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Johann Gottlieb Christallers Reisebericht an Mutter und Schwester über die Fahrt nach und die Ankunft in Afrika und zuletzt in Akropong

(Akropong, 1.-3. Febr. 1853)

Nbrg JG Chr 19

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Geliebte Mutter, Schwestern, Verwandte und Freunde!

Bis hieher hat mir der Herr geholfen. Lobe den Herrn meine Seele! So mußte ich abermals sagen, als ich am letzten Freitag Abends 6 1/2 Uhr glücklich anlangte an diesem Orte, den mir der Herr zu meiner nunmehrigen Wohnung und Arbeitsstätte angewiesen hat. Ich hatte das wohltuende Gefühl früher nicht gekannt, das sich an jenem Abend und noch mehr am anderen Morgen bei mir einfand, als ich allein in meinen eigenem Stübchen war (vorderhand wurde mir das einzige Gastzimmerchen auf der Station in Br(uder) Widmanns Haus eingeräumt) und denken konnte: hier ist also, wills Gott für längere Zeit meine Bleibstätte, der Ort meiner Bestimmung, das Ziel meiner Reise, meiner Sehnsucht ist erreicht und bald werde ich in die regelmäßige Arbeit eintreten können.

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Es war mir wirklich recht heimisch zu Muthe, und ich denke, kein irdisches Heimweh oder Unzufriedenheit soll dieses Gefühl verdrängen, dagegen die Sehnsucht nach dem wahren Vaterlande, nach der ewigen Heimat, die darf und soll überwiegend werden. Ich erinnerte mich der Worte: 'Der Vogel hat sein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest, da sie ruhen können', sowie der Redensart der Odschineger: 'Mein Herz ist gefallen oder liegt (= ruht) in meinem Bauch', d.h. ich bin fröhlich, vergnügt; sie haben noch mehrere ähnliche Ausdrücke, die mir im Allgemeinen als Bezeichnung der Freude nicht recht gefallen oder genügen wollen. So ist es auch nicht Ruhe oder Bequemlichkeit, die mir in Aussicht steht, sondern Arbeit ist es, wonach mein Herz verlangt u wozu es mich drängt. Wenn die Neger kommen uns zu besuchen, wenn ich ihnen auf dem Weg begegne, wenn ich sie in dem von Widmanns Hause u einigen Negerhütten gebildeten Hofe durch das eine meiner Fenster hindurch (das statt der Glasscheiben nur Jalousien hat) reden höre, und ich verstehe fast gar nichts. Gerne hätte ich vergessen und gelassen, was dahinten ist u mich alsbald auf die Sprache geworfen, aber Euch durfte ich doch nicht vergessen, Ihr gedenkt ja meiner so fleißig, und in dem Briefchen von Sierra Leone aus hatte ich eine Reisebeschreibung versprochen. Doch in den ersten Tagen hatte ich auszupacken, mich einzurichten, Besuche zu empfangen und zu machen, mich mit den hiesigen Verhältnissen und den Schullehrerzöglingen bekannt zu machen u dabei fühlte ich mich von der 1-monatlichen Reise auf dem Dampfschiff, auch von der Buschreise am Freitag von morgens 3 Uhr an, bei den Veränderungen in Clima u Lebensweise ziemlich matt u der Ruhe, besonders des Kopfes bedürftig. Auf dem Schiff ließ die Erschütterung von der Maschine das Schreiben nicht zu, man mußte froh sein, lesen zu können u auch das greift den Kopf mehr an, der durch das mannichfaltige Gepolter, Gehacke, Gerassel usw der verschiedenen Theile der Maschine schwach und blöde gemacht wird.

