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1. Einleitung

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Um die Gründe herauszuarbeiten, die zu der aktuellen Lage in Mali geführt haben, soll zunächst die Entwicklung des politischen Systems in diesem Land dargestellt werden.

An den Anfang möchte ich die folgende These von Frau Wiedemann [1] stellen:

„Mali leidet nicht an den zentrifugalen Kräften einer Stammesgesellschaft. Nicht an interethnischen Animositäten oder an religiösem Wahn. Sondern daran, dass der Staat und seine politischen Institutionen nicht im Dienst der Menschen stehen.“ (Wiedemann, 2013)

2. Die Anfänge des neuen Staates

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Zunächst ist es wichtig zu definieren, was unter einem politischen System zu verstehen ist. Es ist die Einheit aller staatlichen sowie außerstaatlichen Einrichtungen, Normen, Gesetze und Verfahren, die innerhalb eines gewissen Rahmens an politischen Prozessen, vor allem an der Politikgestaltung und Umsetzung beteiligt sind. Oder anders ausgedrückt: das Politische System bestimmt die Strukturen und Prozesse, die für das gesellschaftliche Zusammenleben Orientierungen erarbeiten, Entschlüsse treffen und diese durchsetzen (Andersen / Wichard, 2003).

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Malis politisches System ist eine an die französische Verfassung angelehnte repräsentative Demokratie, d.h. eine Präsidialrepublik, in der sowohl der Präsident als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Die beiden Institutionen sind dadurch relativ unabhängig voneinander und sind nur dem Volk gegenüber verantwortlich. Das beinhaltet, dass sie sich nicht gegenseitig aus dem Amt berufen können. Das präsidentielle Regierungssystem ist ein klassisches System der Gewaltenteilung, in dem die Exekutive vom Präsidenten und der Regierung gebildet wird, die Legislative vom Parlament. Der Regierungschef wird vom Präsidenten ernannt, die Minister vom Regierungschef. Wie viele frankophone Länder hat auch Mali von der einstigen Kolonialmacht eine zentralistische Verwaltungsform geerbt.

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Zentralstaat/Einheitsstaat ist die Bezeichnung für ein politisches System, bei dem die Staatsgewalt über das gesamte Staatsgebiet zentral ausgeübt wird. Das heißt: von Parlament und Regierung in Bamako wird alles gesetzlich festgelegt, dies gilt bis in die entlegensten Orte im Norden Malis. Seit einigen Jahren wird jedoch einiges unternommen, um zu einer Dezentralisierung zu gelangen. Dabei ist es ein großes Problem, dass die öffentliche Verwaltung durchzogen ist von Klientelismus und Korruption. Ein Beispiel dafür sind die Defizite beim Transfer von Ressourcen, welche häufig nicht in den Orten ankommen, wo sie eingeplant waren, sondern versickern und ihr Verbleib dann nicht mehr nachzuvollziehen ist. Durch diese dann fehlenden Ressourcen funktioniert die öffentliche Verwaltung nur eingeschränkt (Bertelsmann Stiftung, 2003).

Im Folgenden soll die politische Geschichte Malis seit der völkerrechtlichen Unabhängigkeit (22. September 1960) erläutert werden, um die Entwicklungen und Probleme des Landes bis zum Militärputsch gegen Präsident Amadou Toumani Touré am 22.März 2012 sichtbar zu machen.

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Die französische Kolonialherrschaft wurde mit der Unabhängigkeit Malis beendet. Am 22. September 1960 wurde Mali offiziell gegründet, nach dem Scheitern des Versuches, eine Föderation zwischen Mali und dem Senegal zu bilden. Damit beginnt die Geschichte Malis als unabhängiger Staat (Heyl/Leininger, 2013).

