Home / Archive / 2015 / 3.3 Die Tuareg-Rebellion 1990-1996
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1. Einleitung

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In dem vorliegenden Text soll zunächst die Frage bearbeitet werden: Wer sind die Tuareg? Im Anschluss wird der Konfliktverlauf der Tuareg-Rebellion von 1990 - 1996 beschrieben. Dabei werden die Forderungen und die Ursachen, die zur Rebellion führten, dargestellt. Abschließend sollen die diskutierten Aspekte im Hinblick auf den heutigen Konflikt betrachtet werden.

2. Wer sind die Tuareg?

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Die Gruppen, die als Tuareg bezeichnet werden, schätzungsweise 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen, sind in unterschiedlichen voneinander unabhängigen Clans organisiert. Sie leben heute vorwiegend in Mali und Niger, jedoch auch in Burkina Faso, Algerien, Libyen und Nigeria. Diese Verteilung über mehrere Staaten ist auf die postkoloniale Grenzziehung und Staatenbildung zurückzuführen. Das über regionale Unterschiede hinaus verbindende Element zwischen den Gruppen ist die gemeinsame Sprache Tamasheq (Hainzl, 2013:115) und die gemeinsame Religion, der Islam.

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Die Tuareg haben nie ein alle Clans umfassendes Reich gegründet; dennoch kennen sie eine politische Hierarchie zwischen den unterschiedlichen Clans, und vertikal betrachtet ist eine Tuareg-Gruppe in Klassen bzw. Kasten gegliedert (Klute/Lecocq, 2013: 124). Die ökonomische Basis der Tuareg-Gesellschaft war traditionell die Viehzucht, Tätigkeiten in der landwirtschaftlichen Produktion und der Karawanenhandel mit Salz, Textilien und Gebrauchsgegenständen (Care, 2008: 5). Die durch die Entkolonialisierung entstandenen neuen Grenzen sowie katastrophale Dürreperioden in den 70ern und 80ern schränkten diese nomadische Lebensweise jedoch erheblich ein, sodass viele Tuareg-Gemeinschaften ihre traditionelle ökonomische Basis verloren. Zusätzlich blieb den Tuareg die postkolonial entstandene Idee der nationalen Identität weitgehend fremd; sie waren an der Staatsbildung, der Entwicklung eines nationalen Selbstverständisses und dem Aufbau einer nationalen Wirtschaft nicht beteiligt, wodurch sie bis heute am „Rand der Gesellschaft“ leben (Hainzl, 2013: 117), ohne Einfluss auf die politische Entwicklung und die großen Entscheidungen des postkolonialen Staats Mali. [1]

Auch das Bestreben nach Autonomie ist seit langem in den Tuareg-Gemeinschaften verankert. Zunächst spiegelte es sich im Widerstand gegenüber der Fremdherrschaft durch die Kolonialmächte, dann gegenüber der Einbindung in den postkolonialen Staat wider und setzt sich fort im Widerstand gegenüber dem malischen Staat (Klute/Lecocq, 2013: 123ff).

3. Die Rebellion 1990- 1996: Konfliktverlauf, Forderungen, Ursachen

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Im Jahre 1990 wurde erneut die Forderung nach Autonomie laut, als ein Großteil der Tuareg durch die Dürrekatastrophen und die Einschränkungen der nomadischen Lebensweise ihre traditionelle Lebensgrundlage verlor. Dieser Niedergang wurde der diktatorischen Herrschaft des Präsidenten Moussa Traoré zur Last gelegt; dieser habe die wirtschaftliche Entwicklung der Nordregion Malis vernachlässigt und die nomadische Lebensweise der Tuareg nicht respektiert. Die daraus resultierende Unzufriedenheit führte zu einer Rebellion, in der sich die Rebellen in der MPLA („Mouvement Populaire pour la Libération de l’Azawad“) organisierten und gegen den malischen Staat auflehnten (Klute/Lecocq, 2013: 125). [2] Durch einen Angriff auf die Stadt Ménaka wurde die Kampfhandlung eröffnet. Weitere Siege der im Stile der Guerilla-Taktik vorgehenden Rebellen gegenüber der malischen Regierung folgten. Den Gegenangriffen des malischen Militärs fielen viele Zivilisten zum Opfer, wodurch ein Großteil der Zivilbevölkerung mit den Rebellen sympathisierte und sich diesen anschloss.

