Startseite / Archive / 2006 / Andreas E. Eckl 2004. Herrschaft, Macht und Einfluß. Koloniale Interaktionen am Kavango (Nord-Namibia) von 1891 bis 1921.
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2004 rückte die deutsche Kolonialpolitik in Deutsch-Südwestafrika (DSWA), dem heutigen Namibia, in den Fokus der öffentlichen Medien. Es jährte sich der Völkermord an den Herero zum hundertsten Mal. Das Feuilleton großer Tageszeitungen wie der 'Frankfurter Rundschau' (am 10.08.2004) oder der 'Die Zeit' (33/2004) berichteten. Das Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde und das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigten die Ausstellung Namibia - Deutschland: eine geteilte Geschichte. Das Versagen des Deutschen Reiches, seine Machtansprüche in Namibia auf friedliche Art und Weise zu sichern, wurde zum ersten Mal breit thematisiert.

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Eckl wendet sich in seiner Doktorarbeit einer anderen Region von DSWA zu: der Kavango-Region, einem Gebiet, das in der bisherigen Geschichtsschreibung kaum erwähnt wird und das auch heute noch als politisch marginalisiert betrachtet werden kann. Auch hier geht es um "Herrschaft, Macht und Einfluss", so der Titel der Dissertation, um die Mechanismen des Aufbaus und Erhalt der Macht – und um das Scheitern dieser Mechanismen.

Als zeitlichen Rahmen setzt Eckl den Zeitraum von 1891, dem Zeitpunkt der ersten offiziellen Kontakte, und 1921, also sechs Jahre nach Abzug der Deutschen. Diese Erweiterung des Zeitfensters dient dem Vergleich deutscher und britischer Kolonialpolitik und deren unterschiedlichem Umgang mit afrikanischen Herrschern.

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Hier sind wir beim entscheidenden Stichwort. Eckl will nicht nur einen weiteren Beitrag zur deutschen Kolonialgeschichtsschreibung leisten, er will mehr. Er will die Interaktionen zwischen europäischen und afrikanischen Eliten beschreiben: die Machtspiele, die Angriffsversuche auf die Sphäre der Macht und die Abwehrreaktionen einheimischer Herrscher. Seine Studie will ein Teil der afrikanischen Geschichtsschreibung sein. Sein Ziel: Ein Perspektiven-Wechsel von den kolonialisierten Afrikanern als 'Opfer' hin zu selbst bestimmenden Akteuren im Kampf um Macht, Herrschaft und Einfluss. Er will sozusagen die afrikanische Innen-Perspektive einnehmen. Ein interessantes, aber gewagtes Unterfangen angesichts der spärlichen indigenen afrikanischen Quellen.

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Um seine Quellengrundlage aufzustocken, zieht er die Missionierungsversuche am Kavango durch die Oblaten der Unbefleckten Jungfrau in seine Untersuchung mit ein. Er folgt damit der Theorie, dass die Missionierung ein Teil zur Kolonialisierung darstellt und dass missionarische Bemühungen auch unter dem Aspekt von Einflussnahme und Machtpolitik zu betrachten sind. Auf diese Weise erhält er "intimere" Quellen, in Form von Tagebüchern der Missionare, die seine These untermauern, dass die Kavango-Herrscher (Hompa) keine willfährigen Untergebenden oder "Primitive“ waren, sondern Leute, die die Instrumentarien des politischen Handelns sehr wohl beherrschten und die somit Herren des Geschehens waren. In den Kapiteln über die Missionsarbeit zeigt sich die Hilflosigkeit der Europäer, ihre Unwissenheit über die dortigen Verhältnisse und der daraus resultierenden Übervorteilung durch die lokale Bevölkerung am deutlichsten. Das ständige Lamento der Missionare über die Eigennützigkeit der Hompa, über ihre Tricks und "Hinterhältigkeiten", mit dem Ziel sich materielle Vorteile zu verschaffen, verdeutlichen die wahren Machtverhältnisse. Die Missionsstat  [1] ionen wurden von der afrikanischen Bevölkerung als Handelsstationen betrachtet, nicht als Gotteshäuser. Die spärlichen Missionierungserfolge wurden erkauft. Kleidung gegen Kommunion, Waffen gegen Taufe, Nahrung gegen Gottesdienst. In der heutigen Marketingsprache würde man von Incentive-Systemen sprechen. Waren diese „Anreize“ verteilt, brach die Teilnahme an den kirchlichen Aktivitäten zusammen. Der zweifelhafte Erfolg der Missionierungsbemühungen: Nach 10-jähriger Missionstätigkeit wurden gerade 72 Getaufte gezählt.

