein lb Briefchen hat mich gefreut, Du lernst nun immer besser schreiben; umd das freut Deinen Papa und mich ganz besonders, daß Du der lb Tante manchmal Freude machst; das hat uns aber betrübt, daß sie krank ist, betest Du fleißig, daß der lb Gott sie wieder gesund macht?

Deine kleinen Brüder in Württ. sind alle beide gesund; die Tante von Gmünd wird einmal nach Basel kommen, und sie bringen, darauf wirst Du Dich auch freuen; Ernst in Waiblingen geht jetzt in die Kinderschule zu Jgf. Seiz, denkst Du an die noch?

Dem Ernst hab ich auch ein Brieflein geschrieben, darüber hat er eine so große Freude und will immer hören es vorlesen.

Vor einigen Tagen ist Dein Geburtstag gewesen, möge Dich der lb Gott auch in diesem Jahr gesund erhalten und Dich eine gehorsame liebe Tochter werden lassen. Willst Du das gerne werden? Bittest du den lb Heiland immer darum? Kommst Du auch oder siehst Du auch manchmal Deine Patin?

Gestern sind 3 Mädchen bei uns gewesen und haben mir gesagt: wir wollen Dir dienen, [...] lernen nähen und beten lesen und schreiben.

<99>

Schon über zwei Jahre ist es her, seit Emilie ihre damals vierjährige Tochter in Basel verlassen hatte. Der Inhalt und die Formulierungen dieses kurzen Mutterbriefes lassen deutlich erkennen, daß im Grunde genommen die innere Beziehung zur Tochter längst gerissen ist, Emilie weiß nichts anderes zu schreiben als Gemeinplätze aus dem damaligen Missionsleben, und man wird sich dabei fragen, was das Kind mit solchen Zeilen überhaupt noch anfangen konnte, wieweit etwa ein kindlich liebendes Gefühl hier noch die Mutter werde finden können, auch wenn an ihrem Bett im Mädchenhaus ein Foto ihrer Eltern stand.

<100>

Routinemäßig geht Anfang März aus Kyebi (5.3.1866, Dok 66/3) Christallers Bericht über die Erkrankung der Emilie zu den Zieglers nach Waiblingen; er reflektiert über die Unterschiede der Krankenbetreuung in Europa und in Afrika. Dazu spricht er von seinen Übersetzungsarbeiten, besonders im AT und kommt zusammenfassend zu einem gewissen Ergebnis, indem er seine persönliche Einstellung dazu erläutert:

Wenn mir die Vollendung der Bibelübersetzung in diese Sprache gestattet ist, - und meine Mitarbeiter und die Eingeborenen wünschen es sehr, daß sie so zu sagen aus Einem Guß sei - so habe ich nicht vergeblich gelebt. Was hat die Menschheit und jedes einzelne Volk nicht der Bibel zu danken, welche von vielen sich weise und gelehrt Dünkenden verschrien und verachtet wird. Aber gewiß, sie haben nicht zu viel, sondern zu wenig Gelehrsamkeit. Das thöricht Scheinende Gottes ist weiser denn die Menschen sind, ich habe an einem Commentar zur Schöpfungsgeschichte, der zugleich mehr Gelehrsamkeit enthält, als die Bezweifler der Bibel und ihrer Berichte, aufs neue in letzter Zeit diesen Eindruck gewonnen. (Dok 66/3)

<101>

Zu genauerer Festlegung der sprachlichen Arbeiten der Missionare war am 7.Juni 1866 in einer Distrikt-Konferenz in Akropong die Frage erörtert worden, "in welchem Dialect der Tschisprache die Bibel und andere Bücher übersetzt werden sollen." Der diesbezügliche Beschluß erfolgte einstimmig: "Vorderhand im Akwapem Dialect." (s. Stat. Akte Akropong D-5 20 im Basler Missionsarchiv).

Daß es immer wieder auch zu gewissen Spannungen zwischen Emilie und der Ziegler-Familie in Waiblingen kam, hauptsächlich wegen Erziehung des kleinen Ernst, zeigt das Schreiben von Mutter Rosine Ziegler an G. Merkle vom 12.März 1866 aus Waiblingen (M3,66 Zie).

<102>

Über Emiliens Gesundheit berichtet G.Chr. regelmäßig den Zieglers in Waiblingen, so auch am 6.Apr. 1866 (Dok 66/4), er verbindet seine persönlichen Sorgen dabei stets mit dem festen Gottvertrauen: "Wir werden [...] unter diesen äußeren Wegen, Sorgen und Leiden auch in den inneren Wegen des Herrn besser geübt, bekommen zu erkennen, was und wie viel für uns noch fehlt, und das ist auch Gnade. Wenn alles ordentlich glatt und eben fortgeht, kommt man sich nicht genugsam auf den Grund." Man lerne im Heidenlande die leibliche Gesundheit und die Segnungen, welche die Christenheit schon im Äußerlichen genießt, recht schätzen.

<103>

Verschiedentlich drückt nun Emilie in der Last ihrer Tage gewisse Heimkehrhoffnungen aus, so am 29.4.1866 an G. Merkle (Dok 66/6), wenn sie sagt, sie solle das Dienstmädchen bei Gottliebe grüßen und ihr sagen: "Wenn ich wieder heimkomme mit Gottes Hilfe, denke ich gar nicht anders als daß sie wieder zu mir kommt und bei mir bleibt, bis der Herr sie einen anderen Weg gehen heißt."

Aber recht harte Worte über bigotte Christen sind in Emiliens Korrespondenz gelegentlich auch zu finden, Worte, die man ihrer ruhigen und demütigen Gemütsart so gar nicht zutrauen möchte.

<104>

Doch ihre gute Meinung über Schwester Bertha Ziegler ist mittlerweile im Wachsen: Mit Bertha scheine jetzt doch etwas Gründlicheres zu werden; daß sie Sonntagsschule hält, sei auch ein Segen für sie selbst; G. Barth sagte einmal: 'Wer am Reich Gottes baut, der baut sich selbst, das sei auch bei ihr wahr.'

<105>

Gewisse Resignation in ihrer kinderlosen Abgeschiedenheit Afrikas bricht sich immer wieder einmal bei Emilie Bahn, wenn sie davon spricht, daß die Schwagerfamilie Rapp es in Frankfurt wirklich recht angenehm habe, denn sie dürften ihre Kinder so bei sich haben, hätten einen schönen und befriedigenden Beruf; könne man sichs auch besser wünschen auf dieser armen Welt?

<106>

Und dann geht es mit ihrer Stimmung, aber auch mit ihrer Gesundheit ziemlich schnell abwärts. Klagelaute mischen sich in ihr Schreiben vom 31.Mai 1866 aus Kyebi an Const. Scholtz (im Basler Archiv, Umschlag ohne Nr.), sie spricht vom schlechten Klima, auch davon, daß sie keine Kräfte mehr habe und es im Missionsfeld eine Leiche nach der anderen gebe.

<107>

Die sorgenvollen Bemerkungen über ihre Kinder ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre Briefe, so auch an G. Merkle vom 1.Juni 1866 aus Kyebi (Dok 66/7), wenn sie z.B. über ihren ältesten Sohn Gottreich schreibt, der in seinem Charakter viel von den Eltern habe, auch darin, daß er nicht verstehe, sich beliebt zu machen. So stehe er im Anstaltsleben oft allein, weil man dort auf die Bedürfnisse des Einzelnen nicht eingehen könne.

Eine ziemlich traurige Bilanz, wie es im unmittelbaren menschlichen Umfeld der dortigen Missionsanstalten aussieht, stellt sie dann in diesem Brief an Gottliebin aus Kyebi zusammen.

<108>

Das Schreiben der G. Merkle an das Ehepaar Christaller vom 16.Juni 1866 (Dok 66/8) setzt sich stärker mit der in Europa herrschenden Gesamtlage auseinander. Die Schwägerin ist in einer für sie recht ungewöhnlichen trüben Stimmung: die Gegenwart sei schwer und drückend, es gehe durch Gedräng von außen und innen. Da könne das Wort gewiß zum Trost und zur Aufrichtung sein: "Der Herr hilft uns aus dem allen." Trotzdem sei es eine große Gnade, daß die Missionsarbeit in Afrika doch vorwärtsgehe, sie hätten eben getan, was sie könnten. Sonst könnten die politische Lage wie auch manche Naturkatastrophen dazu führen, endzeitliche Seelenstimmung zu erleben, zumal der deutsche Bruderkrieg die Gemüter ungemein belaste. Die gegenwärtige Zeit sei eine ernste, "der Herr redet".

Auch in ihrem nächsten Brief an beide Christallers vom 15.Juli bleibt Gottliebe bei dem politischen Thema, das sie offenbar sehr bewegt, wenn sie sagt:

Ach, warum sind solche Strafgerichte der Menschheit nötig? (M3,66 GM 3)

Kummer wegen Emiliens Krankheit, tiefer Gram wegen des in Europa herrschenden Krieges durchziehen im Monat Juli die stets teilnehmenden Briefe der Schwägerin.

<109>

Der im Dokumentenanhang (Dok 66/11) beigefügte Brief G. Christallers an die Eltern Ziegler vom 2.Aug. 1866 aus Kyebi gibt einen sehr genauen Blick auf die letzten Stationen der Krankheitsgeschichte seiner Ehefrau Emilie, gerade auch mit Erwähnung einer Totgeburt. Daß der Gesundheitszustand äußerst kritisch war und zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß geben könnte, war dem Schreiber sichtlich sehr bewußt.

<110>

Auf gleichem Papier geht es weiter an die Schwester Gottliebe in Gmünd, von Kyebi aus, datiert vom 1.Aug. 1866 (Dok 66/12). G. Christaller macht mehrfach kritische Bemerkungen über die Gesamtlage im westafrikanischen Missionsfeld; er schreibt, daß Emilie immer noch krank sei und erzählt etwas mehr als üblich von seinen Kindern. Auch ihm bereitet der europäische Krieg einige Sorgen.

<111>

In ihrem Schreiben an die Christallers in Kyebi vom 3.8.1866 (M3,66 GM 5) kann Gottliebin Merkle nicht so recht verstehen, warum Emilie so mutlos sei, sie habe doch schon so oft die Hilfe Gottes erfahren. Dann erzählt sie von der Entwicklung des kleinen Theodor Benoni. Dabei ist sie allerdings der Meinung, daß reine Spaßmacherei unnütz sei, vor allem in dieser schweren Kriegszeit. Fröhliche Lebendigkeit und inniges freudiges Teilnehmen an Spiel und Geschichte anerkennt sie, aber das unnütze Necken könne sie nicht leiden. So äußert sich hier etwas von jener pietistischen Strenge, die auch im Hause der Merkles herrschte.

<112>

Über die letzten Lebenstage von Emilie Christaller erfahren wir Einzelheiten aus Christallers großem Bericht an das Committee vom 1.Sep. 1866 mit weiteren Zusätzen, es ist im Anhang nicht abgedruckt, da teilweise identisch mit Dok 66/14, die wichtigeren Partien sind auf den folgenden Seiten exzerpiert): Darin schildert er bis in jede Kleinigkeit das Fortschreiten der schweren Krankheit, die er - freilich ohne jegliche tiefere medizinische Kenntnis - als ein ausgeprägtes Unterleibs-Nervenfieber bezeichnete, das schon fünf Wochen währte; aber eine leichte Besserung der Krankheitserscheinungen und der wiederkehrende Appetit gab ihnen neue Hoffnung, daß eine Wendung zur Genesung eingetreten sei und für den 11.Aug. war dann die Abreise nach Akropong angesetzt worden. Aber diese Besserung hielt nicht an, die Beschwerden verschiedenster Art nahmen zu und das letzte Stadium der Krankheit war nun zu erwarten.

<113>

Christaller schildert die Entwicklung der letzten drei Tage genauestens der Reihe nach, bis er schließlich sehr gefaßt das Ende ihres Leidens beschrieb:

Der Ausgang konnte nun kaum noch zweifelhaft sein, aber erst nach 10 Uhr, als ich eine halbe Stunde im Wohnzimmer geschlummert, während Geschwister Eisenschmid am Bette der Kranken wachten, und als eben ihr Athemzug auf einmal auffallend kurz und schnell wurde, schwand mir alle Hoffnung auf Erhalt ihres Lebens dahin.

Was wir noch an flüssiger Nahrung oder Arznei ihr beizubringen versuchten, war vergeblich. [...]

Ich war allein bei der lieben Sterbenden, bis am Montag, 13.Aug. morgens 3 1/2 Uhr der schwere kurze Athem und der Herzschlag, der fast immer auf 120 in der Minute geblieben war, plötzlich stille stand; als auf Vorhaltung von Schwefeläther noch zwei schwache seufzerähnliche Athemzüge folgten, war dann alles aus.

[...] Wie es mir in diesem Augenblick zumute war, kann ich nicht beschreiben. [...] Ich war allein mit meiner geliebten Todten oder vielmehr Entschlafenen in dem Herrn. Erst als um 4 Uhr mein Gehilfe und seine Frau kamen, denen die Kunde noch unfaßlich und wie ein Traum war, flossen mir die Thränen; ich konnte ausrufen: der Herr gab sie mir, Er nahm sie wieder, ich gebe sie Ihm zurück und Er hat sie nun selig.

Als der Tag anbrach, erfuhrens auch unsere beiden Dienstmädchen, alsbald kamen sie, ihre geliebte Frau zu sehen, welche dalag, als ob sie noch lebte, und brachen in Thränen und rührende Klagen aus. [...]

Diese Äußerungen ihrer Liebe und Anhänglichkeit thaten mir wohl, sie halfen mir, während ich den nöthigen Verrichtungen im einen oder anderen Zimmer nachging, das eigene Herz in Weinen und Thränen erleichtern. Die Frau meines Gehilfen hatte Emilie wie ihre Mutter angesehen. [...]

<114>

Am Abend des Todestages fand die Beerdigung statt im Garten nächst dem Hause zur Seite einer jungen Palme. Christaller selbst übernahm diese schwere Aufgabe, aber "der Herr stärkte mich zu dem Leichengottesdienst, welchen selbst zu verrichten mir Bedürfnis war." Der Tod war am 13.Aug. eingetreten. In den nächsten Tagen ordnete Christaller, was notwendig war, trotz der Fieberanfälle machte er sich auf den Weg über Kukurantumi nach Akropong und traf am 25.8.1866 dort ein.

2.9.19.1. Joh. Gottlieb Christaller teilt den Angehörigen Emiliens Tod mit

<115>

In drei Handschreiben macht Joh. Gottlieb Chr. davon Mitteilung:

  1. an "Geliebte Eltern und Geschwister!" Akropong 3.Sep. 1866, d.i. adressiert an Herrn Rathsschreiber Ziegler, Waiblingen

  2. an "Geliebte Eltern u Geschwister!" Akropong, 3.Sep. 1866, nur in Abschrift von Text a erhalten von seiner Hand, insgesamt 18 engbeschriebene Seiten

  3. aus einem Bericht an das Committee vom 1.Sep. 1866 mit weiteren Zusätzen.

<116>

Man wird nicht ohne tiefe Erschütterung diesen Text (in Anlage Dokument 66,13-16) kennenlernen, wenn man sich auch darüber wundern wird, daß der Ehemann zum Sterben seiner teuren Gattin nicht mehr innerlich bewegende Worte finden konnte. Doch aus seiner echten Überzeugung, daß Emilie nun wirklich beim Heiland ist und ein besseres Leben vor sich hat, kann man den Schluß ziehen, daß hier persönliche Beherrschtheit aus dem Glauben erwuchs und nicht etwa Mattigkeit oder gar Lieblosigkeit des Witwers herauszulesen ist.

Im Dokumenten-Anhang soll der umfangreiche Text leicht gekürzt nach a) (Dok 66/14) wiedergegeben werden.

<117>

In Gmünd hatte G. Merkle am 16.Sep. 1866 (Dok 66/19) noch keine Nachricht von Emiliens Tod, wohl aber vom Abortus des 6. Kindes. Sie erzählt von Beni, den sie in einem Foto vorstellt.

<118>

Über Bertha Ziegler berichtet sie im einzelnen, wie sie sich ihr Zimmer eingerichtet hat. Da Bertha dem Leser in späterer Zeit als zweite Ehefrau Joh. Gottlieb Christallers begegnen wird, können wir sie bereits hier etwas näher einführen: Bertha selbst bemüht sich um Erweiterung ihrer Bildung und zeigt sehr viel Ordnungsliebe und Sinn für die kleinen Schönheiten des alltäglichen Lebens, was die Beschreibung des Milieus in ihrem Zimmer zeigen kann.

<119>

Am 6.10.1866 (Dok 66/20) schreibt Christaller an die Zieglers aus Akropong, er erläutert dabei die Gebräuche der Heiden bei einem Sterbefall. Mit derlei Überlegungen scheint er sich aus sachlicher Sicht etwas stärker mit dem Sterben seiner Frau zu beschäftigen, hält seine christliche Glaubensgewißheit dem entgegen; bei ihm ist die Ergebung in Gottes Willen zentral und zugleich der Glaube, daß Emilie es im Jenseits nun leichter habe, weil sie ihren Heiland werde schauen dürfen, an den sie so fest geglaubt hat. Er selbst denkt in momentaner Einsamkeit mittlerweile aber doch viel stärker an Heimkehr nach Europa, zumal ihm die afrikanische Welt nun doch recht leer geworden ist.

<120>

Die Merkles in Gmünd sind für G. Christaller stets die richtige Adresse, um von seinen Überlegungen, Problemen und Planungen zu sprechen, vor allem was die Organisation der Erziehung und die Versorgung seiner Kinder betrifft und die Aufnahmebedingungen für die Kinder in Basel. Über Ernst und die im Detail interessierenden Verhältnisse im Knabenhaus in Basel spricht Christallers Brief aus Akropong vom 7.Oktober 1866 (Dok 66/21).

<121>

Dieser Brief beleuchtet das ganze Umfeld in besonderer Weise. Christaller hatte nach dreimonatiger Pause die Bibelübersetzung wieder aufgenommen, woraus man den Rückschluß ziehen kann, daß er sich einigermaßen wieder gefangen hatte nach den schweren Ereignissen in Kyebi und nun neue Erwartungen hegt. Dieser wichtige Brief ist im Anhang stark gekürzt wiedergegeben.

<122>

Erst am 17.Oktober haben die Verwandten in der Heimat von dem schweren Sterben Emiliens erfahren. Gottliebin Merkle äußert in ihrem Brief an Rosine Ziegler ihren tiefen Schmerz über das Geschehen (M3,66 GM 7). Ihr so teilnehmendes Schreiben, das liebevolle Gedenken und ihr eigener Schmerz gipfelt in den Worten:

Ach, meine Kinder! Ach, meine Kinder! Mein armer, armer Bruder! Mußte ich im tiefsten Schmerz ausrufen. Wie war es, was ein Missionar in Indien bei dem Tode seiner ältesten Tochter sagt: 'Ach, nur die Überlebenden sind es, die sterben, nicht die Todte, die zu ihres Herrn Freude eingeht.'

Ihr Schreiben an den Bruder vom 17.Oktober 1866 (Gmünd, M3,66 GM 8) zeigt ebenfalls ihre ganze innere Not, aber auch einen starken persönlichen Trost:

Ja, mein theurer Bruder, bei allem Schmerze habe ich doch Trost für mich und Dich, denn wir trauern wohl tief, aber nicht als solche, die keine Hoffnung haben. [...]

Alles, was auf Emilie Bezug habe, sei ihr jetzt sehr teuer, vor allem ihre Briefe! Ihr Tod sei ein Saatkorn für Afrika, sie habe nicht vergeblich gelebt.

<123>

Seine eigene Hinfälligkeit spürt G. Christaller in diesen Wochen besonders stark, zumal seine Fieberanfälle zunehmen. Wenn wir seinem Schreiben vom 29.10.1866 aus Akropong (Dok 66/22) an die Schwester Merkle folgen, so sah er dabei nun doch gewisse Chancen für seine Heimkehr. Seine fortwährende Beharrlichkeit und sein Lebensmut schienen nach den letzten schweren Ereignissen ziemlich angeschlagen.

<124>

Allerdings wollte er die angefangenen sprachlichen Arbeiten noch vor Ort zu Ende führen, auch wenn er nicht wußte, was im Committee in Basel wirklich über seine afrikanische Zukunft beschlossen werde. Der dortige Beschluß vom 12.Sep. 1866 (Henninger aaO S 25) hatte verfügt, daß das Ehepaar Christaller zunächst für ein Vierteljahr nach Akropong gehen dürfe, aber nach Besserung der Gesundheit die beiden wieder nach Kyebi zurück müßten. Allerdings waren diese Überlegungen längst gegenstandslos durch Emiliens Tod.

<125>

Christaller war Ende August 1866 recht krank in Akropong eingetroffen, seine "temporäre Übersiedlung" dorthin war zwar vom Committee genehmigt worden (Prot. 17.9.66 S.118), aber er habe sich trotzdem wie zuvor als Akem-Missionar zu betrachten. Die November-Korrespondenz dreht sich nun hauptsächlich um die Frage, was mit den beiden jüngsten Knaben geschehen solle, ob sie bereits jetzt nach Basel gebracht werden sollten (vom 13.11.1866 G. Merkle an R. Ziegler, M3,66 GM 9; vom 15.11.1866, Merkles an G. Christaller, Dok 66/23).

Vom Dezember 1866 liegen im Archiv vier Briefe vor:

  1. 3.Dez. 1866 aus Akropong, G. Christaller an Schwester und Schwager Merkle (Dok 66/24).

  2. 3.Dez. 1866 aus Akropong, G. Christaller an Eltern in Waiblingen (Dok 66/25: M3,66 G C 10).

  3. *14.Dez. 1866 aus Gmünd, Gottliebin an eine Freundin (Patin von Paul) - (Nbrg GM ohne Nr.).

  4. 14.Dez. 1866 aus Waiblingen, Rosine Ziegler an G. Merkle in Gmünd (M3,66 Zie).

<126>

Im ersten Schreiben spricht Christaller über die postalischen Kontakte zwischen Europa und Westafrika, ferner über die direkte Schiffsverbindung (Dampfschiff La Palma), er erzählt Einzelheiten von Missionskollegen, stellt Überlegungen an über die weitere Zukunft seiner beiden kleinen Knaben, ist geneigt, die Entscheidung den Baslern zu überlassen, was wiederum seine Entschlußlosigkeit, ohne Emilie etwas zu entscheiden, zeigt, ferner seine Müdigkeit und überhaupt eine gewisse Lethargie vermuten läßt. Abschließend vermerkt er, daß sein Gehilfe der Unzucht angeklagt wurde und ihm darum verloren gehe.

<127>

Das zweite Schreiben nach Waiblingen berichtet von der Reaktion, welche die Todesnachricht der Mutter bei seinen beiden ältesten Kindern ausgelöst habe. Die beiden anderen weniger bedeutenden Briefe werden nur zur Information hier angeführt.

2.9.20. 1867 - Rückkehr nach Akropong

<128>

Den Wunsch, die Korrespondenz zwischen Europa und der Goldküste im Jahre 1867 keinesfalls verkümmern zu lassen, beweist die hohe Zahl an vertraulichen Briefen, vor allem zwischen den Geschwistern Gottlieb Christaller und Gottliebin Merkle.

<129>

Hinzu kommen dann noch die bewußt väterlich gemeinten, aber völlig unkindlich wirkenden Briefe G. Christallers an seine Kinder, besonders in die beiden Häuser der Kinderheimat in Basel. Diese etwas unbeholfene Bemühung des verwitweten Vaters bringt ganz andersartige familiäre Bezüge, er war sich dessen bewußt, daß er nicht wie Mutter Emilie mit den Kindern brieflich Gefühle austauschen konnte. (Diese Briefe von 1867 und 1868 sind im folgenden Kapitel getrennt zusammengestellt und ausgewertet.)

<130>

Vater Christaller hat diese seine Unfähigkeit, einen gefühlsstarken Kontakt zu den eigenen Kindern aufzubauen, selbst erkannt, vielleicht auch darunter gelitten, wie er an G. Merkle am 2.Jan. 1867 aus Akropong äußert (Dok 67/1):

Heute habe ich nun den dreien in Basel und ihren Pflegeltern zu schreiben; es will mir fast an Stoff zu vier Blättchen für sie gebrechen, wie vermisse ich auch darin meine lb Emilie, die bei einer Handarbeit darüber nachdenken konnte und dann so ein Briefchen kurz und gut abmachte.

<131>

In diesem Schreiben erfährt man etwas von Christallers Einsamkeit in Akropong, wo er völlig unentschlossen hin und her überlegt, ob er nun seine beiden jüngsten Knaben doch schon im April nach Basel senden solle. Auch bei einer solchen Entscheidung fehlt ihm jetzt seine Emilie sehr. Wie bei ihm so häufig, ringt er sich zu keiner echten eigenen Entscheidung durch und er möchte dies gerne der Erziehungs-Commission im Missionshaus überlassen; jedenfalls ist er willens, die beiden Jüngsten aus der bisherigen familiären Obhut in Waiblingen und in Gmünd herauszuziehen und sie nach Basel zu schicken. Dabei bedenkt er auch den Nutzen, der aus einer Gemeinschaftserziehung statt einer Einzelerziehung erwächst, gemessen an dem familiären Ambiente in Waiblingen (für Ernst), der aber außer dem Großvater auch in der Tante Bertha Ziegler eine im Glauben starke Betreuerin gehabt habe, oder in Gmünd (für Theodor Benoni).

<132>

Ende Januar reiste er nach Kyebi für ca 4 Wochen, er mochte diese Zeit gerne als Erholung ansehen, denn er befand sich auch trotz der großen Hitze dort immer recht wohl. Er wollte nochmals an den Ort der letzten Gemeinsamkeit mit Emilie zurückkehren und ihre Hinterlassenschaft ordnen; er traf entsprechende Verfügungen und hat bei dieser Rückbesinnung auf die gemeinsam durchlebte Zeit mit Emilie anscheinend doch wieder neuen Elan gefunden.

<133>

Dann besuchte er die Generalkonferenz am 6.März (Foto bei Henninger aaO S.29) in Kukurantumi, wo u.a. über Dienstbotenordnung und Schulordnung zu beraten war, auch ein neuer Präses gewählt wurde. Aber zufrieden war er gewiß nicht, denn er klagte eingehend:

So hat eben jeder Tag seine Plage, Unruhe, Aufgabe, sein Kreuz; Krankheit, Schwachheit, Tod treten einem auch immer wieder entgegen, so wie Feindschaft und Kriegsunruhen, Ungerechtigkeit, Stumpfheit, Gleichgültigkeit, Trotz, Dieberei unter den Heiden oder auch Christen. Doch der Herr hilft auch immer wieder durch und will endlich erlösen von allem Übel. Möge Er bald kommen in Seinem Reiche und wir mit Freuden dann unsere Häupter aufheben können. (Dok 67/5 vom 5.März 1867)

<134>

Bei derlei Überlegungen ist er merkwürdig hin und her gerissen zwischen dem Gefühl eigener Unzulänglichkeit und ungenügender Daseinsbewältigung einerseits und dann doch immer wieder im Glauben stark verwurzelt, im Zutrauen auf Gottes unendlichen Rat und hoffend auf Durchhilfe des Heilandes.

<135>

Gelegentlich spricht er dann auch mal ein wenig von seinen Übersetzungsarbeiten, denen er in der Ruhe seiner stillen Kammer huldigen könne, denn die trockene Jahreszeit habe guten Einfluß auf seine Gesundheit (Dok 67/1):

Im Dez. (1866) brachte ich an der Bibelübersetzung nur 1.Kön. 1-9 zuwege, hatte freilich fast noch nicht so Schwieriges wie die Abschnitte über die salomonischen Bauten. [...] Meiner Druckarbeiten wegen werde ich mich jedenfalls in Basel aufzuhalten haben und dann hätte ich ja alle meine Kinder in der Nähe. Der Herr helfe mir soweit.

stellt er befriedigt fest, daß er sich nicht um die letzten Entscheidungen selbst zu kümmern habe.

Wenn ein Übersetzer Schwierigkeiten findet, einem eingeborenen Afrikaner gerade den Tempel Salomons näherzubringen, wovon der Uneingeweihte ja überhaupt keine Ahnung haben kann, dann begreift man, mit welchen Widrigkeiten ein Sprachwissenschaftler konfrontiert ist, wenn er eigentlich beständig erläuternde Kommentare zusätzlich mit einfädeln müßte.

<136>

Weil die Basler Missionsgesellschaft damals insbesondere unter einem größeren finanziellen Defizit litt, sah Christaller es auch als seine eigene Verpflichtung an, daß auf alle Fälle die Kinderhäuser voll ausgelastet werden sollten, und somit empfiehlt er den Übergang seiner beiden Jüngsten nach Basel, denn die Anstalt sollte keine unbesetzten Plätze ausweisen.