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Neben den Konflikten im Norden wurde das damalige malische Regime unter Moussa Traoré zusätzlich durch eine demokratische Oppositionsbewegung bedrängt. Um diese Situation zu entschärfen, ging Präsident Traoré am 6. Januar 1991 nach Vermittlung Algeriens im „Friedensvertrag von Tamanrasset“ einen Waffenstillstand mit der MPLA ein, in welchem dem Norden ein Sonderstatus zugesprochen wurde. Unter anderem wurden die drei nördlichen Regionen Kidal, Gao und Timbuktu entmilitarisiert. [3]

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Dieser Erfolg für die Tuareg brachte jedoch die Rebellion zu einem Ende, sondern ließ einen Konflikt über die Annahme des Vertrages oder die Weiterführung der Kämpfe entstehen. Machtkämpfe zwischen den Rebellen über die soziale und politische Rolle einzelner Gruppen zersplitterten die gemeinsame Front. Was folgte, war eine Phase der Zersplitterung und der internen Konflikte (1991-1994). Die vier Hauptgruppierungen, die aus diesen Machtkämpfen um die künftige Organisation der Tuareg und die politischen Ziele des Aufstandes hervorgingen, waren folgende: „Front Populaire pour la Libération de l’Azawad“ (FPLA), „Armée Revolutionnaire pour la Libération de l’Azawad“ (ARLA), „Front Islamique Arabe de l’Azawad“ (FIAA) und der „Mouvement Populaire de l’Azawad“ (MPA). [4]

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Zwischenzeitlich schloss die neue demokratische Regierung nach dem Sturz von Traoré mit Hilfe der Vermittlungsversuche Frankreichs und Mauretaniens ein neues Friedensabkommen mit den Tuareg-Gruppen ('Pacte National'), welches 1992 von den vier Hauptgruppierungen und der Regierung Malis unterzeichnet wurde. [5] Es sah ein Sonderwirtschaftsprogramm für den Norden sowie die Eingliederung der Rebellengruppen in die malischen Streitkräfte vor. Es kam jedoch nie zu einer zufriedenstellenden Umsetzung dieser Programme. Stattdessen setzten sich die internen Machtkämpfe zwischen den Rebellengruppen fort, und es resultierte eine nochmalige Zersplitterung der Aufstandsbewegung (1993-1994). In dieser Zeit der Machtkämpfe kam es zu unterschiedlichen wechselnden Zusammenschlüssen zwischen den konkurrierenden Gruppierungen und auch zwischen den Gruppierungen der Aufständischen und der malischen Armee. 1994 ging die MPA als führende regionale Macht aus diesen Kämpfen hervor. Parallel zu den beschriebenen Unruhen bildeten die in der Konfliktregion sesshaften Songhai eine Selbstverteidigungsmiliz, Ganda Koy (Brüne, 2005: 103), um sich gegenüber Überfällen von ehemaligen Aufständischen, die nicht mehr unter der Kontrolle ihrer Gruppierung handelten, zu schützen. [6]

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Dieser Konfliktsituation waren traditionelle Führungspersönlichkeiten und die Zivilbevölkerung Nordmalis im Jahre 1998 „so überdrüssig geworden, dass [sie] Treffen zur Versöhnung aller ethnischen Gruppen in Nordmali veranlassten“ (Klute/Lecocq, 2013: 129). Aus diesen Treffen ging der Bourem-Pakt hervor, „[...] eine ausschließlich lokale Initiative, jenseits von staatlichen Strukturen oder Aufstandsbewegungen“ (Klute/Lecocq, 2013: 129), auf dessen Basis am 26.3.1996 in Timbuktu in einer feierlichen Zeremonie mit der Bezeichnung „Flamme de la Paix“ Frieden zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen geschlossen wurde. Dieser wurde zwar vereinzelt durch gewalttätige Auseinandersetzungen unterbrochen, z.B. 1997 zwischen Fulbe und Tuareg im Streit um Wasser und Weideland. Er bestand jedoch für beinahe zehn Jahre (Klute/Lecocq, 2013: 127-129).

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Als strukturelle Ursachen des Konflikts lassen sich insgesamt vor allem die politische und ökonomische Marginalisierung der Tuareg festhalten. Den Prozess der politischen Marginalisierung sieht Stefan Brüne in der „[...] postkoloniale[n] Verschiebung des politischen Zentrums“ (Brüne, 2005: 104). Dies bedeutet, dass die politische Macht seit der Unabhängigkeit Malis überwiegend in den Händen sesshafter Ethnien des Südens liegt. Der Prozess der ökonomischen Marginalisierung wird durch die zunehmenden sozialen und ökonomischen Disparitäten zwischen Süd- und Nordmali deutlich, welche zusätzlich durch die Dürrekatastrophen der 1970er und 1980er verstärkt wurden. Auch die staatlichen Versuche, die Nomaden sesshaft zu machen, und damit verbundene Zuweisungen von Weiderechten, welche oftmals für die Tuareg inakzeptabel waren (z.B. Weiderechte in Überschwemmungszonen), trugen zum „Spannungsverhältnis zwischen dem Staat und Nomaden“ bei (Brüne, 2005: 104f).