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Die Dampfschiffe, welche nunmehr jeden Monat nach Afrika gehen, haben keine Räder, sondern Schrauben, die mit Schauffeln versehen sind, welche im Wasser arbeiten u so das Schiff vorwärts bringen, ich sah sie aber nicht u kanns auch nicht näher erklären. Unser Schiff heißt 'Forerunner', d. h. Vorrenner, Vorläufer (in der Bibel auch von Joh. dem Täufer gebraucht), es ist daher das kleinste von den Schiffen von der betreffenden Dampfschiffahrtsgesellschaft, die übrigen, wie sie (in den Monaten Jan.-April) nacheinander nach der Westküste Afrikas abgehen sollen, heißen: Faith, Hope, Charity, Northern Light, d.h. Glaube, Hoffnung, Liebe, Nordlicht, die beiden ersten von 900, die zwei letzteren von 1.050 Tonnen, während unser Forerunner nur 400 Tonnen oder weniger hält. Die Charity, welche noch nicht ausgebaut ist, soll schöne Einrichtungen für 85 Reisende erster Classe bekommen, während unser Schiff nur 17 aufnehmen kann. Wir hätten eigentlich der Ersparnis wegen 2ter Classe nehmen sollen, (die übrigens die gleiche Kost haben sollen) aber unser Schiff hatte keine solche u die Fahrt war doch nicht theurer, dagegen schneller u angenehmer als früher mit den Segelschiffen. Das einzige Unangenehme ist, daß das Gehirn zu sehr erschüttert wird, was ein Arzt in London bei dem Bruder Majer bei diesem als für die Gesundheit nachtheiligen Umstand bezeichnet hatte. Auf dem großen Dampfschiffen wird es auch in diesem Stück besser sein.

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Von Plymouth aus habe ich Euch geschrieben. Wir hatten auf der Eisenbahn vom 23. Dez. Nachts 9 Uhr bis 24. Dez. Vormittags 9 Uhr einen Weg von etwa 100 Meilen zurückgelegt u konnten, in Plymouth angelangt, all unser Gepäck auf einem Karren sogleich nach dem Hafendamm, neben dem unser Forerunner lag, wegbringen lassen. Der Weg war, da es viel geregnet hatte, sehr schmutzig. Br. Steinhauser und ich vollendeten unsere Briefe, theils in dem Waarenschuppen, in dem unser Gepäck war, theils in dem Wirthshause, wo wir 1 oder 2 Schilling für das Zimmer, das doch das allgemeine Gastzimmer war, u 5 1/2 Schilling kostete, so daß wir das Wirthshaus nicht mehr zu betreten wagten, obwohl wir fast nirgends einen Platz zum Sizen (= Sitzen) fanden. Nachmittags - ich war inzwischen in der Stadt gewesen, um die Briefe auf der 1/2 Stunde entfernten Post abzugeben - begaben wir uns auf das Schiff u bezogen unsere Kabinen; die waren nun recht nett, aber auch sehr klein. Br. Steinhauser u ich sowie Br. Brätschin u Plessing mußten je miteinander eine Doppelkabine beziehen, d. h. eine mit 2 Betten, sonst war nicht viel mehr Raum als in den anderen. Mir fiel das Loos nicht aufs lieblichste, da ich als der kleinere auf ein erhöht, aber in der Quere eingebrachtes Lager zu liegen kam, u da die Hauptbewegungen des Schiffes nach beiden Seiten gehen, rutschte des Nachts einmal der Kopf herab u der Leib sank zusammen u gleich darauf war der Kopf wieder nach hinten gerutscht und die Füße waren höher. Da wollte es oft nicht recht gehen mit dem Einschlafen, besonders in den Nächten wo wir Sturm oder doch rauhe See hatten u zu den klopfenden Schlägen der Maschine, die bis in die Fingerspitzen den ganzen Körper erschütterten u zu dem sonstigen Geräusch das Geschrei der Matrosen oder des Kapitäns kam. Die gute Schwester Diez hatte am meisten von Schlaflosigkeit u Kopfweh wie auch von der Seekrankheit zu leiden.