<137>

Im Dokumentenanhang (Dok 67/2) ist Christallers Konzept eines Schreibens an die Basler Erziehungskommission, datiert vom 3.Jan. 1867, enthalten, in welchem er die Probleme durchdenkt, welche die dortige Einschulung seiner Kinder dem Vater auferlegen werde. Diese seine Überlegungen lassen dabei wiederum durchblicken, daß er jetzt, nach dem Tode seiner Frau, noch zusätzlich sehr unsicher geworden ist, um gewisse Endgültigkeiten zu verantworten.

<138>

Natürlich lobt er die Erziehungsgrundsätze in beiden Kinderhäusern, er bekundet seinen ehrlichen Dank für die aufopferungsvolle Arbeit der Pflegeeltern, und zeigt seine Bereitschaft, daß, wenn alle fünf Kinder entsprechend versorgt seien, er dann gerne noch ein weiteres Jahr, falls die Gesundheit es ermögliche, in Afrika bleiben und den Bibeldruck so schnell wie möglich forcieren wolle.

<139>

Bertha Ziegler, die für ihren Schwager Christaller seit Emiliens Tod einige tieferliegende freundschaftliche Gefühle entwickelte - sie wird ja 1871 Gottliebs zweite Gattin werden - gesteht der Gottliebin Merkle gegenüber etwas von ihrer persönlichen Empfindung, wenn sie am 14.Jan. nach Gmünd schreibt (Dok 67/4): Sie sei dankbar für die immer so guten Nachrichten von Afrika, der gute Gottlieb aber dauere sie recht, daß er so allein und einsam dastehen müsse.

Ich hoffe, Sie werden es mir nicht als Lieblosigkeit ausrechnen, wenn ich nicht mehr nach Afrika schreibe, sondern es ist Schüchternheit, ich weiß nicht, wie ich einem Mann schreiben soll, darum halte ich es für das Beste zu schweigen und umso mehr in meinem Gebet seiner zu gedenken. Wenn einst auch unser Glaube ins Schauen übergegangen ist und wir mit erleuchteten Augen und reiferem Verstand die Tiefe der Weisheit Gottes verstehen, da werden wir nur staunen, wie der Herr alles so wohl gemacht hat.

Dies ist eine interessante Beobachtung über die Situation einer jungen Frau in der damaligen Gesellschaft, die im sozialen Ambiente so gut wie keine Eigenaktivitäten zu enfalten vermag.

<140>

Am 11.Feb. 1867 meldet sich G. Christaller aus Kyebi mit einer kurzen Nachricht nach Württemberg; er hatte eine Reise über Kukurantumi nach Kyebi gemacht, das Grab Emiliens besucht, das er mit einem Mäuerchen eingefaßt vorfand, mit Blumen bepflanzt und mit einem Kreuz darauf, neben der hübsch grünenden Palme. Auch spricht er von wehmütigen Gedanken und Gefühlen, auch von manchen Tränen (Dok 67/6).

<141>

Nun versucht er, nachdem seine fünf Kinder alle im Kinderhaus in Basel untergekommen sind, brieflich eine Art moralischer Fern-Erziehung zu beginnen, wobei natürlich vor allem der Älteste im Blickfeld bleibt (vom 6.Apr. 1867 aus Akropong, Dok 67/9). Hierzu ist nun auch heranzuziehen das folgende Sonderkapitel: "1867-1868 [...] (Chr.) an seine Kinder".

Wie die beiden Jüngsten den Übergang nach Basel verkraftet hatten, zeigt das Schreiben aus der Kinder-Erziehungs-Commission Basel vom 13.Apr. 1867 (Dok 67/10 und 67/11).

<142>

Daß die Missionserziehung, zumindest im Knabenhaus - aber die Archiv-Unterlagen sprechen ebenfalls davon, daß es auch im Mädchenhaus zu gewissen Exzessen gekommen sei - überaus konsequent, aber auch lieblos streng vonstatten ging, liest sich in manchem Schreiben. So z.B. erwähnt G. Christallers Sohn Paul in einer späten schriftlichen Rückschau auf seine Jugend in Basel zwar Spiele, Baden und Ausflüge, Einladungen bei Missionsfreunden, und er erinnert sich besonders an die Weihnachtsfeiern. Aber vor allem der allzu reichliche Religionsunterricht sei ihm eine Plage gewesen:

Gefürchtet war immer die erste Stunde am Montag. Da wurden die Lieder oder Sprüche abgehört, die wir über den Sonntag aufbekommen hatten. Weh dem, der da schlecht bestand. Da gab es trotz des frommen Stoffs Tatzen oder selbst Hosenspannen und eitel Wehgeschrei.

<143>

Hier liegt die Vermutung nahe, wie Paul Christallers Tochter Frida schreibt, daß ihres Vaters Abneigung gegen allen Zwang in religiösen Dingen daraus resultierte. (Frida Christaller: "Paul Gottfried Christaller, 21.8.1860 -31.12.1950" im Archiv Christaller in Neuenbürg.)

<144>

In einem sehr instruktiven Schreiben an Christiane Heller, Patin der Kinder und Freundin, die Emilie sehr nahe stand, erfahren wir manche wichtige Einzelheit über Christallers Arbeiten, aber auch über seine vielfach sehr niedergedrückte Stimmung, weswegen das Schreiben in voller Länge im Anhang (vom 30.4.1867, Dok 67/12) wiedergegeben wird. Es enthält aber auch einige für Christaller doch recht ungewöhnliche Reflexionen über die irdische und die geistige Liebe.

<145>

Er klagt darin vielfach, daß er an seine Kinder und ihre Pfleger bisher jeden Monat 6 Brieflein zu schreiben hatte und dabei gar sehr die treue Gehilfin (Emilie) vermisse; denn: "Das Briefschreiben wird mir gerade darum weniger leicht, weil ich Tag für Tag mit der Feder und mit dem Kopfe in mindestens 4, ja in 6-8 Sprachen zu arbeiten habe - Deutsch denke ich, Englisch rede ich mit meinem Gehilfen, in Tschi schreibe ich die Übersetzung, Ga vergleiche ich, aus Griechisch, Hebräisch (und Chaldäisch in einem Theil von Esra und von Daniel) ist die Bibel zu übersetzen und die Hilfsmittel zum genauen Verständnis aller Worte und Ausdrücke sind deutsch, englisch und lateinisch geschrieben; ich habe auch schon die französische Bibelübersetzung verglichen, und wer gründlich hebräisch treibt, bekümmert sich auch ein wenig ums Arabische."

<146>

Es besteht für den späten Betrachter dabei wohl kaum Grund, diese Vielseitigkeit des Arbeitens etwa als Übertreibung oder gar Arroganz aufzufassen. Daß aber ein solches weitgestecktes Pensum seiner Gesundheit zu schaffen macht und er berechtigt über Ermüdung klagt, ist dabei verständlich. Er spricht von Dornen und Disteln und reichlichem Schweiß, hauptsächlich aber von seiner Müdigkeit. Doch die Ermüdung in der Arbeit sei viel leichter zu übernehmen als die Ermüdung an den Leuten. Er freue sich trotz allem daran, daß seine Arbeit vorwärts gehe.

<147>

Seine sich hier anschließenden Reflexionen über die Liebe, die ihren Ausgangspunkt von seiner Bindung an Emilie nehmen, dann unterschwellig auch das briefliche Gegenüber mit einbeziehen, um letztendlich in der verinnerlichten geistigen Liebe zu münden, gehört wohl zu seinen schönsten Äußerungen, die schließlich im hohenpriesterlichen Gebet münden: "Du Vater in mir und ich in Dir - ich in ihnen, den Glaubigen, und sie in uns Eines, vollendet in Eines".

<148>

Zugleich kann man in solcher Argumentation wohl etwas davon erkennen, in welcher Weise Christallers biblische Exegese und seine Predigten beschaffen waren. Recht mutlos klingt G. Christallers Schreiben nach Gmünd vom 2.Juni 1867 (Dok 67/14): Er dankt für das, was Gottliebe an den Kindern getan habe; er selbst könne jetzt Gesundheit und mehr Frische wohl brauchen. Wo könne man denn in dieser letzten betrübten Zeit ruhige Tage erhoffen? aber er bekomme jetzt wenigstens einen Gehilfen. Der König von Kyebi sei gestorben und auch Frau Eisenschmid, die nun neben Emilie im Grabe ruhe.

<149>

Im nächsten Brief nach Waiblingen (4.Juni 1867 aus Akropong, Dok 67/15) bekundet er, daß er den Kontakt zur Familie Ziegler aufrechterhalten wolle. Er sei sehr dankbar, daß er seine Emilie fast 10 Jahre hatte haben dürfen und daß sie ihm und den Zieglers die fünf Kinder hinterlassen habe."Mögen doch alle auch Himmelsbürger werden und wir alle dort in vollkommener Weise und nie aufhörender Seligkeit vereinigt werden," heißt es in gläubiger pietistischer Überzeugung.

<150>

Seine fortwährenden Klagen schwelen weiter (vom 3.Juli 1867, Dok 67/16): Er könne den Anforderungen des Lebens nur schwer entsprechen, sei mißmutig, verstimmt, verzagt und gedrückt. Auch sei er weder mit seinem Gehilfen noch mit den beiden Negerknaben zufrieden. Wenn er noch anfügt, daß er einen Wegweiser zur Seligkeit suche und hoffe, vor Ablauf des 40. Lebensjahres noch gescheit zu werden, so zeigt diese Formulierung doch, daß er nicht ganz so deprimiert war.

<151>

Am 5.Aug. (Dok 67/17) beziehen sich seine Klagen auch auf seine schriftlichen Arbeiten. Hiob zu übersetzen sei eine verdrießliche Arbeit, weil es in der Negersprache keine Ausdrücke dafür gebe, was er übersetzen müsse. Im Grunde könne man die ganze Übersetzung nicht abgeben ohne einen Kommentar.

Auch die Kämpfe rivalisierender Negerstämme am Volta-Fluß berunruhigten ihn. [...]

<152>

Die Neuankömmlinge (vier Bräute) auf dem Missionsschiff 'Die Palme' vom 7.Juli seien zwar zunächst gesund, aber dann bekämen sie doch Fieber und Unterleibsgeschichten. [...] So kommt er zu einem Vergleich des Missionslebens im Heidenlande mit den Christen daheim: daheim wüßten sie nicht, wieviel sie an den Segnungen des Christentums auch in äußeren Dingen und im täglichen Leben haben.

<153>

Schwägerin Bertha Ziegler machte sich Gottliebe Merkle gegenüber anscheinend Hoffnungen, beim Schwager in die Nachfolge ihrer Schwester Emilie zu treten, wie ihr Schreiben an diese vom 12.Aug. 1867 erkennen läßt. (Dok 67/18)

<154>

Eine etwaige Wiederverheiratung erwägt auch Christaller selbst, wie das seitenlange Schreiben vom 2.Sep. 1867 (Dok 67/19) an Schwester G. Merkle erkennen läßt. Es ist in der Art eines Monologs gehalten, wobei der Schreiber sich immer wieder vor Augen hält, was etwa die sel. Emilie gesagt oder gedacht haben könnte. Dabei spielt Bertha keine untergeordnete Rolle, doch zeigt er eine ähnliche Unsicherheit im Entscheiden, wie es schon vor seiner Heirat mit Emilie gewesen war. Er findet aber, was für ihn sehr selten ist, auch sehr liebevolle Worte für die Verstorbene.

Über seine eigenen literarischen Arbeiten gibt er Folgendes zu bedenken:

Meine Gesundheit u meine Arbeit machen gleicherweise meine baldige Rückkehr nach Europa wünschenswert, und dann werden die mir vorliegenden Arbeiten mich wohl zwei bis drei Jahre, wenn der Herr mich solange leben läßt, in Anspruch nehmen. Meinen Aufenthalt zu diesem Zweck würde ich, wenn es die Committee nicht anders will, am besten in Basel nehmen, wo ich meine Kinder in der Nähe hätte und die Missionshaus-Billigkeit benützen könnte.

<41>

Aber er findet auch recht kritische Worte post mortem über seine verstorbene Gattin, wenn er feststellt:

Ich für meinen Theil konnte diese Stimmung bei Emilie nicht billigen, sie auch nie theilen, indem ich noch nie bedauert oder bereut habe, daß ich Missionar geworden bin, noch auch, daß Emilie meine Frau geworden ist. Doch enthielt ich mich auch des eigentlichen Tadels oder der Bekämpfung und des Widerspruches gegen diese Stimmung, weil ich begriff, wie sie eben etwas anders fühlte und unter den Folgen der Vergewaltigung unseres Lebensganges wirklich empfindlich zu leiden hatte. Verleugnung und Aufopferung ward ihr nicht erspart, obwohl Du (d.i. G. Merkle) ihr vielleicht auch dieß je und je ihr als Pflicht einer Missionsfrau vorgehalten hättest.

Selbst über seine herzliche Liebesbeziehung zu Emilie spricht er sich in diesem Schreiben an Gottliebe aus:

Von dem Sichverlieben, das H Inspektor (aus eigener Erfahrung?) eine Art Wahnsinn nennt, den man durch einen Aderlaß heilen könne, weiß und erfuhr ich nichts u werde nichts davon erfahren. Ich liebte meine theure unersetzliche Emilie treu und ganz und allein, und liebe sie noch. [...]; (aber) Emilie selber fragte mich einmal, was ich nach ihr thun würde (d.h. wenn sie gestorben sei), ich konnte dem Gedanken gar nicht stattgeben.

<155>

Dieser große Brief zeigt in der Tat G. Christaller von einer sehr persönlichen Seite, die er sonst durchweg beiseiteschiebt oder zumindest meidet, weil er seine Gefühle anderen überhaupt nicht offenbaren will. Daß aber seine Schwester Gottliebe seine einzig wirklich Vertraute war, kann man über die Jahrzehnte verfolgen.

<156>

Von den Kriegsunruhen am Volta, an der Goldküste, von Mord und Raub zwischen den Stämmen handelt sein nächster Brief aus Akropong vom 3.Sep. 1867 (Dok 67/22) nach Gmünd; in dem ruhigen und geordneten Gang in der Heimat könnten sich die Briefempfänger gar nicht denken, wie es in Afrika oft zugehe oder einem zumute sei.

<157>

Da seine Briefe in der Verwandtschaft immer zirkulieren, erfährt man auch in Waiblingen von Christallers trüber Stimmung, so schreibt Rosine Ziegler an Gottliebe am 15.9.1867 aus Waiblingen (M1,67 Zie): Ohne Gottes Hilfe könnten die Missionare es nicht so lange aushalten, heißt es in nicht so recht überzeugendem Optimismus. Der guten sel. Emilie könne man unter solchen Umständen allemal ihre ewige Ruhe gönnen.

<158>

Ganz tiefe Depressionen des mittlerweile völlig Vereinsamten zeigt sein Brief an Schwester Gottliebe vom 3.10.67 (Dok 67/23):

Solange ich am Übersetzen sitze, bin ich befriedigt, wenns auch gegenwärtig nur langsam vorwärts geht. Aber in den Zwischenzeiten, wo doch auch so manches geschehen sollte, sind meine Gedanken ganz zerzaust und zerstückt. Lesen geht schon, aber es bleibt mir nicht viel davon, und wenn ich z.B. auf eine Predigt oder Lektion vorbereiten soll, so fehlt es am Stoff und an Auswahl, Eintheilung u Einkleidung der Gedanken und am Festhalten des Gedächtnisses.

<159>

Und so brechen doch immer wieder Töne der eigenen Unzufriedenheit hervor und Klagen darüber, daß er keinen überzeugenden geistlichen Weg zu einer befriedigenden Klärung seiner eigenen Wünsche und Vorstellungen finden könne; dabei scheint es ihm doch an tieferer Kraft des Glaubens zu fehlen:

Das Schwerste u Schlimmste ist, daß die Trostquelle, zu der Du mich weisest, selber mir geworden ist wie ein Born, der nicht mehr quellen will (Jer. 15,18), ja daß es mir vorkommt, als habe ich sie eben nur im Kopf u vom Lesen u Hörensagen u nicht vom Herzen u im Erleben erkannt, und dann, daß ich jetzt 40 Jahre alt bin u die Frische u Kraft, die mir bisher fehlte, nicht leicht jetzt erst kommen kann.

Er denke zwar wohl, wenn er ein einziges Jahr ungestört seiner Arbeit obliegen dürfte (wie es nur in der Heimat, nicht hier sein könnte), so könnte er noch zurecht kommen.

<160>

Und rückschauend spricht er nun von seiner Verbannung nach Winnenden im Jahre 1860, hier hätten sein Lebensgang und seine schriftlichen Arbeiten der Tschi-Mission eine unbeschreibliche Verwirrung gebracht. Im Zusammenhang damit kritisiert er auch gewisse Zustände innerhalb der Mission, die eben eine gedeihliche Arbeit kaum noch möglich machten und große Verzögerung verursachten. Mit Selbstanklagen, weil er seine Gedanken nicht gehörig in Zucht halte, sparte er dabei nicht:

Des Vaters und der Lehrer entbehrte ich, und mein Gottreich steht, scheint es mir, in Gefahr, es auch so zu machen, indem er so schwer rechtzeitig an seine Sachen zu bringen ist, wie H Pfisterer schreibt.

<161>

Solch versteckte Vorwürfe gegen seinen Ältesten häufen sich jetzt ziemlich und trugen gewiß nicht dazu bei, das Verhältnis zwischen Vater und heranwachsendem Sohn noch zeitig genug auf eine gereinigte Basis zu bringen.

<162>

Seine Gedanken um eine etwaige Wiederverheiratung, die immer stärker um Bertha Ziegler kreisen, mischen sich mit Wohnproblemen nach seiner Rückkehr in Waiblingen wie auch mit Finanzfragen wegen der Bibelübersetzung.

<163>

Gegen Jahresende verlieren Christallers Briefe etwas den Charakter der restlosen Unzufriedenheit. Selbstkritische Töne trägt auch der erwähnte Brief an die Schwester vom 31.Okt. /4.Nov. 1867 aus Akropong (Dok 67/25). Er übt an sich selber häufig Kritik und betont seine eigene Bescheidenheit, wie das folgende Beispiel zu zeigen vermag:

Die Hemdenbestellung machte mir auch noth, ob ich sie über Kornthal oder Waiblingen gehen lasse. Meine Unschlüssigkeit in solchen Sachen (wie etwaige Wiederverheiratung) und mein Zaudern sind schlimme Fehler, von denen ich nicht weiß, ob sie nur Ergebnis krankhafter Verstimmung meines leiblichen und seelischen Lebens sind und noch auf Besserung hoffen lassen, oder ob sie schon zu sehr mit meinem Wesen verwachsen sind.

Oh, ich bin mir oft selber recht zur Last und darf dann froh sein, daß ichs nicht auch anderen bin, wenigstens hüte ich mich davor, so sehr ich kann; habe ich in meinem Leben schon Rücksichtslosigkeit erfahren, so nehme ich nur umso mehr Rücksicht auf andere. Ich will dies aber nicht als etwas Lobenswerthes von mir angeführt haben, denn es ist überhaupt nichts Lobenswerthes an mir, und Christus hat noch nicht in mir die rechte Gestalt gewonnen. (Dok 67/25)

<164>

Der letzte Brief, geschrieben am 22. und 29.Dez. 1867 an G. Merkle (Dok 67/27) hat einen recht versöhnlichen Klang nach den vielen notvollen Schreiben der vergangenen Monate. Hier erfährt der Leser auch einmal im Detail etwas von gottesdienstlichen Gepflogenheiten unter den Afrika-Missionaren, z.B. wie das Heilige Abendmahl in Akropong vollzogen wird:

29.Dez: Diesen VM feierten wir des Herrn Mahl: acht europäische Brüder, vier Schwestern, einige Westindier u etwa 60 Eingeborene, von denen freilich die Mittelschüler eine ziemliche Anzahl bilden. Wir habens alle 8 Wochen, Bruder Mader reicht das Brot, ich den Wein. Die Hälfte aller Gottesdienste hat Bruder Mader, der sehr gerne predigt; seine übermäßig starke Stimme, die fehlerhafte Betonung und andere Sprachfehler nehmen mir ein Guttheil des Segens.

Am Christfest taufte Bruder Mader etwa 10 Erwachsene, 12 Erziehungsknaben u ein paar Kinder. Ich glaube, daß des Herrn Werk vorwärtsschreitet, aber es werden auch Prüfungen u Sichtungen, wie solche über die Mission in Abeocuta ergangen sind, bevorstehen.

<165>

Christallers kritische Bemerkungen zur Predigtweise seines Kollegen Mader lassen erkennen, daß es wohl vielfach zu Reibungen gekommen sein wird und daß er selbst sich seines besonderen Wertes als Sprachwissenschaftler durchaus bewußt war.

Am Endes dieses Jahres 1867 sieht Christaller jetzt doch das sich nahende Ende seines Einsatzes im Missionsfeld vor sich, zumal auch seine Übersetzungsarbeiten zügig fortgeschritten waren. Er rechnet mit der Heimkehr nach Basel im Juli des folgenden Jahres.

2.9.21. Aus den Briefen J.G. Christallers an seine Kinder

2.9.22. 1867-1868

<166>

Über das Verhältnis G. Christallers zu seinen Kindern aus der ersten Ehe können wir aus seinen Briefen fast nur indirekte Schlüsse ziehen. Vor seiner zweiten Ausreise nach Afrika im Jahre 1862 waren sie noch zu klein, um mit ihm in ein Gespräch zu kommen. Nach Emiliens Tod im Jahre 1866 mußte er dann in Afrika seine väterlichen Briefe nach Basel selbst verfassen, die vorher seine Frau geschrieben hatte. Gegen seine Schwester G. Merkle äußert er einmal ganz direkt, daß ihm diese Aufgabe sehr schwer falle und er oft gar nicht wisse, was er schreiben solle. Seiner Frau sei das viel leichter von der Hand gegangen. Liest man seine Briefe an die Kinder, so kann man das gerne glauben.

<167>

Durch die jahrelange Trennung kannte er die Kinder so gut wie gar nicht, war über den Stand ihrer Entwicklung fast nur indirekt unterrichtet durch die Anstaltseltern in Basel oder die Verwandten. Keine von diesen Personen hat wohl aus den unterschiedlichsten Gründen ein objektives Bild der Kinder übermitteln können.

<168>

Die Großeltern Ziegler hingen mit großer Liebe an ihrem Enkel Ernst, ebenso die Schwester Gottliebin Merkle an dem jüngsten Sohn Theodor Benoni. In Basel waren die Kriterien für eine Beurteilung wieder ganz anders, dort galten die Maßstäbe des Gehorsams, der Ordnung und Lernwilligkeit und die Fähigkeit der Anpassung an das Gemeinschaftsleben.

<169>

Die Briefe Christallers spiegeln hauptsächlich die Zeit wider, als alle fünf Kinder in Basel sind und geben sozusagen ein Echo der dortigen Erziehungsmethoden. Es wird sehr früh eine gewisse Parteilichkeit des Vaters deutlich, und zwar verteilt sich sein Wohlwollen proportional zum Wohlverhalten der Kinder - immer gemessen an den Beurteilungen der dortigen Erzieher und am Inhalt der kindlich unbeholfenen Briefe.

<170>

Eine genaue Kenntnis oder gar ein Eingehen auf ihre ganz unterschiedliche Wesensart lag weder in den damaligen Erziehungmethoden noch in der Absicht des Vaters. Denn für ihn lösten sich alle Probleme oder heilten alle Gebrechen mit der Intensität des Glaubens an den Heiland. <41>

<171>

So sind auch seine Briefe durchzogen von diesem Tenor, und alles, was er den Kindern zu sagen hat oder wenn er von seinem afrikanischen Leben etwas erzählt, hat als Schluß- und Angelpunkt immer den "lieben Heiland", der den Kindern sogar als Mutter-Ersatz dienen soll.

<172>

Schreibt z.B. im Jahre 1866 Sohn Paul, damals gerade sechs Jahre alt, seinem Vater, daß er sich eine Trommel und eine Bibel zu Weihnachten gewünscht hätte, so hat darauf der Vater eine charakteristische Antwort: er macht dem Sohn die Nichtigkeit der Trommel klar und setzt ihm den Wert der Bibel auseinander, ein Gedankengang, dem ein Kind dieses Alters sicher nicht folgen kann oder mag. Aus dem Wert der Bibel versucht er dann dem Kind zu erklären, warum er diese in die "Negersprache" übersetzt, für ein Kind sicher ein ebenso unverständliches Thema (she Dok 67/2 vom 27.Jan. 1867).

<173>

Wie sich später erweist, ist die Beziehung zu dem ältesten Sohn Gottreich Erdmann schon hier tiefgreifend gestört, oder besser gesagt, die Argumente des Vaters führen zu dieser Störung. Statt seine Freude über die Briefe des Sohnes zu bekunden, werden stets nur die Defizite herausgepickt und gerügt. Der sehr begabte Sohn, der in seiner Altersgruppe stets der 2. ist, wird wegen seines nicht zufriedenstellenden "Memorierens" ermahnt: "daß man beim Lernen nicht an andere Sachen denken soll", oder daß der Brief zu kurz war (she Dok 67/1 vom 4.Jan. 1867).

<174>

Dabei hat G. Christaller kaum oder gar kein Einsehen darein, daß der Sohn den Vater so gut wie nicht kennt. Dann berichtet er auch diesem 10-jährigen Sohn, welche Abschnitte des AT er gerade übersetzt hat, und zwar 2. Könige, ein Bibelabschnitt, mit dem das Kind sicher noch nicht in Berührung gekommen war.

<175>

Am gleichen Datum vom 27.Jan. 1867 (Dok 67/3) schreibt er an seine Tochter Martha, die ja von den Brüdern getrennt im Basler Mädchenhaus lebte. Der Brief ist zu ihrem 8. Geburtstag und ruft das Kind zur Dankbarkeit gegen ihre Erzieherinnen auf. Gleichzeitig nimmt der Vater Bezug auf die im Vorjahr verstorbene Mutter und empfiehlt das Kind dem Heiland, der nun Mutterstelle an ihr vertreten solle: "Bete täglich zu ihm, als ob er bei Dir wäre, wie der lb Insp. einmal zu Dir gesagt hat: 'Der Heiland ist jetzt Deine Mama.'"

<176>

Für ein Kind, das die leibliche Nähe, Liebe und Zärtlichkeit seiner Mutter entbehren muß, ist das wohl ein nicht ganz nachvollziehbarer Trost. Dann stellt der Vater Vergleiche an mit dem Heiland und der Sonne, diese wisse ja nicht, für wen sie scheine, der Heiland aber sehr wohl.

Jesus weiß und hört und sieht alle, die zu ihm kommen und zu ihm beten; und es ist, als wäre er für jedes Einzelne besonders und allein da.

<177>

Wenn er auf konkrete Ferienerlebnisse des Kindes eingeht, so ist das stets mit Einschränkungen oder Ermahnungen verbunden. Er versichert dagegen der Tochter die positiven Wirkungen ihrer Gebete: "Diese 6 Wochen habe ich kein Fieber mehr gehabt; da hat der lb Gott auch Deine Bitten erhört."

<178>

Im März (Dok 67/4, vom 4.März 1867) gibt er dann an alle fünf Kinder gemeinsam eine ausführliche Beschreibung über eine Fußreise von Akropong nach Kyebi, so wie er sie auch an die Erwachsenen in der Heimat schreibt.

<179>

Die Einzelheiten über Lebensweise der Neger, über Träger, Hängematten und die nächtliche Unterbringung in den offenen Negerhütten werden höchstens den ältesten Sohn G. Erdmann interessiert haben, aber von dem wissen wir nun wieder, daß er den Briefen seines Vaters aus verständlichen Gründen lieber aus dem Wege geht. So ist ein Kontakt mit den Kindern auf diesem Wege sicher nicht sehr intensiv gewesen. Dazu muß man bedenken, daß der jüngste Sohn den Vater gar nicht kannte, und der zweitjüngste (Ernst) auf die neue Heimat in Basel mit Tränen und Heimweh nach den Großeltern reagiert hatte.

Daß die Mutter in Kyebi starb und begraben wurde, wird in den Kindern wohl auch kaum konkrete Vorstellungen erweckt haben.

<180>

Wenn Gottlieb Christaller auch, wie z.B. am 3.Mai 1867 (Dok 67/6), bedauert, nicht bei seinen Kindern sein zu können, so stellt er auch ihnen gegenüber stets seine Aufgabe in Afrika als so wichtig hin, daß dagegen die Familienbande nicht schwer wiegen.

Aber der liebe Heiland hat ja seinen Jüngern befohlen, in alle Welt zu gehen. [...] Er hat auch mich nach Afrika gehen heißen. [...] Wenn man den Heiland bei sich hat, dann hat mans gut.

<181>

Wie sich das Leben ihres Vaters mit dem Heiland in Afrika abspielte, davon hatten wohl die Kinder keinen Begriff, und es wird sie auch nicht sonderlich interessiert haben, da sie mit ihrem eigenen Leben in Basel genug Probleme zu bewältigen hatten.

