Home / Archive / 2011 / Jean-Luc Vellut [Hg.] 2005. La mémoire du Congo. Le temps colonial.
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1. Eine kurze Vorgeschichte: Der Weg zum Buch

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Brüssel – Tervuren im Sommer 2011. Im Königlichen Museum für Zentralafrika am Rande der belgischen Hauptstadt herrscht Alltagsbetrieb: Schulklassen, Reisegruppen und Einzelbesucher tummeln sich zwischen afrikanischen Masken, traditionellen Jagdgeräten und ausgestopften Tieren.

Mich interessiert die Kolonialzeit. Im Vergleich zur imposanten Größe des Schlosses nimmt die Thematik nur wenig Platz ein. Dem Besucher der drei Ausstellungsräume erläutert eine erste Informationstafel CONGO: Le temps colonial unter anderem dies: « L’histoire que nous exposons […] est une histoire vécue différemment, mais partagée par les Belges et les Congolais,… » Die Betonung einer unterschiedlich ge- und erlebten aber geteilten Geschichte suggeriert, als habe die Vergangenheit wie ein höheres Schicksal beide Völker - Seite an Seite - miteinander verbunden, wenn auch auf ihre jeweils spezifische Art und Weise. Spiegelt diese Verhältnisbestimmung wirklich belgisch-kongolesische Realitäten zur Kolonialzeit wieder? – Ich bin neugierig geworden.

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Die Exponate sind zum Teil Reste einer umfangreicheren Sonderausstellung, die vor sechs Jahren rund 140.000 Besucher angezogen hatte. Glücklicherweise ist im Museumshop (sic!) noch der Begleitband zur gleichnamigen Exposition erhältlich: La mémoire du Congo. Le temps colonial .

Die Sonderausstellung vom 4.2. bis zum 9.10.2005 war nicht vom Himmel gefallen. Im Jahr 1998 wird die Kolonialgeschichte des Kongo so vehement wie nie zuvor in das Licht der Öffentlichkeit gerückt: Der US-amerikanische Journalist Adam Hochschild macht in seinem Buch King Leopold’s Ghost. A Story of Greed, Terror and Heroism in Colonial Africa  [1] das Ausmaß der Gräueltaten, die unter der Herrschaft des belgischen Königs Leopold II und danach geschehen waren, einem breiten Leserpublikum zugänglich. Zwei Jahre später erscheint der Film Lumumba von Raoul Peck, der die erschütternden Ereignisse der Jahre 1959/60 im Kongo nachzeichnet und in Europa, vor allem aber in den USA und in Afrika auf ein höchst positives Echo und hohe Zuschauerzahlen stößt. Im selben Jahr deckt der belgische Soziologe Ludo De Witte die Verstrickungen seines Heimatlandes in der Ermordung Lumumbas auf. Die Regierung in Brüssel setzt daraufhin eine parlamentarische Untersuchungskommission ein – und das Königliche Museum für Zentralafrika beginnt, eine Sonderausstellung mitsamt Begleitband vorzubereiten.

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Der Sammelband La mémoire du Congo. Le temps colonial präsentiert sich als ein großes Mosaikgemälde verschiedenster Einzelstücke. Dabei gliedert sich das Werk nach einer wegweisenden Einleitung von Jean-Luc Vellut in drei Hauptteile: Sechs 'Anfragen' (Interpellations) beleuchten zum Auftakt zentrale Referenzpunkte (belgisch-)kongolesischer Geschichte.

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Der zweite Hauptteil 'Wegrouten' (Itinéraires) setzt sich aus sechs Themenkreisen zusammen: 'Mächte' (Pouvoirs), in dem es in vier Beiträgen um Machtausübung im Kongo geht; 'Geschäfte' (Transactions) behandelt in fünf Artikeln Fragen von Wirtschaft und Infrastruktur des Kongo; der Bereich 'Begegnungen' (Rencontres) analysiert in vier Aufsätzen das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen im Kongo; das Themenfeld 'Wissen' (Savoir) bündelt vier Aufsätze zu Medizin, Kartographie sowie Flora und Fauna; mit Vorstellungen des Kongo in Belgien befassen sich fünf Beiträge, die unter der Sparte 'Darstellungen' (Représentations) gruppiert sind; in vier weiteren Artikeln werden schließlich Fragen zur 'Die Zeit danach' (Le temps après), das heißt nach 1960 aufgeworfen und zu beantworten versucht.

