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Emilie Zieglers Lebenslauf

(Stuttgart, 1856)

Nbrg Em 1a/ b

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Ich bin in Waiblingen geboren, den 11. Febr. 1829, das zweitälteste Kind von 9 Geschwistern. Mein Vater war Rathsschreiber daselbst, ließ sich bei der Erziehung seiner Kinder von seinem nach den Sitten äußeren Christenthums geregelten Grundsätzen leiten, er überwachte uns, nachdem wir die ersten Kinderjahre hinter uns hatten, aufs strengste, wir durften nirgends sein, wo er oder die Mutter nicht dabei sein konnten, in unserer Gegenwart wurde nie ein Wort gesprochen, das Kinder nicht hören dürfen, den Dienstboten ward das Gleiche zur Pflicht gemacht; manchmal kam es bei uns bis zum Murren, wenn wir unsere Alters- und Schulgenossen von dem und jenem sie erwartenden Vergnügen reden hörten, und wir dann unterdessen daheim von der Mutter weidlich zur Arbeit angehalten wurden.

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Zur Unterhaltung in unsern freien Stunden ließ es der Vater nicht fehlen an schönen, nützlichen, immer unserem Alter angemessenen Büchern und Schriften, wodurch in mir eine große Liebe zum Lesen, zum Denken geweckt und genährt wurde. Wir wuchsen auf in einer kindlichen Einfalt, wie man sie nicht gewöhnlich findet, aber eins fehlte doch, den Herzen meiner Eltern war lebendiges Christenthum unbekannt, darum hatte auch dasselbe keinen Einfluß auf uns Kinder, die wir ganz nur auf den Umgang der Eltern angewiesen waren, wir wußten von Religion bloß, was wir in der Schule hörten, und der Lehrer daselbst war ein Miethling. Doch der, der sich die Seinen vor Grundlegung der Welt erwählt hat, ließ sich an mir damals schon nicht unbezeugt, so weit ich mich in meinen Kinderjahre, ungefähr bis zum 6ten Jahr zurückdenken kann, weiß ich, daß der Geist Gottes an meinem Herzen arbeitete; er konnte mir mittelbar nicht nahe kommen, deßhalb that ers unmittelbar; so soft ich zu kleinen Vergehen versucht ward, fühlte ich eine Seelenangst, die mich oft bewahrte, folgte ich aber nicht, so fand ich lange keine Ruhe mehr.

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An meine Geschwister schloß ich mich wenig an, desto inniger aber an eine kleine Freundin, deren Gemüth ganz mit dem meinigen übereinstimmte. Wenn ich allein war, sang ich Sprüche, die ich aus meinem Spruchbuch gelernt hatte, nach eigener Melodie, oft dachte ich an Gott, und woran man wohl wissen könne, daß er Alles gemacht habe; daß die Bibel das Wort Gottes ist, wußte ich nicht, ich fragte einmal meine Mutter, warum man denn die Bibel habe, sie sagte mir, so solle man sein, wies dort steht; ich entgegnete: aber so ist ja Niemand, erhielt aber keine Antwort. Meine Freundin kam mir in solchen Dingen oft zu Hülfe, sie wußte mehr als ich. Einmal lud sie mich ein, mit ihr in die Kirche zu gehen, weil dort ein Fest gefeiert werde. Es war ein Missionsfest, wo Missionar Weitbrecht aus Waiblingen einen Vortrag hielt; ich ward so erfüllt von Mitleiden gegen die Heiden, daß ich den Vorsatz faßte, wenn ich groß sei, Missionar zu werden, da fiel mir ein, daß ich als Mädchen das nicht könne, was mich sehr betrübte, endlich kam ich auf den Einfall, mich zu verkleiden und so meinen Vorsatz dennoch auszuführen; so oft ich nur an meine Zukunft dachte, stellte ich mir mich als einen verkleideten Missionar in der Heidenwelt vor; den Heiland, der mir aus den biblischen Geschichten bekannt war, liebte ich sehr, und wünschte mir oft, ihn zu sehen oder von ihm zu träumen, ich betete manchmal um das Letztere und mir träumte einmal, mein Herz war so voll Freude hierüber, daß mein Mund überging und ich meinen Geschwistern davon erzählte, worüber ich ausgelacht wurde; desto stiller bewegte ich meinen Traum im Herzen. In der folgenden Nacht hatte ich die Fortsetzung des gestrigen Traumes, diese lieblichen Bilder, die mir heute noch klar, wie eben erst geträumt vor der Seele stehen, gaben mir einen tiefen Eindruck von der Liebe u Nähe unseres Heilandes, daß es von da an mein fester Vorsatz wurde, ein frommes Kind zu werden, daß ich zu ihm in den Himmel komme, wohin ich am liebsten gleich gegangen wäre. In dieser Zeit, es war ungefähr mein 12. Jahr, sah ich meine Schwester oft sehr eifrig in einem Buch lesen, neugierig, was wohl dort stehe, las ich auch darin, las und las und schlürfte ein für mein inneres Leben tödtliches Gift ein, es war ein Roman, diesem folgte ein zweiter und dritter und mir gingen die Augen auf, wie dort Adam und Eva im Paradiß, nun ward ich ein ganz anderer Mensch, ein Unkraut meines Herzens ums andre that sich hervor, besonders Eigensinn, mit dem ich meinem Lehrer viel zu schaffen machte, so daß er bei meiner Konfirmation, als er uns Austretenden einen Vers, den er uns selber ziehen ließ, zum Andenken mitgab, zu mir sagte, als ich die Worte zog:

O stiller Jesu, wie Dein Wille

dem Willen deines Vaters stille

und bis zum Tod gehorsam war,

so mache Du auch gleichermaßen

mein Herz u Leben Dir gelassen,

brich meinen eigenen Willen gar.