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Über diese angesprochenen Ursachen hinaus dürfen in der Analyse des Konflikts nicht die Auseinandersetzungen und Machtdynamiken innerhalb der Tuareg-Gesellschaft vernachlässigt werden. So stellte die Unterstützung jugendlicher Tuareg eine große Stütze für den abgeschlossenen Friedensvertrag dar (1995). Diese Unterstützung verdeutlichte dabei einen internen Protest, der sich „gegen die gerontokratische Hierarchie der eigenen Gesellschaft (Chefferie) gerichtet hatte.“ (Brüne, 2005:103)

4. Der Tuareg- Konflikt 1990-1996 und heute

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Die unterschiedlichen Aspekte machen die Komplexität des Konflikts deutlich. Auf der einen Seite lassen sich strukturelle Ursachen feststellen, welche das Spannungsverhältnis zwischen Staat und Tuareg stetig schürten, auf der anderen Seite sieht man jedoch auch parallel zu diesen Ursachen interne Streitigkeiten und Machtdynamiken, welche den Konflikt nochmals verstärkten.

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Man kann somit nicht von dem Tuareg-Konflikt sprechen, welcher ausschließlich die gemeinschaftliche Forderung der Tuareg nach mehr Selbstbestimmung gegenüber dem Staat Mali beschreibt. Vielmehr stellt die Komplexität des Konflikts eine Vielzahl von Zielsetzungen und internen Rivalitäten innerhalb der Tuareg-Gesellschaft dar, welche insbesondere im Zeitraum 1993-1994 die Auflehnung gegenüber dem Staat überschatteten.

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Diese Zersplitterung der Tuareg-Gesellschaft lässt sich mit der Heterogenität des Volkes und der postkolonialen Verteilung bzw. Trennung in unterschiedliche Nationalstaaten in Verbindung setzen. Sie spiegelt sich zusätzlich im heutigen Konflikt wieder, da z.B. einige Tuareg die (von anderen Tuareg-Gruppen) ausgerufene Unabhängigkeit nicht akzeptieren und somit andere Zielsetzungen verfolgen (Scheen, 2013).

Literaturverzeichnis

Boilley, Pierre 1999. 2/2012

' Les Touaregs Kel Adagh. Dépendances et révoltes: du Soudan français au Mali contemporain '. Paris: Karthala

Brüne, Stefan 2005

'Der Tuareg Konflikt: Friedenskonsolidierung durch Entwicklungszusammenarbeit'. In: Engel / Jacobeit / Mehler / Schubert (Hrsg.) Navigieren in der Weltgesellschaft. Festschrift für Rainer Tetzlaff. Münster. 99-111

Care 2008

'Tuareg. Frei im Wandern und im Geist'. CARE Online. http://www.care.de/fileadmin/redaktion/service/downloads/CARE_Tuareg.pdf , (26.11.13)

Hainzl, Gerald 2013

'Die ethnische Dimension des Konflikts in Mali'. In: Hofbauer, Martin / Münch, Philipp (Hrsg.) Mali. Wegweiser zur Geschichte. Paderborn: Schöningh Verlag,111-122

Hofbauer, Martin und Münch, Philip (Hrsg.) 2013

'Mali. Wegweiser zur Geschichte'. Herausgegeben im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Paderborn: Schöningh Verlag, http://www.mgfa-potsdam.de/html/einsatzunterstuetzung/downloads/wegweiserzurgeschichtemali.pdf?PHPSESSID=81c1e6402c930fab90d8f27da763bb28 (20.01.2015)

Klute, Georg / Lecocq, Baz 2013

'Separatistische Bestrebungen der Tuareg in Mali'. In: Hofbauer, Martin / Münch, Philipp (Hrsg.) Mali. Wegweiser zur Geschichte. Paderborn: Schöningh Verlag,123-138

Scheen, Thomas 22.01.2013

'Wut auf die Berufsrevolutionäre'. In: Franfurter Allgemeine Zeitung. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afrika/krieg-in-mali-wut-auf-die-berufsrevolutionaere-12033012.html , (29.11.13)

Schreiber, Wolfgang. 2013.

'Nichtstaatliche bewaffnete lokale und internationale Gruppen in Mali'. In: Hofbauer, Martin / Münch, Philipp (Hrsg.) Mali. Wegweiser zur Geschichte. Paderborn: Schöningh Verlag, 153-166



[1] Der Aspekt der politischen und ökonomischen Marginalisierung wird von Hainzl, 2013:115ff und Brüne, 2005:104f ausführlich dargestellt.

[2] Siehe auch Brüne, 2005:101.

[3] Text: 'Les accords de Tamanrasset', 6.1.1991. Einzelheiten bei: Boilley, 1999: 474-494.

[4] Ausführlichere Darstellungen bei Klute/Lecocq, 2013: 125ff und Brüne, 2005: 102ff.

[5] Text: 'Pacte National', 11.4.1992. Einzelheiten bei: Boilley, 1999: 495-533, vor allem 526-533.

[6] Zur Problematik dieser bewaffneten Auseinandersetzungen von nichtstaatlichen lokalen und internationalen Gruppen siehe Schreiber, 2013: 153-166.

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