<182>

Der Vater dagegen hält Basel für den bestmöglichen Aufenthalt für seine Kinder, obgleich seine beiden Jüngsten, als sie dorthin gebracht wurden, für ein Leben in der strengen Zucht sicherlich noch viel zu klein waren.

Danket Gott und freuet Euch, daß Ihr an einem guten Orte seid, daß Euch der liebe Gott statt Eures Vaters in Afrika und Eurer Mutter im Himmel [...] einen Papa und eine Mama in Basel geschenkt hat. [...] So gut wie jetzt werdet Ihr es später nicht mehr bekommen.

<183>

Daß Wunschvorstellung des Vaters und Wirklichkeit allerdings sehr weit auseinanderklaffen, zeigt ein Brief von G. Merkle an ihren Bruder, worin es heißt (Dok 68/8 vom 2.Aug. 1868):

Es freute mich besonders, daß Gottreich mir seine zärtliche Liebe so zeigte. Er suchte immer neben mir zu sitzen und meine Hand zu haben, und wenn ich ihn in die Arme nahm, erwiderte ers aufs Zärtlichste.

Sogar nachts sind die Kinder glücklich, daß sie bei der Tante im Zimmer schlafen dürfen, und alle drängen sich in ihre Nähe.

<184>

Aber auch von der liebenden Tante werden eigenständige Denkregungen Gottreich Erdmanns konsequent unterdrückt. Sie beschreibt ihn als einen "Wortklauber", der denkend zu dem Schluß kommt, daß Gott auch nicht alles machen könne, nämlich das Geschehene wieder ungeschehen, worauf die Tante ihm erwidert, über solche Sachen dürfe man nicht grübeln. Wer solche Zeilen zu lesen versteht, kann wohl die Gefühlsdefizite ermessen, an denen die Kinder in ihrer frühen Zeit litten und die zumindest bei Gottreich Erdmann und Ernst bleibende Schäden angerichtet haben. Der Vater G.Chr. ist wohl nie auf die Idee gekommen, seine Arbeit gegen die Gefühlswelt seiner Kinder abzuwägen. Wenn später G.E. ihm die Erziehung in den verschiedenen Anstalten vorwirft, so erwidert er darauf, daß andere das auch unbeschadet überstanden hätten und etwas Tüchtiges geworden seien.

<185>

G. Merkle schreibt weiter: "Beim Abschied fragte ich, ob er (G.E.) wieder gerne nach Basel gehe, er sagte entschieden: 'Nein'. "Auf solche Regungen seines Sohnes geht der Vater mit keinem Wort ein. Seine Ermahnungen an die Kinder, in diesem Fall besonders an Paul, lauten auf unbedingten Gehorsam, untermauert mit etlichen Sprüchen, die er zu lernen empfiehlt:

Bin ich doch noch jung und klein,
folgsam muß ich doch schon sein.

oder:

Wo ich bin und was ich thu,
sieht mir Gott, mein Vater, zu.

<186>

Für sensible und intelligente Kinder ist das sicher kein Gefühl, das ein bißchen Selbstvertrauen erwecken könnte. Selbstvertrauen sollten sie ja nach dem Willen des Vaters auch gar nicht haben, eben nur Vertrauen auf Gott oder den Heiland, für manche Kinder eine schier unlösbare Aufgabe.

<187>

Der Anspruch des irdischen Vaters hingegen richtet sich auf die Länge der kindlichen Briefe. Hier werden Martha und Paul gelobt, weil sie "nett geschrieben" haben. G.E. dagen wird getadelt, weil seine Briefe zu kurz sind, und der Vater gibt dann Anweisungen an den Zehnjährigen (!), daß dieser sich doch bei der und jener Gelegenheit gleich Notizen machen solle, um dann genügend Stoff für Briefe an den Vater zu haben.

<188>

Er selber ist zwar um "Stoff" in seinen Briefen an die Kinder nicht verlegen, nur gehen seine Beschreibungen einer erneuten Reise nach Kyebi, um Miss. Eisenschmnid und seiner sterbenden Frau beizustehen, wohl gänzlich an den Ohren und dem Interesse der Kinder vorbei, ebenso wie die Nachricht vom Tode des dortigen Königs.

2.10. 1868 - Abschlußarbeiten in Afrika und Rückkehr nach Basel

<189>

Gewisse familiäre Unstimmigkeiten oder gar Verdrießlichkeiten kennzeichnen den Beginn des Jahres 1868. Durch das Weiterreichen von als privat anzusehenden Briefen in der Verwandtschaft hatte es gewisse Mißverständnisse gegeben.

<190>

Daß manche schon bestehende Differenzen dadurch noch besonders verstärkt wurden, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß die briefliche Verbindung durch die postalischen Verhältnisse zwischen Europa und Afrika infolge der langen Beförderungszeit manches Geschriebene oder Erwähnte eher verdunkelt. Auch gibt es Ungereimtheiten, wenn nur einzelne Briefe und nicht die gesamte Korrespondenz unter Verwandten zirkuliert oder etwa nur mit vagen Andeutungen gearbeitet wird.

<191>

Die Familien Rapp und Merkle wie auch G. Christaller selbst sind in manchen Einzelheiten verschiedener Meinung; unterschwellig scheint sich manches auch auf die Möglichkeit einer neuerlichen Ehebindung Christallers zu erstrecken, und so taucht der Name der Bertha Ziegler in diesem Zusammenhang hier wieder auf.

<192>

Retrospektiv wird dabei von den jeweilig Beteiligten nochmals Christallers Urlaubsjahr 1860 in die Betrachtung einbezogen. Auch werden manche Differenzen, die sich an den Namen Josenhans knüpfen - als JJJ = Insp. Joseph Josenhans nur chiffriert genannt - hier am Rande erwähnt, so am 1./3.Febr. 1868 G. Christaller an Gottliebe M. (Dok 68/1):

Bei den lb Rapps äußerte ich einmal etwas wie Klage gegen eine Person, der ich Ehrerbietung und Liebe schuldig und erbötig war; er erwiderte: solange ich mit ihm zu thun gehabt habe, ist er mir immer als ein eigenwilliger, eigensinniger und eigenmächtiger Mann erschienen.

Diese drei Worte haben mir schon oft zu schaffen gemacht, ich habe auch in meinem letzten Briefe bei den drei JJJ daran gedacht.

<193>

Christallers Unstimmigkeiten mit Insp. Josenhans waren also 1868 noch nicht bereinigt. In einem überaus langen, umständlichen und theologisch angereicherten Schreiben an die Eltern Ziegler vom 2.Feb. 1868 (Dok 68/2) erwähnt Christaller, daß er bis Juli 1868 zurückzukehren gedenke, "bälder wirds nicht sein können, ich will froh sein, wenn ich in diesen 4 Monaten mit dem Nöthigsten fertig werde. Von 1.223 Kapiteln der Bibel habe ich noch 111 zu übersetzen, wozu ich noch etwa 2 Monate brauche; für andere Arbeiten sollte ich eher ein Jahr als nur zwei Monate weiter haben, aber ich muß einmal abbrechen, will man zuviel auf einmal, so wird das schon Gewonnene aufs Spiel gesetzt." Dann werde er aber nicht in Waiblingen wohnen, sondern in Basel, näher bei seinen Kindern und mit der Möglichkeit, die dortige Bibliothek zu seinen Arbeiten zu gebrauchen.

<194>

Über seine tägliche Arbeitsmethode in der letzten Phase seines Afrika-Aufenthaltes berichtet er nach Gmünd am 4.März 1868 (Dok 68/3). Dabei schildert er präzise seinen üblichen Tageslauf und erwähnt auch seine augenblicklichen Arbeiten):

Ich arbeitete in letzter Zeit hauptsächlich an der Bibelübersetzung, hatte meinen Gehilfen öfters morgens 6 1/2 bis 7 1/2 und dann regelmäßig von 8 1/2 bis 12 Uhr mit einer halben Stunde Zwischenruhe u wieder 2 - 4 Uhr bei mir.

Solange ich an der Arbeit bin, thue ich sie mit voller Lust u ohne Ermüden, aber wenn ich aussetze, merke ich wohl, wie sie mich angreift, u auch am Sa fühle ich mich meist recht abgeschlagen, und wenn ich dann am So zu predigen habe, so fühle ich wohl, wie schwach mein Kopf ist; am Sa ist es auch ums Haus oder vor demselben lauter als sonst, u dann ist eben in der Negersprache nie so leicht predigen als in der Muttersprache. Wenn grade Engländer hier sind, schicke ich eine englische Ansprache voraus. Zum Essen gehe ich 7 1/2, 12, um 5 Uhr, mittags u nachts lese ich, oft mehr oder länger als mir gut ist. Um 1/2 6 bis 7 Uhr gehe ich spazieren oder sitze mit anderen Geschwistern häufig vor oder in Laißles Stube zusammen, lese auch öfter mit Laißle, der wohl Gá, aber nicht Tschi spricht, in einem unserer Bücher, um ihn im Tschi-Lernen zu fördern. Die zweimonatlichen Posten (= Postsendungen) versehen uns ziemlich mit Lesestoff, Missionsblättern u anderen Zeitschriften, dt u engl, auch das 'Daheim' lesen wir, u das christliche Sonntagsblatt von Held wird wohl auch seinen Weg hieher finden.

[...] Bei meiner Übersetzung der Propheten finde ich, wieviel noch fehlt, bis sie vom deutschen Volk mit richtigem Verständnis des einzelnen genossen werden können, so eine Handleitung, wie die von Düssel, ist für die Propheten fast unentbehrlich, [...]

[...] Hier in Afrika sollten wir aber auch rechte Geistesmänner haben, die zugleich körperlich rüstig u geistig (im Unterschied von geistlich) recht durchgebildet wären. Ersteres ist weniger selten als letzteres, u die unvollkommene Sprachkenntnis ist eben vielfach noch ein Hindernis.

<195>

Über seine Fortschritte bei der Bibelübersetzung und über seine letzten wissenschaftlichen Vorhaben heißt es am 6.Apr. 1868 an dieselbe Briefempfängerin (Dok 68/4):

Am 28.März wurde ich mit der Übersetzung des Proph. Hesekiel fertig, die letzten 9 Kapitel waren außerordentlich schwierig, sind schon für die Gelehrten daheim so schwierig, daß sie sich kaum eine richtige Vorstellung bilden können von den darin beschriebenen Gebäuden und Kunstwerken und eine faßliche Vorstellung bis in alle angegebenen Einzelheiten hinein muß man doch haben, ehe man die Ausdrücke dafür in der Negersprache suchen kann.

Jetzt habe ich nur noch den Proph. Daniel und den Prediger zu übersetzen. Der erstere ist dem Inhalt nach nicht schwer, nur ist die Sprache nicht Hebräisch, sondern Aramäisch, was sich vom Hebräischen etwa unterscheidet wie Plattdeutsch von Hochdeutsch. Dann habe ich auch keinen eigentlichen Kommentar zu Daniel und noch weniger zum Prediger, doch hoffe ich, wenn ich nach Ostern meinen gegenwärtig abgesendeten Gehilfen wieder habe, noch in diesem Monat fertig zu werden.

<196>

Über seine sonstigen sprachlichen Arbeiten ist in unserem Dokumenten-Anhang oder bei Henninger aaO nachzulesen. Ein äußerst friedliches und familiär anschauliches Bild entwirft G. Merkle in ihrem Brief an Christaller vom 2.Aug. 1868, ein Schreiben, das sie so recht von ihrer gemütvollen Seite zeigt, indem sie die verschiedenen Tätigkeiten der Kinder während der Ferien beschreibt und sich über ihre Charaktereigenschaften äußert (Dok 68/8).

<197>

Schon im Frühjahr 1868 hatte Christaller seine eigentliche Übersetzungsarbeit abgeschlossen, er wollte dann auf der Rückfahrt nach Europa zunächst zur Britischen Bibelgesellschaft nach London und auch zu Prof. Lepsius nach Berlin, doch durfte er nach Weisung aus Basel nicht den "Juni-Steamer" benutzen, sondern sollte seine Reise auf der missionseigenen "Palme" zurücklegen. So wurde sein Vorhaben durchkreuzt und er kam schließlich erst am 29.Sep. 1868 in Bremen an (Henninger aaO S 25).

<198>

In Basel wurde er im Kommittee am 11.Nov. 1868 begrüßt, wo er in seinem Rechenschaftsbericht mitteilte, daß er die ganze Bibel in Otji übersetzt habe, die Reinschrift aber in der Heimat besorgen wolle (Henninger aaO S.25).

<199>

Und dann war es endlich soweit. Der Vater G. Christaller sollte nach mehr als sechsjähriger Abwesenheit seinen Kindern in Basel gegenübertreten. Ein recht geschönter Bericht über diese Heimkehr in die Schar seiner Kinder in Basel ist im Novemberheft der Kinder-Erziehungs-Commission. S.20 zu lesen:

Anfang November kam endlich der lang erwartete Vater Christaller in Basel an, um in der Nähe seiner 4 Knaben und seines Töchterleins den Winter zuzubringen.

Schon im Frühjahr hatten die Knaben bei der Anpflanzung ihrer Gärtlein Blumen gesät, von welchen ihr Papa Straußlein erhalten sollte. [...] ebenso Erdbeeren [...] er kam eben nicht und es wurde Herbst. [...] Endlich am Abend des 4.Nov. kam er; allein sprachlos und verlegen sahen sie ihn an in den ersten Augenblicken und wußten kaum Rede und Antwort zu geben. Nur als jeder ein Leckerli bekam, meinte der jüngste: 'Du hast aber nicht viel gebracht.'

Erst allmählich fanden sie sich in ihr Glück.

Wer in der kindlichen Seele zu lesen versteht, weiß, daß sich hier Klüfte auftun zwischen Vater und Kindern, die nur noch schwer (oder überhaupt nicht) überbrückt werden können.

<200>

In der Heimat kamen dann auf Christaller ganz andere Probleme zu, als er sie früher kennengelernt hatte. Der für ihn ungewohnte neue Alltag brachte Herausforderungen besonderer Art. Über seine Bemühungen, im täglichen Leben durch seine finanziellen Berechnungen gute und vertretbare Entscheidungen zu treffen, wird im Dokumenten-Anhang (Dok 68/12) sein Schreiben vom 9.Dez. 1868 (aus Basel) an das Committee in Basel im Wortlaut zitiert. Dieses zeigt seine Überlegung, wie er sich im äußeren Leben zurechtfinden wird. Daß er bereit ist, die Verwilligung für Wohnung und Kost freiwillig herabzusetzen, um eine geringere Einkommenssteuer zu entrichten, spricht für seine Taktik, vor der Missionsgesellschaft gut dazustehen. Daß er sich immer wieder mit Kleinigkeiten an das Kommittee wendet, läßt ihn doch auch als einen gewissen Kleinlichkeitskrämer erscheinen, wie es sich später im Umgang mit seinen Söhnen dann in schier endloser Serie wieder bestätigen wird.

2.11. 1869 - Gottlieb Christaller als Familienvater

2.11.1. Die Schwierigkeiten im Sommer 1869

<1>

So ist nun Gottlieb Christaller zu Beginn des Jahres 1869 als Vater seiner fünf Kinder in Basel mit ihnen vereint, zwar nicht in einer eigenen Wohnung, denn die Kinder befinden sich ja noch im Missionskinderhaus, doch es hat wohl eine gewisse Kette von gemeinsamen Unternehmungen gegeben, jedenfalls soweit es der Arbeitseifer wie auch die Ruhelosigkeit des Vaters ermöglichte.

<2>

Dazu schildert er in einem großen Brief vom 3.Jan. 1869 aus Basel (der Empfänger ist leider völlig unlesbar) die familiäre Atmosphäre beim Weihnachtsfest 1868. Er schreibt von den vielen verschiedenen Spielsachen, welche die Kinder bekommen hatten und wie sie sich im Spiel aufführten.

<3>

Die Art, wie er dabei erzählt, gibt Einblick in seine nicht sehr geschickten Versuche, sich im Spiel mit den Kindern zu engagieren. Er hatte es eben nie richtig erfahren, wie ein Vater mit Kindern Kontakt finden kann, um die Kleinen auch seine Liebe spüren zu lassen. Um auch diese stark auf die Familie zugeschnittene Sparte seiner Briefe ewas zu skizzieren, soll hier ein kurzer Ausschnitt aus diesem Schreiben gegeben werden:

Wenn die Kinder so beisammen sind, sind sie voller Lust u Leben; gestern machte Paul (9 J.) aus Wachs ganz geschwind zuerst einen Storch, der sich eben mit den Flügeln vom Nest erhebt, auch das Nest dazu mit Eiern u einem kleinen Jungen. Als es ihm zu Boden fiel, machte er sich nichts daraus u ballte es wieder zusammen, heute hat er einen Eskimo im Kajak u 2 Wale, die er harpunieren will, gemacht, vergaß es aber mir zu zeigen, als ich sie abholte, ich sah sie nachher; auch macht er gerne kleine Reime u Wortspiele; er ist gegenwärtig der beweglichste u lebhafteste, versteckt sich gern u springt unvermutet hervor, macht Sprünge u Geberden, die ich ihm beim Gang durch die Straßen oft wehren muß, ist aber immer voll Freundlichkeit u Gutmütigkeit.

Als ich neulich mit Martha u den 2 Kleinen zu Frau Dickmann ging, sagte Theodor ohne Veranlassung meinerseits, nur seine eigenen Gedanken laut aussprechend: Unser Vater ist doch auch reich, er hat viele Bücher u Sachen u dann hat er noch 5 Kindle. Der Hauspapa ist nicht so reich, die vielen Kinder gehören nicht ihm, sie sind nur so zu ihm gekommen. Ein andermal sagte er, wenn die 6 Christallers, die gerade beisammen waren, alle in Himmel kommen, dann sehen sich dort alle 7 Christaller wieder.

Am 23.Dec wurde Hrn Pfarrer Pfisterer ein Söhnlein geboren; als er es den Knaben ansagte, der lb Gott habe ihm ein Büble geschenkt, fragte Theodor schnell. Kanns auch schon laufen?

<4>

Am 20.März 1869 berichtet G. Christaller dem Schwager und beiden Frauen in Frankfurt und Gmünd über seinen augenblicklichen Tageslauf in Basel. Er habe Kontakt mit Missionskollegen, aber die Tage verstrichen ihm so schnell, daß er kaum glauben könne, daß es schon vier Tage seien.- Für seine verwandten, z.T. kranken Briefadressaten findet er aufmunternde Worte (Dok 69/1). Im April bereitet er mehrere Reisen nach Württemberg und nach Zürich vor, hätte allerdings gern jemanden von seinen Kindern dazu mitgenommen, aber das ließ sich nicht realisieren.

<5>

Ende April ist er im Umfeld von Waiblingen, z.T. auch mehrstündig wandernd nachweisbar. Er braucht eben einfach Kontakte mit anderen Menschen, weil er sich sonst viel zu alleine fühlt und er dann zu leicht ins Grübeln kommt. Seine Grübelei geht vornehmlich um Wohnprobleme, aber auch um das Vorwärtskommen seines Ältesten.

<6>

Die Schreiben des Jahre 1869 bringen beständig Überlegungen, wie er sich etwa in Schorndorf, wohin er wegen der dortigen Lateinschule für Gottreich Erdmann strebt, einrichten könne, ferner auch wie im Sommer die Kinder von Basel nach Württemberg oder Frankfurt zu bringen seien, er ist zu keinen besonders klaren Überlegungen imstande und stützt sich dabei auf manchen guten Rat der Schwester in Gmünd.

<7>

Diese ganzen Sommerwochen zeigen ihn als einen recht unfähigen Organisator, einen Familienvater, der es nie gelernt hat, mit Kindern umzugehen oder Verhältnisse im Sinne auch der jungen Menschen zu ordnen. Wenn er sogar in väterlich gespielter Manier Tochter Martha im Brief vom 5.Juli 1869 an G. Merkle fragt, wohin sie gerne in den Ferien gehen wolle, und sie ihm mit Selbstverständlichkeit antwortet, wo ihre Brüder seien (Dok 69/9), so ist dies ein Resultat der ganzen bisherigen Erziehungsmisere in Basel.

<8>

Er selbst erkennt etwas von den Folgen der vielen dortigen Versäumnisse und Defizite, spricht schließlich auch davon, daß sein Brief nun so konfus sei wie die Sache der Ferienordnung mit den Kindern selber (24.Juni 1869 an Gottliebe, Dok 69/8).

<9>

Seine Ruhelosigkeit zeigt sich auch in den verschiedensten kleineren Besuchsreisen, die er im Frühjahr 1869 unternimmt, er sucht Verbindungen von früher wieder aufzufrischen oder neue Begegnungen zu knüpfen, bleibt aber im Grunde genommen mit seiner Lebenssituation ziemlich unzufrieden und fühlt sich dabei alleine.

<10>

Christallers hauptsächliche Probleme in diesem Jahr des Umbruchs 1869 lassen sich nach den vorhandenen Unterlagen etwa so gliedern:

  1. das Wohnungsproblem muß endlich vorrangig gelöst werden und zwar im Zusammenhang mit

  2. Sohn Gottreich, der mittlerweile aus der Basler Erziehung herausgenommen werden sollte und wohl in Schorndorf (oder Stuttgart) eine Lateinschule besuchen sollte;

  3. eine neuerliche Wiederaussendung nach Afrika scheint für ihn mit der Frage einer etwaigen Wiederverheiratung gekoppelt, aber auch

  4. mit Fortsetzung seiner sprachlichen Studien;

  5. das von der zeitlichen Disposition und Dringlichkeit allerdings im Sommer vorherrschende Problem ist die Frage, wie die fünf Kinder in den Ferien unterzubringen sind oder verteilt werden müssen, denn in Württemberg ist für die zahlreichen Christallers noch keine Wohnung vorhanden und in Basel möchte Christaller auf keinen Fall noch länger verbleiben, zumal er dort ja auch keine unmittelbar sinnvolle Arbeit zu leisten hat.

<11>

Doch gerade in diesem Punkt seiner eigenen Arbeitsplanung scheint der Familienvater ziemlich untüchtig zu sein und überhaupt keinen Weitblick zu haben, so daß er sich immer wieder an die Schwesternfamilien in Gmünd oder Frankfurt wendet. Erschwerend dabei ist aber, daß den Ältesten Gottreich, der mittlerweile charakterlich recht schwierig geworden zu sein scheint, wegen seiner Andersartigkeit eigentlich niemand haben und logieren möchte.

<12>

Aber der Hausvater Pfarrer Pfisterer in Basel äußerte sich über Gottreich, daß er ein fähiges, namentlich für Sprachen begabtes Kind sei: obwohl er immer noch ein ziemlich flüchtiger Mensch sei, konnte er doch im Lateinischen und Griechischen zu einer älteren Classe versetzt werden, mit der er ganz gut fortkomme.

<13>

So kam die Kinder-Erziehungs-Commission zum Beschluß (Schreiben vom 8.Juni 1869, Dok 69/4): wenn Br. Christaller auf die Anweisung der Committee eingehe und in zwei Jahren sich wieder aussenden zu lassen verspreche, so werde sein Sohn Gottreich ihm zur Verbringung nach Württemberg übergeben und dem Vater hierzu ein jährliches Kostgeld von Fr. 350 verwilligt.

- Eigenartige Methoden sind das wohl, den Vater in solcher Weise unter Druck zu setzen, aber in der Mission in Basel wird anscheinend mit sehr verschiedenen Maßen gemessen.

<14>

Zusätzlich wurde im Committee-Beschluß noch vermerkt, Christaller habe nach 2 Jahren wieder nach Afrika auszuziehen, es mögen die schriftlichen Arbeiten fortgeschritten sein so weit oder so wenig weit als sie wollen (Henninger aaO S.26). Während seines Europa-Aufenthaltes habe er sich vor allem mit der Vollendung des Manuskriptesder Bibelübersetzung zu beschäftigen.

<15>

Hierzu erwägt Christaller am 17. und 24.Juni 1869 Folgendes (in beiden Schreiben an Schwester Gottliebe):

Der Eintritt meines Gottreichs bei Präzeptor Bauer (in Schorndorf) hätte bei dem, was letzterer von mir und H Pf Pfisterer weiß, keinen Anstand (Dok 69/7). [...] Für Gottreich, meine ich, sollte jedenfalls ein wenn auch nur vorläufiges Kosthaus ausgemittelt werden, damit er in Schorndorf sein kann, auch ehe oder ohne daß ich dort bin; denn ich kann mich ja keinesfalls von dem Beginn seines Schulbesuches an in Schorndorf für jeden Tag binden lassen, er selbst, wenn ich dort bin und er bei mir schlafen sollte, muß in einer Familie am Tisch sein können. (Dok 69/8)

<16>

Zu einer möglichen Wiederaussendung nach Afrika und seiner Spracharbeit äußert sich Christaller in diesen Monaten immer wieder: Diese Wiederaussendung selber im Auge zu behalten, erschien ihm als Pflicht. Er hatte allerdings gedacht, die Ergebnisse seiner bisherigen Arbeit würden am ehesten und vollsten den Brüdern und Eingeborenen in Afrika zustatten kommen, wenn er außer der Bibel des Gesammelten und Vorbereiteten möglichst viel ausarbeitete; auf ein Jahr länger oder kürzer komme es ihm nicht an, da sich seine körperliche Constitution, wie er schreibt, sich "verhältnißmäßig leicht in den Wechsel finde". (Henninger aaO S.26)

<17>

Hier beurteilt er sich und seine körperliche Disposition allerdings wohl nicht allzu realistisch.

Aber ich kann mich auch damit einverstanden erklären, [...] daß ich außer den Calwer biblischen Geschichten und der ganzen Bibel nur etwa dem von Br. Locher in Aussicht stehenden Englich-Ga Wörterbuch die Tschi Wörter beifüge und dann noch eine nöthig werdende neue Fibel und eine kleinere Grammatik druckfertig mache, das Tschi Wörterbuch aber, die Weltgeschichte, Religionslehre, Bungans Christenreise u.a. später gedruckt werde.

<41>

Den Bibeldruck selbst korrigieren zu können, müsse er dringend wünschen, die Druckfehler seien bei so vielen einander ähnlichen kleinen Wörtern viel störender als im Deutschen und die Leser wüßten sich gar nicht so leicht zu helfen, auch bei Fibel, Grammatik, Wörterbuch sollte die Korrektur von einem der Sprache wohl Kundigen geschehen. Da der Bibeldruck gegen 2 Jahre in Anspruch nehmen werde, "kann ich", so fährt er fort, "für meine (obigen) Arbeiten in der Heimat nicht weniger rechnen, es ist aber mein redlicher Wille, in dieser Zeit zu thun, was ich kann und soll."

Der Herr aber leite mich Seinen Weg ferner wie es Seiner Sache förderlich u mir heilsam ist.

In Hochachtung und Liebe Ihr G. Christaller, Missionar

schließt er dieses Schreiben nach Basel (Henninger aaO S.26). Die Unterschrift "Missionar" bringt er immer dann, wenn er seine Stellung und seinen Auftrag betonen möchte oder wenn er Gefahr wittert, abgeschoben zu werden.

<18>

Für die Bibelübersetzung, d. h für seine Arbeit daran (einschließlich der des Gehilfen in Afrika) werde die Bibelgesellschaft in England etwa 8.000 Gulden der Missionskasse vergüten, außer den Druck- und Einbandkosten. Wenn es in Schorndorf nicht wohl anginge, wäre es vielleicht für ihn und Gottreich nicht übel, wenn sie in Stuttgart wohnten und er dort das Gymnasium besuchte. Die für ihn üblichen frommen Schlußwendungen finden sich auch hier:

Ich wünsche mir sehnlich, in diesen Tagen neuer Enttäuschung recht glauben und recht lieben (und auch vergeben) und im Glauben beten zu lernen, und dann, daß der Herr mir Kraft und Gnade schenke, zunächst das Manuskript der Bibel ganz ausarbeiten zu dürfen.

<19>

Auch über die Basler Mission selbst findet er Worte, die - trotz mancher massiver Klagen seinerseits - seine Sympathien deutlich zum Ausdruck bringen: Anläßlich eines Ausfluges der dortigen Zöglinge, bevor sie für die Mission eingesegnet wurden, sagte er, daß drei davon sehr gerne in die Heidenwelt, besonders nach Afrika gegangen wären, sie müßten aber nun nach Amerika, weil die Committee keine Geldmittel habe, sie selber auszusenden. Es wäre wohl möglich, daß sie sich in Nordamerika der Missions-Gesellschaft anschlössen (vom 17.6.69 an G. Merkle, Dok 69/7).

Der berühmte Pfarrer Blumhardt solle auch beim Missionsfest sein und die Einsegnung der abgehenden Zöglinge vornehmen.