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Der dritte Hauptteil zeichnet in sechs 'Lebensbildern' (Portraits) die Erfahrungen von afrikanischen und europäischen Männern nach, deren Biographie entscheidend von den Umständen im Kolonialreich bestimmt wurde; im zweiten Teil kommen abschließend 'Bekannte und unbekannte Akteure' (Acteurs connus et inconnus) aus dem ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts selbst zu Wort.

Aus der Fülle von Beiträgen sollen im Folgenden vier genauer analysiert werden.

2. Einige Beiträge näher beleuchtet

2.1. Jean-Luc Vellut: Regards sur le temps colonial (11-21)

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Als Projektleiter der Ausstellung und gleichzeitig Herausgebeber des zu besprechenden Sammelbandes gibt Vellut in seiner Einleitung die intendierte Lesart von Le mémoire du Congo vor. Sein Ziel ist eine historisch korrekte, gar objektive Darstellung der Kolonialzeit, befreit von « ces mythes qui charrient les vulgates coloniales et anticoloniales en Belgique » (15). Schnell wird deutlich, dass er dabei jene Sichtweisen vor Augen hat, die das Handeln Belgiens und vor allem Leopold II anklagen.

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So greift er die Rede vom 'Genozid am kongolesischen Volk' auf, um sie sogleich mit dem Hinweis auf die geringe Anzahl von Europäern in den Kautschuk-Gebieten wieder zu verwerfen. In der Tat ist der Begriff 'Genozid' fehl am Platz – er wurde in der wissenschaftlichen Literatur auch nie verwendet - jedoch liegt nachweislich ein millionenfaches Sterben aufgrund von Gewalteinwirkungen verschiedenster Art vor. Dabei hat sich die « poignée d’Européens » (16) die Hände freilich nicht schmutzig gemacht. Zum Töten reicht auch eine kleine Administration, die ihre Helfershelfer hat. Schreibtischtäter eben.

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Weiterhin stellt Vellut die Frage, warum der König an der Liverpool School of Tropical Medicine Forschungen zur Schlafkrankheit subventioniert habe « sinon pour éviter que la population soit décimée par les épidémies » (16). Christliche Nächstenliebe, selbstloses Mitleid? – Wohl kaum. Nur allzu deutlich treten heute die Verflechtungen von Tropenmedizin und wirtschaftlichen Interessen der Kolonialpolitik zutage: "« Schwarze Arme, weiße Köpfe » lautete das Motto, unter dem sich die Medizin in den Dienst der kolonialen « Menschenökonomie » stellte.“ (Eckart 1997: Vorwort). Wenn überhaupt konnten nur gesunde Männer und Frauen die Vorgaben zur Kautschuk-Ernte erfüllen, auch wenn sich ihre Arbeitskraft schnell verschliss. Und nicht zuletzt: Auch belgische Verwaltungsbeamte und Militärs konnten von der Tse-Tse-Fliege gestochen werden.

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Die Ehrenrettung Leopolds II setzt sich fort: Der belgische König habe sich an der Kolonie nicht persönlich bereichert, sondern « il a consacré le surplus de ses gains à des investissements publics en Belgique et non à la fortune de ses descendants » (16). Es stimmt: Das Kolonialmuseum Tervuren, der Triumphbogen im Jubelpark, die prächtigen Gewächshäuser des Schlosses Laeken, alle sie sind bezahlt mit Geldern aus dem Kongo-Geschäft. Aber ob hier der Zweck die Mittel heiligt?