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Nicht nur den Missionaren misslang es, die "kirchliche“ Herrschaft in dieser Region zu etablieren, auch die Kolonialverwaltung schaffte es zu keinem Zeitpunkt, weltlicher Herr der Region zu werden. Am klarsten zeigt es sich in der Siedlungspolitik der fünf heimischen Ethnien. Der Kavango, namensgebender Fluss der Region, fließt im äußersten Norden des Landes und bildete die Grenze zwischen dem damaligen Portugiesisch-Angola und DSWA. Willkürlich im deutsch-portugiesischen Grenzabkommen von 1886 als Grenze gezogen, stellte er für die Bevölkerung Zentrum und nicht Peripherie ihres Lebensraums dar. Während der Trockenzeit nur wenige Fuß tief, wurde er von der Bevölkerung je nach politischer und ökonomischer Konstellation durchquert. In den Anfangsjahren der Kolonialzeit, insbesondere nach den Herero-Kriegen von 1904 bis 1907, die auch bei den nicht direkt betroffenen Ethnien große Furcht vor den Deutschen ausgelösten, siedelten die Kavango-Völker auf der portugiesischen Seite. Als die Portugiesen in ihrem Gebiet Forts errichteten und Steuern erhoben, zogen die Kavango-Ethnien dann auf die deutsche Seite. In der Folgezeit war die deutsche Kolonialregierung bedacht, die Hompa bei Laune zu halten, um eine erneute Abwanderung gen Norden zu verhindern. Man sah in der Bevölkerung potentielle Arbeitskräfte, die dringend in den Minen des Landesinneren benötigt wurden.

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Der nicht nur geografische Seitenwechsel fiel den Kavango leicht, da es die Deutsche Schutztruppe nicht schaffte, militärisch und politisch präsent zu sein. Erst 1910 wurde eine erste Polizeistation errichtet, die allerdings nur mit wenigen Männern besetzt war und mehr repräsentativen als exekutiven Charakter besaß. Sie entstand aus kolonialem Konkurrenzdenken zu den Portugiesen heraus, weniger aus dem Bestreben, eine Machtbasis zu installieren.

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Resümierend lässt sich feststellen: Die Kavango-Region war während der Kolonialzeit ein Gebiet ohne deutschen Herrschaftsanspruch. Die afrikanischen Eliten zogen weitestgehend die Fäden, waren sich durchaus der weltpolitischen Lage bewusst und beherrschten die Klaviatur des politischen Machtspiels, indem sie Portugiesen und Deutsche gegeneinander ausspielten.

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Andreas Eckl kann seine These von der Interaktion gleichwertiger politischer Gegner detailliert belegen. In mehreren Abschnitten wird die Dissertation allerdings ihrem Anspruch nicht gerecht, Teil der afrikanischen Geschichtsschreibung zu sein. Dafür fehlen authentische afrikanische Quellen. Schriftliche Überlieferungen sind kaum vorhanden, orale Quellen erster Hand aufgrund des verstrichenen Zeitraumes auch nicht. Eckl bewegt sich somit immer auf einer Metaebene der Interpretation europäischer Angaben. Auch wenn er die Zitate und Eintragungen „frustrierter“ Missionare und Kolonialbeamter über die Kavango-Herrscher einer kritischen Analyse unterwirft, sind es immer Aussagen zweiter Hand, die nur einen Teil der Wirklichkeit widerspiegeln. Die Motivationen, Erwartungen und vielleicht auch Ängste der einheimischen Bevölkerungen lassen sich nur ansatzweise deuten. Dennoch verschafft die Arbeit ein erweitertes Verständnis für die politische Interaktion aller beteiligten Interessengruppen zur Kolonialzeit und für die politische Motivation einzelner Akteure.

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Im Detail lässt sich manches kritisieren. Zum Beispiel werden die Missionierungs- und Kolonialisierungsversuche vollkommen unabhängig von einander beschrieben, Kooperationen beider Invasoren nicht behandelt. Zudem verliert Eckl sich häufiger in detailverliebte Situationsbeschreibungen, die der Sache nicht dienen. Ich denke, hier zollt Eckl dem Umstand Tribut, dass es sich bei dieser Arbeit auch um historische Grundlagenforschung eines „vergessenen Gebietes“ handelt. Bis dato war dieses Gebiet ein weißer Fleck auf der historischen Forschungslandkarte. Mit seiner gewand formulierten, Material gesättigten Dissertation hat Eckl diesem Fleck einige farbige Tupfer gegeben.

Quellen:

Deutsches Historisches Museum, Berlin

Namibia - Deutschland: eine geteilte Geschichte, http://www.dhm.de/ausstellungen/namibia/index.html (13.04.2006)

Deutsches Kolonial-Lexikon 1920, Band II, S. 668

'Oblaten der unbefleckten Jungfrau Maria', http://www.stub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/php/suche_db.php?suchname=Oblaten_der_unbefleckten_Jungfrau_Maria (13.04.2006)

De.Wikipedia

'Kavango.' http://de.wikipedia.org/wiki/Kavango (13.04.2006)

Die Zeit Nr. 33, 5.8.2004

'Aufräumen, aufhängen, niederknallen!', von Bartholomäus Grill, http://www.zeit.de/2004/33/Herero-Kurzfassung?page=1 (13.04.2006)



[1] Gebiet auf der namibianischen Seite des Grenzflusses zu Angola, Kavango. Auch Verwaltungsregion. Besteht traditionell aus den fünf "Constituencies": Mbunza, Kwangali, Shambyu, Mbukushu, Gciriku. Hauptstadt ist Rundu. Jeder Constituency (?) steht ein König vor ( Hompa oder bei den Mbukushu der Fumu ). http://de.wikipedia.org/wiki/Kavango (13.04.2006) (de.Wikipedia)

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