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Artikelaktionen

 

Das Projekt

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Die Münchner Künstlergruppe Department für öffentliche Erscheinungen besteht seit 1995 und unternimmt künstlerisch partizipative Aktionen im öffentlichen Raum. Eine Werkserie des Department ist 'Farbe bekennen'.  [1] Es ist ein von der Gruppe entwickeltes Verfahren, mit dem die persönliche Meinung unmittelbar in der Öffentlichkeit sichtbar werden kann. Für ein örtlich begrenztes Projektgebiet entwirft das Department eine Frage, die inhaltlich auf die Besonderheiten des Ortes sowie auf die Situation der Bewohnerinnen und Bewohner reagiert. Für die Beantwortung stehen den Beteiligten, meist beliebige Passanten und Passantinnen, kostenlos sogenannte Meinungsträger – verschieden farbige Tücher, die mit Slogans bedruckt sind – zur Verfügung. Das Department unternimmt also künstlerisch die Aktion, ein 'Meinungsbild', ein Stimmungsbild der Absichten und Träume der Menschen zu schaffen.

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Bei der Aktion des Department Ende März/Anfang April 2013 in Dakar ging es um die Frage nach einer besseren Zukunft. Das Goethe-Institut hatte die Frage nach dem 'Letzen Dorf' ausgerufen – der Veränderung für die Stadt- wie für die Landbevölkerung mit zunehmender Verstädterung in der globalen Welt. Mittels farbiger Tücher war zu wählen: ein pinkfarbenes Tuch für « partir ailleurs » (frz.) – « dem féneen» (wolof) 'weggehen', ein petrolfarbenes für « rester ici » (frz.) – « toog fii » (wolof) '(hier) bleiben', ein oranges für « retourner » (frz.) – ñibbi » (wolof) 'zurück kehren, heimkehren'. Das Department stellte diese Fragen in partizipativen Aktionen an der Universität in Dakar und in Pikine [2]. Beiden Orten ist gemein, dass dort Menschen sind, die nicht immer da waren und die vielleicht auch wieder wegwollen. An der Universität sind es Studierende, in Pikine Migranten, die vom Land, vom Dorf in die Banlieues kamen – und vielleicht weiter wollen, in die Stadt Dakar, ins Ausland, oder auch wieder zurück in ihre Dörfer.

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"Seit 2008 leben weltweit mehr Menschen in städtischen Ballungsräumen als auf dem Land. Mit dieser Verschiebung ändern sich nicht allein die Beziehungen zwischen Stadt und Land, vielmehr verändert sich der Charakter der Städte und der Dörfer durch die Migration zwischen beiden Polen. Das Phänomen ist global, die Erscheinungsformen aber von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich", sagt Michael Jeismann, Direktor des Goethe-Instituts in Dakar.

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Settings im öffentlichen Raum hat das Department bereits in Deutschland, in Österreich, in der Türkei, in Tschechien oder in den USA realisiert. Im Senegal begeisterte die Künstlergruppe die phänomenale Teilnahmebereitschaft der Menschen. Auf dem Platz vor der Bibliothek der Cheikh Anta Diop Universität bildete sich in Minuten eine Gruppe um den Tisch mit den Tüchern, den 'Meinungsträgern'. Die ersten Studierenden wählten « bleiben ». Mit dicken Filzstiften schrieben sie ihre Gründe auf die Rückseite des gewählten Tuches: « Ich will an der Entwicklung des Landes teilnehmen und dazu beitragen! »

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Stolz, Afrikanerin, Afrikaner zu sein, wollen sie sich für den Senegal und andere afrikanische Länder einsetzen. Bleiben, denn wenn alle gingen, wäre hier ja tabula rasa. Sie sind die Jugend, die Zukunft des Landes, und das senegalesische Miteinander, « Teranga  [3] », ist ihnen wichtig. Ihre petrolfarbenen Meinungsträger flatterten bald lustig im Wind, mit kleinen Klammern an Leinen angebracht, die das Department gespannt hatte. Teranga konnte man hier leibhaftig erleben: das Gemeinschaftsgefühl, die vielen helfenden Hände, die Achtsamkeit.