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Unsere Mitreisenden waren 10 englische Offiziere von einem Regiment, das Leute für die afrikanischen Besi(t)zungen zu liefern hat; sie wechseln aber alle Jahre (die Wesleyanische Missionsgesellschaft läßt ihre westafrikanischen Missionare nach 3 Jahren zurückkehren zur Erholung oder um sie zu versezen, die englische Kirche nach 4 Jahren); ihre Soldaten sind natürlich Neger. Es waren 3 Hauptleute, 4 Lieutenants, 3 Fähnriche, einer von den ersten war gläubiger Christ, dessen Taschenbibel ich es ansah, daß er sie fleißig braucht. Er nahm bei Tische gewöhnlich das andere Ende der Tafel ein dem Schiffskapitän gegenüber und wir saßen ihm zunächst auf beiden Seiten. Sein Name ist Captain Brabazon, er war vorher in Westindien gewesen wie einige der anderen. Er erzeigte Schwester Diez und uns viele Gefälligkeiten und wir konnten ihn recht schäzen und lieben. Er glaubte nach Sierra Leone zu kommen, aber der Gouverneur von Gambia behielt ihn dort.

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Doch ich will nun an die eigentliche Reisebeschreibung: Am Freitag, d. 24. Dez., also am Christabend - weswegen auch 2 Christbäume mit grünen Blättchen u rothen Beeren an dem Gipfel zweier Mastbäume befestigt waren, welche die ganze Zeit über drauf blieben - wurden um 4 Uhr Nachmittags die Anker gelichtet (wobei die Matrosen jedesmal einen eigenthümlichen Gesang anstimmten) u unter 3 maligem gewaltigen Hurrah der Zurückbleibenden, welches von unserer Schiffsmannschaft erwidert wurde, lief das Schiff aus dem inneren kleineren Hafen in den äußeren sehr geräumigen hinaus u gewann bald die hohe See. Wir schauten von dem Hinterdeck des Schiffes (über den Kabinen und dem Speise Saloon), das die Fläche auf dem Schiff darbietet, lange nach der schönen Hafenstadt u ihren Umgebungen zurück, und als wir endlich wegen der Entfernung u Dunkelheit nichts mehr von der Küste unterscheiden konnten, hefteten wir unsere Augen auf den Schimmer des Leuchtthurms bis auch dieser entschwand. Auf der hohen See aber giengen die Wellen höher als im Hafen, die Schwankungen des schmalen Schiffes waren ziemlich groß, wir mußten uns sizend oder stehend festhalten wie wir konnten, Schwester Diez mußte sich zuerst in ihre Kabine herab begleiten lassen, um 6 Uhr etwa gieng es zum Mittagessen, wozu wir aber schon keinen ungestörten Appetit mehr mitbrachten, ich konnte nicht lange bleiben, sondern mußte der Seekrankheit nachgeben. Die Offiziere, soviel ihrer an die Tafel kamen, zogen sich nacheinander meist sehr ruhig in ihre Kabinen zurück. Bruder Plessing hielt am längsten aus. Er allein mußte sich glaub ich gar nicht erbrechen (in den Stürmen der Nordsee war`s ihm auch schlimmer ergangen).

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Der Wind war ungünstig, wir hatten bald Sturm, in dieser ersten Nacht konnten wir wegen der großen Schwankungen und unseres Übelbefindens gar nicht zum Auskleiden kommen, sondern legten uns wie wir waren auf unsere Lager. Obwohl es arg zugieng in dieser Nacht - kein Stuhl blieb stehen, die sehr zweckmäßig aufgehängten Gläser u Lampen über der Speisetafel klirrten, was herabfallen konnte, flog auf dem Boden herum, der Nachttopf in Schwester Diez Kabine zerbrach, der unsrige fiel um usw - so schlief ich doch die meiste Zeit.