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Und Vellut geht noch weiter: « Non, le Congo n’était pas une 'propriété privée' » (17) des Königs. Es stimmt: Juristisch gesehen war die Association Internationale du Congo Herrscherin über den 'Etat Indépendant du Congo'. Doch in Wirklichkeit war sie "lediglich ein Firmenschild für ihren Protagonisten" (Kinet 2006:16). Zudem wird die Aussage Velluts in mehreren Beiträgen desselben Sammelbandes widerlegt, so zum Beispiel bei Ellis: "La violence dans l’histoire de l’Afrique": « En 1885, le Parlement belge avait reconnu au roi le pouvoir d’exercer son autorité à titre personnel. » (41) Und Young spricht in seinem Beitrag "L’époque colonial au Congo: étude comparative" von « le droit de propriété exercé par le seul roi Léopold sous une vague couverture belge » (63).

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Dass Tatsachen, die Vellut 'Mythen' nennt, so nachhaltig Zuspruch und Verbreitung fanden, sei auf die 'implacable caméra' (18) von Alice Harris zurückzuführen. Als Ehefrau eines protestantischen Missionars hatte sie viele Grausamkeiten auf Fotos festgehalten. Vellut stellt eine weitverbreitete Verwendung der Motive zur Stimmungsmache in Europa fest: « Utilisation jamais gratuite, mais toujours intentionnelle, et en particulier au service de causes religieuses et politiques » (18). Aber ließe sich das, was Vellut kritisiert, dagegen nicht gerade positiv sehen? Öffentlichkeit aufrütteln, um - wie man heute sagen würde - Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen. Religiöse und politische Grundsätze – "Der Mensch ist Abbild Gottes" und "Alle Menschen haben die gleiche Würde" – sind in sich nicht schlecht. Und sie galten auch damals schon.

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Kurzum, die Einleitung von Vellut hinterlässt einen leicht bitteren Beigeschmack. Man wird den Verdacht nicht los, dass unter dem Primat einer vermeintlich objektiven Geschichtsschreibung die Ehrenrettung einer Kolonialzeit erfolgen soll. Gespannt blättert man weiter.

2.2. Philippe Marechal: La controverse sur Léopold II et le Congo dans la littérature et les médias. Réflexions critiques (43-49)

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In der folgenden Rubrik Interpellations sticht der vierte Aufsatz "La controverse sur Léopold II et le Congo" von Marechal, Leiter der Historischen Abteilung des Museums, besonders hervor. Deutlicher als die Autoren aller anderen Beiträge reagiert Marechal auf die kritische Öffentlichkeit in Bezug auf die Kolonialzeit. Es verwundert nicht, dass im Mittelpunkt seines Angriffs das schon oben erwähnte Buch Schatten über dem Kongo von Hochschild steht.

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Seine erste Feststellung ist die, dass man nach einer « étude approfondie du livre de Hochschild » zu dem Schluss kommen müsse, dass der Leser nichts Neues aus jener Zeit und Herrschaft erführe: « …en fin de compte pas grand-chose de neuf à ajouter » (43). Aber das hatte Hochschild auch nie behauptet. Letzterer hat aus vielen historischen Dokumenten und späteren Abhandlungen ein Gesamtbild in journalistischem Stil für die breite Öffentlichkeit gezeichnet. Seine Danksagung am Ende des Buches belegt, aus welchem Fundus er geschöpft hat.

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Unmittelbar darauf wirft Marechal Hochschild vor, dass « en habile polémiste, il joue sur des concepts tels que le génocide… » (43). Drei Seiten später jedoch zitiert er aus einem Interview mit Hochschild, in dem eben dieser sagt: « …j’ai délibérément évité le terme 'génocide' dans mon livre » (46). Und in Schatten über dem Kongo schreibt Hochschild ausdrücklich: "Überdies war der Massenmord […] streng genommen kein Völkermord" (320). Selbst wenn in der emotionsgeladenen Debatte der Öffentlichkeit und den Medien immer wieder der Begriff 'Genozid' fällt, so verbietet es doch die wissenschaftliche Redlichkeit, Hochschild eben jene Terminologie vorzuwerfen, die dieser bewusst vermeidet.

