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Johann Gottlieb Christaller an Eltern Ziegler:

Christaller wirbt um Verständnis für die neue Situation, auch gibt er Zitate aus Briefen Emiliens weiter

(Aburi, 8. Jan. 1863)

M1, 63 GC 3

<1>

Der Herr mache Euch u mir dieses neu angetretene Jahr von Anfang bis zu Ende oder soviel er uns davon erleben lässet, zu einem Jahre gnädiger Heimsuchung, wie ers für mich angefangen hat zu thun, denn auch unter seinen Gerichten finde ich Gnade, u auch wenn er mich töten will, halte ich nur desto fester an Ihm.

[...] Bis diese Zeilen zu Euch kommen, möget Ihr samt meiner lb Emilie u unseren lb Kindern Schwereres erlebt haben als wir bei unserer Trennung im Juni vorigen Jahres für möglich hielten. Meine lb theure Emilie blickte freilich mit vielem Bangen, dessen Gründe ihr noch nicht alle klar sein konnten, in ihre einsame Zukunft, aber sie schrieb mir am 16. Okt. (s.o. 62/17): 'Durch viel Ringen u Flehen bin ich zu der Gewißheit gekommen u ich werde Ihm noch danken, nicht nur daß Er mir helfen wird, sondern auch dafür, daß Er mir dieses alles zugeschickt hat.'

<2>

Und am 17. Nov.(s.o. 62/20): 'Will Er mich abrufen von dieser Erde, so scheide ich gerne; mein ganzes Leben ist mir ein Rätsel, aber dort wird Licht werden; und wiewohl wird mir dort sein. Gönne mir und traure nicht.' (Letzteres werde ich zwar mein Leben lang thun, aber nicht als einer, der keine Hoffnung hat, u nicht ohne Dank u Lob unter den Thränen, für das was er mir an meinem einzig geliebten Weibe geschenkt u was er in u an mir selber gewirkt hat.) (Sie fährt fort): 'Arbeite, solange es Tag ist, Dir ist ja das Arbeiten beschieden, mir blooß das Leiden, aber der Herr kann nichts versehen.' (17. Nov. 62, 62/20)

<3>

Oh,ich meinte auch schon, anderen sei die Arbeit beschieden u mir mehr da Leiden. Aber durch Leiden wird oft mehr erreicht als durch Wirken, das sehen wir an unserem lb Heiland, das zeigt unter anderem auch das Lied: 'Endlich bricht der heiße Tiegel' (475). Ihr werdet große Ursache finden, mir u vielleicht auch meiner geliebten Emilie zu zürnen, letzterer, weil sie ihr schweres Anliegen solange für sich behielt, u es ist wahr: 'Ich hab Zorn verdienet', heißt es meinerseits: 'Ich hab Dich versühnet', ruft das Lamm vom Kreuz. Oh, ich werde gerne in diesem Erdenleben zuschanden, 'daß ich nichts nach versäumter Buß mich vor den Engeln schämen muß und dann mich alle Menschen sehen mit Schanden in das Feuer gehen.'

<4>

Ach, wie manches Haus wird oder ist gebaut, das nicht feuerbeständig ist. Zu den Worten 1. Kor. 3,11 sagt einer: 'Alles fehlt, wo der Grund fehlt.' Es gibt ein Christentum voll Dunst u Nebel, Gewissen, denen es nie recht wohl ist und die doch nicht mit sich ins Reine kommen; was Wunder dann, wenn man wie eine hangende Mauer oder eine baufällige Wand ist? Und doch gibt es einen Eck- und Grundstein, der allen Stößen u Stürmen trotzt - Christus - aber er muß im Glauben ergriffen sein, sollen wir ihn haben.