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Endlich am Morgen stand das Schiff stille u wir waren zu unserer großen Überraschung wieder im Hafen von Plymouth. Ein Duzend anderer Schiffe lagen in weitem Halbkreise, meist näher dem Lande zu, um unser Schiff her. Nun konnten wir doch in Ruhe und stillem Frieden unser Christfest zusammen feiern, ebenso den darauffolgenden Sonntag: Wir saßen oder lagen meist auf dem Verdecke, so gut als möglich uns gegen die Kälte schüzend. Ganz wohl war keines, aber die Schwankungen des stille liegenden Schiffs waren in keinem Vergleich zu bringen mit denen in der ersten Nacht. Unser Appetit war nicht groß, besonders da die Hauptsache beim Frühstück sowohl um 1/2 9 Uhr als beim Mittagessen um 4 Uhr aus gebratenem, größtentheils sehr fettem Fleisch bestand. Brod, Butter, Zwieback, Käse (was man auch täglich um 12 Uhr haben konnte, die Engländer nennen es lunch oder luncheon) wurden meinem sonst so unverdorbenen Appetit fast für die ganze Seereise entleidet. Außer den frischen Fleischvorräten für die erste Zeit befanden sich auf dem Schiffe ein paar Schafe (diese nicht lange) Hühner, Enten u ein paar Gänse, 2 Schweine. Eier hatten wir in der ersten Zeit einigemal beim Frühstück, wo wir Kaffee regelmäßig dem Thee vorzogen.

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Beim Mittagessen gab es gewöhnlich zuerst ein wenig Suppe, die uns am besten schmeckte, aber am spärlichsten war. Dann wurde die ganze Tafel voller Platten und Schüsseln gestellt, wo man wählen konnte, was einem beliebte von verschiedenartigem Fleisch u Kartoffeln, Rüben, gelben Rüben (in Stücken ohne Brühe). Wir waren froh, wenn das Fleisch nicht gerade vor uns hingestellt wurde, daß wir es nicht zerlegen mußten. Kartofffeln oder andere Gerichte, die man mit dem Löffel austheilen konnte, übernahmen wir gerne u ließen uns dagegen von den Engländern, die das Tranchieren gewohnt sind, mit Fleisch bedienen. Wenn an einer englischen Tafel einer etwas haben will, das nicht in seiner Nähe steht, darf er nur seinen Teller hinschicken und wäre es das andere Ende einer langen Tafel. 2 Stewardes oder Speisemeister waren Aufwärter. Unsere Tafel war mit 17 auf 10 Personen gerade vollständig besezt. Schwester Diez, die einzige Lady auf dem Schiff, wurde immer von dem, der etwa das Beste vor sich hatte, oder dem Steward befragt und zuerst bedient, in den ersten 10 Tagen aber konnte sie am wenigsten essen u kam oft gar nicht an den Tisch.

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Am Montag, d. 27. Dez., kam ein Boot von der Stadt her, das einen Taucher mitbrachte, der die Schraube unter dem Schiff untersuchen sollte (der Kapitän war vorher am Lande gewesen, auch kam fast jeden Tag ein Boot mit Briefen). Der Mann hatte eine wasserdichte Kleidung, die Ärmel waren am Handgelenk durch einen starken Ring von Gummilasticum verschlossen, zuletzt wurde ihm ein bleierner Helm aufgesezt, der vorne mit einem Fensterchen mittelst Einschraubens verschlossen wurde. So stieg er, ein Messer in der Hand, hinab und unter das Schiff, während 4 Mann im Boot ihm frische Luft zu- und die verbrauchte Luft herauspumpten mittelst einer 3 fachen Pumpmaschine u über Röhrenschläuche. Wenn er mehr oder weniger Luft brauchte oder heraufgezogen sein wollte, gab er durch Ziehen an dem Stricke, den er mitgenommen, Zeichen. Das erstemal brachte er ein theilweise rostiges Stück Seil oder Tau herauf, das um die Schraube gewickelt war, wie es mir schien, das 2temal sah ich nichts der Art. Erst am Dienstag d. 28. Dez. glaubte unser Kapitän wieder auslaufen zu können u zwar Mittags 1 Uhr, die See wurde aber wieder sehr rauh u ungestüm u das Wetter stürmisch, wir hatten ein Nacht eher noch schlimmer als die erste u Morgens 4 Uhr ließ der Kapitän das Schiff abermals drehen zu Rückfahrt nach der Küste Englands. Dazu brauchten wir aber den ganzen Tag; ich lag meist im Bette. Als man die Küste wieder sah, gieng ich aufs Verdeck, die Zeit wurde mir aber lange u es wurde Abend, bis wir in den Hafen von Falmouth einliefen u uns nun wieder etwas erholen konnten, obwohl uns die Verzögerung unserer Reise schmerzte.