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Unter dem ersten Präsidenten, Modibo Keita, entwickelte sich der junge Staat zu einem sozialistischen Zentralstaat, autoritär ausgerichtet und von der Einheitspartei „Union Soudanaise“ beherrscht (Lemke, 2013). Das zentrale Problem war der Aufbau von funktionsfähigen Verwaltungsstrukturen und die Integration der verschiedenen Völker zu einem von allen getragenen Staatswesen. Dazu bedurfte es unter anderem der Schaffung eines Staatsbewusstseins und der Konzeption einer Politik, die allen Gruppen Sicherheit, Gleichheit, Anerkennung und Gerechtigkeit garantierte. Während der Zeit der Kolonialherrschaft hatten die Interessen der fremden Macht und der lokalen Eliten Vorrang gehabt. Den Neuanfang mit der Umorientierung aller Kräfte auf die Bedürfnisse und Aspirationen der lokalen Bevölkerung zu wagen, war eine ungeheure Herausforderung. Die sozialistische Grundordnung sollte die Menschen und Gruppen verbinden.

3. Die großen Probleme des Staates

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Im Mittelpunkt der Probleme des Nation-Building standen die Tuareg; mit ihrer Kultur als Nomadenvolk erstreckte sich ihr Lebensbereich im Großraum der Sahara und der Sahelzone, also weit über die Grenzen Malis hinaus. Durch ihre nomadische Lebensweise, ihre eigenen Vorstellungen von sozialem Zusammenleben und von sozialen Werten sowie ihre Erwerbsgrundlage, die teils auf Raub und früher auf dem Sklavenhandel basierten (Lemke, 2013: 57), wurden die Tuareg im Norden des Landes für die malische Regierung zu einem Problem und einem Bedrohungsfaktor für den Prozess des Nation-Building. Um jegliche Unruhen und Aufstände im Volk zu unterdrücken, welche sich gegen den Nationalstaat richteten und damit dem praktischen Aufbau eines gemeinsamen Staates im Weg standen, wählten Modibo Keita und seine Regierung den Weg, Minderheiten wie die Tuareg mit Hass und Abneigung zu behandeln (Lemke, 2013: 54f).

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Dieser Konflikt zwischen Regierung und den im Staatsgebiet Mali lebenden Tuareg eskalierte in den Jahren 1963/64. Ausgelöst durch die Ermordung eines Tuareg-Rebellen kam es zum Aufstand (Alfellaga). Da die Regierung nur über schwache Gewaltorgane verfügte, reagierte sie mit Überwachung und vereinzelten gezielten Schlägen gegen die Rebellen. Ziel war es nach Lemke, die Lebensgrundlagen der Tuareg zu zerstören und sie durch öffentliche Hinrichtungen und durch Vergewaltigungen sowie die Einrichtung von Sperrzonen einzuschüchtern. Die Auswirkungen der Unterdrückung waren gravierend. Diese Kämpfe bekamen für die Tuareg eine Art Symbolwirkung und führten zu einer dauerhaften Entfremdung vom malischen Staat.

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1968 war die junge Republik Mali nah an einem Staatsbankrott, Keita und die Regierung hatten das Land durch sozialistische Wirtschafts- und Währungspolitik heruntergewirtschaftet. Der immer autoritärer werdende Staatschef konnte sich nur noch durch rigorose Verfolgung von Kritikern an der Macht halten. Doch die Unzufriedenheit in der gesamten Bevölkerung Malis wuchs und entlud sich am 19.11.1968 in einem Militärputsch (Lemke, 2013:61).

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Darauf kam das Militär-Regime von General Moussa Traoré an die Macht. Er versprach zwar nach dem Putsch freie demokratische Wahlen, die aber nie durchgeführt wurden. Statt dessen gründete er die Einheitspartei „Union Démocratique du Peuple Malien“, deren Mitgliedschaft im Laufe der Jahre für viele junge Menschen zwangsverpflichtend wurde. Traoré wendete sich vom sozialistischen Wirtschaftskurs seines Vorgängers ab, jedoch gelang ihm dadurch keine ökonomische Stabilisierung.

