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Johann Gottlieb Christaller an Joseph Josenhans:

literarische Arbeitsprobleme des Missionars im Urlaub

(Winnenden, 16. Nov. 1860)

BM: BV 357 I 21 und M3,60 G C 4

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Geehrtester Herr Inspector! Am 23. October kamen wir wohlbehalten hier an; wir hatten die freundliche Durchhilfe Gottes auf der Reise, besonders hinsichtlich der Kleinen sachlich erfahren dürfen. Während der ersten 14 Tage gab die neue Einrichtung usw Allerlei zu thun, ich war auch etliche Tage abwesend.

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Seit 24. October besuchte ich mit Hrn Obermedicinalrath Dr. Zellers Erlaubniß die Mittwochs-Bibelstunde u Sonntags-Predigten in der Heilanstalt, am 4. Nov. auf einem Spaziergang, an welchem theil zu nehmen Hr von Zeller mich einlud, gelang es mir, einige Worte mit ihm zu reden, nemlich ihm zu sagen, daß Sie hinsichtlich meiner Beschäftigung hier mich an ihn gewiesen haben. Er veranstaltete eine englische Unterrichtsstunde, in der ich mit 6-8 Herren der Anstalt das Evangelium Johannes zu lesen angefangen habe (je vormittagss 10 Uhr, vom 5. Nov. an); vor dieser Stunde lese ich von 8 1/2 Uhr an mit einem katholischen u einem evangelischen jungen Theologen in Julius Caesar (de bello civili). So komme ich an den Vormittagen kaum in den Fall, mir daheim ein eigenes Zimmer zu heizen, nachmittags mache ich öfters Ausflüge u in meiner Wohnstube verbietet sich das eigentliche Arbeiten meist von selber.

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Die Correcturbögen von Matthäus in Akra, deren mir bis jetzt 5 zugekommen sind, sind mir jedesmal eine Freude u ich glaube, nichts wäre meiner Gesundheit u Herstellung meiner Arbeitsfähigkeit so förderlich, als ein paar ungestörte Vormittagsstunden (etwa 8-10 Uhr) an der Otschi-Grammatik; aber wenn ich Sie recht verstanden habe, so ist mir gerade das verboten u ich muß mein Pfund vergraben. Verzeihen Sie mir, daß ich da offen u gerade bin; ich möchte wünschen, mein Herz u Wesen wäre Ihnen durchsichtig; Sie dürfen Alles darin sehen, wobei Sie ohne die Gnade und Reinigung des Sünderheilandes freilich nichts Gutes, das mein wäre, finden würden, aber doch u.A. auch Vieles, was ich Ihnen danken, Ihnen abbitten u Sie bitten möchte.

<4>

Weitere ärztliche Berathung stellte mir Hr v.Zeller schon einigemal in Aussicht, aber sie konnte mir bis jetzt nicht zu Theil werden, nur das sagte er mir, er habe über meinen am 16.Aug. ihm mitgetheilten Gedanken an die Judenmission nachgedacht u würde das ganz passend für mich finden - (er war nemlich damals der Meinung, ich sollte bei Zeiten irgendeinen Wirkungskreis für die Zeit nach meinem Erholungsjahr bestimmter ins Auge fassen, u ich fühle selber, wie schwer es ist, nur die Gesundheit an sich, ich möchte sagen als abstracte Idee, u daneben in ähnlicher Weise die Willenlosigkeit, als Aufgabe vor sich zu haben. Würde mich eine Krankheit ins Bette sprechen, so wäre die Sache ganz anders, aber was am meisten zu thun sein möchte, - von dem Einen, das noth ist, abgesehen - das scheint mir nicht ein weiteres Liegenlassen, Verzetteln u Vertrödeln der Arbeitskräfte, sondern ein behuthsames, nicht überspanntes, Concentriren derselben auf einen ihnen zunächst am meisten angenehmen Gegenstand.) Was den Gedanken an die Judenmission betrifft, so habe ich denselben von Anfang an nur mit Vorsicht gehegt, u theils infolge Ihrer Äußerungen darüber, theils infolge des bei meinen Erkundigungen Vernommenen, vorderhand bei Seite gelegt. Wenn ich einmal vollständiger weiß, was mir Hr von Zeller zu sagen hat, so werde ich wohl etwas auführlicher an Sie und die verehrte Committee schreiben dürfen.

Inzwischen bitte ich Sie, diese Zeilen mit Nachsicht aufzunehmen u bezüglich der beiden mitfolgenden Papiere (meine Umzugskosten u eine Zahlung von der engl. Bibelgesellschaft betr.) zu verfügen, was Sie für gut finden.

Mit hochachtungsvollen Grüßen

Ihr ergebenster u dankbarer G. Christaller.

Winnenden 16. Nov. 1860.

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