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Emilie Zieglers Abschiedsbrief an Geschwister

(Stuttgart, 4. Sept. 1856)

Nbrg Em 2

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Das Scheiden von Euch ist mir recht schwer geworden, ich hatte noch manchen Wunsch zum Lebewohl für Euch im Herzen, aber es wollte nichts mehr herauskommen.

Unterwegs rollte noch manche Thräne über die Wangen, und als ich wieder gefaßt war, blutete die Wunde aufs neue in Eßlingen; als ich dann in der Abenddämmerung ungestört im Eisenbahnwagen saß, weinte ich, sozusagen, den Schmerz aus, denn es ist mir dabei wieder ganz leicht ums Herz geworden, das Bild, das man auf dem Weg von Gmünd nach Süßen so oft sieht, Christus am Kreuz, stellte sich vor meinen inneren Augen auf, u es war mir, als ob es zu mir sagte: Dies that ich für dich, was thust du für mich? Es stand so lebhaft vor mir, wie er mich aus den Wegen des Verderbens gerettet, wie er mein Herz gerühret, daß ichs gern ihm gab, wie er mich treu geführet, daß ich ihn noch hab.

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Soeben erhalte ich - (es ist nach 10 Uhr) - eine telegraphische Depesche aus Basel, worin ich gefragt werde, ob ich ohne zu große Noth am 10. September in Basel sein könne, um am 12. abzureisen, ich soll wieder per Telegraph antworten, jetzt liegt alles bei uns im Bett, daher will ich morgen früh antworten, mit Ja, denn am 10. sind meine Sachen alle gepackt u dann kann ich mich auch aufmachen zu meiner neuen Pilgerreise. Betet fleißig für mich, daß der Herr mich ausrüsten möge mit Kraft u Weisheit, Glaube u Demuth, mit Lieb aus seinem Herzensstamme, immer rein u immer flammend, daß ich immer tiefer verstehen möge das herrliche wunderbare Wort: Wenn ich schwach bin, so bin ich stark, daß ich in meinem kleinen Theil ausrichte, wozu der Herr mich sendet. Nun, gute Nacht, schlaft wohl, ich muß aufhören, obgleich in der Mitte des Briefes eine Fortsetzung fehlte, Ihr könnts voll selber ergänzen. In herzlicher Liebe grüßt Euch Eure Emilie.

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Nach Eßlingen will ich auch geschwind noch einige Worte schreiben, weil Rapp mich noch einmal besuchen will.

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Noch etwas fällt mir ein; seit gestern bin ich in Winnenden bürgerlich, u unsere Proklamation findet am nächsten Sonntag zum ersten Mal statt.

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