<5>

Freilich, ehe man den Grund legt, muß gegraben werden, u da kommt viel Schutt, Sand oder Schlamm heraus, falscher Rost u Selbstbetrug aller Art, Sünde u Greul, die keiner zählen mag - solang nicht das alles ausbricht aus dem Pharisäerherzen, kann auch kein Grund gelegt werden. Einen historischen Christus kann jeder haben, auch einen gemalten oder gedruckten, aber einen lebendigen, der bei uns ist alle Tage, einen solchen, auf dem man fußt und ruft u zu dem man sich versieht im Leben u im Sterben, einen solchen hat nicht jeder. Dazu gehört ein gewaltiger Schlag ins Gewissen u ein Zusammenbrechen aller natürlichen Stützen, soll Christus sein Werk treiben und der Seele zu Hilfe kommen. Stelle sich jeder in das rechte Licht, betend wie David: Erforsche mich Gott u erfahre, wie ich es meine! Und wen die Pfeile Gottes treffen, der wendet sich auch bald an den rechten Helfer. Diese Worte muß ich aus meiner eigenen Erfahrung bestätigen. Trotzdem, daß Menschen mir nicht viel oder nichts gewöhnlich sogenanntes Böses nachsagen werden, oder wo sie es thun, mir leicht unrecht thun, war ich eben auch ein Kind des Zorns von Natur u hatte mir der Herr genug Sünden aufzudecken, ich machte ehe ich nach Basel kam, allerlei Erfahrungen, sehr bittere von meiner Sünde, sehr süße von Jesu Gnade und Labe; ich durchlebte viel von Klagelieder 3 u Ps 46, war aber noch lange nicht fertig, mußte es verschiedentlich in neuer Weise durchleben u immer blieb noch ein dunkler Schutt, Sand und Schlammgrund zurück, aber der Herr ist treu, u wen Er liebhat, den straft u züchtigt Er (Hebr. 12,16, Off. 3,19). Schon lange weiß ich, daß ich bin elend u jämmerlich arm, blind u bloß, aber Er muß immer noch sagen: So sei nun fleißig u thue Buße; siehe, ich stehe vor der Thür u klopfe an; er will das Herz ganz haben u will es rein haben. So danke ich Ihm für Seine Züchtigung auch unter Thränen u gebe mich Ihm dank dem, was Er mir geschenkt hat, aus Gnade oder Ungnade. Ich weiß, daß auch die scheinbare Ungnade ganz von Gnade, Erbarmen, Herrlichkeit verschlungen werden wird. Darum zürnt auch Ihr mir nicht, obwohl ichs verdiene und nicht übel nehmen kann. Nehmet Euch ein Beispiel an mir u gedenkt an das Wort, daß die Gerichte anfangen am Hause Gottes (1. Petr. 4,17, 5,6-8).

<6>

Verzeihet mir alles Schwere u alle Mühe, die ich oder meine lb Frau u Kinder Euch verursacht haben u nehmet meinen innigen Dank für alle Liebe u Treue, die Ihr uns erwiesen habt. Wie Ihr Eure Zimmer (d. i. in Waiblingen) unten verteilt habt, weiß ich nicht einmal, auch nicht, wie Ihr diesen Winter zusammen hauset, auch nicht wie Bertha jetzt ist. Daß die Nachrichten 5 Wochen unterwegs sind u eine Antwort auf meine Fragen in beinahe 11/12 Wochen unterwegs sind, erst kommt, wird mir schwer, aber vor Gott ist das, was für uns weit auseinanderliegt, nur einen Blick, unsere Tage sind, wie die lb Emilie schreibt, in der Hand des Herrn, wenn nur unsere Herzen auch mit Ihm geeint sind alle Tage u Stunden. Wie schön sind doch die Lieder in unserem Gesangbuch [...] Oh, leset auch manchmal solche. Daß Ihr Heimweh bekommt, wie meine lb Emilie u ich; freilich möchte ich sehr gerne noch lange für das Werk unter den Negern arbeiten, u auch meine lb Kleinen sich entwickeln sehen, der Herr wolle sich dieselben für Zeit u Ewigkeit zu eigen machen. Ich bete oft für Euch. Thut auch Ihr für Euren treuen G. Christaller.

<7>

(am Rand:) Ich möchte Euch bitten, meine u meiner lb Emilie Briefe aufzubewahren, um etwa beim Wiedersehen darauf zurückkommen zu können.

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