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Johann Gottlieb Christaller an Emilie aus seinem genußreichen Urlaub

(Dizenbach, 26. Juli 1861)

M3,61 G C 2

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Meine liebe Emilie! Es wird Dich freuen, endlich ein Briefchen von mir zu erhalten u mir tats leid, daß ich Dich warten ließ, doch wirst Du Dirs erklären können, wenn ich nun über die vier Tage, die ich von Dir weg bin, berichte.

Herr Ochsenwirths kleiner Omnibus überholte uns bald, fast leer, Waigles wurde vollends voll, Frau Pfarrer Teichmann u ihre Schwester waren auch drin, um nach Göppingen zu fahren. Vor Cannstatt überholte Waigle wieder Ochsenwirths Fahrkasten, der sich auch gefüllt u noch zwei Mann oben auf dem Bock hatte, u führte uns an den Bahnhof, wo ich Br. Pfrunder sprach u mit Br. Metz nach Obertürkheim fuhr. In Eßlingen stieg ich aus, kam zum Packen des Hausrats, trug die kleine Emilie herum u sang ihr auch.

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Gieng um 11 1/2 auf den Bahnhof zurück u fuhr bis Göppingen. Dort trank ich 1 Sch. Bier, nahm ein Flußbad, besuchte H Dekan, bei dem ich eine Tasse Kaffee trank, dann H Schullehrer Burkhard, der mich um 5 Uhr zu einem Sch. Bier u zum Bahnhof begleitete. (Meine Absicht, über Boll nach Dizenbach zu kommen, ließ sich nicht wohl ausführen.)

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In Geißlingen hatte ich 1/4 Stunde bei meinem Jugendfreunde Pauls Caspart u fuhr dann um 6 Uhr mit der Post hieher. Badwirtschaft u Lamm waren voll, ich hatte schon vorher gehört, daß Br. Hebich eine besondere Wohnung habe, sich auch selbst koche; ich gieng hin u traf ihn schon beim Auskleiden; da es aber nicht anders gieng, mußte er mich eben in dem anstoßenden Zimmerchen, wo ein Bett leer stand, schlafen lassen. Doch hinderte es ihn ein wenig am Einschlafen u er wünschte am folgenden Tag, daß ich ein anderes Unterkommen finden möchte.

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Ich gieng nach Deggingen, besuchte dort den Fischer, der einen taubstummen Sohn in Gmünd hat, fragte im Wirtshaus 'Zum Rad', ob ich da logieren könne. Der Wirt wurde erst um 12 Uhr zurückerwartet, u da ich gehört hatte, H Pfarrer Schick hätte mich gerne bei sich in seinem Zimmer (im Lamm in Dizenbach) gehabt, gieng ich zu diesem zurück u war den übrigen Teil des Vormittags unter viel Genuß von dem lb Mann mit ihm zusammen. Ebenso zu Mittag in der allgemeinen Wirtstafel.

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Und nach dem Essen im Garten. Als ich zu Hebich zurückgieng, war dieser schon fort nach Deggingen; ich hatte nun aber doch das leer gewordene Zimmer gegenüber dem Badstübchen, durch dessen Fenster ich die Linde gegenüber sehe, dem Logieren in Deggingen vorgezogen u gieng deshalb nach Deggingen, um das im Rad-Wirtshaus zu sagen (man hätte mich dort gerne u wohlfeil beherbergt) u Hebich zu treffen. Ich trank auch noch einen Sch. Bier u ging mit Hebich hinauf zur Ave-Maria-Kirche; der Kaplan führte uns hinein, war sehr höflich, schlich sich aber bald ohne Abschied wieder hinaus. 'Die Kerl haben alle kein gutes Gewissen', sagte Hebich. Wir kamen etwas spät heim, u ich holte meine Sachen in mein Zimmer, schreiben konnte ich nicht eher. - Am Do gieng ich eine Stunde nach Gruibingen zur Kirche und wider meine Absicht ins Pfarrhaus, und kam nicht lange vor dem Mittagessen zurück. Um 3 Uhr holte ich Hebich ab, wir giengen wieder ins Rad nach Deggingen zu dem guten Bier, u dann den hohen Berg hinauf, auf den ich 1858 nicht gekommen war; die lange Steige war ein tüchtiges Stück Arbeit für Hebich, dem der Schweiß durch die Hemdsärmel u Rock drangen, aber oben gefiels uns wohl. Wir giengen über die Hochfläche, bis wir den Stuiben u Rechberg sahen, u brauchten von da eine Stunde bis zurück u herunter nach Deggingen.

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Hebich grüßt alle Leute, die seine Stimme erreichen kann, hat besonders an den Kindern seine Freude, die z.T. in den Hemdchen herumlaufen u läßt sich von jedem einen Patsch geben. Er macht aber sonst keinerlei Rumor, sondern freut sich der schönen Umgebung, der reinen Luft, wie er sie, seit er in Europa ist, nie gehabt, der reifenden Kornfelder u dergl. u ich mit. Morgens ist er zeitig beim Wassertrinken, den VM badet er oder ist sonst in ungestörter Ruhe u Stille, ebenso den übrigen Teil des Tages, ausgenommen den Spaziergang mit mir. [...] (über Besuche und Besucher.) [...]

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Ich möchte gerne wissen, wie es bei Euch geht. Werde nur in allem recht ruhig u gelassen, nimm gleich den lb Heiland zu Hilfe und ziehe seinen Sinn an, laß Dir recht viel von der Liebe schenken, von der es heißt: Sie ist langmütig u freundlich [...]

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Soweit war ich, als es zum Mittagessen läutete. Das Essen schmeckt mir, ist geradeso wie 1858, nur wahrscheinlich theurer. Nach dem Essen bildete sich im Garten eine Kegelpartie, wie sie H Pf S. vorgestern schon zustande gebracht hatte. Auch Frauen nahmen daran theil (Du wirst Dich der hängenden Kugel erinnern), man kann höchstens 1 Kr verspielen, den der Kegelbube bekommt. Da aber die Winde Regenwolken herführten von Wiesensteig her, u es nicht so heiß war, kam bald Hebich u rief mir zum Spazierengehen; den buschigen Weg an dem Abhang der Alb zwischen Dizenbach u Deggingen hinan war es sehr schön, doch kam bald der Regen, der uns jedoch nicht hinderte, vollends auf der Steige hinaufzugehen bis zu dem Schafhaus, wo wir mit Cooney's seinerzeit jene Milchschüsselchen geleert hatten; auf der Alb droben windete es aber u wir giengen gleich wieder die Fahrstraße zurück hinab nach Dettingen u zurück nach Dizenbach. [...] Säume nicht, wenns etwas gibt, mir zu schreiben, wenn Du auch nicht viel schreiben kannst, in meinem Tischschublädchen sind 2 Groschenmarken und Briefumschläge. Meinen Zimmerschlüssel hatte ich in der Tasche.

Nun leb wohl, auf Wiedersehen, grüße u küsse die lb Kinder von mir u erzähle ihnen, was Du weißt. Die lb Bertha grüße ich herzlich, besonders aber grüßt Dich u befiehlt Dich mit allen Sorgen u Anliegen in des Herrn Hand Dein treu liebender G. Christaller.

In meinem Schreibpult in den grauen dicken Bogen ist Schreib- und Postpapier.

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