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Dafür gab es viele Gründe: Zum einen war der Staatsapparat durchzogen von Korruption und Unterschlagungen, zum anderen traf Mali die Veränderung der Weltmarktpreise, die in den 70er und 80er Jahren, vor allem durch die inflationäre Steigerung der Preise für Importgüter infolge der Ölkrise. Dies umso mehr, als die Rohstoffpreise für die Exportgüter Baumwolle und Gold drastisch fielen. Zudem trafen das Land zwei schlimme Dürre-Krisen (1968/69 und 1973/74), bei denen viele Anbauflächen und Weidegründe zu Wüste wurden, was einem Teil der Bevölkerung die Lebensgrundlage nahm. Ein Beispiel für die herrschende Korruption im Land war das Versickern der internationalen Krisen-Hilfe, die in der Zeit der Dürre-Krisen erfolgte. Ohne Hilfe von außen wäre der malische Staat bankrott gewesen, jedoch brachten die organisierten Anleihen auch eine hohe Staatsverschuldung mit sich. All dies führte zu einer Entfremdung der Zentralregierung von der Bevölkerung im ganzen Land. In den ländlichen Gegenden war der Staat nur noch durch Schulen und ein paar lose politische Organisationen präsent (Schlichte, 2013: 66ff).

Die Entfremdung der Bevölkerung der im Norden des Landes lebenden Tuareg war demnach nur ein Extremfall, bedingt durch die historischen Geschehnisse.

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Mit dem Beginn der Tuareg-Rebellion 1990 wuchs auch beim Militär der Widerstand gegen das Traoré-Regime. Die Forderungen nach einem Mehrparteienstaat und Demokratie wurden lauter, bis schließlich nach mehreren Todesfällen bei Unruhen im März 1991 das Regime durch einen Militärputsch, angeführt von Amadou Toumani Touré, abgesetzt wurde. Touré versprach die Einführung einer Demokratie und leitete das Übergangskomitee.

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Ein wichtiger Schritt dahin war die Nationalkonferenz im August 1991, bei der eine neue Verfassung erarbeitet wurde. Diese neue Verfassung wurde 1992 von der Bevölkerung angenommen, und im gleichen Jahr fanden die ersten demokratischen Wahlen des Landes statt. Diese konnte Alpha Oumar Konaré für sich gewinnen. In den folgenden Jahren entwickelte sich Mali zu einer „Vorzeigedemokratie“ mit einer der “demokratischsten Verfassungen Afrikas“ (Heyl/Leininger, 2013: 73). Als Indikatoren dafür zählte man regelmäßige freie und faire Präsidentschaftswahlen, die Trennung von Staat und Religion, demokratische Institutionen wie das Parlament und das Verfassungsgericht zur Kontrolle der Regierung.

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Jedoch zeigten diese Errungenschaften in der Praxis immer wieder Schwächen, wie die beschränkten Kompetenzen des Parlaments bei der Gesetzgebung, die so keinen Einfluss auf die Regierung ausüben konnte. Da politische Kontroversen nicht zugelassen waren, sondern sich auf einzelne Personen konzentrierten, wurde das Parlament in seiner Form weiter ausgehöhlt. Nach 10 Jahren Regierungszeit trat Konaré bei den freien Wahlen 2002 nicht mehr an, denn laut Verfassung war die Amtszeit eines Präsidenten auf zwei Legislaturperioden beschränkt.

Diese Wahlen gewann der am Putsch von 1991 beteiligte General Amadou Toumani Touré. Er genoss sowohl unter der Bevölkerung als auch unter der politischen Elite Malis noch immer hohes Ansehen. [2]

4. Mali unter Präsident Amadou Toumani Touré

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Amadou Toumani Touré, ATT genannt, gehörte keiner Partei an. Um die Amtsgeschäfte leichter ausführen zu können, vereinte er zur Regierungsbildung viele Parteien. Dies reduzierte die Handlungsfähigkeit der Opposition auf ein Minimum und führte sie in die machtpolitische Bedeutungslosigkeit. Die Opposition konnte nicht einmal mehr das Verfassungsgericht anrufen, um Gesetzesentwürfe zu prüfen. Dadurch degenerierte die Politik zu einer „Politik des Konsenses“, in der keine Richtungskämpfe mehr ausgefochten wurden. Auch die Gewaltenteilung wurde eingeschränkt.