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Ein Kapitel in Schatten über dem Kongo hatte seit seinem Erscheinen besonders viel Widerspruch ausgelöst: Eine Bilanz (320-333). An dieser Stelle versucht Hochschild, die Anzahl der direkten und indirekten kongolesischen Opfer zu schätzen und kommt zu dem Schluss, dass "unter Leopolds Herrschaft und in den Jahren danach die Gesamtbevölkerung des Landes um etwa zehn Millionen Menschen geschrumpft wäre" (331). Marechal zitiert ausführlich prominente Kritiker dieser Ziffer, so zum Beispiel Vellut (siehe oben) mit den Worten: « Tout ceci est incontrôlable » (46) und den inzwischen verstorbenen Historiker und Kongo-Experten Jean Stengers. [2] Ob letzterer jedoch überzeugt, wenn das zitierte Interview für die Zeitung Le Soir mit den Worten endet: « S’il y a, aux mains de M. Hochschild, une victime, c’est Léopold II. Je crois pouvoir dire que M. Hochschild n’a pas compris grand-chose à la personnalité du roi » (47), das sei dahingestellt. In jedem Fall fügt sich das Zitat in den Stil mancher Bemerkungen von Marechal ein, die im Grunde die Opfer der Kolonialherrschaft verhöhnen. So spricht Marechal von « la théorie de massacre d’Adam Hochschild » (48). Tausendfache Morde, die Marechal ja nicht bestreitet, sind nun einmal keine 'Theorie'. Richtig ist, dass sich die Schätzungen Hochschilds auf viele unsichere Variable stützen müssen, aber die Dimension der Verbrechen wird mit der Zahl 10.000.000 treffend zum Ausdruck gebracht.

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Der Aufsatz schließt mit einer tendenziell nicht ungerechtfertigten Medienschelte: « [L]es médias accordent souvent plus d’importance à des publications peu fondées qu’à des travaux de recherche scientifique approfondis » (49). Ob aber die suggerierte Gleichung "Hochschild = wenig fundierte Veröffentlichung", "Marechal = gründliche wissenschaftliche Forschung" wirklich überzeugt, bleibt jedem / jeder Leser/in selbst überlassen.

2.3. Crawford Young: L’époque coloniale au Congo : étude comparative (61-68)

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Anders in Aussage und Stil präsentiert sich der Beitrag "L’époque coloniale au Congo: étude comparative" des US-amerikanischen Historikers Young. Er geht der Frage nach, ob und wenn ja, inwiefern sich der belgische Kongo von den übrigen Ländern Afrikas unterschied, die unter französischer, englischer, deutscher oder portugiesischer Kolonialherrschaft standen. Zunächst zeigt Young die großen geschichtlichen Parallelen auf, die nahezu alle afrikanischen Staaten miteinander verbinden. Dann jedoch kommt er auf die höchst interessanten und folgenschweren Eigenheiten des belgischen Regimes zu sprechen, den « variations particulièrement autoritaires » und weiter: « ces particularités sont liées à la nature même de l’Etat belge » (62).

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Da sei zunächst die Alleinherrschaft eines Königs über seinen Privatbesitz zu nennen. Diese Struktur der Machtausübung sei auch im innerimperialistischen Vergleich « inhabituel sinon unique » (63) gewesen. Young spricht in diesem Zusammenhang von den « innombrables atrocités commises pendant l’époque léopoldienne. La violence fut monnaie courante… » (63). Als Referenzwerk für diese Behauptung führt Young das von seinem Kollegen Marechal scharf kritisierte Buch Schatten über dem Kongo von Hochschild an, welches er in der Fußnote zudem positiv hervorhebt.

