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Johann Gottlieb Christaller an Erdmann Christaller:

Ein Schreiben Christallers, das so deutlich im Detail die inneren und äußeren Schwierigkeiten zwischen Vater und Sohn Erdmann beleuchtet, was zeitweise fast zu einem völligen Bruch führte; die vielen Unterstreichungen entsprechen einer Gewohnheit Christallers, im brieflichen Verkehr mit seiner Familie viele Hervorhebungen zu machen

(Schorndorf, 4. Dez. 1879)

Jghm o. Nr.: Kopie in Hanau aus Christaller-Archiv, Jugendheim

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Lieber Sohn! Eben fange ich an, Gustav Rapps Brief zu erwidern. Er beginnt mit herzlichen Glückwünschen zu meinem Geburtstag. Da ward es mir auf eimal klar, warum Du auf Gratulationen nichts hältst u meinst, 'unter Freunden u gar in der Familie sollten solche Dinge immer gleichgiltig sein.' Du siehst es nur als 'Etikette' u leere Höflichkeitssache an, u wenn es nichts mehr wäre, als das, wenn die Sache nicht einen edlen Grund u Kern hätte, könnte man Dir Recht geben; man wirds aber doch nicht, weil kalte Verstandesmenschen ohne göttliches Leben mit ihren trockenen alltäglichen Plattheiten nicht gegen das, was die Ahnung einer höheren Weihe des Lebens ausdrückt, aufkommen können. Deine Geburtstagswünsche hätten allerdings keinen Werth, weil Du mir nichts bieten kannst mit blosen Wünschen, außer wenn Du Dir Mühe geben wolltest, mit irgendetwas mir mehr Freude zu machen als bisher, etwa mit veränderter Aufführung, u das kannst du wieder nicht, denn Du hältst Dein Verhalten für so correct als möglich. Also die Art von Wahrheitssinn, die Du hast (u die ich gelten lassen will, obwo(h)l ich eine andere höherstehende Art von Wahrheitssinn kenne) sagte Dir: Geburtstagswünsche haben für einen (d. i. absichtliche Lücke!?) eigentlich keinen Sinn. Aber höre, was mir Gustav wünscht:

<2>

'Möge Gottes Segen immer über Dir u den Deinen walten, u mögest du noch lange als sein getreuer Diener arbeiten dürfen. Mir wird es jetzt immer mehr u mehr klar, wie schön es ist, Gottes Knecht oder vielmehr Gottes Kind zu sein. Und wenn ich dies jetzt einsehen lerne, so danke ich es auch sehr viel Deinen Lehren u Deinen Ermahnungen, die Du mit großer Geduld mir immer wieder zu Theil werden ließest. Besonders Dein letzter Brief an mich nebst den beiliegenden Heften hat mich sehr angesprochen. Meinen besten Dank dafür, sowie überhaupt für Deine liebevolle Theilnahme. Ja, ich kann jetzt mit ruhigem Gewissen sagen: Ich glaube an Gott. Mit meinen Zweifeln ist es vorbei u zwar bin ich auf folgende merkwürdige Art dazu gekommen. Eines Abends legte ich mich früh zu Bett, nachdem ich wieder einmal das Bedürfnis gehabt habe zu beten. Da ich nun nicht einschlafen konnte, beschäftigte ich mich in Gedanken viel mit dem Christentum u dem Glauben. Da wurde mir alles so klar, u die Gewißheit, daß die christlichen Lehren wahr seien, daß ich sie glauben dürfe, machte mich sehr glücklich.'

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(Auf der Rückseite des Briefbogens steht): Schorndorf, 10. Decbr 1879. Lieber Sohn! (d. i. Erdmann Gottreich)

Heute war u ist also Dein Geburtstag. Ich hatte im Sinne, vorstehenden am 4. Dec. angefangenen Brief gestern zu vollenden u abzuschicken, daß Du ihn heute erhieltest, aber es kam mir eine erste Correctur des 16ten Bogens meines Wörterbuches u die Nothwendigkeit neues Manuscript abzusenden, dazwischen. Ich darf nicht in Sorge sein, daß Du meine Gratulation vermissest, da Du meinst, Geburtstage, sollten nicht blos Dir, sondern auch andern Leuten immer gleichgiltig sein. Aber da fällt mir Sokrates ein, der einen nicht grüßenden Mann doch seinerseits grüßte u seinen Schülern, die sich des wunderten, sagte. 'Meinet ihr denn, ich solle auch so unhöflich sein wie er?' Es wäre für Dich folgerichtig, auch alles Grüßen für gleichgiltig zu erklären, zumal da alle Grüße eigentlich Gebete sind, u das Gebet, auf das die größten u gebildetsten Völker in alter u neuer Zeit ungemein viel hielten, in Deiner Philosophie wohl keine Stätte findet. Aber mit solcher Philosophie bist Du betrogen u verkauft.

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Nun, was ich Dir zu Deinem Geburtstage wünsche zu erflehen, ist, daß Du je eher je lieber, noch binnen der 15 Tage bis zu Deinem Tauftag am 25. Dec. verstreichen werden, umwendest zu dem Gott Deines Lebens, der Dich, da man schon Dein Leben verloren geachtet, aus Deiner Mutter Leibe gezogen hat.

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Der Unglaube ist eine furchtbare Macht. Er ist die größte Sünde. Der Ungläubige verschließt sein Herz gegen alle besseren Eindrücke. [...] Die Weisheit ist ein Ausfluß u eine Gabe Gottes. die Thorheit ist eine natürliche Folge des Abfalls (Eph. 4,18): Thöricht wird somit jeder handeln, welcher getrennt von Gott u seinem Wort etwas unternimmt, redet, thut [...]' Ceterum censeo: 'Die Furcht Gottes ist der Weisheit Anfang. Das ist eine feine Klugheit', u gescheiter als der Stammbaum: Mensch, schmalnasige schwanzlose Affen - -, Beutelthiere - Lurche - - - Würmer, Moneren.!!! (vielleicht 'monerem' - griech: phaskontes einai sophoi emoranthäsan) -. Möge ich nie wieder etwas gegen den ganzen Complex der glaubenslosen u erzabergläubischen Narrheiten an Dich schreiben müssen! Besinne Dich u stehe stille, denk über Deinen Standpunct nach! -

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Kannst Du in Deinem Stübchen auch warm kriegen? Ich habe einen Regulierofen in meinem Arbeitszimmer, Mutter u Kinder wohnen im Schlafzimmer, das Wohnzimmer wird für Euch, wenn ihr kommt, warm genug werden. Bringest ja keine Bücher mit, ich habe allerlei u genug. Dein Vater.

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