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Johann Gottlieb Christaller an Bruder Inspektor Schott:

Betr. Kontroverse zwischen Martha und Frl. Scholtz, Insp. Schott wird eingeschaltet, es handelt sich hier um ein Konzept

(Schorndorf, 31. Dez. 1879)

M3,79 G C 4

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Theuerster Bruder Inspector!

[...] Welche Überwindung es mich kostet, mit Du u als Bruder anzureden, davon ein andermal. Ich fühle mich trotz des sogar um weniges höheren Alters meinem Inspector gegenüber noch immer wie ein junger Mensch von 20 Jahren, außer in dem Handlanger Dienst, den ich der Mission noch thun darf, obwo(h)l auch da die Einbildung oder Überhebung reichlich gewahrt ist.

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Heute bin ich besonders gedrückt. Mein Erstgeborener ist mit seiner Erkenntnißtheorie auch jetzt im letzten Universitätsjahr noch nicht fertig, weiß noch nicht, ob es einen persönlichen Gott, noch weniger, ob es eine Fortdauer nach dem Tod gibt, ist aber für seine Person mit der Ästhetik an Stelle der Religion zufrieden. Statt Prediger zu werden, denkt er (daran,) etwa Stunden zu geben, er brauche ja wenig. Mein Ernst nimmt die Sache trüber u ist nur unglücklicher u unbefriedigter, aber ebenso unglaubig u gebetslos.

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Mein 2ter u 4ter Sohn machen mir umso mehr Freude, ebenso meine Martha, eine bis daher kindliche innige fröhliche Seele, fröhlich in ihrem Gott, bis sie unter die Willkürherrschaft von Frl. Scholtz kam, die sie doch mehr als irgendwen von den Schülerinnen gelobt hatte u deren Liebling auch sie gewesen war. - Meiner armen Martha halber schreibe ich diese Zeilen u bitte Dich, dringend, laß sie alsbald rufen u bringe sie irgendwo unter, wo sie sich in freundlicher Weise ausweinen u einen Trost finden kann. [...]

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Ich marterte mich ab mit Vorstellungen, welchen Handel es bei einem solchen Pulverfaß wie Frl. Sch(oltz) absetzen könnte am Altjahresabend. [...] Dann dachte ich wieder, vielleicht ist es nicht so übel, wenn die heuchlerische Neujahrshuldigung(en), die sie wird darbringen lassen, abgeschnitten werden u einmal muß doch in dieses hot-bed - dt. Mistbeet - der Heuchelei Gottes Frühlingsluft gelassen werden, wenn auch erst der Hagel die Scheiben zertrümmern muß.

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Frl. Scholtz ist mir das größte psychologische Räthsel u auch meiner Martha. Beten könne sie, Schriftauslegen trotz einem Pfarrer sehr oft, wie eine Prophetin, manchmal freilich eher wie ein wahrsagender Fetischpriester. Aber wenn sie dem Geist Gottes Raum gäbe im eigenen Herzen, könnte sie dann, wie mir Martha im September mündlich klagte, ihren jetzigen Inspector durch hämische Bemerkungen vor ihren untergebenen Kindern heruntersetzen u ihnen den Genuß von ihrem Missions- u Erbauungsgeist verbittern?

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Wegen meiner Tochter Martha, seit März 1879 Gehilfin der Vorsteherin des Missionsmädchenhauses Frl. Scholtz, habe ich an diese am 30. Dec. geschrieben, sie möchte dieselbe mit Neujahr aus dem bezahlten Dienst der Mission ausgetreten ansehen. Meine Tochter solle ferner thun, was sie bisher zu thun hatte, aber vom 1. Jan. keinen Gehalt mehr beziehen u sobald als thunlich zu mir zurückkehren.

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Die Gründe und Umstände (sie solle nicht etwa kündigen, weil sie ihrer Arbeit nicht gewachsen sei, sondern weil sie nicht mehr länger aushalten könne), nun sind ohne daß ich u noch weniger meine Tochter es beabsichtigten, meine Schreiben der Anlaß geworden, daß Frl. Scholtz um ihre Entlassung gebeten hat.

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Ich erkläre hiemit, daß ich keineswegs auf dem Heimkommen meiner Tochter bestehe, u sie gerne in ihrer Stellung belasse, wenn sie selbst bleiben will u kann u darf. Für dieses Vierteljahr wird man ja doch keine neue Gehilfin anstellen.

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Wenn bei Neubesetzung der Stellung ihre Dienste noch länger etwa für die Zeit des Übergangs angelegt sein sollen, so werde ich auch da nicht im Wege stehen u ob sie nun vom 1. Jan an noch ihren Gehalt beziehen oder ohne Gehalt dienen soll, überlasse ich dem Ermessen der Kinder-Erziehungs-Committee. Da Martha seit 27. Januar 1880 volljährig ist u über ihren Verdienst selbst verfügen kann, werde ich umso weniger dagegen sein, wenn sie fernerhin gegen ein etwa verminderten Gehalt weiter ihre Dienste leistet. Sollte aber für gut befunden werden, daß sie bälder austritt, so steht ihr die Rückkehr in das elterliche Haus jederzeit offen.

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