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Wir mußten noch warten bis zum Mittag des 31. Dez., wo das Schiff das 3temal auslief um nicht wieder umzukehren. Aber an ein Aufbleiben oder trauliches Zusammensizen, um gemeinsam das alte Jahr zu beschließen, war bei uns nicht zu denken. Den anderen Morgen, am Neujahrsfest, gieng ich sobald als möglich aufs Verdeck, denn in der Kajüte waren die Schwankungen viel fühlbarer, u hielt mir im Stillen eine Neujahrspredigt über die Worte eines engl. Kalenderchens auf diesen Tag: bis hieher hat uns der Herr geholfen. Es ließ sich viel hieran anknüpfen u obwohl ich äußerlich noch keinen so trüben Neunjahrstag erlebt habe, war es doch innerlich vielleicht das Gegenteil.

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In der Nacht darauf konnte ich fast gar nicht schlafen u die folgenden Tage brachten immer wieder stürmisches u regnerisches Wetter, sodaß wir uns nicht mehr auf dem Verdeck zusammen finden konnten, wo bisweilen einer etwas vorlas, während wir mit soviel Röcken u Mänteln als möglich bedeckt mit den Rücken aneinander gelehnt zusammen saßen. Der Wind, der uns fast entgegen kam, war immer durchdringend kalt, so daß wir uns ein paarmal durch zu langes Obenbleiben durch u durch erkälteten, aber wenn man oben war, graute einem vor dem Hinuntergehen, und unten besann man sich, ob man sich dem kalten Winde droben aussezen solle.

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Bei Tisch mußte man sizen, wie man sich mit seinem Stuhle am besten festhalten konnte, es waren zwar 4-fache Rahmen der Länge nach auf dem Tisch angebracht für die Teller auf beiden Seiten u die Schüsseln u Platten in der Mitte, daß sie nicht so leicht rutschen konnten, aber die Neigung nach der einen oder anderen Seite war doch oft zu groß, sodaß der Inhalt eines Geschirrs auf Tischtuch oder was in der Nähe war verschüttet wurde, die Schinkenschnitten z.B. einmal in einer Kaffeebrühe lagen u.s.w. Doch ich bin zu umständlich geworden und muß vorwärts eilen.

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Am 5. Jan. bekamen wir schöneres Wetter u besseren Wind, in der Frühe stand das Schiff still, damit die Matrosen desto bequemer die Segel an allen 3 Mastbäumen ausspannen konnten u nun gieng es mit Dampf u Segeln zugleich Madeira zu, das wir am 7. Morgens ziemlich nahe zu Gesicht bekamen. Wir fuhren aber noch mehrere Stunden darauf zu u an der Insel hin, bis wir um 4 Uhr vor der Hauptstadt Funchal Anker warfen. Unsere Reisegefährten giengen ans Land in einem der hübschen Boote, die herangekommen waren, wir wollten für jeden den Schilling Fahrgeld sparen, da wir ja die schöne Stadt so nahe vor uns hatten u viele Leute an Bord kamen, von denen wir Orangen, Feigen u Strohhüte kauften. Das Schiff nahm hier Steinkohlen, auch Wasser ein. Gegen Abend gieng`s weiter, die See war nun ruhig u das Wetter warm. Am nächsten Morgen konnte man bald den Pik von Teneriffa erblicken, der 12.000 Fuß hoch über das Meer hinaufragt. Wir kamen gegen 10 Uhr Nachts vor Santa Cruz, dem Hauptort der Insel an. Wie vor Madeira wurde eine Kanone abgeschossen, der Kapitän ließ die Pfeife an den Dampfmaschinen ertönen, Raketen aufsteigen, zündete außerordentlich hell brennendes Licht an, aber alles vergeblich, kein Boot kam vom Ufer, daß der Kapitän hätte die Postsachen abliefern u abholen können, er mußte warten. Ein weiterer Reisender kam aufs Schiff, Kapitän Lynch, abgesandt von der Regierung der Vereinigten Staaten Nordamerikas, um die Flüsse in dem Negerfreistaate Liberia zu untersuchen. Es ist derselbe, der vor einigen Jahren bei einer Expedition war, die den Lauf des Jordans u die Tiefe u Beschaffenheit des todten Meeres erforschte.