<20>

Das Wohnproblem für die Familie Christaller war zunächst kaum lösbar und viele Schreiben des Missionars handeln davon. Zunächst bittet er offiziell in Basel um Genehmigung der Übersiedlung, gestützt auf den Wunsch, daß der älteste Knabe dorthin kommen solle. (Brief vom 16.6.69 aus Basel an G. Merkle in Gmünd Dok 69/6): Er will aber auf jeden Fall mit Gottreich zusammen wohnen und möglichst auch gemeinsam Kost dort haben, solange die anderen Kinder noch im Kinderhaus in Basel sind.

<21>

Natürlich hat Christaller auch dabei wieder eine Einschränkung bereit, denn als Vater sieht er klar, daß er viel unterwegs sein werde und darum Gottreich besser ein getrenntes Kosthaus finden sollte, wo er mit anderen Knaben zusammen essen kann. An ein regelmäßiges Zusammenwohnen war dabei nicht gedacht, aber zumindest daran, daß so wenigstens seine schulischen Aufgaben genauer kontrolliert werden könnten.

<22>

Christaller selbst ist bereit, sich in der privaten Versorgung eher einzuschränken, auch als Gast sich anderswo zu behelfen und einen Teil seiner Arbeit zu tun, zu der er nicht viele oder fast keine Bücher brauche. Aber nach einem solchen Interim möchte er ganz genau seine speziellen Wohnungswünsche anmelden: Eine freundliche, gesunde, hinreichend geräumige Wohnung in nicht allzu lärmender Umgebung, am liebsten außerhalb der Stadt oder doch so, daß man bald ins Freie kommt. Sie sollte auch im Winter leicht und gleichmäßig heizbar sein.

<23>

Für die Masse von Arbeit, die er in den zwei von der Missionsgesellschaft vorgesehenen Jahren in Europa zu leisten gedenke, sei ihm eine geeignete Wohnung dringend notwendig, zumal er weiß, was ihm und seiner Arbeit der Mangel einer solchen bisher schon geschadet hat.

<24>

Zwar ist er damit zufrieden, daß die Wahl einer geeigneten Wohnung ihm selbst überlassen sei und nicht von Basel zugeordnet werde, aber die freie Wohnungswahl hat für ihn, der immer wieder so bedenklich und unentschlossen ist, auch manche Nachteile. Als letzte Hilfe von außen möchte er sich immer wieder gerne auf den guten Rat von Schwester Gottliebe verlassen.

<25>

Aber wichtig dabei ist ihm, daß Gottreich endlich in eine feste Ordnung kommt, der aber nicht alleine in einer Wohnung bleiben kann ohne entsprechende Aufsicht, wenn er als Vater mal nicht verfügbar sein wird, was bei Christallers besonderer Reiselust gewiß häufig möglich sein würde.

<26>

Seit er von Württemberg nach Basel zurückgekehrt war, drängte es ihn, seine Arbeit voranzutreiben, gerade zu einem Zeitpunkt, an dem man eine langersehnte Entscheidung über die Feststellung des afrikanischen Alphabets in Tschi getroffen hatte, der Inspektor und das Kommittee hatten sehr viel zu tun und deswegen wurde eine Entscheidung wegen der Drucksachen in Tschi hinausgeschoben. Wegen ständig neuer Enttäuschungen wünscht er sich recht beten zu lernen und nicht den Glauben zu verlieren. (G.Chr. an Rapps vom 9.Aug. 1869 aus Schorndorf, Dok 69/10), allerdings gesteht er auch, daß nach diesem erfreulichen Ergebnis seine jetzige Arbeit daraufhin recht aus der Hand vonstatten gehen solle. Aber wieder einmal fühle er sich selber arm und ungeschickt, denn er sei selber krank und schwach, weswegen er sich anscheinend wieder mal nichts zutrauen möchte.

<27>

Er ist in diesen Sommermonaten wieder ziemlich überlastet und kränklich, weil er solch aufreibenden Umstellungen und Organisationsproblemen kaum gewachsen war. Zwar hatte er immer in Gmünd und Frankfurt hilfreiche Unterstützung bei beiden Schwestern, aber das beständige Hin und Her von Briefen der Unterbringung oder des Transports der Kinder wegen hatte ihn sichtlich überfordert und sehr ermüdet. Als Endergebnis seiner vielen quälenden Überlegungen sagt er es kurz und auf seine Weise recht einsichtig im Brief vom 24.Juni an die Schwester G. Merkle:

Nun der Herr wird auch über und durch diese Sachen helfen, so gehts eben im Erdenleben. (Dok 69/8)

<28>

Erst mit dem September 1869, nachdem die Schule wieder begonnen hatte und die Kinder wieder von der Mission betreut waren, kehrte Ruhe in die Korrespondenzen ein und Sohn Gottreich blieb schließlich in Schorndorf.

<29>

Die Ruhe wurde allerdings durch folgenden Sachverhalt dennoch gestört: Ihm wurde nämlich von der Mission die Versetzung in eine österreichische Gemeinde (Gallneukirch bei Linz) nahegelegt, doch davon wollte Christaller infolge seines damaligen schwachen Gesundheitszustandes nichts wissen. Er versuchte, diese seine Unwilligkeit gegenüber der Basler Mission so zu bemänteln, daß es dort auch akzeptiert werden konnte.

Die ganze ausführliche Argumentation findet sich im Brief vom 9.Sep. an die Committee in Basel (Dok 69/12).

<30>

Er litt beträchtlich unter einem solchen fortwährenden Schwebezustand. Im Dezember teilt Insp. Josenhans dem Missionar Christaller mit, daß nach einer Meldung aus London der Druck der Otschi Bibel nun durch Kontrakt vorbereitet und abgeschlossen werden kann. Das Manuskript möge druckfertig gemacht werden, damit kein Aufschub im Druck stattfinde. Josenhans bestätigt, daß die letzte Korrektur durch Christallers Hand gehen werde. In verbindlichen Worten bringt er zum Ausdruck:

Der Herr möge Dich gesund erhalten und Dir Kraft schenken, zur Vollendung des wichtigen Werkes das Deinige beizutragen. (Dok 69/13)

2.12. 1871 - Ein neuer Lebensabschnitt: Christallers zweite Eheschließung

<1>

Für den Missionar Joh. Gottlieb Christaller fängt mit seiner zweiten Heirat ein ganz neuer Lebensabschnitt an, er hatte ja von allen Afrikaplänen vorläufig, wenn auch schmerzlich bewegt, einmal Abstand genommen, um sich nur noch seiner literarischen Tätigkeit zu widmen.

<2>

Diese Eheschließung mit Emiliens jüngerer Schwester Bertha Ziegler geschah wohl weniger aus Liebe als aus Zweckmäßigkeit, denn er wollte gern seine Kinder um sich versammeln, was er als alleinstehender Witwer nicht tun konnte. Schon daß er seinen ältesten Sohn Gottreich Erdmann zu sich nach Schorndorf genommen hatte, erwies sich im praktischen Leben als recht schwierig, und oft genug mußte die Schwester Gottliebe Merkle helfend in den Haushalt eingreifen.

<3>

Mit Bertha bekommt Christaller eine tüchtige, resolute Hausfrau, die schon kurz nach dem Tod ihrer Schwester mit dem Gedanken umgegangen war, den Missionar für sich zu gewinnen (vgl. Brief Bertha Zieglers an G. Merkle vom 12.Aug. 1867, Dok 67/18).

<4>

Christallers eigene, vor der Eheschließung geäußerte Beurteilung seiner zweiten Frau ist durchaus nicht immer nur günstig, auch ist ihre religiöse Einstellung wohl nicht von der erforderlichen pietistischen 'Bekehrung' getragen, ihre Annäherung an die methodistische Gemeinde vollzog sich vielmehr über die Musik. Diese musikalische Begabung ging dann auch vielfach auf die Kinder und späteren Nachkommen über.

<5>

Die Kernpunkte seiner beiden Schreiben nach Basel vom 9.Sep. und 10.Sep. 1871, die den Versuch einer Charakterisierung Berthas beinhalten, werden hier zusammengefaßt (Dok 71/3 und Dok 71/4):

Sie hat einen geraden und offenen, ungeschminkten und gar nicht geheuchelten, ziemlich selbständigen Charakter, der allerdings noch nicht viel geschliffen worden ist; aber sie hat den redlichen Willen und achtet es als Gnade, im Dienst des Herrn zu thun, was er von ihr begehrt, auch wenn die Natur nicht damit einig ist.

Bei meiner Schwester in Gmünd äußerte sie bald nach meiner sel. Emilie Tod: Wenn sie je einmal heiraten würde, so würde sie nur einen Missionar heiraten. Dieß und anderes konnte man so auslegen, als ob sie an mich dächte, aber, scheints, mit Unrecht. Nach einer späteren Äußerung hätte sie eher Freudigkeit gewinnen können, sich unverheiratet in den Missionsdienst senden zu lassen.

An meiner Schwägerin (d.i. Bertha Ziegler) schätzt G. Merkle ihre Aufrichtigkeit und redlichen Sinn, ihren Fleiß und arbeitsame Häuslichkeit und nüchterne Eingezogenheit, u.a. schrieb sie mir unlängst nach Frankfurt, als sie mir riet, um Heiratserlaubnis zu bitten und darnach um Bertha anzufragen: 'B. war indessen gar keine Verliebte oder heiratslustige Person, was an einem jungen Mädchen gewiß zu schätzen ist. Bekommt sie Neigung und Liebe zu Dir, so wird sie auch aufopfernd sein können.'

Früher schrieb sie einmal (nach Afrika): 'B. ist noch keine Emilie, aber sie kann es werden.' Das erwarte ich nun nicht gerade; das sinnige, wohlbedachte und überlegte Wesen meiner Emilie und ihre Gemüthstiefe wird sie nicht haben; aber sie hat auch ihre Vorzüge und wird, was ich bei meiner Werbung betonen werde, noch nicht über das Lernen hinaus sein. In manchen Stücken wird sie besser für mich und meine Zukunft passen, als eine feiner und weicher gebildete Person. Ich dachte, wenn ich nicht gleich so viel von ihr habe als ich wünsche, soll sie vielleicht erst mehr von mir haben.

In der Gemeinschaft mit dem Herrn werden wir miteinander zu wachsen Bedürfnis und Anlaß haben. Sie, lb H Inspector, sagten mir: Wenn ich mich nicht für Afrika verheiratete, würde wohl manche Ja sagen; aber so annehmbar der jetzige Beschluß der Comm. auch für den Fall des Nichtwieder-Hinausgehens ist, kann ich doch nicht zum voraus auf Afrika verzichten. Ich habe die Hoffnung, daß meine Schwägerin, wenn die Sache ins Reine kommt, mich seinerzeit auch nach Afrika begleiten kann und wird. (Dok 71/4)

So kann ich in Betracht meiner ganzen Lage getrost glauben, daß der Herr uns für einander bestimmt hat, und eines durchs andere üben, fördern und segnen wird. Sie war solange Zeit ihren Eltern trotz mancher Gegensätze eine gute, treue und dienstwillige Tochter, und wird auch eine gute Frau und zweite Mutter geben. Ihre Gesundheit war immer so gut, daß von dieser Seite keine Bedenken vorliegen. (Dok 71/3)

<6>

Eine solche gewissermaßen öffentlich dargelegte Charakterisierung einer Anwärterin auf Verheiratung mit einem Missionar entspricht voll dem im Pietismus gepflegten Gedanken, daß es eigentlich für den echt Gläubigen keine Privatsphäre geben kann. Da Bertha Ziegler keinen Lebenslauf nach Basel einreichte, kann man schließen, daß man dort gar nicht mehr mit einer weiteren Aussendung des Missionars rechnete.

<7>

Daß nun auch noch die Eltern der Eheanwärterin, auch wenn die Braut längst volljährig war, Stellung beziehen müssen, ist die übliche Forderung der Basler Mission. Es ist damit auch verbunden deren rechtliche Absicherung, was die Bezahlung etwaiger Pensionsbezüge der Witwe betrifft. Diese Erklärung der Eltern und der Bertha Ziegler vom 27.Sep. 1871 hat folgenden Wortlaut (BM: BV 357 I ohne Nr.):

Erklärung

Die Committee der ev. Missionsgesellschaft in Basel hat ihrem Missionar Joh. Gottlieb Christaller aus Winnenden am 6. und 13.Sep. 1871 die Wiederverheiratung, und zwar mit Bertha Ziegler aus Waiblingen, der Schwester seiner am 13.Aug. 1866 verstorbenen Frau unter gewissen, den besonderen Verhältnissen entsprechenden Bedingungen gestattet. Dieselben beziehen sich

  1. auf die Arbeit des Mannes in der Heimat,

  2. auf die Erziehung der Kinder vom 7.-14. Jahr,

  3. auf den Fall späterer Pensionierung des Mannes, und in Bezug auf die Frau insbesondere ist in c) bestimmt: Da dieselbe nicht auf das Missionsfeld im Heidenlande sich verheiratet, hat sie keinen Anspruch auf eine Pension oder einen Wittwengehalt. Würde sie später nach Afrika mit dem Manne ausgesandt werden und draußen Wittwe werden, so wird sie in dieser Beziehung gehalten, wie jede andere Missionsfrau.  [a]

Daß die beiden Committeebriefe vom 7. und 14.Sep. 1871 der jetzigen Braut und ihren Eltern mitgetheilt worden sind und dieselben die besagten darin enthaltenen Bedingungen angenommen haben und sich damit einverstanden erklären, bezeugen hiemit durch ihre Unterschrift

Waiblingen, den 27.Sep. 1871

die verlobte Braut: Bertha Ziegler (US)

namens der beiden Eltern, der Vater Rathsschreiber Ziegler: (US).

[a] Daß auch eine im Heidenlande gewesene Missionswittwe Unterstützung nur soweit erhält, als die Wittwenkasse dazu die Mittel hat und daß sie nicht fordern kann, findet sich unter den vor der ersten Verheiratung des Mannes von der Braut und ihren Eltern angenommenen Bedingungen.

<8>

Die weiteren Schritte auf dem Wege zur ehelichen Gemeinschaft zeigt dann das Schreiben Christallers vom 7.Oktober 1871 aus Waiblingen an Insp. Josenhans, worin es heißt:

Am 17.Sep. waren wir beide nach Winnenden gegangen und hatten uns dort die gegenseitige Zusage gegeben, es war uns ein gesegneter Tag. Am 24.Sep. wurden wir zum ersten Mal ausgerufen; unsere Trauung haben wir auf Dienstag, 10.Oct. festgesetzt und gedenken, am gleichen Tage uns von hier nach Bad Boll zu begeben, um bis 16.Oct., an welchem Tage mein Gottreich wieder in Schorndorf einzutreffen hat, dort zu bleiben. Dann werden wir uns in Schorndorf für einen eigenen Haushalt einrichten. (Dok 71/5)

<9>

So beginnt für Gottlieb Christaller nun der nächste und letzte große Lebensabschnitt nach der ca. 10-jährigen ersten Ehe mit Emilie und der fünfjährigen Witwerschaft in Afrika, Basel und Schorndorf.

<10>

Seine fünf Kinder aus der ersten Ehe sind zunächst noch im Kinderhaus der Mission untergebracht, außer Gottreich Erdmann. Mit dem 30.März des nächsten Jahres 1872 werden sie in der sehr beengten Wohnung des Ehepaares aufgenommen. Doch der nun 44-jährige Mann denkt nochmals daran, in Gemeinschaft mit seiner zweiten Frau Bertha eine neue, aber wohl ziemlich anders geartete Familie zu gründen, in der wiederum fünf Kinder heranwachsen werden, eine Tochter und vier Söhne.

<11>

Die Kinder aus der ersten Ehe sollten dann aber, um die Situation in der Wohnung zu erleichtern und auch die starke wirtschaftliche Einschränkung zu lockern, einer möglichst kostenfreien oder jedenfalls günstigen beruflichen Ausbildung, wenn möglich auch anderswo, zugeführt zu werden:  [11]

2.12.1. 1872 - Neues Familienleben im Hause Christaller

<11>

Im März des folgenden Jahres 1872 kam es nun zu einer neuen Ordnung innerhalb der Schorndorfer Christallerfamilie. Nachdem es durch die zweite Heirat möglich wurde, wieder in völlig anderem Rahmen ein familiäres Leben zu gestalten, machte sich der Vater intensiv Gedanken darüber, wie der neue Hausstand auch den Kindern zugute kommen und ihre Entwicklung günstig beeinflussen könne. Denn daß die Buben sich im Basler Knabenhaus nicht überaus wohl fühlten, war wohl ein offenes Geheimnis, das kaum zu kaschieren war. Auch war in keiner Weise mehr eine Rückkehr Christallers auf das Missionsfeld im Gespräch. Also mußte der Vater Wege suchen, der familiären Gemeinschaft ein neues Gepräge zu geben und die Kinder aus Basel ins Schorndorfer Elternhaus zurückzuholen. Der älteste Sohn war ja bereits dort.

<12>

Die Missionsverwaltung war durchaus bereit dazu, die Kinder, zunächst wenigstens die drei Knaben Paul, Ernst und Theodor, zurückzugeben. Über Tochter Martha konnte dann später verhandelt werden, sie sollte wenigstens die Zeit bis zu ihrer Konfirmation noch im Mädchenhaus verbleiben (Committee Protokoll vom 6.März 1872, Henninger aaO S 30). Diese Feier fand erst am 25.Juli 1874 im Beisein der Eltern statt, "was eine große Seltenheit ist", wie es im Bericht der Kinder-Erziehungs-Commission heißt.

<13>

Am 11.März 1872 wendet sich Vater Christaller in Spezialfragen an den Inspektor in Basel, natürlich ganz in seiner bekannten umständlichen Manier, aber man spürt dem Schreiben (Dok 72/1) schon an, daß er nun auch in Fragen des praktischen Lebens einiges gelernt hatte und durchaus bemüht war, gute und erfolgversprechende Wege, zwar nicht energisch, aber sehr behutsam zu finden: Er sei durch die Umstände dazu gebracht worden und es lege sich ihm als Pflicht dar, "mit meinen Kindern, wenn möglich, noch auf einige Zeit in das göttlicher Ordnung gemäße Verhältnis des Beisammenseins einzutreten", wie er wiederum umständlich seine väterlichte Pflicht, sich um die Kinder zu kümmern, anerkennt. Zwar spricht er von dem Wohltuenden und dem Lieblichen, was Eltern durch Kinder gegeben oder auferlegt ist, aber danach dürften ja Christen oder Missionsleute nicht fragen.

<14>

G. Christallers besonderes Anliegen besteht eben darin, daß er - was ihm viele Jahre niemals voll zuteil geworden war - wieder eine Familie um sich haben könne, um für die anderen zu sorgen, und damit möchte er dem Inspektor vor allem auch seine Finanzprobleme vortragen und diese zu einer Klärung bringen. Er erwähnt ferner noch den Fleiß seiner Frau, ihre Geschicklichkeit im Haushalt und ihre Gesundheit, was gewissermaßen Garant für eine solche vorgesehene Neugründung der Familie sei, da sie alle äußere Versorgung der Kinder auf sich zu nehmen bereit sei.

<15>

In sehr offenherziger Art schildert er dem Inspektor, wie er sich die schulische Ausbildung seiner Kinder denke, und er zeigt auch keine Bedenklichkeit, notwendige Besoldungsfragen mit ins Feld zu führen. Von Basel scheint er eine umfassende positive Antwort erhalten zu haben. Denn am 30.März 1872 verließen nach Angaben der Kinder-Erziehungs-Commission in Basel die drei Brüder Paul, Ernst und Theodor Christaller die Anstalt und kamen zu ihren Eltern nach Schorndorf. (Henninger aaO S 30)

<16>

Im Kinderhaus der Mission war nun nur noch Tochter Martha. Also hatte das Ehepaar Christaller die vier Buben bei sich, zwar in beengten Wohnverhältnissen, aber immerhin unterstanden sie jetzt direkt der elterlichen Aufsicht, bis dann Bertha in den Jahren von 1872 bis 1882 noch ihre eigenen fünf Kinder dazu bekam.

2.12.2. Die Schorndorfer Familie nach 1871

<17>

Anhand der Bibliographie in Henningers Schrift "Für Afrika [...]" (1995:46-51) kann man die Fülle der Übersetzungsarbeiten verfolgen, die Christaller in den Jahren zwischen 1871 und 1875 leistete, in jenen Jahren, von denen im Folgenden die Rede ist. Gemessen an der Größe der Aufgabe war die Besoldung sicherlich absolut unzureichend, wie auch später der erwachsene Sohn Gottreich Erdmann dem Vater gegenüber bemerkt. Für die Außenwelt vollzog sich diese Arbeit ganz unspektakulär und in der Stille. Auch das Familienarchiv enthält über diese Jahre kaum Nachrichten.

<18>

Im Basler Archiv dagegen findet sich (BM: RV 357 I) aus diesen Jahren der Arbeit in der Heimat eine Reihe noch ganz ungeordneter Briefe aus den Jahren 1870-1894, aus denen man die Essenz der Arbeiten Christallers herauslesen kann und die hier zusammenfassend dargestellt wird:

<19>

Im September 1871 schreibt er an Insp. Josenhans eine Art Rechtfertigung mit der Auflistung seiner Arbeiten und der dafür eingesetzten Zeit:

1859-1861

Korrektur der Ga Bibel

1859, 1861, 1862

Übersetzung des NT in Tschi

1862-1864

Aburi: Übersetzung u Reinschrift NT (90 Seiten)

Psalmen

1865-1866

Kyebi: Psalmen, Sprüche

1866-1868

Akropong: Übersetzung AT, Psalmen, Sprüche

Korrektur der ganzen Bibel

<20>

Im Dezember 1883 bittet Chr. erneut um eine Aufstockung seiner Besoldung. Die finanzielle Lage war doch recht prekär geworden, zumal auch das Wohnen im eigenen Haus (Schorndorf, Künkelinstr. 24) den Familienetat nicht wesentlich steigern konnte.

Das Fortschreiten der beruflichen Ausbildung der Kinder aus erster Ehe stellte sich dabei folgendermaßen dar:

<21>

Der Älteste, Gottreich Erdmann besuchte noch ein Jahr die Lateinschule in Schorndorf, um dann nach bestandenem Landexamen 1872 die unentgeltlichen Seminare in Schöntal und Urach zu besuchen, dann Student der Theologie in Tübingen (1876-1880) zu werden und im Ev. Stift zu wohnen.

<22>

Martha blieb noch bis zu ihrer Konfirmation in Basel bei der Mission, war anschließend in Familienhaushalten, z.T. in Gmünd beschäftigt, bis sie als Hilfskraft zur Mission nach Basel zurückging, fiel also dem Familienhaushalt nicht zur Last.

<23>

Paul besuchte bis 1874 noch die Lateinschule in Schorndorf, begann dann aber, da er keinen Lerneifer zeigte, eine vierjährige Lehrzeit als Ziseleur in Schwäbisch Gmünd bei Erhard und Söhne, wo er darnach auch noch als Gehilfe blieb.

<24>

Ernst war von 1872-1875 bis zum Landexamen noch bei den Eltern, um anschließend (zwar ungern) die Seminare Maulbronn (später Blaubeuren) zu besuchen, darnach ins Ev. Stift nach Tübingen zu gehen, um Theologie zu studieren.

<25>

Theodor Benoni war von 1872-1875 noch in Schorndorf, besuchte wie die anderen die dortige Lateinschule, ging dann aufs Lehrerseminar in Künzelsau, was den Haushalt in Schorndorf nicht sehr belastete. Er wurde ab 1882 Lehrer am Knabenhaus der Mission in Basel, wo er vier Jahre ausgebildet wurde und auch als Seminar-Hilfslehrer wirkte, bevor er dann im Oktober 1886 als erster Reichsschullehrer nach Kamerun berufen wurde und dort am 13.Aug. 1896 starb.

<26>

In manchen Jahren war die Christaller-Familie in Schorndorf räumlich recht eingeengt, aber von 1875 an wurde es besser, auch wenn Bertha noch drei Söhnen das Leben schenkte, so am 19.Jan. 1876 Karl, am 22.Juni 1879 Gustav (der noch als Kind, 6-jährig, an Diphterie starb) und am 5.Feb. 1882 Hermann.

<27>

Wenn Bertha im Dezember 1876 an Martha (Dok 76/2) schreibt, daß sie in ihrer Wohnung recht gerne seien und sie sechs Zimmer hätten, die zwar recht klein seien, wovon sie eines noch der Ersparnis wegen möbliert vermieten, so gibt dies einen kleinen Einblick in die familiäre Idylle; der 10 Monate alte Karl könne schon gehen, wenn die Mutter ihn am Arme führe; er sehe der Martha recht ähnlich, mit schwarzen Augen. Und eine besondere Errungenschaft sei: Schwester Hanna (4 1/2 Jahre) könne schon schreiben.

<28>

Die fünf Kinder erster Ehe zählten zwar immer noch zum Haushalt und waren zu versorgen außer Martha. Auch Paul war schon mit 18 Jahren (1878) von zuhause weitgehend unabhängig.

<29>

Alle fünf aus erster Ehe kamen äußerst selten nach Hause, auch in ihren Ferien nicht, (wie in den folgenden Kapiteln darzustellen ist), und die fünf Kinder zweiter Ehe hatten in Bertha eine sehr energische und tatkräftige Mutter, deren Mann aber häufig auf Reisen war und somit ihrer souveränen Haushaltsgestaltung das familiäre Feld fast ganz überließ.

<30>

Auch muß das Christallerhaus, vor allem nachdem sie 1880 in der Künkelinstraße 24 ein eigenes Haus beziehen konnten, sehr gastfreundlich gewesen sein, was sich vor allem auf afrikanische Freunde bezog, wogegen die Kinder Emiliens sich gegen die vom Vater immer wieder gewünschte Heimkehr innerlich sehr stemmten, besonders Gottreich und Ernst.

2.12.3. 1877 - Bertha und Martha prägen die Familie

<31>

Mutter Bertha, die, wie es scheint, sich in persönlichen Fragen nur sehr schwer mit ihrem Mann besprechen kann, dazu noch über Nachlassen der körperlichen Kräfte klagt, hatte in Martha eine im psychischen Bereich äußerst hilfsbereite Stieftochter gefunden, der sie mehrfach lange Briefe nach Frankfurt über ihre familiären Sorgen schreibt. Sie sei das einzige von allen Kindern, das sein eigen Brot verdiene, darauf dürfe sie stolz sein.

<32>

So heißt es in einem vier Seiten langen Brief, welcher der äußerst langsamen Schreiberin nur schwer von der Hand geht ("an diesem Brief schreibe ich schon drei Wochen, gewöhnlich sonntags"), womit die Situation der Hausmutter gewiß klar skizziert ist, und ihr Schreiben vom Januar 1877 (M3,77-Bert) handelt hauptsächlich vom Sorgenkind Gottreich, den in der Vakanz niemand der Anverwandten aufzunehmen bereit ist. Auch die anderen machten der Mutter viel Sorge und Mühe.

<33>

Vater Gottlieb Christaller hat in Martha ebenfalls eine offene und geliebte Ansprechpartnerin. So schreibt er, der geistig immer noch mit seinen Gefühlen sehr viel in den Problemen der Mission steckt, am 25.Jan. 1877 (Dok 77/1) zu ihrem Geburtstag: Er halte es für möglich, daß Martha eines Tages als Missionsbraut ausgewählt werden könnte.

In ein paar Jahren mag der Inspektor auch einmal Dich in Vorschlag bringen. Es ist mir immerhin lieb, wenn es hinausgeschoben wird. Wenn aber einmal ein Antrag kommt und darauf eingegangen werden kann, so wird es mich freuen. Wenn ich 6 Leben hätte, würde ich sie gerne alle in den Dienst der Mission stellen, und so würde ich, wie Jacob Veil hier sagt, auch alle meine Kinder am liebsten in die Mission ziehen sehen.

<34>

Dabei dachte er vor allem an seinen Jüngsten, Theodor Benoni, der, wie oben angeführt, diesem Wunsche später nachkam. Der Vater freue sich der Aussicht, die Theodor hierfür gibt. Auch wenn er die Zukunft von Sohn Paul betrachtete, dachte der Vater eher daran, er könnte sich einmal einer afrikanischen Entdeckungsreise anschließen als Tier- und Landschaftsmaler und Naturkundiger.

<35>

Ein recht zarter Schluß dieses Briefes an Tochter Martha zeigt väterliche Emotionen, die er seinen Söhnen gegenüber kaum zum Ausdruck bringt:

Der Herr segne Dich, mein Herzenskind, und schenke sich Dir je mehr und mehr. Dein Dich innig liebender Vater.

