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1. Rezension

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Der Sprichwort- und Sprachforscher Jules Mansaly legt in dieser Sammlung 39 Erzählungen der Balanta im Senegal vor. Damit hilft er, den alten Erzählschatz dieser kleinen Volksgruppe von weniger als 100.000 Sprechern zu dokumentieren und für vielerlei Interessentengruppen zugänglich zu machen. Die Illustrationen jeder einzelnen Geschichte von Carmen Weinzierl reflektieren die Erzählwelt der Balante auf humorvolle und anschauliche Weise.

Das Arbeiten des Verfassers als Sprichwort-Forscher zeigt sich in seiner besonderen Vorliebe für Tiergeschichten. Denn viele dieser Erzählungen enden mit einem Sprichwort oder einer moralischen Schlussfolgerung. Die Erzählrunden am abendlichen Feuer dienten früher wie im Vorwort geschildert, als eine véritable école d’education. Diese Funktion geht zunehmend verloren.

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Es verblüfft die große Zahl verschiedener Tierarten als Handlungsträger: Kröte, Chamäleon und Singvogel streiten um das Vorrecht des Ältesten (Nr. 19); Ziege und Wildschwein bestellen gemeinsam ein Feld (Nr. 26); Moskito und Fliege gehen gemeinsam Brennholz holen (Nr. 31). Häufig agieren Ziegen und Kühe gemeinsam.

Einige Erzählungen „erklären“ die Herkunft bestimmter Eigenarten von Tierarten: Die Mauerwespe beobachtet neugierig, wie Gott Menschen schafft. Dabei drückt er sie ärgerlich so, dass Mauerwespen seitdem eine enge Taille haben (Nr. 11). Hund und Krokodil werden ohne Maul geboren und sollten sich gegenseitig eine Öffnung aufspalten. Der Hund macht es so schlecht, dass er sich wegen des wütenden Krokodils nicht in Wasser traut (Nr. 9).

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Der Hauptheld ist jedoch, wie oft im zentralen Afrika zu beobachten ist, der Hase, und wie in der Mehrzahl der afrikanischen Tiergeschichten, ist er der Listige, der sich durch immer wieder neue Tricks Vorteile verschafft und sich immer wieder aus der Schlinge befreit. Sein Hauptgegner ist die Hyäne, die wie es ihrem Charakter in den Tiergeschichten entspricht, vor allem gefräßig, stark und dumm ist. Klugheit siegt über physische Stärke. Recht aufschlussreich ist auch die Titelgeschichte (Nr. 34). Hase und Hyäne kommen mit Beute von der Jagd. Hyäne beansprucht alles Fleisch für sich. Während das Fleisch im großen Topf brutzelt, schlägt Hase vor, auf den Ast eines Baumes zu steigen und sich gegenseitig zu frisieren. Hyäne flicht das Haar von Hase ordentlich, Hase aber flicht unbemerkt Hyäne am Baum fest. So kann Hase genüsslich das Fleisch vor den Augen der festgebundenen Hyäne essen und ihr nur die Knochen zuwerfen. Die Tiere sind in ihren Handlungen und ihrer Umwelt beinahe ganz als Menschen dargestellt. Der Hase geht auf Jagd und isst Fleisch genau wie ein Mann. Diese Tier-Menschenwelt gibt Bilder vom Leben der Erzähler wieder, von ihrer Arbeit auf dem Feld, bei der Viehzucht und dem Fischen, gleichzeitig aber auch von Sorgen und Nöten. Immer wieder ist eine Hungersnot Ausgangspunkt des Geschehens in den Geschichten.

Unter diesen so ganz in das Balanta-Leben eingefügten Geschichten erkennt man den Kern von auch in anderen Gegenden Afrikas bekannten Erzählungen oder Motiven. Grundlagen für Vergleiche bieten das internationale Typenregister der Volkserzählungen ATU und für die Erzählungen des südlichen Afrika die in Verbindung mit KH zitierte Erzähl-Nummer nach dem Katalog von Schmidt 2013. So zeigt sich, dass die Geschichte von der fest an den Baum geflochtenen Hyäne bis ins südliche Afrika vom Löwen erzählt wird, den der Trickster beim Hausbau ans Dach bindet (Schmidt 2013 KH 494).