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Um 4 Uhr erst gieng's wieder fort, abends hielten wir 5 eine liebliche Konferenz zusammen über den 34. Psalm. Morgens hatten wir eine deutsche Predigt zusammen gelesen. Der Schiffsgottesdienst fiel diesmal aus, am 2. Jan. hatte der Kapitän aus dem Gebetbuch der engl.Staatskirche die Liturgie, Gebete u Bibelabschnitte gelesen u unser Freund Kapitän Brabazon hatte dabei geantwortet.

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Am 10. u 11. war die See wieder rauher, der Wind war kalt, obwohl er von Afrika, u zwar von der Sahara herkam - aber es war eben die afrikanische Harmattanzeit u der Harmattan ist immer kalt u trocken. Am 12. war das Wetter wieder schön. Des Abends konnten wir uns an dem phosphorischen Leuchten des Meerwassers an den Seiten des Schiffes wie den von dem Schiff verursachten Wellen ergözen; wo der Kiel des Schiffes die Wogen durchfurcht hatte, ließ er eine ganz leuchtende Straße etwa so lang als das Schiff hinter sich zurück. Am 13. Morgens steuerten wir an dem Grün der Vorgebirge vorbei auf Goree zu, eine Insel auf einer den Franzosen gehörenden Festung u einer Negerstadt, die aber, besonders zunächst dem Meere einem ausgebrannten Ruinenhaufen gleich sah. Es mußte wirklich ein Brand stattgefunden haben, aber wo man keine so deutlichen Spuren wahrnahm, sah es doch nicht viel anders aus. Auf dem Fort u am Fuße des Hügels, worauf es erbaut ist, sahen wir mehrere Neger, und in den Häusern u engen Straßen dazwischen war es schwarz u voll, wir fuhren so nahe vorbei, daß sie uns zurufen konnten. Die Häuser sind von Stein, mit plattem Dach; Grünes sahen wir nichts als 2 oder 3 Palmbäume, überhaupt hatte die Insel und die benachbarten Küsten ein trauriges, unfruchtbares u ödes Aussehen. Ein paar Kähne mit den ersten Negern kamen ins Schiff, der Kapitän fuhr aber in einem der beiden Schiffsboote ans Land. Wir hielten nicht lange, sondern steuerten wieder ins weite Meer hinaus u lenkten gegen Abend abermals dem Lande zu u zwar der Mündung des Gambia Flusses.

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Nun merkten wir erst recht, daß wir uns unter afrikanischem Himmelsstrich befinden. Die Luft war dick und schwül, mit eigentümlichen Nebeln oder Dünsten angefüllt, so daß die Sonne ähnlich wie in den Nebeln und Steinkohledünsten Londons nur wie eine rothglühende Kugel hindurch schimmerte, das Meer zeigte eine seltsame Färbung, blaßrosig, bläulich und weiß ineinander übergehend; es erinnerte unwillkürlich an das Blut der Choleraleichen, von dem wir in Basel eine Zeichnung gesehen hatten, und an die Worte einer christlichen Parodie von 'Freiheit, die ich meine' - von den französischen Farben gesagt: blutig, bleich und blau, Todtengleich, die Farben auf des Lebens Au.

