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Die durch die Fritz Thyssen-Stiftung geförderte Tagung "5000 Jahre Schrift in Afrika" war die erste wissenschaftliche Veranstaltung, die die Schriften Afrikas in ihrer historischen Tiefe und geographischen Ausdehnung zum Thema hatte. Sie zeichnete sich durch ein hohes wissenschaftliches Niveau aus, da auf ihrem Fachgebiet international anerkannte Spezialisten für die Vorträge gewonnen werden konnten.

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Die Tagung fand vom 27. bis 29. November 2008 an der Universität zu Köln statt. Die erste Vortragsreihe zu Schriften des Unteren und Mittleren Niltals wurde durch Anja Kootz (Köln) mit einem Kurzvortrag zur "Vielschriftigkeit im Alten Ägypten" eingeführt. Darin zeigte sie auf, dass Schriften nicht nur einem Wandel unterliegen und verschiedene Schriften sich gegenseitig ablösen, vielleicht sogar in Konkurrenz zueinander stehen, sondern dass Schriften ebenso komplementär zueinander genutzt werden. Dies wurde bei den folgenden Vorträgen deutlich. In dem Vortragsblock zu den altägyptischen Schriftsystemen hat Jochem Kahl (Berlin) nachweisen können, dass die weit verbreitete Annahme, die Grundprinzipien der Hieroglyphenschrift seien in nur einer Generation entwickelt worden, unzutreffend ist. Vielmehr handelte es sich um einen Arbeitsprozess über einen sehr langen Zeitraum hinweg, der um ca. 3300 v. Chr. seinen Abschluss gefunden hat, so dass nicht von einem Schrifterfinder im Alten Ägypten gesprochen werden kann.

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Ursula Verhoeven-van Elsbergen (Mainz) betonte in ihrem Vortrag, dass die Entwicklung der kursiven Form der ägyptischen Schrift – das Hieratische – in die Anfänge der Schriftentwicklung zurück reicht und somit nicht als bloße Fortentwicklung der Hieroglyphenschrift anzusehen ist. Das Hieratische wurde vielmehr parallel zu den Hieroglyphen genutzt und stellt ein System der Vereinfachung dar, deren Handhabung zeitsparender war.

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Dass der 'ökonomische' Faktor nicht allein die Wahl einer Schrift bestimmte, zeigt nicht nur die Tatsache, dass das Hieratische und die Hieroglyphen parallel für unterschiedliche Zwecke genutzt wurden, sondern dass die Hieroglyphen in der späten Phase des Alten Ägypten (332-31 v. Chr.) sogar noch eine Erweiterung erfahren haben. Françoise Labrique (Köln) machte in ihrem Vortrag über das Ptolemäische das Spiel der Autoren (zumeist Priester) mit Assoziationen über die Hieroglyphen anschaulich. So bietet das Ptolemäische zum Teil verschiedene Informationen auf zwei Ebenen: beispielsweise gibt der in Hieroglyphen geschriebene Name einer Gottheit zum einen den Lautwert des Namens wieder und zum anderen stellt er die Funktion der Gottheit dar. Dies zeigt einmal mehr, dass im Alten Ägypten die Ikonizität der Schrift weiterhin von Bedeutung blieb; die Schrift also gleichzeitig Lautschrift, als auch 'Abbild der Realität' war. Der Verzicht auf die Entwicklung einer Alphabetschrift und das Festhalten an der 'Bigraphie' entsprach demnach einer bewussten Entscheidung.

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Ab dem 4. Jh. v. Chr. bis zur römischen Eroberung herrschten die Ptolemäer über Ägypten und führten aus ihrer makedonischen Heimat die griechische Sprache und Schrift in Ägypten ein. Mark Depauw (Leiden) machte in seinem Vortrag deutlich, dass die Hinterlassenschaften griechischer Schriftstücke aus Ägypten wesentlich umfangreicher sind, als bisher angenommen. Das Griechische war Verwaltungssprache und Verwaltungsschrift, so dass sich die ägyptische Beamtenschicht hiermit vertraut machen musste. Doch finden sich neben administrativen Texten auch literarische und religiöse Texte, deren Autoren in Ägypten ansässige Griechen waren.