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Für die Bevölkerung Malis hing die Zustimmung zur Politik der Regierung eng mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit zusammen. Dies wurde durch die 2006 aufkommenden Kämpfe im Norden des Landes in Frage gestellt. Der Präsident hatte immer auf einen politischen Dialog zur Erhaltung des Friedens gesetzt. Jedoch geriet er durch die Aufstände in Zugzwang, die Bevölkerung nahm die Gewalteskalation als Versagen der Regierung wahr, da sich auch die gesamte Sicherheitslage im Land drastisch verschlechterte.

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Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Konaré, der eine Politik der Bevorzugung des Nordens die sogenannte „Bevorzugungspolitik“ verfolgte, welche für die selektive Einbindung der ethnischen Minderheit der Tuareg steht, wandte sich ATT der arabischen Bevölkerung und den Songhay im Norden zu. Die Mehrheit der übrigen Bevölkerung hatte nur geromges Verständnis für die überproportionale Hilfe durch Mittel und Entwicklung im Norden des Landes. Zwar ist die Region im Vergleich zu anderen Landesteilen schwierigeren klimatischen Bedingungen ausgesetzt durch die dort herrschende Dürre. Jedoch lebt dort auch nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung Malis, und die Bevölkerungsdichte ist gering. Mit dieser neuen Politik brachte der Präsident die Tuareg gegen sich auf, zumal aus ihrer Sicht die früher ausgehandelten Friedensverträge nicht eingehalten worden waren (Heyl/Leininger, 2013: 80f).

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Nach den Anschlägen im Jahre 2006 setzte ATT weiterhin auf den politischen Dialog mit allen Gruppen, dazu zählten auch die Tuareg, aber ebenso Terroristen. Und er verzichtete bis auf einige gezielte Angriffe gegen bewaffnete Tuareg im Jahr 2008 auf militärisches Vorgehen. Dies stieß nicht nur im Militär und der eigenen Bevölkerung auf Unverständnis, sondern auch die Nachbarstaaten übten Kritik am Vorgehen des Präsidenten. Es führte auch dazu, dass die malische Öffentlichkeit schlussfolgerte, dass er möglicherweise selbst sowie viele Staatsbeamte am Gewinn des internationalen Drogenschmuggels in der Sahara profitierte. [3]

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Als Beispiel wurde ihm nachgesagt, eine Vereinbarung mit „Al-Qaida au Maghreb Islamique“ (AQMI) getroffen zu haben, die ihnen Bewegungsfreiheit in der Sahara garantierte, wenn sie im Gegenzug von Entführungen auf malischem Territorium Abstand nähmen (Heyl/Leininger, 2013: 82). Dies stieß auf heftige Kritik in den benachbarten Staaten Algerien und Mauretanien sowie in seiner eigenen Bevölkerung. Viele sahen die Aufstände als Scheitern der Verhandlungen an.

Kritik traf ATT und seine Regierung auch wegen der schwachen staatlichen Institutionen (Militär, Polizei) und wegen des Zögerns der Regierung, militärisch im Norden einzugreifen, was die Ausbreitung von ausländischen militanten Gruppen und die erneute Stärkung der Tuareg-Rebellen “der Nationalen Bewegung für Befreiung des Azawad“ (MNLA) ermöglichte. Diese Entwicklung führte zu einer weiteren Schwächung der staatlichen Autorität. [4]

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Insgesamt sank ab 2002 wegen der angeführten Aspekte die Zustimmung der Bevölkerung zur Regierungspolitik stetig. Einer der Gründe war besonders schwerwiegend: ein Grundprinzip jeder Demokratie, die grundlegenden Leistungen des Staates zur Sicherheit und Entwicklung aller Teile der Bevölkerung und die gerechte Aufteilung dieser Leistungen, wurde durch die auf allen gesellschaftlichen und politischen Ebenen vorherrschende und immer deutlicher zu Tage tretenden Korruption mit Füßen getreten. Dies hing wiederum eng mit den informellen Netzwerken/Allianzen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren zusammen, die in diesen Bereichen zusammenarbeiteten und zusammenhielten (Van Vliet, 2013: 142f). Informelle grenzüberschreitende kriminelle Netzwerke zwischen staatlichen Akteuren und Milizen, Salafisten und Tuaregs sorgten dafür, dass das Kräftegleichgewicht labiler wurde, und führte zu einer zunehmenden Verärgerung und Entfremdung der Bevölkerung gegenüber der Regierung.