'So, wenn auch sonst Keine das Rechte bekommen hat,

so bin ich zufrieden, denn Du hasts.'

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Beim Konfirmationsunterricht war ich stumpf und unempfänglich, selbst bei meiner Konfirmation kann ich mich gar keines Eindrucks erinnern, als daß ich immer weinen mußte, ohne mir erklären zu können, warum. Das Verlieren meiner kindlichen Unschuld war ja wohl des Beweinens werth.

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Von dieser Zeit an trieb mich ein innerer Unfriede, eine Oede und Leere meines Herzens um, wofür ich bald da, bald dort Befriedigung suchte, aber nicht fand. Gegen die Kirche hatte ich den größten Widerwillen, ich besuchte sie nur mit Zwang. Was mir sonst Genuß war, Einsamkeit und Denken, war mir jetzt Qual, meinen vorigen Glauben hielt ich für Kinderei. Nächst der Gnade Gottes verdanke ich der Strenge meines Vaters, der auf mich wie besonders Acht zu haben schien, daß ich vor groben Sünden bewahrt blieb.

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Endlich jammerte den Herrn meiner, er bediente sich folgenden Mittels, mich wieder zu sich zu führen: Mein Bruder hatte einen Freund, den meine Eltern seines anständigen, bescheidenen Betragens halber, herzlich lieb hatten, er kam deßhalb viel in unser Haus und zwischen uns beiden entspann sich ein ernsteres Verhältniß.

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Damals fing Reiseprediger Werner an, seine Vorträge in Waiblingen zu halten, die meine Eltern u wir älteren Kinder, unser Freund, sein Name ist: Gottlieb Münzenmaier, nicht ausgenommen, auch besuchten; diese Vorträge machten mir tiefe, aber von meinem alten Wesen immer wieder zurückgescheuchte Eindrücke. Noch tiefer aber gingen sie bei Münzenmaier, er ward still und in sich gekehrt, ich traf ihn oft in einem kleinen Büchlein lesend, das zu meiner Verwunderung ein Testamentchen, war, ich nahm einmal eine Bibel vor, um zu sehen, was denn dort so wichtiges stehe, es war mir aber alles wie verdeckt, ich verstand diese Worte nicht, ich dachte, in jenem kleinen Büchelein sei's vielleicht anders und erbat mir's zum Lesen, aber auch das konnte ich nicht verstehen.

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Hiedurch ward ich sehr beunruhigt und besuchte nun die Kirche mit mehr Interesse, betete, von meinem Freund, der indessen Frieden mit Gott gefunden hatte, aufgefordert, um Licht und Erkenntniß meines Herzens, schwebte aber lange zwischen Tag und Dunkel, bis ich endlich mich in einer finsteren inneren Nacht befand. Ich konnte nimmer glauben, oder besser gesagt, ich erkannte, daß ich noch nie recht geglaubt hatte. Ich sah nichts als mein inneres Unvermögen und über mir war der Himmel wie verschlossen, ich wollte dennoch beten, hatte aber keine Worte als nur den Gedanken, hier könne Gott allein helfen.

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Dies geschah im Jahre 1847 am Hlg Abend, in meiner Seelenangst blätterte ich im Gesangbuch in den Weihnachtsliedern und las ein solches, obgleich mir sein jubelnder Ton wie ein Spott zu meiner Qual klang. Doch durch einen Vers desselben blitzte es auf einmal hell durch meine Finsternis, ein Strahl um den anderen drang herein, bis es ganz helle in mir war und ein seliger Friede mich erfüllte. Von da an rechne ich mein geistiges Leben. Ich besuchte nun die Privatversammlungen in Waiblingen, besonders wichtig waren mir die Predigten H Pfarrer Werners in Großheppach (jetzt in Fellbach).

