Startseite / Archive / 2006 / Riikka Halme 2004. A Tonal Grammar of Kwanyama.
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Grammatiken mit ausgewiesenem Bezug auf Tonsysteme und tonale Strukturen sind für die Bantusprachen leider recht selten. Mit dem vorliegenden Werk von Riikka Halme liegt nun eine Untersuchung vor, die sich speziell der tonalen Analyse des Kwanyama widmet, einer Bantusprache, die in Namibia und Südangola gesprochen wird.

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Die von der Autorin im Rahmen einer Feldstudie elizitierten Sprachdaten werden, gelegentlich im Vergleich mit benachbarten Sprachen des Dialektverbundes der Owambosprachen, wie dem Mbadja (Halme schreibt 'Mbandja') oder Ndonga, kontextualisiert. Dabei hebt Halme aber auch in weiterreichenden Vergleichen mit verschiedenen Sprachen aus Guthries (1948) Zone R, wie dem Umbundu, argumentative Aspekte ihrer Tonanalyse hervor. Als besonders wertvoll stellt sich die Betrachtung des Mbadja heraus, für das die Autorin vergleichende Daten präsentiert. Mbadja ist eine dem Kwanyama geografisch unmittelbar benachbarte Sprache, die im Gegensatz zum Ndonga dem nördlichen Owambo-Dialektverbund zugeordnet werden muss. Anders als im Kwanyama unterliegen Syntagmen im Mbadja nicht der rechtsgerichteten Tonverschiebung ('tone shift'). Gerade 'tone shift' ist, wie die Autorin darlegt, neben 'high doubling' und 'floating low deletion' eine der Regeln, die im Kwanyama ausnahmslos zur Anwendung gelangen.

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Das Kwanyama ist Namensgeber für die von Meinhof (1912/13:277) beschriebene 'Kwanyamaregel', die auch für das Mbadja nachgewiesen ist. Diese Regel besagt, dass "[…] von zwei Nasalverbindungen, die aufeinander folgen, bleibt die erste erhalten, die zweite verliert den Nasal [...]." Leider erfolgt an dieser Stelle weder die Erwähnung Meinhofs als Quelle noch eine Diskussion anderer tonologischer Regeln bezüglich ihrer Anwendbar- bzw. Nichtanwendbarkeit auf das Kwanyama. Dies wäre insbesondere mit Bezug auf die – vielleicht als Sonderfall des 'obligatory contour principle' zu betrachtende – von Meeussen formulierte Regel: H → L / H#__ oder die von Stevick (1965) beobachtete Dissimilationsregel (HH##H → HL##H) jedoch wünschenswert gewesen.

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Halmes Analyse des Tonsystems basiert auf dem Modell der generativen Phonologie. Nach einer Einleitung in den Gegenstand ihrer Untersuchung und einer kurzen Würdigung der bisher vorliegenden Arbeiten zu Tonsystemen und Grammatik der verschiedenen Bantusprachen dieser Sprach- und Dialektgruppe, gibt die Autorin einen kurzen Überblick über das Phonemsystem des Kwanyama mit seinen Spezifika wie Pränasalen und stimmlosen Nasalen, einschließlich einer kurzen Darstellung morpho-phonologischer Prozesse sowie umgebungsbedingter Allophonie im Bereich der Spirantisierung.

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In diesem Zusammenhang nimmt Halme zum ersten Mal auf das von Coupez et al. (1998) rekonstruierte und von ihr als grundlegende Referenz verwendete Proto-Bantu Bezug. An einigen Stellen der Arbeit würde es die Lektüre erleichtern, wenn Halme die Proto-Bantu Belege aufgeführt hätte, zumal sie in ihrer Arbeit a.a.O. explizit auf die von Meeussen (1962) rekonstruierte Proto-Bantu Tonstruktur und durch Zitate implizit auch auf andere Proto-Bantu Rekonstruktionen Bezug nimmt. Die Herleitung der Rekonstruktionen und Angaben zu deren Autoren können zum Teil nur aus der Sekundärliteratur erschlossen werden, z.B. für das Umbundu aus Schadeberg (1986) "tonal distinctiveness has also been preserved on the second syllable where the first syllable was low in Proto-Bantu" (148).