Der Staat war in zunehmendem Maße von nicht-staatlichen Akteuren abhängig geworden und hatte seine Glaubwürdigkeit als Hüter der Gesetze verloren.

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Ende 2010 dann begannen neue Wiederstandbewegungen der Tuareg unter der Nationalen Bewegung für Befreiung des Azwad (MNLA). Hierfür kämpften vor allem gut ausgebildete und gut ausgerüstete Kämpfer, die nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis zurückkamen.

Im Januar 2012 nahmen die Tuareg-Rebellen der MNLA, zusammen mit Ansar Dine, die Angriffe auf die malische Armee wieder auf. Darunter fällt auch das „Blutbad von Aguelhok“, bei dem dutzende malische Soldaten unter ungeklärten Umständen brutal ermordet wurden. Daraufhin kam es in der Hauptstadt Bamako zu Großdemonstrationen gegen das Regime und durch einen chaotischen Militärputsch, ausgeübt von einer kleinen Gruppe verärgerter junger Offiziere und Soldaten, schließlich zum Sturz des Präsidenten ATT. Einer Umfrage nach dem Putsch zufolge waren die meisten Einwohner Bamakos zufrieden mit der Amtsenthebung, ein deutliches Zeichen für die Staatskrise (Van Vliet, 2013: 150).

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Innerhalb kürzester Zeit nach der Entmachtung des Regimes konnten die Rebellen von MNLA und Ansar Dine zwei Drittel des malischen Staatsgebiets erobern, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Jedoch konnten sich die beiden Rebellen- Gruppen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, und so veränderten sich die Allianzen im Norden Malis erneut.

Gemeinsam mit AQIM und einer Untergruppierung der MUJAO „Mouvement pour l’unicité et le jihad en Afrique de l’Ouest“ vertrieb Ansar Dine die MNLA aus den Städten des Nordens.

5. Fazit

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Als Fazit lässt sich zusammenfassen, dass der malische Staat am Ende der Regierungszeit Tourés nicht mehr die Macht und Kontrolle über die gesamte Fläche Malis innehatte, sondern diese an ein Netzwerk von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in Teilen des Landes verloren hatte. Vor allem die nicht-staatlichen Akteure kamen so zu erheblich mehr Einfluss.

Hinzu kam die Korruption im Land, wodurch der Staat in seinem Wesen beschädigt und geschwächt wurde. Auch ein langer Prozess des „schlechten Wirtschaftens“ (Van Vliet, 2013: 151) unter den verschiedenen Regierungen brachte das Land in eine starke ökonomische Abhängigkeit, infolge von wachsenden Staatsverschuldungen. Naturkatastrophen wie die Dürreperioden und das zwischenzeitliche Einbrechen der Weltmarktpreise verschlimmerten die wirtschaftliche Situation. Durch diese Entwicklungen war der Staatsapparat so geschwächt, dass er in vielen Teilen des Landes nicht präsent sein konnte, und in eben diese Machtlücken traten die nicht-staatlichen Akteure. In dieser Situation hatten große Teile der Bevölkerung in ihrem Alltag keinerlei Kontakt zum staatlichen System und so auch kein Vertrauen in dieses. Die aktuellen Geschehnisse resultieren also aus Veränderungen des Zusammenspiels zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (Van Vliet 2013: 151).

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Der Konflikt mit den Tuareg, der seinen Anfang schon unter der Regierung Keita’s nahm, d.h. bei der Gründung des unabhängigen Staates Mali, steht für das immer präsente Problem der extremen Heterogenität innerhalb der Staatsgrenzen, die mehr oder weniger willkürlich durch die Kolonialmacht Frankreich gezogen worden waren.