Martha scheint tatsächlich auch die familiäre Vertraute des Vaters geblieben zu sein, denn er schreibt ihr recht häufig, besonders auch wegen seiner dauernden Sorgen um Sohn Gottreich, so auch am 15.Feb. 1877 (Dok 77/3):

<36>

Er spricht von seinen riesigen Korrespondenzen, freut sich über die Anerkennung der franösischen Akademie über seine Tschi-Arbeiten, für die er mit zwei Volneypreisen  [12] ausgezeichnet wurde. Dieses öffentliche Bekanntsein schmeichelt sehr seiner leicht verhüllten Eitelkeit. Aber seine Freude mildert er gleich damit, daß er sagt, wie unglücklich er über die Entwicklung des ältesten Sohnes sei: er hoffe, daß aus dem Erdmann noch ein Gottreich werde. Am 25.Juni 1877 klagt er wieder wie üblich über die Söhne, aber erneut besonders über Erdmann, wegen der Gefahren, die in dem Zeitgeist liegen, Erdmann sei voller Fehler und voller Selbstrechtfertigung (M3,77 GC 4).

2.12.3.1. Rundbuch der ersten Generation (Christaller-Archiv Neuenbürg)

<37>

Im Jahre 1876 hatte J.G. Christaller für seine Kinder, Neffen und Nichten ein Familien-Rundbuch ins Leben gerufen, das in einer bestimmten Reihenfolge zirkuliert. Einerseits beabsichtigte er damit einen engeren Familienzusammenhalt, andererseits ist es für ihn ein Mittel, in diesem Kreis auch seine eigene Meinung einzubringen und darüber hinaus die Meinungen der jungen Generation zusätzlich zu kontrollieren, bzw. zu kritisieren.

<38>

So bleibt es leider nicht aus, daß die in diesen Jahren stets schwelenden Unstimmigkeiten zwischen Vater und Sohn Gottreich Erdmann auch im Rundbuch ausgetragen werden. Hier wird für den größeren Kreis der Teilnehmer geschrieben, was G(ottreich) E(rdmann) und Ernst hätten tun oder unterlassen sollen, aber auch die anderen bekommen Verhaltensmaßregeln auf den Weg (4.Dez. 1879):

Die einen von euch sind dem 20sten Jahre nahe, einige stehen darin, einige sind schon darüber hinaus, umso mehr dünkt mich, sollten schale Späße auch in diesem Schreiben zurücktreten und ernstere Ziele Beachtung finden.

<39>

Christaller möchte vor allen Antwort bekommen auf die Frage: "Wer bin ich? Wozu bin ich auf der Welt?" worauf die Antworten seiner Meinung nach allerdings nur sehr unzureichend ausfallen. Die Angriffe gegen den ältesten Sohn lauten gleich oder ähnlich wie in den unter 1876 ff beschriebenen Briefen und brauchen hier nicht wiederholt zu werden.

Auch die Einträge der übrigen Teilnehmer werden von G. Christaller mit meist kritischen Randglossen versehen.

Hier sollen nur noch ein paar interessante Exkurse des Vaters festgehalten werden, die sicherlich auch wie die Briefe ein Licht auf seine Persönlichkeit werfen.

<40>

Hervorgerufen durch die pazifistischen Ansichten seines Sohnes Gottreich Erdmann, der keinem Nationalstolz huldigt, der in der Münchener Presse als Journalist und Theaterkritiker arbeitet, ergießt sich Christallers Abneigung gegen diese Presse und vor allem gegen die Juden (6.Nov. 1880):

Die Juden haben das Tonangeben in der Presse usurpiert, und damit die Presse zu einer ganz gemeinen Speculationsware gemacht. Derselbe jüdische Industrialismus, der den Handwerker, Kaufmann, alle Stände trifft, herrscht bei dem Theater. Der jüdische Director hat das ganze Recensentenvolk an der Leine, und die Christenhatz ist bereits eine Tatsache geworden. Es ist merkwürdig, wie vielseitig man über die Juden zu klagen hat, und wie wenige Blätter es wagen können, etwas gegen sie aufzunehmen, hat doch selbst der zahme Buchdrucker Mayer hier wegen einzelner Mitteilungen über sie ihre Feindschaft zu erfahren gehabt [...]. Was kann man denn gegen die Juden tun, die unser ganzes Volk zugrunde gerichtet haben? Sie sind die eifrigsten und erfolgreichsten Zerstörer christlicher Religion und Sitten.

<41>

Diese Äußerungen kann man nun mit dem besten Willen nicht mehr als objektiv bezeichnen.

Im Januar 1881 folgt eine weitere antijüdische Äußerung:

Die Juden aber treibens's so bunt und frech, daß zuletzt wieder Verfolgung über sie losbrechen muß, daß sie wieder nach Gott schreien lernen. [...] Daß die Juden durch die Erfolge ihrer guten und bösen Eigenschaften schließlich Haß und Verfolgung sich zuziehen, wie früher schon, war meine Überzeugung schon vor dem jetzt in Berlin gegen sie eröffneten Kampf.

Diese Haltung war damals gewiß nichts Außergewöhnliches in der bürgerlichen Gesellschaft des ausgehenden Jahrhunderts, zumal damals viele gesetzlich festgelegte Restriktionen, den Handel und die Gewerbefreiheit betreffend, entscheidend gelockert wurden und das Bürgertum dem wachsenden Reichtum der Juden neidisch zusah.

<42>

In der Beziehung zwischen G. Christaller und Erdmann Gottreich haben solche Meinungen sicher den Bruch vertieft, jedenfalls scheiden auf Wunsch der Geschwister beide aus dem Rundbuch aus, da man der öffentlich ausgetragenen Streitereien müde ist.

<43>

In dieser Zeit wachsender familiärer Spannungen mußte Christaller sich noch mit einem anderen Problem auseinandersetzen: Ein Herr Schopf hatte ihm (November 1886) geschrieben, man höre, die Eingeborenen könnten die Bibelübersetzung nicht verstehen: "translation is not satisfactory", auch hänge damit der schleppende Verkauf der Bibel zusammen.

<44>

Dies wird den fleißigen und gewissenhaften Sprachwissenschaftler sicherlich sehr tief getroffen haben, denn immerhin war er ja vom Institut de France mit zwei Volneypreisen ausgezeichnet worden für seine Twi-Grammatik 1876 und im Jahre 1882 mit einem weiteren Preis für sein Twi-Wörterbuch.

<45>

So wird Christaller erneut aktiv und holt sofort von Accra gegenteilige Berichte ein, z.B. schreibt ein Einheimischer E. Papagi in Englisch, daß die Übersetzungen durchaus und gut verstanden würden. Ebenso schreibt Salomon Kodseker aus Odumase im Januar 1888, daß die Bibel gut verstanden werde, und er läßt die Katechisten Em. Wentum und John Adam dies bestätigen.

<46>

Im April 1888 kommt von der British Bible Society die Anfrage, ob Chr. neue Korrekturen lesen könne, und im Mai, ob er einen Beitrag zum Neudruck des NT verfassen wolle. Am 24.Apr. 1890 schreibt er an Wright von der Biblical Society noch einmal wegen des Verständnisses der Einheimischen: "[...] procured ample testimony from the natives in our mission [...]," trotzdem ist er "[...] in favour of a thorough revision of the late Mr. Zimmermann's translation, although he had made it in constant cooperation with intelligent natives."

<47>

Im März 1891 schreibt Chr. an Insp. Öhler über den Druck eines Tschi Gesangbuches und einer Katechistenordnung. Auch verstummt seine Kritik an der Übersetzung anderer (d.i. Bohner) nicht (so am 1.12.1891 Brief an Insp. Öhler). Noch im April 1894 gibt er für Br. Schweizer Ratschläge, wie er sich mit Tschi und Ga zu befassen habe.

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So zehren von verschiedenen Seiten Anfeindung oder auch Mißgunst an Christallers Kräften und dies scheint in der Tat eine unendliche Geschichte für den doch recht einsamen, etwas müden und allmählich alternden Missionar zu werden. Schon der angeführte Brief vom 15.Febr. 1877 (Dok 77/3) stellte in seiner Kampfstellung gegen seinen Erstgeborenen ganz deutlich die Weichen für die kommenden Jahre. Erst mit Erdmanns Eintritt in den Pfarrdienst (Mai 1887) ergaben sich für den Vater neue und erfreulichere Dimensionen. Aber auch die Tatsache, daß mittlerweile Sohn Ernst in der Stille der Irrenanstalt den Frieden der Familie nicht mehr auf die Probe zu stellen vermag, wofür natürlich äußere Opfer gebracht werden müssen, ließ den kinderreichen Familienvater allmählich etwas ruhiger werden im Bewußtsein, sich in Gottes Willen ergeben zu müssen. Und so muß unsere Darstellung im Folgenden sich mit dem so traurigen Problem des familiären Generationenkonflikts auseinandersetzen.

2.12.4. Der tragische Generationenkonflikt im Hause Christaller

Die Auseinandersetzung zwischen Vater und ältestem Sohn

<49>

Da für die späten Lebensjahre Joh. Gottlieb Christallers die brieflichen Unterlagen im Familienarchiv spärlicher werden und die Adressaten zumeist die eigenen Kinder waren, wollen wir die mehr an den Jahreszahlen orientierte Chronik verlassen und uns einzelnen speziellen Themen zuwenden, welche seine aus dem Christentum und dem Missionsgedanken erwachsene Lebensanschauung verdeutlichen sollen, zugleich aber auch manche seiner persönlichen Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen erkennen lassen. Daß hierbei die Konsequenz seiner Anchauungen, vielleicht auch eine starke Kompromißlosigkeit gerade an seinen Schwierigkeiten im Umgang mit seinen Kindern offen zutage tritt, mag man vielleicht doch als bittere Tragik eines Familienvaters erkennen, der zwar das Beste wollte, aber den Weg dazu nicht finden konnte. Es soll in diesem Kapitel G. Christallers Beziehung zu seinem ältesten Sohn Gottreich Erdmann (= G.E.) behandelt werden, die zugleich ein Licht auf Christallers Geisteshaltung wirft und auch sein missionarisches Bewußtsein immer wieder hervorhebt.

<50>

Die klassischen Konflikte zwischen Vater und Sohn kommen meistens nicht von ungefähr und haben sich auch in diesem Leben über lange Jahre herangebildet und sind durch den Charakter beider Beteiligten vorgegeben. Als der 6-jährige Gottreich Erdmann von seiner Mutter getrennt und ins Basler Missionshaus gebracht wird, hat er schon ein waches Bewußtsein dieser sich so grundlegend ändernden Lebensumstände. Von Natur aus ein verschlossener, in sich zurückgezogener Mensch, in diesen Eigenschaften seinem Vater sehr ähnlich, dazu außerordentlich sprachbegabt, ist der Zwang der streng geregelten Anstaltserziehung, die sich dann in den Seminaren und im Stift fortsetzt, eher ein Gift für die Seele als eine Förderung der Persönlichkeit.

<51>

Schon früh wächst, zuerst wahrscheinlich eher unbewußt, der Widerstand gegen einen Vater, der räumlich so weit entfernt in Afrika ist und zudem die Bahnen einer strenggläubigen Frömmigkeit nie verläßt oder verlassen kann. Viel zu früh fällt Tadel auf diesen Sohn, der seine eigenen schöpferischen Gaben nicht verfolgen darf und sie stets dem frommen Element unterordnen muß. Auch die instinktive Abwehrhaltung gegen den Vater fängt in sehr jungen Jahren an, wenn er z.B. einen aus Afrika gekommenen Brief gar nicht lesen möchte und lieber zu seinen Freunden auf den Hof springt.

<52>

Auch kommt G.E. in den Augen seines Vaters und im Vergleich mit seinen Geschwistern stets schlecht weg. Er wird getadelt, weil seine kleine Schwester Martha schon viel schönere oder längere Briefe schreibt, er wird getadelt wegen seiner Flüchtigkeit, die ihm trotz oder gerade wegen seiner Begabung anhaftet. Er klammert sich an seine Tante G. Merkle, wenn er in den Ferien in Gmünd sein darf, und das Anstalts- und Seminarleben steigert noch seinen angeborenen Hang zum Individualisten. So bleibt es nicht aus, daß das äußerlich so stark reglementierte Leben sich dann im Geistigen Bahnen zu brechen und Freiräume zu schaffen sucht.

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Der immer wieder vom Vater zitierte und als Stein des Anstoßes betrachtete Ausspruch des Heranwachsenden: "Auf Autorität wird nicht gegangen", zieht sich wie ein roter Faden durch den Briefwechsel und muß vom Vater zwangsläufig falsch verstanden werden. Nicht die Gärungen einer brodelnden und sich suchenden Seele werden hier gesehen, sondern nur Sünde und Abkehr von der verlangten Dankbarkeit und Frömmigkeit.

<54>

Als G.E. 1876 als Student ins Tübinger Stift eintritt, hat er längst den Boden einer so gearteten Frömmigkeit verlassen und sucht sich geistige Freiräume u.a. in jenen theologischen und philosophischen Bahnen, die im Vorwort schon angedeutet wurden. Hiermit trifft er bei seinem Vater auf ein totales und fundamentales Unverständnis. Auch die Freiheiten eines studentischen Lebens, wie es sich etwa in studentischen Verbindungen oder gelegentlichen Kneipabenden äußert, wird mit Mißtrauen, wenn nicht gar mit direkten Verboten bedacht.

<55>

Es ist überhaupt ein Merkmal dieser Jahre noch hin bis zur Verheiratung des Sohnes (30.Sep. 1890), jeden seiner (und auch seiner anderen Kinder) Schritte, seien es geistige oder körperliche, unter Kontrolle zu haben und beratend oder befehlend zu kommentieren. Der Vater möchte genau wissen, was der Sohn studiert, welche Zeitschriften er liest und wie er politisch orientiert ist.

Denn wenn Du Positives und Conservatives nicht liesest, sondern nur Kritisches und Destructives, so gerätst Du unter die Zerstörer. (8.Nov. 1876).

<56>

Die Antworten des Sohnes sind meist nüchtern, auf äußere Dinge bezogen oder den väterlichen Ermahnungen ausweichend. Schreibt G.E. von Logik, Anthropologie und Philosophie, die ihn interessieren, heißt es sogleich: "Aber treibe nicht das, was Dich mehr interessiert auf Kosten dessen, was Du zunächst sollst." (6.Dez. 1876) Liest G.E. philosophische Schriften, wie die "Philosophie des Unbewußten" von Eduard v. Hartmann , so muß Christaller sich wundern über "solchen bodenlosen Unsinn." Er verlangt vom Sohn regelmäßigen Bericht über Gegenstände der Studien, über den Stand der Ansichten und verspricht, sie aus den Rundbriefen der Familie herauszuhalten, ein Versprechen, das er niemals hält.

Ein Vater hat die Pflicht, sich um seinen Sohn auch in diesen Sachen zu kümmern. Die schrankenlose Freiheit ist verderblich. (27.Jan. 1877)

<57>

So kann auch die Gängelung und Belehrung in politischer Beziehung nicht ausbleiben, wenn der Sohn sozialdemokratischen Tendenzen zuneigt, heißt es sogleich, sie seien "gifterfüllt, umsturz- und zerstörungssüchtig." (11.Febr. 1877)

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Auf alle geistigen Ausflüge und Denkversuche des jungen Mannes erfolgt vom Vater postwendend: "O revidiere und verbessere doch dein Denken recht und nicht bloß durch Logikstudium", und er bescheinigt dem Sohn im gleichen Atemzug, daß er auf dem "gefährlichen und verderblichen Irrweg" sei. Natürlich hat sich dieser längst ebenso wie sein jüngerer Bruder Ernst intensiv mit D. Fr. Strauß und Feuerbach beschäftigt.

<59>

Diese Lehren und theologischen Tendenzen bezeichnet der Vater klipp und klar als "Fanatismus und Fatalismus", als "kräftige Irrtümer" und prophezeit dem Sohn daraus erwachsendes Unglück. Die Schreiben eines Strauß nennt er "Menschenwerk" und alle, die sich damit auseinandersetzen, sind "Verirrte". Ebenso wie die Abkehr von solchen theologischen Forschungen verlangt Christaller: "Es ist mein väterlicher Wille, daß du keine socialdemokratischen Blätter liesest." (29.Mai 1877)

Der Liberalismus bahnte den Weg, die Socialdemokratie wird es ausführen, Deutschland zu Grunde zu richten.

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Christaller hat eine recht seltsame Auffassung vom Wesen und den Zielen der Sozialdemokraten, er rückt sie sozusagen in eine Ecke mit dem bösen Feind, dem Widersacher aller christlichen Grundsätze, wenn er sagt: "Sie (die Soz. dem.) selber halten die greulichsten Sünden, Lüge und Mord, für notwendig, um die Massen zu gewinnen und um die nicht gewonnenen aus dem Wege zu räumen." (31.Mai 1877)

<61>

Es gibt bei Christaller überhaupt in dieser späten Phase seines Lebens eine starke Abwehrhaltung gegen alles, was nicht mit Frömmigkeit, Bibel oder der Missionsarbeit zu tun hat. Philosophie ist ihm von vornherein suspekt, in welcher Gestalt auch immer. Häufig appelliert er auch an die Dankbarkeit, die der Sohn ihm oder seiner Erziehung schuldig sei und bedauert dabei, daß G.E. sich so wenig oder gar nicht für die Arbeiten des Vaters interessiere. So ist es kein Wunder, daß der Student nicht gern die Ferien im Elternhaus verbringt und stets neue Vorwände sucht, anderswohin zu reisen.

<62>

Christallers Sparsamkeit, die durch den sich vergrößernden Schorndorfer Haushalt wohl notwendig war, ist wiederum ein ständiger Konfliktstoff zwischen Vater und Sohn. Am 29.Juni 1877: "Mein Gehalt ist mir groß genug, das Geld ist mir der Güter höchstes nicht." Trotzdem rechnet er ständig dem Sohn vor, was er alles verbraucht und wo er sparen muß, und er verlangt genaueste Rechnungslegung über alle Ausgaben. G.E., der wirklich kein eitler Mensch war, schreibt dagegen: "In Beziehung auf die Kleider glaube ich sicher, am schofelsten unter alllen Studenten zu sein; es liegt mir weiter nicht viel daran, doch wäre es angezeigt, daß es besser würde." (28.Sep. 1877)

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Aber das alles sind nur unterschwellige Plänkeleien neben dem Hauptanliegen Christallers, seinen ältesten Sohn zum wahren Glauben zu bekehren, so wie er ihn versteht. Liest G.E. Schopenhauer, so fällt er einem "Verführer" anheim, hat er einen Freund (Meeh), der sozialdemokratischen Richtungen zuneigt, so heißt es: "Ich gebiete dir als Vater, daß du den Umgang von solchen meidest, die sich für die Socialdemokraten und den Materialismus aussprechen." (19.Okt. 1877) Selbst das Tübinger Stift bleibt von seiner Kritik nicht ungeschoren:

Ich würde [...] etwas zu sagen haben über die Art, wie die Seminaristen, statt auf dem gelegten Grund gegründet zu werden, vor der Zeit zum Kritisieren hingeführt werden, daß sie alles kritisch zersetzen und fürs Leben und für den Beruf, dem sie zugeführt werden sollen, untüchtig, unbrauchbar, unfruchtbar, ja viel mehr Zerstörer werden. (aaO)

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Es ist aus diesem Briefwechsel zwischen 1876 und 1886 die tiefe Tragik herauszulesen, daß es anscheinend zwischen Vater und Sohn überhaupt keine Wege der Verständigung mehr gibt und vor allem, daß Christaller seinen Sohn fortwährend so versteht, wie der es nicht gemeint hat. Der suchende Geist des Jüngeren, der seine hohe Begabung in die verschiedensten Richtungen schweifen läßt, stößt bei seinem Vater stets nur auf die Wand, die alles außer Buße, Reue oder Bekehrung abprallen läßt. So schreibt G. E am 24.Nov. 1877:

Ach Gott! ich schreibe Dir kein Wort mehr, ohne vorher mit skeptischer Genauigkeit untersucht zu haben, ob nicht ein Mißverständnis auch nur von ferne möglich sei.

<65>

Eine Antwort des Vaters muß hier für viele stehen, die im Laufe der Jahre immer heftiger und verbitterter werden:

Du steckst in der Finsternis des menschlichen Herzens und in der satanischen, in welche du dich durch abtrünnige Irrlehrer wie Strauß und Socialdemokraten [...] hast beschwatzen lassen. (28.Nov. 1877)

<66>

Im März 1878 zieht G.E. aus dem Stift aus und wohnt privat in Tübingen, ein Schritt, den Christaller sicher nicht gern gesehen und nur unwillig erlaubt hat. Natürlich drängt der Vater seinen Sohn, doch wieder ins Stift zurückzukehren, darauf heißt es nur sehr kurz:

Ob ich ins Stift zurück wolle? Das wollt ich absolut nicht, wenn ich auch dürfte. (3.Sep. 1878)

Auch Bildungsmittel außerhalb der theologischen Fakultät oder gar der Universität sind dem Vater von vornherein absolut suspekt:

Daß du einmal übers andere nach Stuttgart läufst ins Theater, gefällt mir auch nicht; ich halte das Theater durchaus nicht für ein notwendiges Bildungsmittel. (3.Sep. 1878)

Für den Theaterbesuch kann ich dir kein Geld schicken; ich verbiete dir, dem Theater zuliebe Reisen zu machen. (8.Okt. 1878)

<67>

Beharrlich untermauert und begründet der Vater seine Ermahnungen an den Sohn stets mit biblischen Zitaten, die er für jede nur mögliche innere und äußere Situation parat hat.

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Es wird da z.B. der vom Sohn verfolgte "Liberalismus des Zeitgeistes" sogleich konfrontiert mit der Klage des Jeremias über die Verderbtheit des Volkes und er weist ihn auf die Paulusbriefe hin. Diese nun könne "kein Strauß in Mythen verflüchtigen, und weil der Unselige das nicht kann, ist auch die Minirarbeit bei den Evangelien erfolglos." (4.Dez. 1878)

<69>

Je größer der Graben zwischen Christaller und seinem ältesten Sohn wird, desto dringlicher aber auch vergeblicher werden seine Ermahnungen, zumal auch Ernst in die skeptischen und den Vater ablehnenden Fußstapfen des älteren Bruders zu treten anfängt. Immer wieder wird gegen Strauß zu Felde gezogen oder auch gegen die Dichter, die der Sohn G.E. verehrt.

Eine Seite, ja ein Vers der paulinischen Schriften ist mehr werth als Göthes gesammelte Werke. [...] Ohne Göthe kann ich ganz gut und glücklich leben, ohne Jesum nicht. (22.Jan. 1879)

<70>

Nur an sehr wenigen Stellen seiner Briefe an den Vater oder die Eltern enthüllt Sohn G.E. seinen inneren Zustand und die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hat. Auf einer Rheinreise im Frühjahr 1879, die er ohne Genehmigung des Vaters und zu dessen großem Unwillen macht, charakterisiert er sich selber:

Ich suche die kleineren bescheidenen Wirtshäuser auf, [...] wo rechte Menschen vorkommen. Nebenbei lerne ich da glaub ich etwas Umgänglichkeit, [...] weil ich mich auf der Reise, wo die Leute mich nicht kennen, nicht zu geniren brauche. Das Geniren [...] ist aber eine Folge von dem Bewußtsein, daß ich die rechte Art nicht habe. [...] Ich glaube, daß ich im Grund nichts Schlechtes bin, es fehlt mir nur viel mehr an der Fähigkeit, mein Gutes und Brauchbares zu zeigen. (3.Apr. 1879)

<71>

Hier wird deutlich, welche schier irreparablen Komplexe in dem jungen Menschen schon gezüchtet wurden. Was vom Vater in den folgenden Jahren oft als Selbstherrlichkeit und Rücksichtslosigkeit gebrandmarkt wird, ist wohl weiter nichts als der verzweifelte Versuch, aus den engen Schranken der Erziehung herauszutreten und ein eigenständiger Mensch zu werden. Daß ständige und auch oft ungerechte Ermahnungen nur größeren Widerstand erzeugen, wird dem Vater leider niemals bewußt.

Rücksichtslosigkeit nennst Du das (d.i. die Reise), was ich da gemacht habe. Daß ich nicht zu Euch gekommen bin? [...] Von Mutter weiß ich bestimmt, daß es ihr lieber ist, wenn ich fort bin, und Du, Vater, hast auch immer Verdruß, wenn ich da bin. (18.Apr. 1879)

<72>

So drängt der Vater den Sohn immer und überall in die Verteidigung und wundert sich noch, daß die Entfernung zunehmend größer wird. Die auf der Rheinreise genossene Freiheit, die damit verbundenen Eindrücke von großartiger Landschaft oder auch gehörten Konzerten (Beethovens 9. Sinfonie) sind für den Vater weitere Nichtigkeiten auf dem Schuldkonto des Sohnes, dem er das Missionsfest in Tübingen empfiehlt: "Darfst wohl auch dazu gehen, die Mission ist ein Charakteristicum unserer Zeit, das man nicht ignorieren darf, wenn man auf richtige und wahre Anschauungen von Welt und Zeit bedacht sein will." (17.Juni 1879)

<73>

Aber nicht nur der älteste, auch Sohn Ernst hat Anstalts- und Seminarleben gründlich satt: "Hah, wie wohl wäre mir, wenn ich den ganzen hiesigen Sumpf mit allem, was drum und dran hängt, hinter mir hätte und auf den Bergen schweifen könnte!" schreibt er am 20.Juli 1879 aus Blaubeuren an seinen Bruder.

<74>

Nur Christaller selbst kommt niemals auf die Idee, daß die Erziehung seiner Kinder in der Basler Mission und später in Seminaren und Stift irgendeinen Schaden in den Gemütern angerichtet haben könnte. Selbst so ein sonniges Gemüt wie Martha hat ja in Basel mehr als genug zu leiden gehabt.

<75>

Am 10.Dez. 1879 schreibt Christaller von der Korrektur des 16. Bogens seines Wörterbuches und der Arbeit an einem neuen Manuskript. Anspruch und Last dieser Arbeiten sind es, die ihm das Briefeschreiben an seinen Sohn zur lästigen Pflicht machen, da er sich im Grunde gar nichts Gutes mehr davon verspricht. Da es aber diesmal ein Geburtstagsbrief ist, sind folgende Wünsche an den Sohn darin:

Daß Du je eher, je lieber [...] umwendest zu dem Gotte Deines Lebens. [...] möge ich nie wieder etwas gegen den ganzen Complex der glaubenslosen und erzabergläubischen Narrheiten an Dich schreiben müssen!

<76>

Dennoch muß er sich wieder mit diesen "Narrheiten" abgeben. Nicht nur über Strauß ist sein negatives Urteil unumstößlich fertig, auch über Prof. Planck im Seminar Blaubeuren äußert er sich negativ:

Man muß staunen, daß man einen solchen Mann zu einem Erzieher von Theologen macht. (10.Jan. 1880 an Pfarrer Pfisterer in Basel.)

<77>

Seltsamerweise ist es Christaller, der im Basler Mädchenhaus eine entscheidende Wendung herbeiführt, indem er die wohl berechtigten Klagen seiner Tochter Martha der Kommission zur Kenntnis bringt und den Austritt von Fräulein Scholtz veranlaßt. Über Brüchigkeit oder Echtheit einer wahren christlichen Gesinnung auf beiden Seiten mag man sich seine eigenen Gedanken machen, wenn man den z.T. recht bösen und haßerfüllten Briefwechsel zwischen diesen beiden Kontrahenten liest. (she nächstes Kapitel "J.G.Chr. und Tochter Martha", S.199-206.)

<78>

Es ist indirekt für Christaller bezeichnend, wie viel sachlicher und objektivier andere die Erziehung in Seminaren und Stift sehen können, auch daß man sich sehr wohl mancher Unzulänglichkeiten bewußt ist. Der Basler Pfarrer Pfisterer sieht das alles viel gelassener als der betroffene Vater Christaller:

Wenn bei Gottreichs Promotion socialdem. Blätter cursiren konnten, so fehlte es einfach an der Aufsicht, die geübt werden sollte. [...] Das ist alter Stiftsgeist, da die Stiftler gerne ihre eigenen Wege gehen und sich nicht zu sehr beeinflussen lassen. [...] Gegenwärtig scheint die materialistische Schopenhauer-Hartmannsche Philosophie ziemlich Macht zu haben. Dieses trübe Gewässer wird sich auch wieder verlaufen [...] (Febr. 1880)

<79>

Wenn Schopenhauers äußerst subtile und geschliffene Denkprozesse der fortgeführten Erkenntnistheorie Kants hier von Theologen als "trübes Gewässer" abqualifiziert werden, wenn dem jungen Menschen nicht gestattet wird, daran seinen hungrigen Geist zu wetzen, so muß deutlich werden, in wie weit voneinander entfernten Denk- und Vorstellungskategorien Vater und Sohn sich inzwischen befinden. Wenn der junge Theologe die Existenz Gottes leugnet, so muß man das doch als oppositionelle Geste betrachten.