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Nach einiger Zeit theilte mir Münzenmaier mit, daß er schon als Kind den Entschluß gefaßt habe, Missionar zu werden und jetzt fühle er sich dazu berufen. Als ich hierüber nachdachte, fiel mir der verkleidete Missionar meiner Kindheit ein, und die alte Liebe ward wieder wach. Ich willigte gerne in sein Vorhaben; er meldete sich nach Basel und wurde nach einem Jahr aufgenommen. Unsere Trennung war schmerzlich, ich hatte das Gefühl, daß es für immer sey. Und so ward es auch, denn obgleich unser Verhältniß, wenn ich mich so ausdrücken kann, mehr ein geistiges wurde, so hatten wir doch keine Ruhe dabei, weil es gegen Gottes und auch gegen Menschenordnung war, und hoben es im Namen Gottes völlig auf; von da an hörte ich nichts mehr von ihm, als was seine Schwester, die mit mir innig befreundet ist, manchmal von seiner Gesundheit und dergleichen schrieb. Ehe er ausgesandt wurde, kam er noch in seine Heimath, um sich zu verabschieden. Er besuchte auch mich, bot mir die Hand zum Abschied und sagte: Im Himmel werden wir uns wiedersehen. Ich gab nun jeden Gedanken an ihn auf, aber nicht so an die Heidenwelt, sie schwebte mir immer als mein künftiger Beruf vor Augen, mein Plan war es, in die Anstalt nach Nonnenweiher einzutreten und mich dort für den Missionsberuf auszubilden, aber der Herr machte mir einen Strich durch die Rechnung.

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Ich will meine Erlebnisse der Reihe nach erzählen.

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Im Jahre 1850 wurde in Waiblingen ein Mädchen gesucht zu Herrn Inspektor Hoffmann in Basel, für dessen kleinstes Kind, auf den Wunsch meiner Eltern nahm ich diese Stelle an, nicht ganz ein viertel Jahr war ich dort, als durch den Tod von Frau Hoffmann eine ältere, erfahrenere Wärterin für das Kindlein nöthig war. H Hoffmann wollte mir in Basel für eine passende Stelle sorgen, auf den Wunsch meiner Eltern jedoch kehrte ich in meine Heimath zurück.

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Zu Ende dieses Jahres wartete eine andere Schule auf mich. Ich hatte in Stuttgart eine halbkindische Großtante, die mich verlangte, hier verlebte ich eine für mein äußeres Leben sehr herbe, aber für mein inneres Leben desto zuträglichere Zeit. Von da führte der Herr mich weiter, ich ward Ladenjungfer, wovor ich mich zuerst mit aller Macht sträubte, weil ich glaubte, in einem solchen Beruf mich nicht bekehren zu können; ich fand aber bald die Umstände für geeignet, mir in der Bekehrung förderlich zu sein. Hier bat ich den Herrn oft, meinen Wunsch, den ich immer still mit mir herumtrug, wenn er mich in der Heidenwelt gebrauchen könne, zu erfüllen; aber er ließ mich warten, denn ich fand keine Freiheit, hiezu einen Schritt zu thun. Stattdessen wies er mir hier eine andere Stelle ähnlichen Berufs wie bisher an, die ich jetzt noch begleite (sic! d. h. bekleide). Hier warteten mancherlei Proben von außen u innen auf mich, zu denen ich mich nicht versehen hatte, aber der Herr half mächtig hindurch, bis zu diesem Augenblick. Immer lauter ward aber nun mein Wunsch, nach einem Beruf nach meinem Herzen, entschiedener drang ich darauf, des Willens Gottes in dieser Sache gewiß zu werden, ich gab mich endlich willig her, alles aufzugeben, nur Gewißheit wollte ich haben.

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Eine Anfrage für den Ehestand wurde nun an mich gemacht, während ich darüber dachte, war mirs, als ob eine Stimme zu mir sagte: Du hast dich mir versprochen, mir zu dienen und nun siehest du nach einem andern Weg, du bist mein, bezahle dem Höchsten Deine Gelübde. Dies drang mir durch Leib und Seele, ich wußte nun, wohinaus ich zu gehen hatte. Aber jetzt kam eine andere Probe. Der Gedanke stieg in mir auf: wie wenn der Herr dich statt nach deinem Wunsche in die Heidenwelt zu schicken, in die hiesige Diakonissenanstalt eintreten hieße, würdest du auch folgen? Gegen diese Anstalt hatte ich immer eine Abneigung; dieser Gedanke brachte mich nun, mir selbt unerklärlich, in eine verzweiflungsvolle Noth und Rathlosigkeit, die weder durch Gebet noch durch den Entschluß, mich, wenn es so sein sollte, dazu herzugeben, wich.

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Ich entschloß mich, das Urtheil des von mir herzlich verehrten und durch seine Predigten schon vielfach zum Segen gewordenen H Prälat Kapf darüber zu hören. Ich legte es dem Herrn vor, ich wolle diesen Ausspruch dann als seinen Willen erkennen, falle er aus, wie er wolle. H Prälat Kapf stimmte nun zu meiner großen Freude und jetzt vollen Überzeugung entschieden zur Mission und veranlaßte mich zu dem Schritt, mich zu melden; wohin ich gesendet werde, gilt mir gleich. Die gewöhnlichen weiblichen Arbeiten verstehe ich und einen kleinen Anfang in Erlernung der englischen Sprache habe ich auch gemacht. Und dem Lernen bin ich nicht gram. Auch an der Einwilligung meiner Eltern zweifle ich nicht. Dem großen Herrn des Weinbergs sei diese Sache ans Herz gelegt, er wolle daran sein Wort erfüllen, das er mir zu meinem letzten Geburtstag gab: Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst, ich will dich mit meinen Augen leiten. Ps. 32.

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