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Es wurde bei solcher Beschaffenheit der Luft um so bälder dunkel und der Kapitän konnte mit seinem Fernrohr die Küste u die Wahrzeichen darum für die Schiffahrt nicht unterscheiden; er gab zwar Zeichen durch Raketen, Lichtfeuer und ich glaube 2 Kanonenschuß, aber kein Lotse (oder Pilot) kam, das Schiff zwischen Untiefen und gefährlichen Stellen hindurch in den Fluß hineinzuführen. Ein Matrose hatte seit einiger Zeit beständig das Senkblei geworfen und die Tiefe des Wasser ausgerufen. Als sie weniger als 5 Faden betrug, hielt es der Kapitän nicht für rathsam, weiterzuziehen, man warf Anker und das Schiff blieb an dieser Stelle über Nacht. Am andern Morgen kamen ein paar Fischerkähne und endlich auch ein Lotse, ein Timma Neger. Nun ging es wieder rascher vorwärts und in einigen Stunden, zwischen 10 und 11 Uhr legte das Schiff an der Landungsbrücke von Bathurst an, so daß es (dieses einzige mal) keines Bootes bedurfte, um ans Ufer zu kommen.

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[...] Die ganze Küste von Oanagambien (?) ist sehr flach, wie das Land weit hinein, die Stadt Bathurst, längs des Strandes mit vielen europäischen Häusern geschmückt, stellte uns aber doch ein viel schöneres Bild vor Augen als das französische Goree. Die Wesleyaner oder Methodisten haben auf den englischen Besizungen am Gambia einige Missionsposten, ich hatte von einem der Secretäre dieser Missionsgesellschaft in London einen Brief von Missionar Meadows in Bathurst. Ich fragte einen Negerpolizeidiener nach dessen Wohnung u da traf sichs, daß eben einer seiner Schulmeister für diese Station gekommen sei. Er führte uns durch die breiten geraden Straßen, zu deren Seiten die Negergehöfte standen, nach dem Missionshaus. Es war der erste Gang auf afrikanischem Boden, die Hize ziemlich drückend, obwohl es die kalte Jahreszeit war. Die Straßen bestanden aus tiefem, feinen, heißen Sand oder durch die Trockenheit abgestorbenem Laub. Herr Meadows empfieng uns sehr liebreich, zeigte uns die schöne Kapelle, das Schulhaus, in dem eine beträchtliche Anzahl Negerkinder unter 2 schwarzen Lehrern Unterricht erhielten; dann veranstaltete er einen Gesang der älteren Kinder in der Kapelle, geleitet von dem einen Negerschullehrer. Es waren etwa 30 Kinder, aber sie führten einen Gesang auf, wie wir ihn nimmermehr von Negerkindern erwartet hätten, ja wie ich in Deutschland oder in der Schweiz keinen von Kindern gehört habe. Es war zuerst ein künstlicher 4stimmiger Figuralgesang, der 24. Psalm, dann ein paar einfache Gesänge, 2- oder 3stimmig.

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Von einem amerikanischen Kriegsschiffe, das vor Anker lag (u. das jener Kapitän Lynch mit unserem Forerunner vertauschte) waren 2 Offiziere auch dazu gekommen. Hernach besuchten wir ein krankes Negerweib u dann einen Classenführer der Negergemeinde meiner Wohnung u kehrten nach ein paar Stunden Aufenthalt zu unserem Schiff zurück. Um 5 Uhr war nichts mehr vom Schiff ans Land oder vom Land aufs Schiff zu schaffen, daher fuhr letzteres von der Landungsbrücke hinweg u warf an einer anderen Stelle Anker, im Ganzen mußte es der Postsachen wegen 24 Stunden verweilen. Am nächsten Vormittag (Samstag d. 15ten) kamen 9 schwarze Leute an Bord, die nach Sierra Leone mitreisen sollten, 2 Männer, 3 Weiber, 4 Kinder.