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Es können aber auch Ägypter Texte in griechischer Sprache und Schrift verfasst haben. Sebastian Richter (Leipzig) zeichnete die Entwicklung vom Demotischen (ab dem 7. Jh. v. Chr.) zum Koptischen (1. Jh. n. Chr.) nach. Die demotische Schrift stellt eine noch kursivere Form dar, die als 'Geschäftsschrift'’ das Hieratische abgelöst hat. Im Laufe der Zeit finden sich in demotischen Texten Zeichen für Vokale, die aus der Griechischen Schrift entlehnt wurden. Bei den Hieroglyphen, dem Hieratischen und Demotischen handelt es sich um Konsonantenschriften, ein Abjad. Das Koptische – die jüngste Sprach- und Schriftstufe des Altägyptischen – hat schließlich das altägyptische Schriftsystem ganz aufgegeben. Von nun an wird die ägyptische Sprache mittels der griechischen Alphabetschrift aufgezeichnet. Zur Wiedergabe bestimmter Laute der ägyptischen Sprache, die das griechische Alphabet nicht kennt, wurden sechs zusätzliche Buchstaben aus dem Demotischen übernommen.

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Die altägyptische Schrift und Sprache spielte auch im Mittleren Niltal eine Rolle. Die nubischen Königreiche von Kerma, Kusch und Meroe haben mit den Hieroglyphen und dem Demotischen aber nicht ihre eigene Sprache geschrieben, sondern verwandten das Ägyptische. Claude Rilly (Paris) zeigte, dass der Wunsch, die eigene Sprache zu verschriften, nicht zu einer Anpassung der ägyptischen Schrift an die eigene Sprache zur Folge hatte, sondern die Entwicklung eines eigenen Schriftsystems (2. Jh. v. Chr.). Das Meroitische hat zwar das Altägyptische zum Vorbild, weist aber ein gänzlich eigenständiges System auf. Die ältesten Belege zeigen eine Kursivform, die für den Alltagsgebrauch hilfreich war. Erst später finden sich in den Nekropolen Hieroglyphen. Dies zeigt erneut, dass Schrift an sich hier nicht nur einen praktischen, sondern v.a. auch einen normativ-religiösen Charakter aufweist.

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Ebenso wie in Ägypten wurde im Sudan zur Zeit der Christianisierung eine neue Schrift entwickelt. Die Herrscher der großen christlichen Königreiche im Sudan wünschten sich eine eigene Schrift für die Fixierung nubischer Texte. Angelika Jakobi (Bayreuth) stellte die Entwicklung des Altnubischen (ca. 6./7. Jh. n. Chr.) vor, Für die Verschriftung diente die koptische Schrift als Grundlage . Sie wurde durch einige Schriftzeichen aus dem Bestand der meroitischen Kursive ergänzt, damit bestimmte für das Alt-Nubische relevante Laute geschrieben werden konnten.

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Die Abschlussdiskussion hat noch einmal deutlich gemacht, dass die Entstehung von Schrift zumeist multifaktoriell bedingt ist. Hierbei macht es einen großen Unterschied, ob Schrift an sich erfunden wird – wie es für die altägyptischen Hieroglyphen der Fall ist – oder, ob ein neues Schriftsystem entwickelt wird, wobei das Phänomen Schrift bereits bekannt ist. Die Funktionen von Schrift sind aufgrund der Inhalte der Texte, die mit der jeweiligen Schrift geschrieben sind und dem Verwendungszusammenhang recht deutlich. Kontrovers wurde die Ursache für einen Wechsel von Schriftsystemen diskutiert. Spielen eher pragmatische Gründe eine Rolle oder handelt es sich vielmehr um politisch-religiöse Entscheidungen? Für die Entwicklung des Koptischen wird zum einen ins Gespräch gebracht, dass das Griechische die Schrift der Elite des Landes war und somit ohnehin praktiziert wurde. Ferner war es durch das griechische Alphabet erstmals möglich Vokale zu realisieren. Zum anderen ist aber die Nutzung paralleler Schriftsysteme über Jahrtausende problemlos praktiziert worden. So ist eine bewusste Abkehr der christianisierten Ägypter von der Schrift der heidnischen Vorfahren durchaus denkbar. Für den Wechsel vom Meroitischen zum Altnubischen lassen die Forschungsergebnisse darauf schließen, dass in diesem Falle tatsächlich eine solche Ablehnung alter Traditionen die ausschlaggebende Rolle spielte.

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Im zweiten Teil der Vortragsreihe wurde eine Vielfalt weiterer Schriften Afrikas vorgestellt. Eine zeitliche Brücke von den antiken Schriften zu den modernen stellen zum einen die libyco-berberischen Schriften (Axel Fleisch, Helsinki) dar, die oft zusammenfassend als Tifinagh bezeichnet werden, obwohl es sich um deutlich verschiedene Schriftsysteme handelt, und zum anderen die äthiopische Schrift (Manfred Kropp, Mainz). Erstere haben sich fast zweitausend Jahre erhalten, obwohl sie nur in einem sehr begrenzten Rahmen benutzt werden, und letztere ist seit jeher mit einer sehr intensiven Schreibkultur verbunden.

