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Johann Gottlieb Christaller an Mutter und Schwestern

(Basel, 18./ 19. Febr. 1849)

M3,49 G C 2

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Geliebte Mutter u Schwestern!

Gott gebe Euch viel Gnade u Frieden durch die Erkenntniß Gottes u Jesu Christi unseres Herrn! 2. Petr. 1,2.

Heute Vormittag, von der Kirche zurückgekommen, nahm ich alle Eure Briefe vor u las sie wieder durch; ich bin ja seit Euren von mir bereits beantworteten Briefen vom Januar, am letzten Mittwoch durch einen neuen von der lb Gottliebin erfreut worden. Ich habe nun schon 23 Seiten von Euch u darin viele reiche Segenswünsche, viele Beweise Eurer Liebe gegen mich. Möchten doch die biblischen Segenswünsche insbesondere auch ihre ganze Fülle u Reichhaltigkeit an mir in Erfüllung gehen, wenn auch nicht so schnell u auf einmal, doch nach u nach.

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Die beiden Psalmen, welche mir die lb Gottliebin zum neuen Jahr zugeeignet hat, der 25. u. 34. sind mir recht lieb u wichtig, es finden sich eben nirgends so köstliche u so ansprechende Worte für die Zustände des inneren Menschen als im Worte Gottes, an diesem hat die Menschheit wahrhaftig den größten Schatz. Aber wie groß ist unser Verderben, unsere Gebundenheit durch das Irdische, da dieses Wort, durch den Geist Gottes erzeugt u daher selbst geistig, seine umschaffende, belebende u heiligende Kraft so wenig an unserm Herzen beweisen kann!

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19. Febr. Gestern war's wieder bald aus mit dem Briefschreiben, heute abend finde ich noch eine halbe Stunde. Ich war gestern Nachmittag mit dem Schweden Br. Wellander aus Stockholm u Br. Michael, dem Armenier auf der Chrischona, wohin ich seit dem Empfang Eurer ersten Briefe nicht mehr gekommen war oder genauer seit 26. Nov. v.J.; am letzten Sonntag hatte Hr Caplan Schlienz, da 3 von uns Brüdern droben waren, auch nach mir gefragt. Er freute sich, was ich ihm von den Leuten im Armenhaus sagte; er erkundigte sich nach den Männern, die auf die beiden Helferstellen kommen, und nach Euch, u läßt Euch herzlich grüßen. Jeden Nachmittag predigt er in dem Chrischonakirchlein bei 1 1/2 Stunden lang, dabei noch in ungemein rascher u fließender Rede; zwar hat er, zumal Winters wenn die Tage kurz sind (was bei mir Hauptabhaltungsgrund von früheren Besuchen war) wenig Zuhörer, aber die Predigten kommen dann besonders auch den Brüdern daselbst zu gut.

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Vorgedachter Br. Wellander aus Schweden trat am 23. Oct. v.J. in das Missionshaus ein, mußte aber schon nach 14 Tagen wegen Gliederkrankheit ins Spital gebracht werden, wo er, da 2 Finger der rechten Hand solange nicht heilen wollten, zu verweilen hatte, bis er am 3. d.M. endlich bei uns in der Voranstalt eintreten konnte; er spricht jedoch schon gut deutsch (auch französisch und englisch als Kaufmann).

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Mit Br. Wellander kam nach mehrtägigem Aufenthalt im Spital ein anderer Bruder u am Montag darauf kamen noch 2 nach kürzerem Kranksein daselbst wieder in unsere Mitte, so daß seit 5. d.M. unsere Zahl (22) vollständig, gesund beisammen ist, was bis dahin eigentlich noch nicht der Fall gewesen: Seit jener Zeit gibt auch unser wiedergenesener Lehrer Hr Eppler wieder seine Lectionen.

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21. Febr. Ich bin gottlob gesund u wohl u wie freut es mich, daß nach Eurem lb Brief vom 14. d.M. welchen ich nebst der Einschlüsse von Br. Rapp u Merkle heute Mittag gerade noch recht erhalten habe, die lb Mutter auch wieder gesund u ganz wohl ist. Was Ihr von dem neuen Brandunglück u den schlimmen Zuständen in Winnenden schreibt, ist freilich recht betrübend, aber wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet u unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt, darf getrost u zuversichtlich sagen. 'In der Welt habt Ihr Angst', sagt der Heiland, aber über das was nicht in unserer Macht liegt, brauchen wir nicht zu sorgen noch uns zu bekümmern u zu ängsten. In unseren letzten Religionslehrstunden waren wir am ersten Gebot, dessen rechte Erfüllung darin besteht, daß wir Gott über allen Dingen fürchten, lieben und ihm vertrauen. (Es folgt wie üblich gründliche geistliche Exegese über Ps. 50 und die recht Gottesfurcht, denn Gott sei der Urquell alles Guten. Ferner reflektiert er über das Gottvertrauen. Das Sorgen sei mit dem Gottvertrauen schlechthin unverträglich. [...])

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Unsere Sache ist: Beten (zuerst) und arbeiten (betend). Das Übrige, die Folgen, Führungen, Entwicklungen haben wir Ihm zu überlassen u dürfen es getrost wenn wir das Unsere mit kindlicher Sorge ausführen. [...] Werdet nicht unwillig über die in der Vergangenheit liegenden menschlichen Schwachheiten, Verkehrtheiten, Sünden, das ist das der große Trost des Christen, daß all sein Verderbtes völlig gutgemacht ist durch den Versöhner, Erlöser u Wiederbringer. Das laßt uns im Glauben ergreifen.

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