<80>

Christaller antwortet auf solche Neigungen und Interessen des Sohnes und dessen Widerwillen, den Beruf eines Pfarrers zu ergreifen, damit, daß er G.E. als einen "völlig entarteten, sehr unartigen und unnatürlichen Sohn" bezeichnet, der notwendig in "Dreck tappen" und in einer "Schlammgrube versinken müsse." (Jan. 1880)

<81>

Mit Mühe und Not bringt man G.E. dazu, daß er in Tübingen sein abschließendes theologisches Examen macht. Selbst Außenstehende müssen ihm zureden, in den Osterferien nach Schorndorf zu reisen, da er die dortigen Konflikte allmählich fürchten gelernt hatte.

<82>

Natürlich ist Christaller, was die Kindererziehung betrifft, absolut in den damals üblichen Denkbahnen befangen:

Wie viel thun doch Eltern für ihre Kinder von klein auf und dann, statt etwas zu vergelten, sind die Kinder im Stande und thun gerade das Gegenteil von dem, was die Eltern erwarten könnten. [...] Rechnest Du mich zu den natürlichen, weil unphilosophischen Menschen, so muß ich Dich, trotz und wegen Deiner Philosophie, zu den unnatürlichen Menschen rechnen. (16.März 1880)

<83>

Aber nicht nur Christaller teilt in dieser Zeit reichlich Vorwürfe aus, er muß auch selbst deren einige einstecken, nämlich von Ephorus Buder , die Erziehung der Kinder betreffend. Ganz unverblümt wird Christaller hier gefragt, warum er denn seine Söhne den besagten Anstalten überlassen hätte, wenn er doch von ihnen eine so schlechte und nach Buders Meinung einseitige Ansicht über sie habe. Auch sei ein Asante-Lexikon nicht so wichtig wie die Zeit für die in Tübingen befindlichen Söhne. (19.Febr. 1880 Buder an Christaller)

<84>

Es ist von Christaller selten ein so großer Klagebrief geschrieben worden, wie am 10.April 1880. Die Söhne G.E. und Ernst schreiben (wohl mit gutem Grund) dem Vater nicht mehr, wohin sie in den Ferien gehen, so sucht er sie vergeblich in Tübingen, Stuttgart und Reutlingen.

Erdmann, wo bist du? Wo ist dein Bruder Ernst? [...] o meine Söhne! Ich will euch ja alles vergeben, was ihr gethan habt, nur erkennet und bekennet es: Vater ich habe gesündigt!

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Und dann geht später in dem gleichen Brief die ganze Litanei jener Reizwörter auf den Sohn nieder, die der Vater als "Schlamm" bezeichnet: "Socialdemokratie, Atheismus, Materialismus, Opern und Theater, Ästhetik, Straußsches Surrogat für Religion." Ab jetzt wird G.E. nur mehr mit "Mein Sohn!" angeredet.

<86>

Je mehr sich dieser älteste Sohn ihm innerlich und äußerlich entzieht, desto bitterer, schärfer, aber auch ohnmächtiger werden die Briefe und wohl auch der Zorn, der hinter ihnen steckt. Die mündlichen Auseinandersetzungen, wenn sie denn stattfanden, müssen oft recht heftig gewesen sein, denn nun bittet der Sohn den Vater, ihn doch endlich ganz - äußerlich und innerlich - gehen zu lassen. Aber davon kann gar keine Rede sein. Jetzt soll G.E. aufs Examen lernen und sich die Schriften von D. Fr. Strauß und Schopenhauer "aus den Augen" schaffen.

<87>

Im Okt. 1880 geht G.E. nach abgelegtem theologischen Examen nach München, da er sich nicht entschließen kann, ins Pfarramt einzutreten. Neben den finanziellen Schwierigkeiten, die daraus erwachsen, pocht der Vater nun auf die Pflicht und Schuldigkeit gegen Staat und Kirche, bezichtigt den Sohn des Hochmuts und geißelt dessen Neigung zum Theater.

<88>

G.E. dagegen atmet förmlich auf, dem Stiftszwang entronnen zu sein und versucht, seine Wege zu rechtfertigen, zu Hause dagegen wird aus "Scham und Ärger" über den Sohn geschwiegen. Dagegen wird jeder Versuch des jungen Mannes in München, dem Vater seinen eigenen Standpunkt klarzumachen, abgewiesen, ebenso wie die Bitte, den Brief der Rechtfertigung privat zu lassen, nicht beachtet. Trotzdem hat G.E. den Mut, noch für seinen Bruder Ernst zu bitten, der Vater möge ihn aus dem Stift austreten lassen, denn "das Stift ist ohnehin eine so schlimme Sache für die, welche nicht hineinpassen." (13.Febr. 1881)

<89>

Es muß schon der seelische Notstand dieser jungen Leute im Laufe der Jahre so stark angewachsen sein, daß sie jedes nur mögliche Mittel zu benutzen suchen, dem Vater, dem kirchlichen Zwang und überhaupt jeglicher Bevormundung zu entkommen. Ernst ist dann tatsächlich einige Jahre später seiner Veranlagung und dem Druck, der jahrelang auf ihm lastete, erlegen und wurde mit starken Zwangsneurosen ins Irrenhaus Winnenthal, später Zwiefalten aufgenommen und blieb dort bis zu seinem Tod.

<90>

Schoß der Familie oder Kirche zurückzukehren und versucht noch einmal grundsätzlich am 28.März 1881 seine Haltung zu erläutern, obgleich er wohl von der Vergeblichkeit eines solchen Schreibens überzeugt sein muß. Gemäldesammlungen und Theater sieht er als zu einem Studium der Philologie und Ästhetik gehörig, die er jetzt betreibt. Innerlich betrachtet er das Verhältnis zu seinem Vater als aufgelöst und wehrt sich mit sehr harten Worten gegen dessen fortgesetzte Versuche der Beeinflussung:

Ich halte es für eine der abscheuenserregendsten Eigenschaften, seinen Willen betreff eines anderen Menschen mit solcher Einseitigkeit und despotischen Unnachgiebigkeit durchsetzen zu wollen. [...] Zum Schluß bitte ich Dich nun, Du mögest mich nicht Dich hassen lehren.

Mit Sicherheit hat im gegenseitigen Verhältnis der Sohn das kühlere und sachlichere Urteil über den Vater als umgekehrt:

Die Ursache alles Deines Mißvergnügens über mich ist Dein und mein Verhältnis zum Christentum, sonst gar nichts. Ohne Deinen Wunsch, mich wieder zu bekehren, hättest Du mir ganz ruhig meine Selbständigkeit können gelten lassen [...] (14.Apr. 1881)

<91>

Das Alltagsleben in Schorndorf muß Christaller manchmal ziemlich sauer geworden sein mit der erneut anwachsenden Kinderschar, wenn er schreibt:

Wie viel geht jedem Menschen, der das Leben einigermaßen kennenlernt, alle Tage gegen den Willen, besonders einem, der Frau und Kinder hat.- Man kann an dem Unverstand und den kleinen Verkehrtheiten der kleinen Kinder nicht genug kriegen; ein tüchtiger Pädagoge hätte sich um dessentwillen nicht zum 2ten Mal verheiratet, weil man sich über die Kinder soviel ärgern müsse. [...] aber den größten Ärger bereiten doch solche große Kinder, die sich für selbständig erklären. (14.Apr. 1881)

<92>

Wieder antwortet G.E. darauf sehr kühl und vernünftig, ohne allerdings den Zorn des Vaters über so viele Dinge zu besänftigen: "Du kannst Dich nicht drein finden, daß Dein Sohn, wie es doch der Welt Lauf ist, selbständig wird im Denken wie im Handeln; Du möchtest ihn immer noch beherrschen." (20.Apr. 1881)

<93>

Es laufen zwischen Vater und Sohn alle jene Mechanismen ab, die einer Verständigung im Wege stehen, die Klage des Vaters, er habe stets so viel arbeiten müssen, daß ihm nie Zeit geblieben sei für solche "Gefühlsschwelgereien", die er beim Sohn voraussetzt, auch verzeiht er G.E. nicht seine Verschlossenheit, wie überhaupt sein "ganzes Benehmen nicht zu entschuldigen" ist. (24.Apr. 1881)

<94>

Christaller belastet dieses gestörte Verhältnis bis hin zur körperlichen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit: "Durch immer neue Zerstörung meines Vertrauens in Dich ist meine Lebens- und Arbeitsfreudigkeit und -kraft gebrochen und gelähmt." (8.Okt. 1881) Er wird von einem mehrtägigen Fieber niedergeworfen.

<95>

Dieser leidende Zustand scheint sich über längere Zeit hingezogen oder sich wiederholt zu haben. So schreibt Christallers Schwester G. Merkle an G.E.: "Euer Vater ist sehr leidend, der Kummer zehrt mehr am Herzen und Körper als Krankheit." (10.April 1882) Dieses z.T. physische Leiden ist wohl auch der Grund, daß Christaller am 11.April 1882 an seinen Sohn schreibt: "Ich habe mich nun darein ergeben, euch eure vielleicht langewährenden Irrfahrten durchs Leben machen zu lassen; ob ihr je noch zurecht kommet und gerettet werdet, weiß ich nicht." Und er sieht wohl auch allmählich ein, daß er seinen Sohn nicht zu dem bekehren kann, was er für richtig und gut hält.

Deine und meine Weltanschauung sind toto coelo voneinander verschieden.

<96>

Auch daß G.E. und Ernst sich für seine Arbeit interessieren, glaubt er nun nicht mehr. In dem gleichen Brief (nach einem Besuch in München) heißt es: "Ich wollte Dir den Brief vom englischen Colonialministerium, der von einem Beitrag für die Tschiliteratur von 3.650 M begleitet wird, [...] zeigen, aber teils soll man euch wie schallose Eier behandeln, [...] teils fühlt man sich durch eure [...] Reden und Handlungen wie betäubt und verwirrt. [...]."

<97>

Im Aug. 1884 kommt die Schrift "Aristokratie des Geistes" von G.E. heraus, natürlich sehr zum Mißfallen des Vaters. Es muß sich in ihm inzwischen ein solcher Zorn angesammelt haben, daß er den Sohn nicht nur als Verführer des jüngeren Bruders, sondern seine Schrift und seine Briefe als "Mist" bezeichnet, die ihm "Kasten, Arbeitszimmer und Kopf voll stinken." Daß unter solchen Voraussetzungen überhaupt keine Verständigung, geschweige denn Liebe mehr möglich ist, liegt auf der Hand. Aber nicht nur des Sohnes Ansichten sind ihm so zuwider, sondern auch der Philosoph Hegel gerät in die Schußlinie und dessen Werk wird mit dem gleichen Attribut bezeichnet wie das des Sohnes. (4.Aug. 1884) Man kann wohl so ein Urteil nicht mehr als objektiv ansehen, weil es aus der tiefen Frustration erwächst, die Christaller mit seinem ältesten Sohn erlebt. So schreibt Ernst nach einem Besuch in Schorndorf:

Er (Vater) ist wieder sehr aufgeregt und unvernünftig, Du darfst Dir gratulieren, daß Du nicht mehr mit ihm zu tun hast. (7.Sep. 1884)

<98>

Es ist schon erstaunlich, wie sehr sich der Jüngere bemüht, seinen Vater zu beruhigen und zu begütigen nach all den z.T. wirklich ausfälligen Tiraden, die er brieflich zu hören bekommt. Da heißt es:

Du wühlst in deinen Wunden, du übertreibst alles, was dir an uns widerwärtig ist, und klagst dann Jedermann dein Leid. Mir tuts weh das zu sehen [...] quäle dich doch nicht noch mehr. (8.Sep. 1884)

So muß man auch die Schuld, die der Vater wegen der angeblichen "Verführung" des Bruders Ernst dem ältesten Sohn zuschiebt, als völlig irrational betrachten.

<99>

Weltanschaulich kann Christaller sich leider in keiner Weise mehr ändern oder entwickeln, was an damals neuen philosophischen Ideen aufkommt, ist ihm alles ärgerlich und verkehrt. Die Schrift des Sohnes ("Aristokratie des Geistes") hält er für eine "Schwindelei", gegründet auf dem "verlogenen und verstunkenen Darwinismus". Er wolle sich mit so etwas nicht mehr abgeben, da er selbst übergenug Arbeit habe. Er könne

jeden von euch 4 älteren Brüdern als Gehilfen beschäftigen [...] mit der Gesammtheit der zugänglichen Negersprachen und mit der Geographie der Goldküste und anderer Länder. Ich hatte z.B. von Eingeborenen Berichte über Reisen von drei und zweieinhalb Monaten zum Teil durch noch nie von Europa besuchte Länder von 80 und 50 Quart- oder Folioseiten zu verarbeiten und schrieb anderes, über 100 Seiten, was in London und in Jena verwendet und gedruckt wird. (3.April 1885)

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Den politischen Utopien und Gedankenspielen des Sohnes hält er Folgendes entgegen: "Gott hat dem deutschen Volk noch große Gnade erzeigt, indem er ihm den Kaiser Wilhelm und Bismarck gegeben hat und so lange erhält. Beide wären nicht, was sie sind, ohne ihren Christenglauben." (10.Apr. 1885) Man kann diese Gegensätze oder auch das Unverständnis des Vaters aus heutiger Sicht nur als tragisch bezeichnen.

<101>

Ab und zu mischt sich auch die Tante G. Merkle in diesen Briefwechsel, zwar voller Liebe und guter Meinung, aber natürlich doch immer zugunsten des eigenen Bruders und zu Lasten des Neffen: "Du weißt nicht, was Kummer ist, ich aber weiß es. [...] Ich kann dir nicht sagen, wie ich mit dem lieben Bruder leide, sein Schmerz ist mein Schmerz." (22.Juni 1885) Natürlich überblickt sie bei weitem nicht die geistigen Kämpfe, die sich zwischen den Generationen abspielen, sondern sorgt sich, wer für die Kosten aufkommen soll, wenn Ernst ins Irrenhaus müsse. Diese Kosten kamen dann tatsächlich auf die Familie zu. Sie kann auch nicht wissen, daß Christaller seines Sohnes Schriften und Gedanken inzwischen als "satanisch" bezeichnet.

<103>

Auf G. Erdmanns Seite ist über dieses Verhältnis längst tiefe Resignation eingetreten: "Unsere Anschauungen sind eben so weit auseinandergegangen, wie nur je zwischen Vater und Sohn vorgekommen ist. Wir haben darin Unglück gehabt, es läßt sich nicht mehr ändern und wir sollen uns drein ergeben. Ach, ich rede auch in den Wind, wie du, ich weiß absolut gar nichts mehr zu sagen." (24.Juni 1885)

<103>

Am 30.Nov. 1885 stirbt sechsjährig der kleine Gustav Christaller an Diphterie, eine bittere Erfahrung für die Eltern. Die Mutter tröstet sich mit christlicher Ergebenheit über diesen Verlust: "Diesen Mittag wird also unser liebes liebes Gustavle beerdigt, das gute Kind hat bald heim dürfen und obgleich es ein unbeschreiblicher Schmerz ist, so ein liebliches über sein Alter verständiges Kind zu verlieren, so kann ich doch dem lb Gott dafür danken, daß es nun aus diesen beschränkten Verhältnissen herausgekommen ist und sein Geist sich erst recht entfalten kann." (2.Dez. 1885) Dem Vater dagegen ruft dieser Tod nur wieder die schmerzlichen Gedanken an seinen ältesten Sohn wach.

<104>

Seltsamerweise gibt Christaller trotz aller Zerwürfnisse doch nicht die Hoffnung auf, G.E. könne nach Hause kommen und ihm bei seinen sprachwissenschaftlichen Arbeiten helfen, so schreibt er am 7.Dez. 1885. Natürlich geht G.E. darauf nicht ein, weil er genau weiß, daß ein Zusammenleben niemals gut gehen würde, auch will er nicht seine mühsam aufgebaute Existenz in München aufs Spiel setzen, wo er sich als Theaterkritiker sein Geld verdient. Auch geht er der "Bekehrungsleidenschaft" seines Vaters aus dem Wege. (3.Jan. 1886) Aber Christaller kann es nicht lassen, immer und immer wieder seinem Ältesten vorzurechnen, was er alles für ihn und Ernst getan habe und doch nichts wie Undank geerntet habe. Er vergleicht seine eigenen Qualen mit Gethsemane, seine Söhne hätten ihm auch Hände und Füße angenagelt.

Meine Arbeitskraft ist dahin, weil mir die widerstreitenden Gedanken und Gefühle für und gegen meine verblendeten Söhne früh und spät, Tag und Nacht all mein Thun und Denken durchziehen.

Du hast mir mein ganzes Leben vergiftet, mir und all den Meinen und meiner Arbeit und der Mission und allen, denen ich mehr hätte sein können, ganz unberechenbaren [...] Schaden angerichtet. [...] Ich sage, mach dich vom Theater los, verlaß München und komm hierher. (18.März 1886)

<105>

Und einen Tag später heißt es dann: "Ich weiß gewiß, du darfst und kannst und wirst nicht beim Theater bleiben." Worauf G.E. nur sagen kann: "Das ist ja wie eine fixe Idee bei dir, daß ich vom Theater weg soll. [...] Lieber Vater, ist es denn so schwer anzuerkennen, daß ich alt und mündig und selbständig geworden bin?" (22.März 1886) Dem läßt sich vom späten Betrachter dieser Biographie eigentlich nichts hinzufügen. Doch läßt die weitere berufliche Entwicklung des Sohnes schließlich erkennen, daß es noch eine gewisse Form der Versöhnung und der gegenseitigen Anerkennung geben kann, wie weiter unten (im Kapitel "Letzte Lebensjahre J.G. Christallers" S.211 ff) darzustellen ist.

2.12.5. Johann Gottlieb Christaller und Tochter Martha

<106>

Wie anders sich ein Leben von der privaten Seite darstellt als etwa in den offiziellen Würdigungen der sprachlichen Arbeiten des Missionars, ist wohl aus mehr als einem der bisherigen Kapitel hervorgegangen und stellte sich auch an dem geschilderten Verhältnis von Vater und ältestem Sohn dar.

<107>

Eine andere menschliche Seite klingt an, wenn wir über Joh. Gottlieb Christaller und seine Tochter Martha reden, die in vieler Hinsicht ein echtes Geschöpf des Basler Missionshauses war und blieb. Schon von hier aus wurden im Vater andere Gefühle geweckt, die der Beziehung eine innige Note geben, soweit man das bei Christaller überhaupt sagen kann.

<108>

Vom 4. Lebensjahr bis zur Konfirmation und nach einer kurzen Unterbrechung im Schorndorfer Haushalt und bei der Tante in Frankfurt war Martha dann als erwachsenes junges Mädchen im Basler Missionshause zu finden. Die religiöse Erziehung, welche die volle Zustimmung des Vaters hatte, trug bei dieser Tochter tief verinnerlichte Früchte, die in ihrer Haltung zu sich selbst und anderen Menschen viel Demut, aber auch tätige Liebe zeitigte. So blieben ihre Briefe, zuerst kindlich und von oben gesteuert, auch später ein Spiegel ihrer echt frommen Haltung und fanden darum beim Vater ein entsprechend positives Echo. Der Tochter gegenüber hielten sich Zustimmung zu ihrer Person mit dem stets gegenwärtigen Tadel die Waage, und immer ist Martha in den auftretenden Zwistigkeiten für ihren Vater eingetreten und hat zu Liebe und Respekt ihm gegenüber gemahnt.

<109>

Man kann dieses Kapitel allerdings nicht abhandeln, ohne auf eine andere Person einzugehen, die in den Wechselwirkungen dieses Lebensgefüges eine große und mit den Jahren eine zunehmend tragische Rolle spielte. Gemeint ist Constantia Scholtz, die als Vorsteherin des Mädchenhauses für Martha schon früh die Mutter ersetzen mußte und die dann mit zunehmendem Verschleiß ihrer Kräfte und aus eigener psychischer Labilität wiederum Anlaß zu heftigen Reaktionen J.G. Christallers wurde.

<110>

Über die Kindheit im Mädchenhaus spricht Martha allgemein positiv, wenn sie auch später einmal sagt, daß der Mensch geneigt sei, nur die schönen Seiten im Gedächtnis zu behalten. Sie versichert immer wieder ihre Liebe zu Constantia Scholtz, unterstützt vom Vater, der in der strengen Erziehung nur Positives sehen kann und will.

<111>

Vom März 1879 an ändern sich die Verhältnisse allerdings grundlegend, denn jetzt tritt Martha eine Stellung als Gehilfin im Mädchenhaus an, die man wirklich als eine Art Leidenszeit betrachten muß. Zu diesem Zeitpunkt ist C. Scholtz bereits 16 Jahre in Basel tätig und leidet zunehmend unter Überarbeitung und Krankheit, die in Wechselwirkung ihr Leben erschweren. Marthas Briefe geben ein erschütterndes Psychogramm dieser Frau, schildern dabei das Maß der eigenen Arbeit und vor allem die ständigen Übungen in Unterordnung und Demut, die der Vater absolut billigt. C. Scholtz ihrerseits klammert sich trotz vieler Anfeindungen und Kritik an das Basler Missionshaus als ihre Heimat.

<112>

Es ist dieser Briefwechsel und diese Zeit der Prüfung aus der Sicht Martha Christallers allerdings nicht das einzige Zeugnis aus jener Zeit, das Auskunft gibt über die Nachfolgelasten der Mission. Die Internatserziehung der Kinder in der Basler "Kinderheimat" war ja ein nicht von vornherein geplantes Nebenprodukt der Missionstätigkeit und von daher auch behaftet mit allen Mängeln der Pädagogik, die trotz des guten Willens der Erzieher nicht ausbleiben konnten.

<113>

Was an christlicher Überzeugung an die Kinder weitergegeben wurde, äußerte sich vorwiegend in Strenge, wie viele der im Laufe dieser Gesamtdarstellung zitierten Briefe belegen. Auch ist der Briefwechsel zwischen Emilie Christaller und Constantia Scholtz aus den Jahren 1863-1866 ein beredtes Zeugnis dafür, daß die beiderseitigen Schreiberinnen die Welt im Basler Missionshaus so darstellten, wie sie sie sehen wollten und kaum ein vollständiges Bild der Wirklichkeit.

<114>

Wenn es damals schon so etwas gegeben hätte wie eine Dienstaufsichtsbehörde, hätte sich jemand wie C. Scholtz nicht 22 Jahre als Vorsteherin des Mädchenhauses halten können. Es muß während ihrer Tätigkeit und vor allem gegen deren Ende eine Menge Beschwerden von Seiten der (meist fernen) Eltern gegeben haben, die aber lange Zeit im Archiv streng unter Verschluß gehalten wurden. So schreibt ein W. Stolz, Missionar in Indien, an den Inspektor, daß die Mädchen mit bis zu 100 (!) Rutenstreichen abgestraft wurden, schlimmer als das sei allerdings die "moralische Nötigung", Dinge zu bekennen, die man nicht getan hat. So würden Mißtrauen und Heuchelei gepflanzt: "[...] daß diese beiden Charakterzüge sich unter den früheren Zöglingen des Missionshauses in bedauerlichem Grade vorfinden, kann jeder sehen, der Augen hat. Es gehört eine gesunde Natur und eine gnädige Bewahrung dazu, um unter einer so launenhaften Erziehung nicht Schaden für das Leben davonzutragen." Auch "totgeschlagene Beschwerden" (Pfarrerin Schmidt, Bietigheim) seien unverständlich. Diese Beschwerde bezog sich auf Eunike Mader, damals Hausgehilfin bei Schmidts, die ein solches seelisches und körperliches Opfer der Erziehung geworden war.

<115>

Die von Pfarrerin Schmidt zitierte Zeichnung (vgl. unser Dok 75/1 vom 6.Juli 1875) befindet sich in der Basler Archiv-Mappe "Scholtz" mit der Unterschrift von Eunike Mader: "Ein Andenken an E. M., damit Paul (d.i. der 12-jährige Sohn im Hause Schmidt) sähe, wie uns der Arsch verklopft worden ist." "Es ist daher in den Herzen der Brüder viel Bitterkeit gesät worden", schreibt Pfr. Stolz.

<116>

So ist Martha Christaller und der Brief ihres Vaters in der Tat nur der letzte Anlaß, der das Faß zum Überlaufen bringt, bis schließlich das Committee am 16.Jan. 1880 beschließt, C. Scholtz aus dem Dienst zu entlassen, bzw. ihr eigenes Gesuch um Entlassung zu befürworten. Inzwischen ist Insp. Josenhans durch Insp. Schott abgelöst worden, der in der Sitzung vom 19.Jan. 1880 folgendes äußert: "Über Frl. Scholtz wurde schon lange geklagt [...] daß sie das Vertrauen der Eltern nicht mehr genießt [...]." Die stillschweigende Duldung durch Insp. Josenhans hat nun in Schott ein jähes Ende gefunden, er stellt sein eigenes Verbleiben im Amt gegen das von C. Scholtz. So stehen in der Tat die von Martha Christaller geäußerten eigenen Leiden nur als ein Beispiel für viele, die nicht laut wurden oder absichtlich totgeschwiegen wurden.

<117>

Schon zu Beginn ihrer Arbeit am 17.März 1879 schreibt Martha: "Tante (d.i. Frl. Scholtz) spricht schon davon, ihr Amt vielleicht niederlegen zu müssen, [...] und der Gedanke, unter Fremden leben zu müssen, kein eigenes Plätzchen, keine Heimat zu haben, ist hart für Tante, da sie ihre ganze Kraft und Gesundheit der Mission geopfert hat."

<118>

Martha selber sorgt im Haus für Wäsche, Aufsicht der Kinder und Dienstboten, gibt Sing- und Malstunden und hat Aufsicht über die Kinder. Sie ist willig und glücklich in dieser Arbeit, solange sie erfüllbare Aufgaben hat, verzweifelt aber zunehmend unter den sich häufenden Schwierigkeiten. Bereits im Mai ist nicht nur sie, sondern das ganze Mädchenhaus wie befreit, als Scholtz Urlaub hat: "Die Kinder sind voll Übermuth, seit Tante fort ist. Sie genießen die goldene Freiheit." Selbst Köchin und Näherin atmen erleichtert auf, und bei zu erwartender Rückkehr der Tante mehren sich die ängstlichen Seufzer der Kinder. Jetzt bereits empfindet Martha Basel als eine Art "Verbannung", schildert am 26.Mai 1879 ihre Nöte und wieviel Tadel sie einstecken muß und spricht zugleich von der Besorgnis der Tante, was Martha etwa nach Hause schreibt.

<119>

Nicht nur ihrem Vater, sondern auch der Tante Gottliebin Merkle klagt Martha ihr Leid, wie sie bei der Arbeit in Unselbständigkeit gehalten wird, obgleich sie selbst so arbeitswillig sei:

Wie hübsch war's, als Tante 4 Wochen fort war, ich konnte so friedlich meine Geschäfte besorgen. [...] Wenn's erst bei Tisch losgeht, [...] das ist erfreulich! Und man vor der ganzen Gesellschaft heruntergemacht wird! Daß man oft buchstäblich sein Brod mit Thränen essen muß und lieber unter den Tisch schlüpfen möchte! Heute bin ich der Sündenbock, morgen eine oder beide Lehrerinnen, dann wieder die Kinder, zur Abwechslung die Näherin. [...] Und doch, wenn Tante freundlich ist, dann kann sie so goldig sein, daß man für sie durchs Feuer ginge. Es ist etwas Unbeschreibliches! (25.Mai 1879)

<120>

Hier bahnt sich deutlich das früh im Kind angelegte und nun auf einer anderen Ebene sich steigernde Abhängigkeitsverhältnis an, das die inzwischen 20-jährige Martha oft selbst kaum begreifen kann. Aber weder der Vater J.G. Christaller noch die Tante in Gmünd sehen darin einen Grund, einzugreifen. Christaller mahnt, wie man aus Marthas Briefen schließen kann, zu Demut und Geduld, die Martha auch gerne zu üben bereit ist.

<121>

Sie schildert die Unfähigkeit von Scholtz, Arbeiten zu delegieren, wohl aus zunehmender Angst, eigene Machtbefugnisse einzubüßen. Es mutet einen schon seltsam an, wie in diesem christlichen Hause die offenen oder verdeckten Machtkämpfe toben.

<122>

Christaller geht auf die Klagen der Tochter mit einem Vergleich aus seiner eigenen Lebenszeit ein, als sein Arbeitsverhältnis zur Mission noch ungeklärt war, und wirft mit diesem Brief vom 22.Juli 1879 ein interessantes Licht auf jene Machtkämpfe, die zur Zeit des Inspektors Josenhans im Gange waren:

In beiden Briefen (von Martha) ist deine Klage, daß du dich mit dem Gedanken quälen müßtest, nichts nutz zu sein, weil man dich nicht thun läßt, was du doch so gerne thun würdest. Ich hatte das auch ein ganzes Jahr zu lernen, da mußte ich in Winnenden sein und mußte gerade die sprachlichen Arbeiten, die ich wenigstens nur so weit hätte erledigen mögen, daß ich sie mit einiger Befriedigung hätte abgeben können, bei Seite lassen. Ja, ich mußte sehen, wie Arbeiten, die ich, wenn nicht selber verrichten, doch wesentlich hätte fördern können, eben deswegen mißriethen und unbrauchbar wurden, weil man mich nichts dabei thun ließ (z.B. eine Übersetzung des 1.Buch Mose durch Bruder Mader, der eben auch auf Herrn Inspektor Josenhans' Seite war). Nun ja, man lernt wenigstens Selbstverleugnung. Lerne auch du, ganz von Menschen abzusehen und alles, was durch Menschen kommt, als von Gott hinnehmen.