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Eine höchst interessante Beobachtung ist im Folgenden, wie sich der flämisch-wallonische Konflikt des Mutterlandes in die Kolonie hineinträgt. Auf subtile Art und Weise habe die belgische Zweiteilung die administrative Struktur im Kongo unterlaufen. In der kolonialen Spätzeit sei der Konflikt sogar offen ausgetragen worden bis hin zu der Forderung nach einer flämisch-französischen Zweisprachigkeit des Kongo. In diesem Zusammenhang seien es gerade die Flamen, vor allem ihre katholischen Missionare gewesen, die sich durch « l’engagement dans le développement des langues africaines et […] l’encouragement des cultures ethniques » (65) ausgezeichnet hätten. Schließlich wüssten sie aus eigener Erfahrung, was eine « domination francophone » (65) bedeute.

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Weiterhin bemerkt Young eine außergewöhnlich hohe Dichte europäischer Führungskräfte in der Kolonialverwaltung auch nach mehreren Jahrzehnten belgischer Herrschaft. Berufliche Aufstiegsmöglichkeiten waren kongolesischen Funktionären versperrt. Allein die Kirchen ermöglichten Einheimischen den Aufstieg in Leitungsfunktionen. Die Folgen dieser restriktiven Personalpolitik sollten sich bald zeigen: «  [L]a décolonisation fut particulièrement difficile » (66). Die Unruhen, die den Kongo unmittelbar nach seiner Unabhängigkeit für Jahre erschüttern sollten, basierten auf den « problèmes irrésolus d’exercice du pouvoir post-colonial » (68). Mehrere Beiträge des Sammelbandes werden an späterer Stelle auf eben diese Problematik eingehen. Hier sei lediglich auf ein im Kongo jener Zeit geflügeltes Wort verwiesen, das de Boeck in seinem Aufsatz "Le Congo en quête de nouvelles identités: les évolutions culturelles après l’indépendance" zitiert: « Lorsqu’ils sont partis, les Belges nous ont accordé l’indépendance, mais ils ont aussi jeté à la mer la clé qui ouvrait la porte du développement » (212).

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Als letztes besonderes Belgien-Spezifikum stellt Young heraus, dass die Menschen im 'Mutterland' bis zuletzt « une image triomphaliste de ses propres succès » (66) wahrten. Hierzu liefern vor allem die Artikel von Sabine Cornelis: "Le colonisateur satisfait, ou le Congo représenté en Belgique (1897-1958)" (159-169) und Luc Vints: « D’une évocation discrète au triomphalisme de la Missa Luba. Les missions catholiques du Congo aux expositions universelles de 1897 et 1958 » (173-179) vertiefende Einsichten.

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Trotz aller belgischer Besonderheiten kommt Young zu dem Schluss, dass es nicht so sehr « la singularité du modèle colonial belge » war, die die nachkoloniale Entwicklung im Kongo bestimmte, sondern vor allem « les caractéristiques communes de la colonisation en Afrique […]: un pouvoir autocratique […] une phase de déclin […] une crise majeur […] la recherche opiniâtre […] d’une renaissance » (68).

2.4. Gauthier de Villers: Les convulsions d’une nouvelle histoire (191-197)

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Den Auftakt der Beiträge zum Themenkreis "Le temps après" bildet der Aufsatz "Les convulsions d’une nouvelle histoire" des belgischen Soziologen de Villers. Auf gewisse Weise knüpft er an den Artikel von Young an, stimmt diesem auch weitgehend zu, gelangt jedoch zu einer anderen Schlussfolgerung: « Cependant, la décolonisation du Congo fut bien, quant à elle, singulière » (191). Von dieser These aus zeichnet er in groben Strichen die Geschichte der Unabhängigkeit des Kongo bis zur Gegenwart nach. Das Verblüffende: Nicht einmal wird auf die Vereinten Nationen, die USA, die Sowjetunion, und Frankreich Bezug genommen, selbst nicht einmal auf Belgien. Lediglich der Fall der Berliner Mauer, der « une situation internationale bouleversée » (195) hervorgerufen habe, sowie die « coalition régionale emmenée par le Rwanda bouleversée » (196) im Zusammenhang mit dem Sturz Mobutus sind eine Randnotiz wert. Alle anderen Ereignisse werden als innerkongolesische beziehungsweise innerzairische Entwicklungen dargestellt. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, ob man der jüngeren Historie des Kongo-Zaïre wirklich gerecht wird, wenn man sie ohne Berücksichtigung des Kalten Krieges und der Globalisierung schreibt. De Villers ist zuzustimmen, wenn er über das Heute diagnostiziert: « …les Congolais sont laissés à eux mêmes » (196), insofern es um die Bewältigung des Alltags geht. Wenn es um die Reichtümer des Landes geht, sicher nicht.