Touré brachte die Tuareg gegen den Staat auf, als er sich von der "Bevorzugungspolitik“ seines Vorgängers ab- und sich den Songhay im Norden des Landes zuwandte. Dadurch entbrannte ein alter, nie gelöster Konflikt erneut. Als Schluss ist daraus zu ziehen, dass die Integration der verschiedenen Kulturen und Religionen nie wirklich stattgefunden hat, und dass der Fehler begangen wurde, die verschiedenen Ethnien und Religionen im Norden und auch in den südlichen Teilen des Landes nicht gleich zu behandeln.

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Die Zusammenstöße mit den Tuareg waren für die Bevölkerung Malis erneut ein Zeichen eines zu schwachen Staates, der nicht in der Lage war, den Frieden zu bewahren und die Bevölkerung zu schützen. Der Wendepunkt in der Entwicklung des politischen Systems, der im März 2012 zum Militärputsch führte, ist auch auf die nicht mehr vorhandene Gewaltenteilung innerhalb des Staates zurückzuführen, durch die eine geschwächte Opposition keinerlei Machtbefugnisse mehr hatte und so auch keine Kontrollfunktion ausüben konnte.

Literaturverzeichnis:

Andersen, Uwe / Woyke, Wichard 2003

'Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland'. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/40364/politisches-system , (28.10.2013)

Bertelsmann Stiftung 2003

'Ländergutachten Mali'. Bertelsmann Transformation Index. http://bti2003.bertelsmann-transformation-index.de/78.0.html , (16.04.2014)

Heyl, Charlotte / Leininger, Julia 2013

'Mali 1992-2012: Erfolge und Schwächen einer jungen Demokratie'. In: Hofbauer, Martin / Münch, Philipp [Hrsg.], im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) – Mali. Wegweiser zur Geschichte. Paderborn: Schöningh, 73-84

Hofbauer, Martin und Münch, Philip (Hrsg.) 2013

'Mali. Wegweiser zur Geschichte'. Herausgegeben im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Paderborn: Schöningh Verlag, http://www.mgfa-potsdam.de/html/einsatzunterstuetzung/downloads/wegweiserzurgeschichtemali.pdf?PHPSESSID=81c1e6402c930fab90d8f27da763bb28 (20.01.2015)

Lemke, Bernd 2013

'Mali und die Entkolonialisierung'. In: Hofbauer, Martin / Münch, Philipp [Hrsg.], im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) – Mali. Wegweiser zur Geschichte. Paderborn: Schöningh, 49-62

Schlichte, Klaus 2013

'Mali unter dem Militärregime Traorés'. In: Hofbauer, Martin / Münch, Philipp [Hrsg.], im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) - Mali. Wegweiser zur Geschichte. Paderborn: Schöningh, 63-72

Seebörger, Kai-Uwe 2013

'Mali: Besonderheiten der Landesgeschichte'. Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). http://liportal.giz.de/mali/geschichte-staat/#c976 , (16.04.2014)

Schubert, Klaus / Klein, Martina 2011

'Das Politiklexikon'. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17387/einheitsstaat ; http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/18057/praesidentielles-regierungssystem , (16.04.2014)

Van Vliet, Martin 2013

'Der malische Staat: Vom Flaggschiff der Demokratie zum Schiffbruch im Fahrwasser der Anarchie?' In: Hofbauer, Martin / Münch, Philipp [Hrsg.], im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) - Mali. Wegweiser zur Geschichte. Paderborn: Schöningh, 139-152

Wiedemann, Charlotte 2013

'Mali: Das Kartenhaus der Demokratie'. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/januar/mali-das-kartenhaus-der-demokratie , (16.04.2014)

Whitehouse, Bruce 2012(a)

'What went wrong in Mali?' In: The London Review of Books, 16/2012, 7-18

Whitehouse, Bruce 2012(b)

'The Force of Action: Legitimizing the Coup in Bamako, Mali'. In: Africa Spectrum, 2-3/2012, 93-110



[1] Wiedemann, 2013

[2] Eine ausführliche Beschreibung der politischen Entwicklung bei Heyl/Leininger, 2013: 76-79.

[3] Zum Drogenschmuggel mehr in dem Beitrag von Leonhard Harding „Rebellen und Mujaheddin“.

[4] Ausführlich bei Heyl/Leininger, 2013: 79ff.

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