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Ich machte mit den Männern, von denen der eine ein Christ war, Bekanntschaft u mit einem etwa 10 jährigen Knaben, der ziemlich geläufig englisch lesen konnte. Am 16ten, Sonntag, lasen wir 5 Morgens eine deutsche Predigt, hernach war Schiffsgottesdienst, u ich unterhielt mich mit dem Negerknaben, u am Abend hatten wir wieder ein interessantes Gespräch mit einigen der Offiziere, die den Negern eine Mittelstufe zwischen Affen und weißen Menschen anweisen wollten. Am 17ten Morgens hieß es, die Kohle sei ausgegangen u fast den ganzen Tag über wurde alles entbehrliche Holzwerk zusammengesucht, Stangen zersägt, leere Kisten u Fässer zerschlagen, u so gelangten wir doch noch am Abend desselben Tages mit Hilfe des Leuchtthurms u eines Lotsen in den Hafen von Orantown (d.i. Freetown), der Hauptstadt von Sierra Leone. Die 5 Offiziere giengen in der Nacht noch ans Land, die Neger schliefen noch einmal auf dem Verdeck. Br. Kölle (von Kleebronn bei Brackenheim) besuchte uns noch in der Nacht, was uns sehr freute, u holte uns am anderen Morgen ab ans Land.

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Nun muß ich aber, da ein unvorhergesehenes Schreibgeschäft für die Station mir dazwischen kam, u die Zeit die Briefe abzusenden da ist, die (kürzere) Fortse(t)zung auf den nächsten Brief versparen. Ans Land kamen wir wieder in Mouronia auch Cape Coast Castle, dagegen am 25. früh sahen wir Accra u in einigen Stunden war alles am Land. Die Akroponger Brüder waren auch da, sie hatten mehrere Tage nach beendigter Conferenz auf uns gewartet.

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Deshalb war auch Bruder Lochers Hochzeit schon am 27ten u des andern Morgens 3 1/2 Uhr war ich mit Bruder Dieterle, bei dem ich die Kost habe, von 2 Negern (die mit anderen abwechselten) in einer Hängematte getragen, auf dem Weg nach Akropong. Ich gieng natürlich mitunter auf eigenen Füßen, an manchen Stellen gebietet das schon der Weg.

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Seit 2. Febr. habe ich einen heidnischen Knaben bei mir, der mir das Bett macht, das Zimmer reinigt, Wasser holt u.s.w. und nicht englisch versteht. Ich schicke ihn zur Schule, die er nicht besuchen konnte, solange er zu Hause war bei seiner armen Mutter. Er bekommt monatlich 1 f 12 Kr (sic!) nach unserm Geld u ißt zu Hause. Von meiner Lebensweise, der Station, den Einwohnern von Akropong, dem König, den ich in seiner Wohnung besuchte u der dann auch zu uns kam, das nächstemal.

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Diesen Brief sende ich an Bruder Münzenmaier in Basel, daß er ihn selber lesen, soviel er will den Brüdern mittheilen - und von mir grüßen kann.

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Es thut mir leid, daß ich so ein schlechter Briefschreiber bin, aber dießmal walteten eben besondere Umstände ob.

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Zur öffentlichen Mittheilung z.B. in einer Missionsstunde ist dieser Brief natürlich ganz u gar nicht geeignet, ich will später einen solchen schreiben. Ich muß mich zuerst in meine neuen Verhältnisse hineinleben. Mit Grüßen für die Heimat im Einzelnen will ich lieber gar nicht anfangen, es muß erst alles auf dem Papier stehen. Die Geistesgemeinschaft hängt nicht davon ab. Gottes Gnade u Wahrheit, die sich beweiset so hoch der Himmel ist u so weit die Wolken gehen, walte dort über Euch u hier über Eurem Gottlieb Christaller.

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