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Bei der Würdigung der von anderen Autoren geleisteten Arbeiten zu den Owambosprachen ist Halmes Kritik gelegentlich wenig hilfreich. In Bezug auf die Untersuchung zum Ndonga von Fivaz (1986) merkt sie an, dass der Autor nicht immer sauber, sondern fehlerbehaftet und inkonsistent vorgeht und dass sein Werk somit keine zuverlässige Quelle darstelle (8). An anderer Stelle räumt sie jedoch ein, dass sie sich selbst bei ihrer Feldforschung lediglich mit der Tonstruktur des Mbadja intensiver auseinandergesetzt habe. Ähnlich unklar bleibt ihre Argumentation – wiederum bezogen auf Fivaz – hinsichtlich der Funktion des Augments in den Owambosprachen. Sie untersucht nicht, weshalb das Präpräfix (Halme spricht auch von 'augment' bzw. 'initial vowel') im Kwanyama nicht die Funktion eines Definitheitsmarkierers besitzt, bzw. welche Funktion es denn – aus ihren Daten ableitbar – trägt. Informationen über die Funktion des Augments im Kwanyama wären aber ungeachtet der unterschiedlichen Funktionen in den übrigen Owambodialekten von weiterführendem Interesse für den Leser. Sinnvoll wäre auch eine einheitliche Interlinearisierung der erfreulich zahlreichen Beispiele gewesen. Vor allem in Bezug auf das Präpräfix hätte der Leser eine durchgängige Glossierung begrüßt, insbesondere in den Kontexten, in denen es sich um Regeleinführungen bzw. ‑festellung, wie dem 'augment high doubling' (47) handelt.

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Die Opposition Hochton vs. Tiefton ist Halme zufolge ein inhärentes Merkmal des Lexems. Mit Hilfe dieser Binarität kann sie zeigen, dass – entgegen Aussagen anderer Autoren – in einigen wenigen Fällen Minimalpaare in der Nominal- und Verbalsemantik existieren: ila (L) vs. ila (H) 'go for' vs. 'fetch'. Im Zusammenhang mit anderen Daten und Belegen erscheint semantische Variation oder Diskretheit – auch unter Heranziehen des Lexikons – wenig transparent, wie die folgenden Beispiele zeigen: (oshi‑) ‑longo (LL) 'country' vs. (omu‑) ‑longo (LL) 'ten', Pl.: (omi‑) ‑longo (LL). Unabhängig von dieser Frage zum nicht‑oppositiven Verhältnis, bleibt gelegentlich auch die semantische Spezifikation undeutlich; während das Glossar omushinda (LLL) und oushinda (LLL) mit der Bedeutung 'Nachbar' bzw. 'Nachbarschaft' ausweist, findet sich das HL Nomen oxuke im Index als 'corner' – a.a.O. (45) jedoch als 'Nachbarschaft' glossiert.

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Für die Zielbestimmung ihrer Arbeit stellt Halme fest, dass sie ".... aim[s] at a fuller documentation of Kwanyama tone rather than investigation of new theoretical developments in tone." (2) Dennoch wäre es wünschenswert gewesen, wenn diese Grammatik dem Leser zur Orientierung eine kurze Einführung in die Methode der autosegmentalen Phonologie an die Hand gegeben hätte, um das Verständnis für ihre Verwendung von Begriffen, wie 'More' und 'tone bearing unit' (TBU) eindeutig nachvollziehbar zu machen.

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Die von Halme gewählte Präsentation der Daten erfolgt ausnahmslos in orthografischer und nicht in phonetisch-phonologischer Form. Diesem – zuvor transkribierten – orthografischen Datenmaterial sind dann in der Darstellung die Toneme zugeordnet. Damit wird der Eindruck erweckt, dass die Orthografie des Kwanyama eine tonbasierte ist. Darüber hinaus gehen hierdurch morpho-phonologische Details verloren, u.a. weil es im Kwanyama – nicht nur in der Nominalmorphologie – an der Morphemgrenze regelmäßig zum Ausfall bzw. der Veränderung von Vokalen kommt; so bspw. in der Umgebung [NKL-Präfix] # [Stamm]. Dies führt dazu, dass Nasale umgebungsbedingt silbisch realisiert werden, z.B. omu#tete 'row, file' > /omņtete/. Die vorliegende Arbeit beinhaltet dementsprechend keine explizite Auseinandersetzung mit postlexikalischen Regeln der Ebenen P1 (zyklisch, lexikalische Ausnahmen ggf. an der Wortgrenze) und P2 (ausnahmslose Regeln) (vgl. hierzu Kaisse 1985:19-38, 155-193).

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Der ebenfalls orthografisch und nach Nominalklassenpräfixen alphabetisierte und durchgehend tonmarkierte lexikalische Anhang sucht seines Gleichen. Die etwa 6.000 Einträge repräsentieren – im Gegensatz zu den von Halme beschriebenen regelmäßigen und ableitbaren Merkmalen des grammatischen Tons in der Oberflächenstruktur – die lexikalisch gebundene und entsprechend unvorhersagbare tonale Ebene.