<123>

So gesehen, betrachtet der Vater alles, was der Tochter in Basel geschieht, als eine heilsame Prüfung zur Läuterung des inneren Menschen. Der Mutter schreibt Martha am 22.Juni 1879, daß sie sich wohl keinen richtigen Begriff von dem Leben in Basel machen könne, es sei alles schwerer, als sie gedacht habe, aber sie wolle auf jeden Fall aushalten.

<124>

Mit den Sorgen um die erwachsenen Kinder hat J.G. Christaller zugleich die Sorge und Fürsorge für seine zweite Familie, in der 1879 wieder ein Sohn geboren wird, so daß ihm vielleicht seine inzwischen erwachsenen Kinder nicht immer an erster Stelle kommen können. Denn sonst könnte man nicht recht verstehen, warum trotz Marthas Schilderungen aus Basel niemand sich wirklich um ihren Zustand oder die dortigen Verhältnisse kümmert. Vielmehr setzt der Vater indirekt seine Tochter noch mehr einem unnötigen Druck aus, indem er, wie er das immer tut, über ihre Briefe redet, sie anderen vorliest oder schickt. So schreibt Martha am 1.Aug. 1879:

Auf diese Weise werde ich zum Gespräch und hab nun auch bald die Ehre, als Verläumderin der löblichen Missionstöchter-Anstalt dazustehen. [...] Meine Augen brennen, ich habe heute so sehr viel geweint - natürlich nicht zum Vergnügen.

<125>

In diesem Monat ist Christaller in Basel wegen verschiedener Besprechungen und um seine Tochter zu besuchen. Dann ist C. Scholtz stets liebenswürdig zu Martha: "Tante will mir scheints mit Liebenswürdigkeit den Mund stopfen."(27.Aug. 1879 an Tante Rapp). In jener Zeit ist eben das ungute Spiel der Kräfte im Gange, das wohl auch Christaller nicht genügend durchschaut oder durchschauen will, weil er immer ganz stark auf seine wissenschaftlichen und religiösen Zielsetzungen fixiert ist.

<126>

In dem gleichen Brief von Martha heißt es, sie stecke im tiefsten Jammer, wünsche sich fort - "aber ich kann doch nicht fort, ich bin wie festgebannt, das ist (der) Tante ihre Zaubermacht. [...] ich könnte doch nicht gehen, ich weiß, daß ich bitten und betteln würde, und das wäre gerade, was Tante bezwecken wollte." Und an Gottliebin Merkle im September 1879: "Ich bin ganz irre, und weiß nicht mehr, was ich für recht und gut halten soll. [...] mir war jedes Wort wie abgeschnitten, und zuletzt gab ich mich wieder ihrer Zaubermacht hin. [...]"

<127>

Immer wieder hat Martha Gewissensbisse, daß sie überhaupt von den unguten Verhältnissen schreibt, aber je weiter das Jahr fortschreitet, desto größer wird der Leidensdruck und desto schlimmer auch die nicht mehr kontrollierten Handlungsweisen von C. Scholtz. Dabei müssen wir in dieser Christallertochter einen Menschen sehen, der mit viel innerer Fröhlichkeit, Bescheidenheit und Willigkeit seine Arbeit tut, und der gegen die "Tante" keinerlei Voreingenommenheit mitbrachte, sondern viel Liebe und Bewunderung.

<128>

Am 27.Nov. 1879 schreibt sie an die Eltern: "Ich sehne mich sehr oft fort von hier, denn ich versichere euch, ich werde böse und schlecht, und das ist mir schrecklich. Wenn ich den gestrigen Tag beschreiben wollte, wie es da unter den Kindern und Erwachsenen gieng, da könnte ich die Überschrift machen: Ein Tag in der Hölle. Und ihr würdet unser Haus für ein Irrenhaus halten. [...] Aber ich will nichts mehr gegen Tante schreiben, sie hat immer Recht und hat uns alle in der Gewalt, sie steht oft da wie eine Prophetin - manchmal kommt sie mir vor wie ein wahnsinniger Fetischpriester." Und am 9.Dez. 1879: "Ich möchte ja schon gerne fort, aber doch möchte ich bleiben, ich weiß nicht, was besser wäre." Jetzt wird der psychische Druck so groß, daß sich auch körperliche Schmerzen einstellen und Martha das Bett hüten muß.

<129>

Erst jetzt greift der Vater ein mit einem Brief an C. Scholtz, der an Schärfe nicht zu überbieten ist (29.Dez. 1879, Dok 79/3) und der schließlich zur Entfernung der Vorsteherin aus der Anstalt führt. So heißt es z. B:

Darin besitzen Sie scheints eine wahre Virtuosität, arme Menschenkinder recht zu zermalmen, bis sie wie einst die Opfer der Folterkammer Ungehorsam und Eigensinn und Bosheit und alles mögliche zugeben, wo ihr Herz nicht dran denkt, einen eigenen Willen dem Ihrigen entgegenstellen zu wollen. Wie viel leichter könnten Sie Ihre schwierige Haushaltung im rechten Gang erhalten, wenn Sie es ohne übertriebenen Rigorismus und Terrorismus probieren würden.

Zugleich findet er in diesem Brief bittere Worte über die alten Zerwürfnisse zwischen ihm und Insp. Josenhans aus den Jahren 1858-1861.

<130>

Martha selbst schreibt in ihrem späten Tagebuch (im Privat-Archiv Merkle) aus den Jahren 1935-1937 über diese untragbare Situation im Mädchenhaus:

Meinen letzten Brief nach Hause hatte ich in halber Verzweiflung geschrieben, auch die Zustände im Haus geschildert, und mein Vater hatte diesen Brief an den neuen Missionsinspektor Pfarrer Schott geschickt, zugleich auch einen Brief an Tante Scholtz, worin er kein Blatt vor den Mund nahm. Sie las ihn in meiner Gegenwart, und ich mußte Zeuge sein von dem niederschmetternden Eindruck, den er auf sie machte. So hatte ihr noch niemand die Wahrheit ins Gesicht gesagt. Der Tante wurde darauf die Kündigung nahe gelegt, und sie kündigte. Sie stellte mich als eine Aufrührerin hin, [...] und die größeren Mädchen waren gegen mich so gehässig wie möglich.

<131>

Als Frl. Scholtz endlich gegangen war, war Martha glücklich, ausgehalten zu haben, sie schrieb: "Es ist dem Menschen gut, sein Joch in der Jugend zu tragen. Wie war ich nachher so dankbar und so zufrieden, die natürliche Empfindsamkeit war ans Kreuz geschlagen worden." Die neuen Hauseltern Wenger verstanden es, die verdrehten Herzen der Kinder zu gewinnen."[...] Ein paar Tage danach sah ich eines der Mädchen die Treppe herab springen mit den Worten: ach, ich freu mich meines Lebens! Wie hätte früher jemals eines so gesagt!"

<132>

Daß Frl. Scholtz selbst psychisch krank war, muß man sehen, und man kann sich nur wundern, daß sie so lange im Mädchenhaus bleiben konnte. Denn wie Christaller später schreibt, war dort ein Netz von Intrigen und Lügen im Gange, so wie Martha das auch sehr drastisch schildert: "Da (in den sogen. Konferenzen, Dez. 1879) wird dann allerlei aufgetischt und mit der Wahrheit nicht so genau genommen. O 's ist ein Abgrund." Das Ende dieser "Erziehung" sieht so aus: "[...] daß ich besiegt und willenlos mich ihr auf Gnade und Ungnade ergeben und meine Nichtswürdigkeit und ihre gute Absicht, oder mit andern Worten, meine Schuld und ihre Huld anerkannt habe."

Im Januar 1880 geht C. Scholtz aus Basel weg und Martha schreibt: "Ja, die Kinder haben's jetzt gut hier, sie sind auch froh und glücklich." (3.Jan. 1880)

<133>

Der Bruch zwischen Christaller und C. Scholtz ist sehr tief, bitter und endgültig, da gegenseitige Beschuldigungen nicht ausbleiben. Auch in diesen späteren Lebensjahren entfaltet Christaller oft ein heftiges Temperament, mit dem er andere Menschen verletzt. Zu diesem Thema und im Hinblick auf die bittere Auseinandersetzung schreibt er im Januar 1880 an Martha:

Wenn wir etwas gethan haben, was wir hintennach gerne möchten ungeschehen machen und doch nicht können, so dürfen wir uns trösten, daß ja doch alles Thun der Menschen in der Hand Gottes liegt. Die Menschen wären ja alles erdenklich Bösen fähig und würden ihres Herzens Gelüsten nach oder aus Unbesonnenheit und Unverstand viel mehr Böses thun, als wirklich geschieht; aber Gott läßt nur das wirklich zur That werden, was er in seinem Erziehungs- und Regierungsplan mit den Einzelnen und der ganzen Menschheit wieder verwenden kann.

Und im Rückblick auf Marthas leidensvolles Jahr ist wohl der folgende Satz gemeint:

Er läßt auch manches unrechte Thun der Menschen längere Zeit fort bestehen, bis er endlich, vielleicht durch unrechtes Thun anderer Menschen, dem ersteren Einhalt thut.

<134>

Eine interessante Theologie, die zugleich das tiefste Mißtrauen in die eigene Bekehrung und Aufrichtigkeit setzt und sich dennoch stets mit der Berufung auf Gottes Führung und Gnade zu rechtfertigen sucht. So schreibt er auch in diesem Brief, daß er Fräulein Scholtz mit seinen scharfen Worten einen "Dienst zu erweisen" suchte."Sie weiß zwar auch die Schrift auszulegen und zu beten [...]," aber er sei doch auch zum Dienst am Worte berufen.

<135>

Und dann sagt er sich in weiser Selbsterkenntnis das, was im Korintherbrief steht: "Der Herr wollte mir die Gnade schenken, daß ich nicht andern predige und selbst verwerflich werde." Er fügt hinzu, daß jeder Mann stets lernen müsse, und in Bezug auf seine Zurechtweisung an die Adresse von C. Scholtz sagt er dann: "Wie viel weniger sollte eine Frau sich darüber hinausdenken, von andern, von Männern, sich etwas sagen zu lassen. [...] Ich wünsche von Herzen, daß Fräulein Scholtz ohne Schaden und mit viel Gewinn, geläutert, gereinigt, erneuert aus dieser Heimsuchung hervorgehe."

<136>

Auf der anderen Seite sind ihm wohl auch seine eigenen, oft unbeherrschten Gemütswallungen recht wohl bewußt, die aber gleichwohl immer durch irgendwelche äußeren Umstände entschuldigt oder gerechtfertigt werden. So schreibt er im April 1880 an Martha:

[...] und das muß ich sagen, wäre nicht Erdmanns Verirrung in die Ästhetik mit deinem Weihnachtsbrief zusammengetroffen, so wäre wohl mein Brief an Fräulein Scholtz etwas bedächtiger ausgefallen. Aber Gott leitet ja alles nach Seinem Rat und Herr Inspektor Schott kann doch mit mehr Ruhe nach Indien reisen, wenn er nicht jemand an einer Stelle weiß, die viele anders besetzt wünschten.

Christaller ist fest davon überzeugt, daß nicht nur seine Tochter, sondern auch andere "Gewinn fürs Leben aus der Sache ziehen".

<137>

Neben diesen inneren Auseinandersetzungen ist sein Leben in dieser Zeit auch mit wissenschaftlichen Arbeiten und hauswirtschaftlichen Ansprüchen überhäuft, so z.B. dem Hauskauf in Schorndorf. Außerdem gibt er Englischunterricht und kümmert sich um ausreisende Missionare. Er ist sehr besorgt darum, daß Martha in den Ferien die nötige Erholung findet.

<138>

Mit dem Weggang von Inspektor Josenhans (1879) hatte sich im Missionshaus anscheinend auch ein ganz neuer und anderer Geist verbreitet, wenn der Umbruch auch nicht einfach war und der Nachfolger Inspektor Schott erst alle Parteien für sich gewinnen mußte.

<139>

Im Herbst 1882 hatte G. Christaller in Bad Boll bei der Witwe D. Blumhardt angefragt, ob Martha, die nun das Missionshaus in Basel auf eigenen Wunsch, den der Vater natürlich unterstützte, verlassen wollte, unter die dortigen Kochtöchter aufgenommen werden könnte, sowie sie aus Basel nach Schorndorf zurückgekehrt sei. Die Witwe Blumhardt möchte für den "werthgeschätzten Freund!", wie sie Christaller anredet, eine Ausnahme machen für die Monate Dez., Jan. und Febr. 1883.

<140>

Sie freue sich, die lb Martha eine Weile "in unserer Mitte zu haben" und hoffe, daß von ihr ein guter Einfluß auf ihre Mitgenossinnen ausgehe, die alle "mit Begierde auch die geistliche Nahrung auffassen, die ihnen hier geboten wird." (Vom 3.Okt. 1882 aus Bad Boll, Dok 82/1)

<141>

Martha wurde dann im November 1882 in der Basler Mission entlassen, "um im Elternhause eine Lücke auszufüllen", wie es bei der Basler Kindererziehungs-Commission heißt. Man kann sich denken, daß Mutter Bertha nach Geburt ihres 5. Kindes Hermann im Februar 1882 in der Künkelinstraße schon zuverlässige Hilfskräfte dringend benötigte.

<142>

Noch 1884 ist Martha in Schorndorf nachweisbar, hatte zwischenzeitlich in einer Frankfurter Familie ausgeholfen, bevor sie dann im Mai 1886 ihren Vetter Theodor Merkle (Sohn der Gottliebin Merkle) heiratete und eine eigene Familie gründete. G. Christaller war zunächst gegen diese eheliche Bindung gewesen. Im August 1937 ist sie dann in Göppingen als eine von allen geliebte und verehrte Großmutter gestorben.

2.12.6. "Ein heimatloses Missionskind ohne den bewahrenden Einfluß des Elternhauses"

Bemerkungen zu Ernst Gotthold, dem vierten Kind der ersten Christaller-Familie

<143>

Nachdem unsere Biographie die beiden ältesten Kinder des Missionars in ihrer besonderen Verkettung zur Familie dargestellt hat, ist es angezeigt, etwas näher auf das traurige Schicksal von Ernst Gotthold einzugehen, der durch seine absonderliche Entwicklung in der Schorndorfer Spätzeit die Eltern so sehr belastete. Ein spezielles Kapitel über die Söhne Paul und Theodor Benoni erübrigt sich hier, da beide gut lenkbar waren und den familiären Frieden kaum je beeinflußt, geschweige denn gefährdet hatten. So wird hier nur kurz ihr Werdegang aufgezeigt.

<144>

Paul Gottfried (geb. 21.8.1860, 31.12.1950 gest.) entwickelte früh künstlerische Fähigkeiten im Zeichnen und Formen, lernte den Beruf eines Ziseleurs, konnte sich dann sogar bis zum Professor an der Kunstgewerbeschule in Stuttgart emporarbeiten und hat sich mit seinem streng betriebenen Hobby, der Esperanto-Sprache gewisse Geltung zu verschaffen, einen internationalen Namen gemacht. Er sah Esperanto als ein Mittel zur Völkerverständigung an. Am Schluß unserer Biographie werden wir nochmals auf ihn zurückkommen.

<145>

Der Jüngste aus erster Ehe, Theodor Benjamin (geb. 2.1.1863) durchlief eine überaus geordnete Ausbildung; nachdem er in das Knabenhaus in Basel 1867 aufgenommen war und es schließlich 1872 wieder verlassen konnte, folgte der dreijährige Besuch der Lateinschule in Schorndorf. Anschließend wurde er aus finanziellen Gründen nicht zum Pfarrer-, sondern zum Lehrerberuf bestimmt, besuchte also ab 1875 das Lehrerseminar in Künzelsau, war anschließend dort Hilfslehrer; ab Januar 1882 war er in Basel als Lehrer am dortigen Knabenhaus der Mission tätig, bis ihn im Oktober 1886 der Ruf zum ersten Reichsschullehrer in Kamerun durch das Auswärtige Amt Berlin erreichte, wo er bis zu seinem Tod am 13.Aug. 1896 sich durch seine Arbeit eines guten Rufes erfreute.  [13]

<146>

So haben wir nun mit diesen Kurzbiographien den Leser etwas mit den beiden unproblematischsten Söhnen des Missionars bekannt gemacht, und es bleibt, wenn wir zunächst von seinen Kindern aus zweiter Ehe absehen wollen, nur noch der zweitjüngste Ernst Gotthold übrig, eine ausgesprochen tragische Gestalt, an dem sich die Schäden, welche als Schicksal über manchen Kindern der Mission dieser Jahrzehnte schwebten, in tiefen Spuren eingegraben haben.

<147>

Geboren am 11.Nov. 1861 in Winnenden, ab Juni 1862 elternlos bei den Großeltern in Waiblingen, da auch die Mutter Emilie wieder zu ihrem Mann nach Afrika ging. 1867 kommt er ins Knabenhaus der Mission zusammen mit dem kleineren Bruder Theodor Benoni, ab 1872 ist er in Schorndorf bei Vater und Stiefmutter Bertha, macht 1875 das Landexamen, das ihn zum Seminarbesuch in Maulbronn und 1877 in Blaubeuren berechtigte. Ab 1879 ist er Student in Tübingen, auch privater Hauslehrer; Italien mit Florenz und Rom sind die nächsten Stationen 1885, dann 1886 München. Die bitteren letzten Lebensstufen waren nur noch die Nervenheilanstalten, zunächst in Winnenthal, dann in Zwiefalten, wo er am 15.Okt. 1919 starb.

<148>

In unserer obigen Darstellung ist er uns jeweils zu den angewiesenen Zeitpunkten begegnet; am deutlichsten erscheint er dort, wo er eine gemeinsame Linie mit Gottreich Erdmann verfolgte, den er besonders schätzte. Die brüderlichen Gefühle dürften wohl gegenseitig gewesen sein. Aber sein tieferes Wesen hatte außer dem Großvater Ziegler wohl nur Schwester Martha noch liebevoll in Erinnerung, wenn sie ca 1885 schreibt:

Er (Ernst) war immer eine verschlossene Natur gewesen. Als er mit Vater vom Bahnhof kam, rannten die kleinen Geschwister mit Freudengeschrei entgegen. Mutter (Bertha) und ich beobachteten alles vom Fenster aus. Wie wir dann zur Begrüßung ihm entgegentraten, da hatte er auf den ersten Blick unsere Herzen gewonnen. So klar und tief schaute er uns in die Augen, so herzlich war sein Händedruck, so lieb ansprechend sein Wesen - ich mußte nur staunen. Wir führten oft tiefsinnige Gespräche. Sein Wesen war fast zu zart und weich für einen jungen Mann. Wir waren zusammen einige Tage in Boll. Ich freute mich über die geistreichen Gespräche, die meine Brüder (Ernst und Gottreich Erdmann) führten, obwohl ich natürlich in Glaubenssachen nicht mit ihnen einig sein konne. Aber das Leben in Boll und die Originalität von Pfarrer Blumhardt hat ihnen imponiert, und oft konnten sie lange an eigenen Gedankengängen weiterspinnen.

<149>

Pfarrer Blumhardt, der Leiter von Bad Boll, wo Martha einige Zeit Haustochter war, sagte über Ernst, er könne nichts Gefährlicheres tun, als nur immer seinen Gedanken nachzugehen und sich rein theoretisch zu beschäftigen. Über beide Brüder Erdmann und Ernst zusammen heißt es bei ihm: "Sie sind Opfer unserer Schulen, edel angelegt, aber durch und durch vergiftet. Dennoch sind sie bei Gott vielleicht besser angeschrieben als manche anderen."

<150>

Als Erdmann zur Erkenntnis kam, daß der Bruder krank sei, schrieb er dem Vater: "Es kam mir der Gedanke, daß ich wohl auch so rücksichtslos und leichtsinnig war wie Ernst. Ich bitte dich, mir alles zu verzeihen. [...] Wir sind eben nicht in der Familie erzogen worden und haben in der Anstalt gelernt, kühler gegen andere zu sein." Aber er lehnte die Anklage ab, daß er an Ernsts Verhalten schuld sei.

<151>

Vater Gottlieb Christaller sah dies jedoch anders, wie der folgende Schriftsatz beweisen kann.

2.12.6.1. I

Aus der Eingabe des Missionars J.G. Christaller an das K. Medizinalkollegium in Stuttgart.

Schorndorf, d 27.April 1886.  [14]

Ich konnte berufshalber meinen Sohn nicht selbst erziehen, da ich ein Halbjahr nach seiner Geburt wieder nach Afrika ging, außer 3 1/2 Jahre vom 11.-14. Jahr, als ich in der Heimat schriftliche Arbeit zu tun hatte.

Da ihn sein vorheriger Erzieher für das Landexamen geeignet erachtete, gab ich meine Zustimmung.

Aber im Seminar in Maulbronn geriet er, ich weiß nicht wie, in D. Fr. Straußsches Fahrwasser, und in Blaubeuren machte die sittlich sehr ehrenwerte Persönlichkeit, aber auch die nach dem Ausspruch eines urteilsberechtigten Mannes 'atheistische' Philosophie des Professors Planck (der bald darauf als Ephorus in Blaubeuren irrsinig wurde), mehr Eindruck auf ihn als irgend einer seiner Erzieher oder Lehrer. Nach 4 Semestern in Tübingen, wo er Philosophie treiben mußte und sich für die Philologie entschied, zeigten sich Vorläufer von Geistesstörung. Er erholte sich 1/2 Jahr bei meinen Verwandten, ging aber dann, statt über Schorndorf nach Tübingen zurückzukehren, zu seinem auch während seiner Seminarlaufbahn in Skeptizismus geratenen ältesten Bruder nach München. Seine Hoffnung, als Privatlehrer sich durchzubringen, ging nicht in Erfüllung. Eine von ihm geschriebene Schrift 'Über unser Gymnasialwesen' wurde von einzelnen Professoren gelobt, was sein Selbstgefühl steigerte. Ein Dr. Holtzmann ließ ihn zu sich nach Italien kommen, aber es tat nicht gut. In Florenz wurde auch Geistesstörung bei ihm wahrgenommen, sodaß er mit Begleitung heimkam, und die Hoffnungen, die seitdem von ihm oder anderen für ihn gehegt wurden, erfüllten sich nicht.

Ohne ungebührlich auf andre abladen zu wollen, darf ich sagen: Es ist Unglück genug für mich, daß 2 begabte, edler Bestrebungen fähige Söhne, die durch das Wissen und besonders die Kritik überschätzende Zeitrichtung von den christlichen Grundlagen abgekommen sind, und mir und den Meinigen schon soviel Kummer, Mühe und Kosten verursacht haben [...] (hier enden die Angaben des Vaters J.G. Christaller)

In den hier noch folgenden Jahren von 1886 bis zu J.G. Christallers Tod erscheint in den familiären Archivunterlagen der Name Ernsts nicht mehr, nur noch bei finanzieller Überlegung, um die Kinder zur Sparsamkeit anzuhalten, da man auch noch soviel für Ernsts Aufenthalt zu bezahlen habe. Anscheinend hatte die Familie ihn so ziemlich aus dem Blickfeld verloren. Der Kranke wurde am 28.Apr. 1886 in die Heilsanstalt Winnenthal und am 10.März 1899 von dort nach Zwiefalten gebracht und in der dortigen Anstalt aufgenommen.

2.12.6.2. II

Aus der Krankengeschichte der K. Kreis-Irrenanstalt Giesing-München.

Ernst Christaller, cand phil aus Winnenden, 24 1/2 Jahre alt, aufgenommen am 16.Apr. 1886.

Der Kranke wird am 16.April durch einen Polizeibeamten in die Anstalt gebracht. Christaller sieht sehr verkommen aus: Schmutzige Kleider, die teilweise zerrissen sind, dabei lange, ins ungewaschene Gesicht hängende Künstlerhaare. Auf der Nase sind einige kleinere Kratz-Effekte, die Umgebung des rechten Auges ist schwarzblau verfärbt und geschwellt. Der Kranke gibt über seine Personalien prompt Auskunft, erzählt, er wäre arretiert worden, weil er auf der Straße gesungen. In der Haft hätten ihn seine Leidensgenossen geprügelt. Er sei schon einmal einige Wochen in der Irrenanstalt in Florenz gewesen. Jetzt sei er nicht krank.

Der heute erschienene Bruder des Patienten, Schriftsteller und cand. theol. G(ottreich) Christaller, Finkenstr. 4 I, gibt zur Anamnese an:

In der Familie sind keine Geistes- oder Nervenkranheiten, keine exzentrischen Charaktere vorgekommen. Trunksucht und Selbstmord nicht beobachtet. Der Kranke entwickelte sich in seiner Jugend gut, scheint jedoch frühzeitig kleine Differenzen mit seinem Vater gehabt zu haben. Er kam auf die Universität nach Tübingen und war Zögling des Stifts. Dort gefiel es ihm aber nicht und er verließ nach langen Kämpfen mit seiner Familie dieses Institut. In diese Tübinger Studentenzeit (vor 5 Jahren) fällt der Beginn der Krankheit. Christaller litt nämlich an Zwangshandlungen, hob alle Papierschnitzel und ähnliches Zeug, das auf der Straße lag, auf, und war über diese Handlungsweise selbst so beunruhigt, daß er aus eigenem Antrieb Professor Liebermeister consultierte.

Nun fehlen weitere Angaben bis zum Sommer 1885, wo er als Reisebegleiter in Italien erkrankte, und in die Irrenanstalt zu Florenz gebracht wurde. Nach 3 Wochen wurde er in die Heimat geschickt; dort ließ man ihn, 'mangels zwingender Gründe', wieder frei gehen.

Nun führte (Ernst) Christaller ein Wanderleben. Er war Erzieher in Schlesien, Student in Berlin, verkehrte dort mit Vegetarianern und wurde in einer veget(arischen) Fachzeitschrift als Apostel der neuen Lehre gepriesen; war redaktioneller Hilfsarbeiter in Dresden. Überall wurde er bald unmöglich durch sein rücksichtsloses Benehmen, sowie durch seinen Mangel an Energie und Ausdauer.

Ende März besuchte er einen Verwandten in Frankfurt, machte dort einer bereits glücklich verlobten Cousine einen Heiratsantrag, wurde deshalb nach München geschafft, lebte da bei seinem Bruder, soll eine Eingabe an den König um ein Darlehen von 1.000 M gemacht haben, begab sich endlich in die Wohnung der Hofsängerin Frl. Lilly Dreßler, um sich mit ihr zu verloben. Er hatte schon einige Wochen vorher von Dresden aus einen diesbezüglichen Brief mit seiner Photographie geschickt, und motiviert seine Liebe damit, daß er eine Stimme hörte, die 'Lilly Dreßler' rief. Auch hier wurde er rasch entfernt. Einen 3. Antrag machte er einer 40-jährigen Baronesse Maltzahn in Neubrandenburg, mit ebenfalls negativem Erfolge. Aus der Correspondenz, die der Kranke dem Referenten Obermedizinalrat Dr. (Name unleserlich) zur Verfügung gestellt hat, geht hervor, daß Christaller eine Leuchte des Vegetarianismus war, nur von Obst und Brot und Confect lebte, und daß er spiritistischen Grübeleien nachhing.

Bemerkenswert dürfte erscheinen, daß der Kranke sowohl als auch sein Bruder (letzterer ganz exklusiv) Jägerianer  [15] sind.

(hier bricht die Abschrift eines Originales ab.

Die Abschrift wurde von H. Teufel, dem studentischen Leibburschen des Wiesenbacher Vikars Paul Merkle, eines Neffen aus der Familie Christaller, verfertigt, der zusätzlich in seinem Brief aus Zwiefalten vom 4.11.1918 an "Lieber Freund" Folgendes kommentierte:

Mit Deiner lb Frau, die hoffentlich wieder ganz hergestellt ist, hatte ich am Samstag, 26.Okt. abends ein Gespräch über Deinen hier weilenden Onkel (d.i. Ernst Christaller), und versprach ihr einige Auszüge aus den Personalakten des Kranken. Leider kam ich vor lauter Anstaltsleichen etc. erst heute dazu, die Abschrift zu machen, die Du vielleicht gerne zu Euren Familienpapieren nimmst als ein document humain von großem psychologischen Interesse. Die spätere Entgleisung von 2 Brüdern Christaller (im Original heißt es 3) nach guten Anfängen führe ich hauptsächlich auf die elternlose Erziehung der Missionskinder zurück, vielleicht auch auf vorgeburtliche Schädigung des keimenden Lebens durch das afrikanische Klima.