3. Versuch einer Bilanz

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La mémoire du Congo ist ein außerordentlich anregender Sammelband. Auch sechs Jahre nach seinem Erscheinen sind seine Aufsätze keinesfalls veraltet. Jeder von ihnen reizt zur weiteren Vertiefung der aufgeworfenen Thematik, sei es, weil der / die Leser/in neugierig geworden ist, sei es, weil er / sie sich bestätigt oder herausgefordert fühlt. Eine weitere Stärke des Werkes liegt in der reichen und großformatigen Bebilderung eines jeden Beitrags. Dabei finden viele historische Aufnahmen aus der Kolonialzeit ebenso Eingang in das Buch wie zahlreiche « peintures populaires » zeitgenössischer kongolesischer Künstler.

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Zurück zum Ausgangspunkt dieser Rezension, dem Königlichen Museum für Zentralafrika in Tervuren. Wer sich nach einer anstrengenden, vielleicht auch aufwühlenden Museumstour einen Kaffee in der schlosseigenen Cafeteria gönnt, wird seinen Blick unwillkürlich in den Innenhof werfen: Wieder Leopold II. In Stein, Gips oder Ölfarbe wird man ihm an diesem Tag mehrfach begegnet sein. Ihm, jenem Monarchen, der einmal, angesprochen auf die Gräueltaten in seinem Kongo, einem Bischof antwortete:

"Zweifellos ist das alles bedauerlich, Monsignore, sehr bedauerlich sogar, aber man kann kein großes Werk vollenden, ohne auch Böses zu tun. Wenn man eine Kathedrale erbaut, gibt es natürlich auch während der Bauzeit viele bedauerliche Vorfälle. Ungerechtigkeiten, Unfälle, Unstimmigkeiten und gelegentliche wilde Kämpfe lassen sich nicht vermeiden. Man wird Beschimpfungen und Flüche hören, aber am Ende steht dann doch das Werk – zum Ruhme Gottes und zur Errettung der Seelen. Genau so ist es im Kongo.“ (zitiert bei Italiander 1964: 270).

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Bleibt zu hoffen, dass das Museum endgültig mit dem Geist seines Gründers brechen wird, um wirklich ein « lieu de rencontre et centre d’études axés sur la collaboration interculturelle » (5) zu werden, wie sein Direktor Guido Gryssels im Vorwort des Bandes sagt.

Literaturangaben

Hochschild, Adam 1998

King Leopold's Ghost: A Story of Greed, Terror, and Heroism in Colonial Africa. Boston: Houghton-Mifflin. (deutsche Übersetzung Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines der größten, fast vergessenen Menschheitsverbrechen. 2009, 8. Auflage. Stuttgart: Klett-Cotta

Eckart, Wolfgang U.1997

Medizin und Kolonialimperialismus. Deutschland 1884-1945. Paderborn: Ferdinand Schöningh

Italiaander, Rolf 1964

König Leopolds Kongo. Dokumente und Pamphlete von Mark Twain, Edmund D. Morel, Roger Casement. München: Rütten & Löning

Kinet, Ruth 2006

'Das Unternehmen Kongo.' In: Der Fischer Weltalmanach aktuell. Afrika. Frankfurt am Main: Fischer



[1] Die deutsche Ausgabe erschien im Jahre 2000.

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