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Bald umringten weitere Studierende das Setting, zogen die flatternden Tücher fest, lasen das Geschriebene: Den panafrikanischen Gedanken: « Wir brauchen eigene Theorien für Afrika! Wir brauchen Intellektuelle! » Vor allem Geisteswissenschaftler lobten die Ausbildung vor Ort, Studierende technischer Fächer waren kritischer. Ein Geographie-Student wählte das pinkfarbene Tuch. Er will weggehen: Die Bedingungen lassen zu wünschen übrig. Ein Technikstudent beklagte das veraltete Niveau. Schon die Professoren hatten mit diesem Material gelernt! Nicht wenige wollen gehen, um eine bessere Ausbildung zu bekommen, « die diejenigen haben, die uns regieren!" Schnell entstanden Diskussionen: Warum die Bewegungen vom Land in die Stadt? Welche Auswirkungen hat das? Wie verändert sich dadurch das Leben? Was ist die persönliche Sehnsucht? Wo liegt die Zukunft? Ist es Dakar oder sind es doch die USA für neue Erfahrungen, berufliche/wissenschaftliche Träume? Aber immer hieß es: beitragen wollen zur Entwicklung des Landes. Gehen bedeutet dann doch, später wieder in den Senegal zurückkommen zu wollen und mit dem Gelernten das Land voranzubringen. Ousseynou Karbala Beye rappte den Slogan: « Gehen, nach Europa, nach Deutschland, Frankreich, Italien, um Dinge zu erleben, Gutes und Schlechtes, und zurückkommen, ñibbi, um dem eigenen Land zu helfen. »

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Immer wieder mischte sich ein Ausdruck in Wolof in den Text. Das indizierte auch die Vorgabe der Slogans in Französisch und Wolof: Dem Department war von Anfang an klar, dass es nicht nur die Kolonialsprache, sondern auch die wichtigste afrikanische Sprache in Dakar sein soll, in der die Antwort formuliert ist. Immer wieder hörten sie die Frage, ob sie denn die/eine Lösung haben. Und: Ob denn die Verantwortlichen auch über den Ausgang der Befragung informiert würden. Die Y en a marre-Bewegung [4] war gut, aber die Politiker hocken sich schon wieder in ihrer Kaste fest, sagte ein Student. Diese Bewegung, wörtlich: « mir reicht’s », war 2011 im Senegal entstanden und hat letztlich zur Abwahl des alten Präsidenten Abdoulaye Wade geführt.

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Das Department strebt aber keine Lösung an, Dialog und Kommunikation sind Teil der künstlerischen Arbeit. Das Ergebnis ist das Stimmungsbild und Stimmungsfeld, sind Tücher im Wind, die Ernsthaftigkeit der Menschen, das Ausspreizen, Verzweigen der Meinungen. Der öffentliche Raum ist für alle zugängig, schließt nichts und niemanden aus.

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Begleitend trat bei beiden Aktionen die senegalesische Gruppe TAM [5] (Travail Art Musique) unter der Leitung von Ivor Placca auf. Sie macht Musik durch Alltagsgegenstände wie Besen oder Stampfer, und bringt damit Tradition und Moderne zusammen. Es wird gemauert, gehämmert, gesägt, genagelt, Hühner gackern, Mörser stampfen – und alles im Rhythmus des Rap.

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In Pikine waren mehr Kinder am Platz der Aktion als zuvor in der Stadt auf dem Universitätsgelände. Sie sprachen Wolof, schalteten – so im Schulalter – aber schnell auf Französisch, als sie merkten, dann erst von den weißen Künstlern verstanden zu werden. Junge Männer traten forscher, härter auf als die Studierenden an der Uni, weniger geschliffen höflich, fragten: « Was ist das hier? Wofür ist das gut? » Es war mehr Neugier, aber auch mehr Unverständnis als auf dem Uni-Gelände. Pikine ist Banlieue, ein ungewöhnlicher Platz für eine Kunstaktion. Als Mittler fungierten die Rapper und HipHoper von Africulturban [6] mit einem eigenen Auftritt im Rahmen des Programms.

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Die Aktion fand auf dem großen sandigen Platz in unmittelbarer Nähe des Kulturzentrums von Pikine statt. An den Tischen beschrieben Partizipanten die Tücher. Ein älterer Passant beäugte misstrauisch das Geschehen. Die ersten Tücher waren: « partir » und « rester ici ».

Bleiben, um das Glück meiner Stadt, Pikine, weiter zu gestalten.

Bleiben, weil ich bei meiner Mutter wohne.

Gehen, um woanders Arbeit zu finden. Hier ist es sehr hart. Hier ist keine Arbeit.

Das Theater von TAM greift genau diesen Gedanken auf und beschreibt: Doch, es gibt Arbeit. Man kann sie sich selbst schaffen!

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Manche Befragten wollten nicht mitmachen, weil sie einfach gar keine Meinung haben. Sie wissen nicht, ob sie bleiben, gehen oder in ihre Dörfer zurückkehren wollen. Sie haben sich diese Frage noch nie gestellt! Andere überlegten, ob schon das Mitmachen bei der Aktion eine Art Vorstufe zu einem Visum für Europa sei. Denn besser redet dann man den Helfern des Department nach dem Mund – sagt, was man glaubt, dass sie es hören wollen. Allgemein herrschte doch Verwunderung: Warum wollt ihr unsere Meinung wissen? Warum habt ihr für die Befragung Pikine gewählt und nicht einen anderen Ort? Und doch bedankten die Menschen sich, nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Denn die Machteliten stellen nicht die unbequemen Fragen nach dem Volkswohl, und jede Kritik empfinden sie als destruktiv.