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Die Nominalgrammatik wird im vorliegenden Werk sehr ausführlich behandelt, wenngleich der Leser eine gründlichere Beschäftigung mit der etymologischen Herleitungen in der Nominaldiskussion begrüßen würde. So wird das Lexem onghwapá 'armpit', i.e. /oŋ̥wapa/ als Reanalyse aus *onN̶+ku‑ápá (9-15 ‑apa) dargestellt, ohne dass es einen Hinweis auf Formen des Proto-Bantu gäbe. Dabei finden sich bereits bei Guthrie (1970:267, 303) neben den Formen ‑kápì̦ (ps.283) und ‑kápùà (ps.284) die Formen ‑kúápà (C.S.1171) bzw. ‑yápà (C.S.1942) des Common Bantu: Da, wo Proto-Bantu Formen aufgeführt sind, wäre es von Nutzen, wenn die Autorin ihre Quellen für diese Formen nennen würde. Sympathisch erscheint hingegen der Umstand, dass sie nicht stets auf den lexikalischen Anhang rekurriert, um ihr reichhaltiges Datenmaterial zu präsentieren. So findet sich dort für die einsilbigen Verben mindestens ein weiteres Beispiel, das sie bei deren Präsentation im Hauptteil nicht aufführt: ‑wa (L) 'fall', (vgl. Zimmermann & Hasheela 1998), obgleich die Angabe der korrekten Passivbildung (vermittels ‑w‑) für das Paradigma an dieser Stelle ebenfalls interessant sein könnte.

Wenngleich der Bereich der Verbalgrammatik auf Grund seiner Komplexität hinsichtlich seiner Morphologie und semantischen Funktionen "The intensive extension expresses a speedy action [...]" (71) weniger eingehend behandelt wird, schadet das dem Ziel der Tonanalyse und Regeletablierung keineswegs. Dieser Umstand erfährt zudem dadurch eine zusätzliche Abfederung, dass die Autorin viele und vollständige Verbalparadigmen in den Anhängen auflistet.

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Trotz der genannten Kritikpunkte muss Halmes Arbeit als eine sehr gründliche Untersuchung der tonalen Grammatik des Kwanyama bezeichnet werden. Die von ihr im Rahmen der generativen Phonologie (bspw. Kenstowicz 1994) herausgearbeiteten Regeln sind logisch-konsequent aufeinander bezogen und nachvollziehbar. Das abschließende Kapitel, in dem das zuvor herausgearbeitete Regelwerk noch einmal eine kurze Zusammenfassung erfährt, bietet dem Leser eine Hilfestellung für den schwierigen Untersuchungsgegenstand. Daneben bietet diese Arbeit aber auch zahlreiche und für die Untersuchung wichtige Paradigmen zu den tonalen Verhältnissen der Flexion im Verbalbereich, die dem Leser allerdings – in Ermangelung von exemplarischen bzw. sich annähernden Übersetzungen – ein aufmerksames Studium des Haupttextes dieser Arbeit abverlangen.

Quellen

Coupez, André, Yvonne Bastin & Evariste Mumba 1998

Reconstructions Lexicales Bantoues 2. Tervuren: Musée Royal de l’Afrique Centrale

Fivaz, Derek 1986

A Reference Grammar of Oshindonga. African Studies of the Academy. Vol.1. Windhoek: Academy

Guthrie, Malcom 1948

The Classification of the Bantu Languages. London: Oxford University Press

Guthrie, Malcom 1970

Comparative Bantu. Vol.3. A Catalogue of Common Bantu with Commentary. Farnborough: Gregg

Kaisse, Ellen 1985

Connected Speech: The Interaction of Syntax and Phonology. Orlando, FLA: Academic Press

Kenstowicz, Michael 1994

Phonolgy in Generative Grammar. Cambridge, MA: Blackwell Publishers

Meeussen, Achille Emile 1962

'De Tonen van Subjunktief en Imperatief in het Bantoe.' In: Africana Linguistica 1:57-74. Tervuren: Musée Royal de l’Afrique Centrale

Meinhof, Carl 1912/13

'Dissimilation der Nasalverbindungen im Bantu.' Zeitschrift für Kolonialsprachen 3:272-278

Schadeberg, Thilo C. 1986

'Tone Cases in Umbundu.' Africana Linguistica 10:427-445. Tervuren: Musée Royal de l’Afrique Centrale

Stevick, Earl W. 1965

Shona Basic Course. Washington. D.C.: Foreign Service Institute

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