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Weit verbreitet ist die Geschichte vom Brunnenbau, im südlichen Afrika dem Dammbau (Nr. 28). Der Trickster ist zu faul, beim Bau zu helfen, holt sich aber nachts heimlich Wasser, überlistet auch die Wächter, bleibt aber an der mit Leim überzogenen Puppe kleben (ATU 55 + ATU 175 – Schmidt 2013 KH 518 + KH 517). Ebenso populär ist die Geschichte vom Herrscher oder Löwen, der behauptet, dass die Jungtiere ihm gehören, weil sein Bulle sie geboren hätte. Er wird aber vom Trickster bloßgestellt, der gerade zur Entbindung seines Vaters eilen müsse (Nr. 3) (ATU 875E – Schmidt 2013 KH 592). Sehr alt ist auch die Erzählung vom Krieg der Tiere, dem Krieg der Vierfüßler gegen die Vögel (Nr. 1) (ATU 222 – Schmidt 2013 KH 660). Nr. 8 vertritt eine besonders in Afrika beliebte Erzählart, die Dilemma-Geschichte. Die Geschichte bleibt am Ende offen, und das Publikum wird aufgefordert, das Problem zu entscheiden (z.B. Schmidt 2013 KH 1111).

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Der Autor beklagt im Vorwort, dass es schwer sei, die Atmosphäre des mündlichen Erzählens im Buch wiederzugeben. Das betrifft vor allem Kettengeschichten (Nr. 21) (ATU 2034C – Schmidt 2013 KH 1292). Sie verlangen als Erstes ein gutes Gedächtnis. Die Hauptperson der Geschichte erhält ein Geschenk und gibt es am anderen Ort weiter, indem sie erzählt, warum sie es von wem erhielt. In jedem Ort erhält sie dafür ein neues Geschenk, wiederholt aber von Anfang an die Aufzählung und fügt das neueste Geschenk dazu. Aufgeschrieben wirkt die immer länger werdende Aufzählung trocken, beim mündlichen Vortrag aber schauen alle gespannt auf den Erzähler, ob er auch den nächsten Schritt noch weiß, und es herrscht gewöhnlich eine ausgelassene fröhliche Stimmung.

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Die besonderen Namen, die die Tiere in diesen Volkserzählungen haben, bieten sicher ein reizvolles Studiengebiet für Spezialisten. Für die Erzählforschung wären einige Angaben zu den Erzählern hilfreich gewesen. So fällt auf, dass in dieser Sammlung keine eigentlichen Märchen aufgenommen wurden. Lag das an der Vorliebe des Verfassers für Tiergeschichten? Oder waren seine Erzähler vorwiegend Männer oder Jugendliche? Denn oft bevorzugen diese die Tiergeschichten, während Märchen die Domäne der Frauen sind.

Abkürzungen

ATU

Aarne-Thompson-Uther-Index

KH

siehe Schmidt 2013


Quellenverzeichnis

Mansaly, Jules 2017

Étude linguistique des proverbes balant. Lincom Europa

Mansaly, Jules 2018

Dictionnaire des proverbes balant. Köln: Rüdiger Köppe Verlag

Schmidt, Sigrid 2013

A Catalogue of Khoisan Folktales of Southern Africa. 2nd, Completely Revised Edition. Part I and Part II. Köln: Rüdiger Köppe Verlag

Unter KH (Khoisan) und Nummer, z.B. KH 753, sind Varianten und Literatur zu den einzelnen Erzählungen aufgelistet

Uther, Hans-Jörg 2004

The Types of International Folktales. A Classification and Bibliography. Based on the System of Antti Aarne and Stith Thompson. Folklore Fellows Communications 284. Helsinki: Suomalainen Tiedeakatemia – Academia Scientiarum Fennica. (zitiert ATU)

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