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Ein freundlicher, aber magerer schlecht gekleideter Mann hatte « partir » gewählt, hielt den Flugzettel für die Aktion in der Hand, blickte darauf; er konnte es nicht lesen. Er diktierte Wolof, und eine Helferin verschriftlichte französisch:

Ich will gehen, weil ich glaube, dass es, was die Arbeit betrifft, in Europa besser ist. Ich will meinen Eltern helfen, meiner Familie. Ich bin bereit, in eine Piroge zu steigen und heimlich nach Europa gelangen. Früher habe ich an so etwas noch nicht gedacht, jetzt schon. Ich habe keine Hoffnung mehr.

Ein junges Mädchen schrieb: « Ich will gehen, neue Kulturen und Horizonte entdecken ». Eine andere begründete ihr « bleiben »:

Ich will nicht weit von meiner Familie sein.

Ein Herr in orangem Hemd, er trug eine beeindruckende goldene Uhr, will gehen.

Die Verantwortlichen denken an nichts anderes als an sich selbst!

20, 30 Jahre wird es seiner Meinung nach noch dauern, bis sich hier im Senegal – oder auch in Côte d'Ivoire, in Togo oder in Kamerun – eine demokratische Gesellschaft entwickeln kann. Noch gibt es zu viele Analphabeten. Ghana, ja, das sei ein Vorbild.

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Zwei Jungs wollen Fußballstars werden, einer indem er bleibt, einer indem er geht. Jemand will in sein Dorf zurück, weil das Leben dort einfacher ist. Auch die Politik unterstützt die Dörfer, der neue Präsident Macky Sall will die Landwirtschaft, die Dörfer modernisieren. Aber 'Das letzte Dorf' scheint bestätigt: von 256 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Uni wählten nur 12 « retourner », 141 wollen weggehen, « partir ailleurs » und 103 bleiben, « rester ici ». In Pikine nahmen 252 Personen teil. Von ihnen wollen 15 zurückkehren, « retourner", 116 bleiben, « rester ici » und 123 gehen, « partir ».

Das Department hat die Bürger zu Demonstranten gemacht und – mittels Hunderter Tücher – im wörtlichen Sinn ein 'Meinungsbild' geschaffen.

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Bilder: © Department für öffentliche Erscheinungen, http://www.department-online.de/



[2] Die Stadt Pikine liegt unmittelbar östlich von Dakar. Weitere Informationen über die Stadt unter: http://www.ruaf.org/node/500 (10.05.2013)

[3] Als Standard-Entsprechung für teranga wird in Wörterbüchern üblicherweise 'Gastfreundschaft' (hospitalité) angegeben.

[5] Dans la lignée de la célèbre troupe STOMP, TAM créé un véritable spectacle musical en mêlant les voix et les rythmes créés par des métiers traditionnels aux sons et mouvements modernes de break-dancers et de rappeurs. http://www.ifdakar.org/Tambours-battants.html (10.05.2013)

[6] L’association Africulturban a été fondée en février 2006 par Matador du groupe de rap Wa Bmg 44 de Thiaroye au moment des inondations des banlieues dakaroises. Son action première fut de venir en aide aux populations via l’organisation de concerts de solidarité pour les victimes. En créant un contexte favorable pour les jeunes désireux d’apprendre et de se former à l’action culturelle, Aujourd’hui l’association est un cadre propice à la création musicale, à l’organisation de festivals et à la formation professionnelle. Réseau de consultation et d’orientation oeuvrant contre la précarisation et l’isolement des artistes et des opérateurs.

Africulturban se définit en tant que structure d’encadrement et de suivi de projets vers laquelle convergent de très nombreux acteurs du mouvement Hiphop africain. Depuis sa création, Africulturban promeut avant tout ce qui touche à la culture urbaine. Son objectif est de développer de diffuser et de promouvoir le mouvement Hiphop dans son ensemble au travers de multiples activités – concerts, expositions, ateliers de formation, festivals, performances, rencontres professionnelles – couvrant toutes les disciplines artistiques représentées dans le Hip-hop: Breakdance, Mcing, Djing, Rap, Slam, Graffiti et Urban wear. Dans le courant 2009-2010 l’association Africulturban élargit ses bases avec des membres vivant à Nouakchott à Conakry à Banjul.Aujourd’hui Africulturban a noué des partenariats en Belgique avec l’ASBL Lezarts Urbains.
( http://africulturban.org/africulturban/ . 10.05.2013)

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