Sodann hat das Stift als 'theologische Mausefalle' mit seinem anstaltsmäßigen Zwang offenbar auf die jungen Geister ungünstig eingewirkt, ohne daß ich der Anstalt oder ihrem Leiter den mindesten Vorwurf machen möchte. Aber solche Institute wirken unter bestimmten Voraussetzungen auf die Jugend revolutionierend.

Den von Deinem † (= verstorbenen) Großvater so besonders betonten Einfluß von Strauß und Planck möchte ich nicht so hoch anschlagen in seiner verderblichen Wirkung. Jeder junge Theologe (und das sind doch zunächst alle Seminaristen) muß durch Verneinung zur Bejahung hindurchdringen. Ob übrigens Karl Christian Planck, der Vater von Reinhold Pl., als Geisteskranker starb, vermag ich nicht nachzuprüfen.

Mir steht fest, daß Dein unglücklicher Oheim als Student an einer Jugend-Psychose mit Zwangshandlungen und Größen-Ideen erkrankte, und dann unter dem verbildenden Einfluß der Großstadt (München, Berlin, Dresden) mit ihrem Religions-Ersatz (Vegetarismus, Spiritismus, Journalismus) und unter der schädlichen Einwirkung eines entbehrungsreichen, unsteten Wanderlebens der Verwahrlosung anheimfiel, ein heimatloses Missionskind ohne den bewahrenden Einfluß des Elternhauses.'Deine Gefahr ist keine kleine, Du freier Geist und Wanderer.' (Nietzsche)

Dieser Ausschnitt aus meiner Berufsarbeit hat gewiß auch für Dich und Deine lb Frau ein familiengeschichtliches und mein menschliches Interesse. Daß Du die Abschrift nicht in unberufene Hände kommen lässest, darf ich sicher sein. Der Obermedizinalrat in München Giesing konnte nicht umhin, am Schluß seiner Anamnese darauf hinzuweisen als Vertreter der mediz. Schulwissenschaft, daß die Brüder Christaller Anhänger Gustav Jägers seien. Das erschien ihm schon als psychiatrisch bemerkenswert. (Der hier folgende Briefschluß enthält im Zusammenhang unbedeutende private Anmerkungen.) [16]

<61>

Auf Joh. Gottlieb Christallers Kinder aus zweiter Ehe - alle in Schorndorf geboren - wollen wir hier nicht im Detail eingehen, da sie zu Lebzeiten des Vaters altersmäßig noch nicht sehr in den Vordergrund getreten sind:

  1. Hanna Deborah, *4.7.1872, ehelichte 1895 Karl Köbele, Reichsschullehrer in Togo, der schon im Mai 1896 starb, †1955

  2. Oskar Gottlob *9.1.1874, †1939/40? in USA

  3. Karl Gotthilf, *19.1.1876, Pfarrer an mehreren Orten in Württemberg, heiratete die 1886 in Maienfels bei Weinsberg geborene Pfarrerstochter Johanna Hölzle, †15.6.1960

  4. Gustav Theophil (*23.6.1879, †30.11.1885 an Diphterie)

  5. Hermann Traugott, *5.2.1882, Graveur, †31.10.1906 in USA

Von den Kindern dieser zweiten Ehe hatte nur Karl familiäre Bedeutung und zahlreichen Nachwuchs.

2.12.7. Letzte Lebensjahre Joh. Gottlieb Christallers

Die Begegnung mit Helene Heyer

<152>

In der letzten Altersphase werden die Töne der Familienkontakte durchweg etwas milder, auch der älteste Sohn Gottreich Erdmann bemüht sich um Ausgleich. Er hat aus wirtschaftlichen Gründen, wenn auch ohne innere Überzeugung eine Pfarrstelle im württ. Berneck angetreten. Im Zuge der bevorstehenden Heirat mit Helene Heyer ,  [17] einer Darmstädterin, gibt es im gegenseitigen Briefwechsel einige interessante Stellen, die ein Licht auf die späte Lebenszeit des Missionars werfen.

<153>

Nach der offiziellen Verlobung schreibt Gottlieb Christaller am 17.Mai 1890 aus Schorndorf an Erdmanns erst 18-jährige Braut:

Liebe Helene! Damit Du siehst, daß ich Dir von Herzen gewogen und zugethan bin, bediene ich mich gleich des traulichen Du, und bitte Dich hierin um Gegenseitigkeit.

Dein liebes Brieflein hat mich recht gefreut und ich wünsche Dir während Deines Brautstandes und seiner Zeit an der Seite Deines Gatten, meines lieben erstgeborenen Sohnes, Gottes vollen reichen Segen und soviel Freude, als einem Menschenkinde auf dieser trotz aller Schönheit doch noch unvollkommenen Erde ersprießlich u heilsam ist. Deiner kindlichen Gesinnung kann ich mich nur freuen u hoffe, daß Du mir, wenn wir persönlich zusammenkommen, nichts anderes als Liebe u Wohlwollen abfühlen wirst.

Du möchtest Dir Mühe geben, auch eine gute Pfarrfrau zu werden. Ich achte den Beruf des Pfarrers für den schönsten, den es gibt, wenn man ihn richtig auffaßt u zu erfüllen sucht, u die Pfarrfrau kann ihres Mannes Gehilfin sein u dabei einen ihr eigenen Beruf in dem u jenem finden.

Daß Ihr sehr glücklich lebet, ist erfreulich. Wo Liebe lebt u labt, ist lieb das Leben. Ihr wünschet nur, daß es nie anders werde. Das erinnert mich an die Rede: Ja, wenn man nur gesund ist, das ist das Beste. Da habe ich schon gesagt: Als das beste irdische Gut mag die Gesundheit gelten, aber sie hört einmal auf, das wirklich Beste darf auch nicht aufhören. Auch das höchste Eheglück kann durch Aufhören der Gesundheit oder des Lebens getrübt u geendet werden. Aber während keines von uns dem Tod, der Sünden Sold, ausweichen kann, wissen wir: Die Gabe Gottes ist das ewige Leben, zu dem wir berufen sind, das hier schon in uns anfangen muß u das wir haben sollen in Christo Jesu, unserm Herrn.

<154>

Das sind sichtlich ganz neue Töne, von denen wir im Umgang mit Sohn Gottreich Erdmann sonst kaum etwas je vernommen haben. Doch es scheint, daß Vater Christaller in der Altersphase gelernt hat, über seine persönliche Unduldsamkeit, die zeitweise fast an Fanatismus grenzte, hinauszuwachsen, eine Entwicklung, die sicherlich auch daher sich anbahnte, daß die noch recht kindliche Helene Heyer das Herz des kommenden Schwiegervaters im Fluge gewonnen hat. So zeigte auch schon das Hochzeitsgeschenk des Vaters für seinen Sohn in seiner Originalität eine reizende Mischung aus liebevoller Fürsorge und schwäbischer Sparsamkeit: Er läßt nämlich den recht verwilderten Garten des Bernecker Pfarrhauses durch den dortigen freiherrlichen Gärtner "in einen anmutigen Stand setzen [...] das will ich Dir bezahlen."

<155>

Im Briefwechsel mit der zukünftigen Schwiegertochter bemühen sich beide Seiten um ein echtes gegenseitiges Verständnis, das für Vater Christaller nicht so schwer ist, weil Helene ein sehr frommes Gemüt hat, wenn auch vielleicht nicht ganz nach seinen Vorstellungen. An sie schreibt er: "Gott segne Dich, meine Tochter, mögest Du ein Werkzeug des Herrn sein, meinen Sohn zum wahren Glauben zu führen", wohl immer in dem Bewußtsein, daß da nach seiner Vorstellung noch einiges im Argen liegt. Aber auch sie wird ermahnt, die Liebe zu ihrem Bräutigam nicht nur im Irdischen zu suchen, vor allem im Glück nicht die gebende Liebe zu vergessen, auch müsse man stets das höhere Glück im Auge haben. Jedenfalls kommt G. Christaller der zukünftigen Schwiegertochter sehr freundlich entgegen (15.12.1890): "Ich kann Dich versichern, daß mein Herz Dich nicht als eine Fremde, sondern wie eine eigene Tochter ansieht, und möchte wünschen, daß ich in dieser Beziehung mein Herz irgendwie durchsichtig machen könnte." Hier sieht man, daß er sich der Defizite seiner Verschlossenheit sehr wohl bewußt war.

<156>

In ihrem Buch "Meine Mutter" beschreibt die spätere Schriftstellerin Helene Christaller den Schwiegervater, wie er auf der Hochzeit in Darmstadt erscheint: "Klein, mit sanften Zügen, dunkle Augen hatten etwas Unerbittliches. Man konnte begreifen, daß Vater und Sohn schwer miteinander lebten, sobald sie nicht für die gleiche Sache glühten. [...] Er war sehr ernsthaft, und die joviale Art Friedrich Heyers (ihres Vaters) lockte ihm nur ein spärliches Lächeln ab."

<157>

Aber auch Gottreich Erdmann gibt seiner Braut ein sehr anschauliches Bild seines Vaters in dieser Zeit, sichtlich bemüht um Ausgleich und Einvernehmen:

Meinem Vater sehen Sie es an, daß er ein ungewöhnlich ernster Mann ist. [...] Er ist freilich ein besonderer Mann, [...] sein Christentum hat ihn so ganz in Beschlag genommen, daß er in manchem gar kein Mensch für diese Welt ist. Die Kunst und alles, was dieses Leben verschönt, ist ihm nichts, er sucht sein Glück ganz nur in seinen christlichen Ideen; und weil der Mensch zu dieser Einseitigkeit nicht gemacht ist, so kann er auch nicht glücklich sein. Er hat ein liebebedürftiges Herz, aber es ist nicht befriedigt. Meine Mutter ist ihm ja früh gestorben und ich weiß nicht, wie es damals war, aber seitdem jedenfalls hat er kein volles Glück gehabt. [...] Wenn er von Dir Liebe erfährt, so wird es ihm sehr wohlthun.

Wenn der Vater in seinen Briefen wieder "predigt", kommentiert Gottreich Erdmann:

Meinen Vater werdet Ihr noch kennenlernen, daß er gerade so ist wie er schreibt, so christlich lehrhaft, bedächtig (um nicht zu sagen bedenklich) in allen seinem Thun, so müssen die ehrenfesten Burgersleute früherer Jahrhunderte gewesen sein, als die Welt noch nicht so umtriebig umeinander wirbelte. Er ist auch in allem ein Mann der alten Zeit.

Und überhaupt, er begeistert sich nicht leicht, obwohl er das Musterbild einer schwärmerischen Natur ist [...] Er schwärmt nur für eine Sache, seinen Glauben, sonst ist er allem fremd und kühl. … Seine Kinder liebt er wohl sehr, [...] aber ich glaube doch, anders als die meisten anderen Väter. Es ist nur eine innere Flamme, die wenig herausleuchtet.

<158>

Aus diesen verschiedenen Briefstellen setzt sich doch ein recht anschauliches Charakterbild zusammen. Es wird jedenfalls deutlich, daß Vater Christaller seinem eigenen Wesen und Glauben bis ans Ende ganz und gar treu geblieben ist, und es nie für nötig oder möglich gehalten hat, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Wenn er solche zu machen glaubte, mußte er sie vor sich und seinem Gewissen mit biblischen Zitaten untermauern.

<159>

Da in dem recht vornehmen bürgerlichen Hause der Braut auf der Hochzeit getanzt wurde, findet er für das "weltliche Treiben" folgende Entschuldigung: "Schließlich hat ja auch David getanzt - vor der Bundeslade." Helene ihrerseits sieht den Schwiegervater mit ihrem sonnigen Humor allerdings auch von der komischen Seite, als sie an ihre Mutter über einen unverhofften Besuch in Berneck schreibt. Da sei ein "kleines mageres Männlein" gekommen und habe schüchtern "Grüß Gott" gesagt. Der Sohn (ihr Mann Erdmann) habe ein ziemlich kleinlautes Gesicht gemacht."Weißt Du, ein solcher Besuch bedeutet unendlich langweilige Predigten und Ermahnungen. Erdmann kriegt jetzt gepredigt". Als ihr das Gerede vom Heiland zuviel wird, "rettete ich mich in die Küche."

<160>

An seinen Enkelkindern hatte G. Christaller seine Freude, auch wenn er ihre Erziehung immer nur im Lichte der Ewigkeit sah. An die Schwiegertochter Helene schreibt er dazu (19.Sep. 1895):

Ja, das Leben soll Dir recht lebenswert sein, es ist unendlich wertvoll. Das menschliche Zusammenleben läßt sich aber nur richtig verstehen, wenn man es als Vorbereitung für ein besseres auffaßt.

Von Demut, christlicher Ergebenheit und Bereitschaft zu offenem Bekenntnis führen hier seine brieflichen Überlegungen, die er der Schwiegertochter in verständnisvoller Weise gibt, weiter und er ermuntert sie, auf ihren Ehemann in dieser Weise einzuwirken, auch innerhalb seiner Gemeinde.

<161>

Sein wohl letztes Schreiben nach Berneck vom 25.Nov. 1895 zeigt G. Christallers Bemühungen, in das dortige Gemeindeleben gewissen Einfluß zu nehmen, was den Beginn eines Kindergottesdienstes durch die Pfarrfrau betrifft oder auch deren Sympathien für einen "Temperanzverein", um dem Alkoholismus der Menschen zu begegnen.

2.12.7.1. G. Christallers letzte Aktivitäten in Schorndorf

<162>

Wie G. Christaller sich schon früh um einen lokalen Jünglingsverein in Winnenden gekümmert und sich dafür eingesetzt hatte, so sind auch die letzten Lebensjahre von solchen Aktivitäten geprägt. Noch 1894 ist seine Teilnahme am Weltkongress der ev. Jünglingsvereine in London bezeugt.

<163>

Er setzte sich, wie er auch der Schwiegertochter empfohlen hatte, für den Kampf gegen den Alkoholismus und das Rauchen ein. In Schorndorf war er viele Jahre aktives Mitglied des Kirchengemeinderates, war auch sehr bemüht, weiterhin für die Basler Mission zu werben, besuchte vielfach die lokalen Missionsfeste im Umkreis des Remstales, so wie er auch, soweit es die Gesundheit ermöglichte, die jährlich stattfindende große Festwoche in Basel kaum versäumen wollte.

2.12.7.2. "Wir säen, was wir einst ernten sollen" - Christallers letzte Lebenszeit

<164>

Auch in seinen letzten Lebensjahren widmete sich Christaller dem, was den Inhalt seines ganzen Lebens ausgemacht hatte: der Verbreitung und Vertiefung des Wortes Gottes. Hatte er keine schriftlichen Arbeiten zu verrichten, kümmerte er sich um die eigene Kirchengemeinde oder vor allem auch den Jünglingsverein, in dem ihm große Zuneigung entgegengebracht wurde.

<165>

Daneben gibt es rührende persönliche Zeugnisse, so aus dem Jahre 1892, als er seiner Tochter Martha zum Geburtstag schreibt und dabei seine Erinnerungen an die Hochzeit mit Emilie in Akropong aufleben läßt: "Morgen sind es 35 Jahre, daß ich mit Deiner sel. Mutter Hochzeit hatte in Akropong, 33 Jahre, seit Du in Basel geboren wurdest. [...] Bei mir heißt es, meine Lebenszeit verstreicht, stündlich eil ich zu dem Grabe. [...] Wie wichtig ist unser Leben, in dem wir säen, was wir einst ernten sollen." (26.Jan. 1892).

<166>

Christaller verfolgt, wie es in diesem Brief auch noch heißt, lebhaft die Arbeit seines Sohnes Theodor, Reichsschullehrer in Kamerun, und besucht ein Treffen der Missionsgeschwister in Stuttgart. Sein Geist bleibt genauso klar wie seine Schrift, die auch ein Jahr vor seinem Tode noch genauso gestochen und ordentlich ist wie in den frühen Jahren.

<167>

Wie aus einem Brief vom 24.Jan. 1894 zu ersehen ist, nimmt er genau wie früher regen Anteil an allen Menschen, die ihm begegnen, besonders natürlich solchen, die in irgendeiner Weise mit der Mission zu tun haben. Er ist z.B. reger Vermittler, so für eine junge Dame aus England, die in Deutschland ihre Sprachkenntnisse verbessern möchte.

<168>

Nach dem Zeugnis seines Sohnes Karl war Christaller tätig bis in seine letzten Lebenstage. Karl schildert, wie sein Vater ihn auf dem Fußmarsch von Schorndorf nach Tübingen ein Stück begleitete und zu ihm sagte: "Ich wollte ein Wurm sein auf dieser Erde, wenn nur meine Kinder selig werden." Am 6.Dez. 1895 kam er noch mit Basler Missionaren in Stuttgart zusammen und arbeitete mit einem Missionar aus Kamerun.

<169>

Als sich seine letzte Krankheit (Darmverschlingung) als schlimm erwies, war er seinem Glauben gemäß zum Gehen bereit, wenn auch in dem Gefühl, viel unerledigte Arbeit zurückgelassen zu haben. Noch vor der notwendigen Operation "entschlief er ohne allen Kampf im Glauben an seinen Erlöser am Abend des 16.Dezember in seinem 69. Lebensjahr," so in der Niederschrift des Sohnes Karl Christaller in den "Erinnerungen aus seinem (G. Christallers) Leben" 1929.)

<170>

Über den Tod hinaus hatte Christaller, wie es in dem Brief des Sohnes Paul heißt, für seine Frau Bertha gesorgt, auch wenn er auf dem Sterbebett noch befürchtete, seine Frau müsse einmal arm sein nach seinem Tode. So kam es zum Glück nicht, denn Bertha wurde entgegen dem Ehevertrag dennoch eine Pension bewilligt. In ihrer direkten und geraden Art schreibt sie im Februar 1896 an Martha: "Eine einsame verlassene Witwe bin ich nicht. 3 Söhne habe ich ja hier, 3 im Hinterhalt, 2 stehen hinter dem Busch und lauern. Einen Sohn hab ich im Himmel, der auch an mich denkt und einen Mann habe ich im Himmel, der viel dort gilt. Somit kann ich ohne Sorge sein."

<171>

Kurz nach Gottlieb Christallers Tod starb am 5.Mai 1896 sein Schwiegersohn Köbele (über Tochter Hanna) im Togogebiet und sein Sohn Theodor Benoni starb in Kamerun am 13.Aug. desselben Jahres 1896.

<172>

Wenn wir nun rückschauend in unserer Biographie hier das ganze Leben dieses schwäbischen Missionars in seinen vielen Strängen zu einem Gesamtbild verflochten und aufgeblättert haben, dürfen wir sagen, daß es von seiner frühen Phase an, über die aufopferungsvolle Missionsarbeit bis hin zu manchen vielfach auch etwas zwiespältigen späten Äußerungen innerhalb der Familie trotz aller Einschränkung nur sub specie aeternitatis zu sehen ist. So hatte er es selbst stets verstanden wissen wollen.

3. Literatur

Agster, Fritz, Winfried Maier-Revoredo und Margarete Henninger 1995

… für Afrika bestimmt. Zum 100. Todestag des Missionars und Sprachforschers Johann Gottlieb Christaller. Winnenden: Evangelische Gesamtkirchengemeinde und Stadt Winnenden

Anonymous, 1929

Missionar J. G. Christaller. Erinnerungen aus seinem Leben [mit einem Vorwort von Else Schubert-Christaller]. Stuttgart & Basel: Evangelischer Missionsverlag GmbH

Bearth, Thomas, 1994

'J. G. Christaller als Tonologe.' In: T. Bearth et al. (Hrsg.) Perspektiven afrikanistischer Forschung (S.5-21). Zürich: Seminar für allgemeine Sprachwissenschaft

Bearth, Thomas. 1998 [2000]

'J. G. Christaller's holistic view of language and culture. Its influence on C. C. Reindorf's History.' In: African Pastors and African History in the 19th Century: Carl C. Reindorf and Samuel Johnson, hrsg. von Paul Jenkins. Basel: Basler Afrika-Bibliographien

Böckheler, N. 1897

Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, ein Lebensbild. Leipzig und Schwäbisch Hall: Buchhandlung für die Innere Mission

Christaller, Johann Gottlieb 1875 [1967]

A Grammar of the Asante and Fante Language called Tshi (Chwee, Twi). Basel. [Neuauflage durch The Gregg Press Inc., Ridgemont, N. J. ]

--- 1879

Twi Mmebusñm mpensæ-ahansúa mmoaano - A Collection of Three Thousand and Six Hundred Tshi Proverbs in Use Among the Negroes of the Gold Coast Speaking the Asante and Fante Language. Basel: Basler Evangelische Missionsgesellschaft

--- 1881 [1933]

A Dictionary of the Asante and Fante Language called Tshi (Chwee, Twi). Basel: Basler Mission [1933 überarbeitete und erweiterte Neuauflage]

--- 1887-1888

'Negersagen von der Goldküste (mitgeteilt und mit Sagen andrer Völker verglichen).' Zeitschrift für Afrikanische Sprachen 1:49-63

--- 1887-1888

'Bemerkungen zu R. Lepsius Nubische Grammatik. Mit einer Einleitung über die Völker und Sprachen Afrikas'. Zeitschrift für Afrikanische Sprachen 1:241-251

--- 1887-1888

'Die Volta-Sprachen-Gruppe, drei altbekannte und zwei neubekannte Negersprachen vergleichend besprochen.' Zeitschrift für Afrikanische Sprachen 1:161-188

--- 1888-1889

'Die Kru-Sprachen in dem Negerfreistaat Liberia.' Zeitschrift für Afrikanische Sprachen 2:315-320

--- 1889-90a

'Näheres über die Kru-Sprache.' Zeitschrift für Afrikanische Sprachen 3:1-39

--- 1889-90b

'Sprachproben vom Sudan zwischen Asante und Mittel-Niger (Specimens of some Sudan languages), mitgeteilt von J. G. Christaller.' Zeitschrift für Afrikanische Sprachen 3:107-154

--- 1889-90c

'Einheitliche Schreibweise für afrikanische Namen und Sprachen, vorgeschlagen von J. G. Christaller.' Zeitschrift für Afrikanische Sprachen 3:247-264

--- 1892

Die Sprachen Afrikas. Stuttgart: W. Kohlhammer (Sonderabdruck aus dem 9. u. 10. Jahresbericht des Württembergischen Vereins für Handelsgeographie)

--- 1893

Die Töne der Neger-Sprachen. Basel: Verlag der Missionsbuchhandlung

--- 1895a

'Prefatory remarks of the author's friend who carried the work through the press.' In: C. C. Reindorf, History of the Gold Coast and Asante. Based on traditions and historical facts, comprising a period of more than three centuries from about 1500 to 1860 (S.XIII-XI). Basel/London/Christiansborg: Basler Mission/Kegan Paul, Trench, Trübner & Co.

--- 1895b

'Die Sprachen des Togogebiets in kurzer allgemeiner Uebersicht.' Zeitschrift für Afrikanische und Oceanische Sprachen 1:5-8

--- 1985c

'Die Adelesprache im Togogebiet.' Zeitschrift für Afrikanische und Oceanische Sprachen 1:16-33

--- 1985d

'Sprichtwörter der Tshwi-Neger.' Zeitschrift für Afrikanische und Oceanische Sprachen 1:184-187

--- 1986

'Sprichtwörter der Tshwi-Neger.' Zeitschrift für Afrikanische und Oceanische Sprachen 2:51-53

Christaller, Johann Gottlieb und Kofi Ron Lange 1990

TWI MMEGUSEM MPENSIA - AHANSIA MMOANO Three Thousand Six Hundred Ghanaian Proverbs (From the Asante and Fante Language). Lewiston, Queenston, Lampeter: The Edwin Mellen Press [Übersetzung der Texte von 1879 ins Englische und einem Vorwort von K. R. Lange]

Deutsches Kolonial-Lexikon 1920

http://www.stub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/lexikon.htm

Westermann, Diedrich 1927

'Zum 100. Geburtstag Johann Gottlieb Christallers', in: Evangelisches Missionsmagazin 1927



[1] Eine Biographie vom Emilie Ziegler stammt von Eva Nöldeke: Die mit Tränen säen. Edition Anker, 2001 [HP]

[2] Die Zeitschriften ist u.a. nachgewiesen in http://www.bildungszentrum-elstal.de/bibliothek/zeitschriftenkatalog.pdf [HP]

[3] Siehe die verschiedenen Briefdokumente zu 1849.

[4] Familienarchiv Christaller, Neuenbürg, Dokument 49/4

[5] Eine andere Schreibweise für Odji, eine Sprache die heute gemeinhin als Tschi , Twi oder Akan bezeichnet wird.

[6] Tschi oder Twi

[7] Emilie Zieglers Lebenslauf ist wortgetreu abgedruckt. Er entspricht im Detail den gewohnheitsmäßig von der Basler Mission gewünschten Angaben (undatiert, Dokument 56/1)

[8] 8 Din A4 Seiten, eng beschrieben, auf ganz dünnem Papier, ziemlich stark beschädigt, mit dunkler Tinte, umfaßt die Zeit vom Abgang aus London und speziell vom 24.Nov. Abfahrt des Schiffes bis zur Ankunft in Akropong am 29.Dez. 1856.

[9] Es wurde die z.T. eigenartige Orthographie beibehalten, nur die Satzzeichen wurden gelegentlich sinnvoller eingesetzt.

[10] Eine Biographie von Martha Christaller stammt von Eva Nöldeke: Martha. Edition Anker, 2002 [HP]

[11] Die kurzgefaßten Lebensläufe der Kinder aus erster Ehe finden sich in der Darstellung weiter unten.

[12] The Prix Volney: Its history and significance for the development of linguistic research. Bd. 1a und 1b, hrsg. von Joan Leopold. Dordrecht: Kluwer Academic, 1999. S.xxvi, 995. The Prix Volney: Early nineteenth-century contributions to general and Amerindian linguistics: Du Ponceau and Rafinesque. Bd. 2, hrsg. von Joan Leopold. Dordrecht: Kluwer Academic, 1999. S.viii, 340. The Prix Volney: Contributions to comparative Indo-European, African and Chinese linguistics: Max Müller and Steinthal. Volume 3. hrsg. von Joan Leopold. Dordrecht: Kluwer Academic, 1999. S.ix, 518.

[13] "Um das Schulwesen in Kamerun hat sich Missionar B. Th. Christaller († 1896) besondere Verdienste erworben." ( Deutsches Kolonial-Lexikon (1920), Band II, S.578 ff., http://www.stub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/php/suche_db.php?suchname=Missionsschulwesen . Über ihn gibt es eine kleine Schrift: "Theodor Christaller, der erste deutsche Reichsschullehrer in Kamerun, ein Lebensbild" (Böckheler:1897).

[14] Vorausgeht die Bitte um Aufnahme des polizeilich in die Kreisirrenanstalt Giesing bei München eingewiesenen Sohnes Ernst Gotthold Christaller in die K. Heilanstalt Winnenthal.

[16] Die vorgelegten Originalpapiere befinden sich im Archiv Christaller in Neuenbürg.

[17] Helene Christaller war eine der er folgreichsten Schriftellerinnen aus dem südhessischen Raum im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Sie wurde als Helene Heyer 1872 in Darmstadt geboren, und hier hat sie auch die Schule besucht. Nach ihrer Heirat mit dem Pfarrer und Schriftsteller Gottreich Christaller (1890) verbrachte sie mehrere Jahre im Schwarzwald, ehe sie sich mit ihrer Familie in Jugenheim ansiedelte. Heute heißt die Straße, wo ihr Wohnhaus stand, Helene-Christaller-Weg. 1902 veröffentlichte sie ihr erstes "Werkchen”, ein Weihnachtsspiel, es folgten die Novellen- und Skizzensammlung "Frauen”, dann der Roman "Magda” und andere Bücher. Ihr Erfolgsroman "Gottfried Erdmann und seine Frau” wurde 28 mal neu aufgelegt. Nach der Scheidung von ihrem Mann im Jahre 1916 siedelte sie nach Darmstadt über, wo sie mit ihrer Mutter lebte, häufig besucht von ihren Kindern und Enkeln. Bis zu ihrem Tod vor 50 Jahren blieb sie schriftstellerisch tätig. Sie war auch Mitarbeiterin zahlreicher Zeitschriften wie Daheim, Deutsches Mädchenbuch oder Westermanns Monatshefte. Großen Erfolg hatte sie mit dem in den 1930er Jahren erschienenen autobiographischen Werk "Als Mutter ein Kind war”. Während des Nationalsozialismus lebte sie zurückgezogen. Sie starb hochbetagt am 24.Mai 1953 in Jugenheim( http://www. mathilde-frauenzeitung. de/mh64alsmuttereinkindwar. html ).

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