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Die unter der Bezeichnung Ajami zusammengefassten Formen der arabischen Schrift für afrikanische Sprachen sind keineswegs so obsolet, wie es jahrzehntelang in afrikanistischen Lehrveranstaltungen vermittelt wurde. Vielmehr hat sich ihr Gebrauch selbst in Bezug auf Swahili (Ostafrika) bis heute erhalten. Meikal Mumin (Köln) gab einen Überblick über die Verbreitung des Ajami in ganz Afrika sowie über das Wissen um diese Verbreitung. Lameen Souag (London) sprach über besondere Entwicklungen des Ajami in Westafrika. Andreas Wetter stellte das Ajami in Äthiopien vor, wo mit der lateinischen und der äthiopischen Schrift zwei weitere Systeme in Gebrauch sind. Doris Löhr (Leipzig) konnte über die faszinierende Entdeckung von mehrere Jahrhunderte alten Kanuri-Texten in Ajami berichten und darüber, welche Möglichkeiten diese für die historische Linguistik des Kanuri-Kanembu bieten.

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Von besonderem Interesse für die Teilnehmer waren die Vorträge der beiden Schrifterfinder David Wabeladio [1] (Mandombe-Schrift) und Saliyou Mbaye (Wolofschrift Saliwi). Saliwi ist im Prinzip eine 'Nur-Autoren-Schrift', deren Verbreitung niemals geplant war, wurde sie doch, wie auch eine Reihe anderer westafrikanischer Schriften, aus dem Bedürfnis nach einer eigenen, nicht importierten Schrift geschaffen. Die Bedeutung von Mbayes Vortrag ist deshalb als besonders hoch einzuschätzen, weil es über die Motive zur Schaffung und Nutzung solcher Nur-Autoren-Schriften bis dahin keine Informationen gab. Aus ägyptologischer Sicht war der Vortrag darüber hinaus aufschlussreich, weil die phonologisch-grafische Basis der einzelnen Schriftsymbole mit der für die ägyptischen Hieroglyphen, deren Prinzipien dem Autor vor der Tagung nicht bekannt waren, vergleichbar ist. Über die neueren Schriften am Horn von Afrika, Gabaduursi und Osmaniya, die aus politischen Motiven entwickelt wurden, berichtete Mauro Tosco (Neapel).

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Mandombe, zu dessen Schaffung Wabeladio den Auftrag im Traum von Kirchengründer Simon Kimbangu erhalten hat, ist ohne die kimbanguistische Kirche als Infrastruktur kaum denkbar. Auch die Schrift selbst kann durchaus als ein religiöses Phänomen betrachtet werden. Dies wurde während der Tagung besonders deutlich, als ungefähr 30 Anhänger der kimbanguistischen Kirche aus ganz Deutschland nur wegen dieser Schrift und ihres Erfinders anreisten .

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Andrij Rovenchak (Lviv/Ukraine) informierte über die Schaffung von Fonts für afrikanische Schriften. Als guter Kenner dieser Schriften ist er mit der Digitalisierung komplexer Zeichensätze vertraut. [2]

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Mit den beiden Schrifterfindern konnte exemplarisch die Motivation von Schrifterfindung diskutiert werden. Auch hier hat sich die Bedeutung der identitätstiftenden Funktion von Schrift bestätigt, die in der Abschlussdiskussion noch einmal betont wurde. Die Überlebensfähigkeit oraler Tradierung wird von jungen Afrikanern für die heutige Zeit als gering eingeschätzt, so dass eine eigene Schrift auch zur Bewahrung von Kulturgut gewünscht wird.

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Die vergleichende Perspektive afrikanischer Schriftsysteme in Zeit und Raum haben zu neuen interessanten Fragestellungen geführt. Die Diskussionen haben gezeigt, dass v.a. der Aspekt von Schriftwechsel und deren gesellschaftlichen, religiösen und politischen Motivationen ein weiterer wichtiger Ansatz ist, über den Erkenntnisse zu kulturspezifischen Fragestellungen verschiedener Gesellschaften erlangt werden können. Hier werden die Tagungsteilnehmer ihre Forschung intensivieren.



[1] Am 21. Dezember 2011 wurde David Wabeladio als Anerkennung für seine Erfindung der Mandombe-Schrift an der Université de Kinshasa im Beisein des Wissenschaftsministers die Ehrendoktorwürde verliehen.

[2] Er hat inzwischen einen digitalen Zeichensatz für die Mandombe-Schrift entwickelt.

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