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Stadtpfarrerin Schmidt an Martha Christaller:

Anfrage wegen gewisser Zustände im Mädchenhaus in Basel, vor allem was körperliche Strafen betrifft

(Bietigheim, 6. Juli 1875)

M3,75

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Liebe Fräulein Martha!

Obwohl Ihnen ziemlich fremd, habe ich doch das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie in einer Angelegenheit, die mich tief bewegt, mir die volle Wahrheit sagen werden. Wie Sie wissen, war Eunike Mader seit August in unserem Haus u wollte ich - da wir eine ältere Person für unser Haus nöthig glaubten - ihr bis 1. August eine Stelle suchen. Da ergab sich ganz ungesucht, daß mir von meinem 13-jährigen Sohn, der noch ganz unbefangen und in solchen Dingen unschuldig ist, Mittheilungen gemacht wurden, die mich aufs Tiefste erschütterten. Nicht blos konnte durch Zeichnungen u Inschriften von Eunike bewiesen werden, bis zu welchem Grade von Schamlosigkeit sie es gegenüber meinem Sohn getrieben hatte, sondern sie machte auch Aussagen über die Behandlung im Mädchenhaus, die mich aufs Tiefste empörten. Ich habe leider guten Grund zu glauben, daß sie viel gelogen hat, aber unmöglich kann es grundlos sein u völlig aus der Luft gegriffen, was sie von der unmenschlichen Strenge erzählte.

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So führte sie an, daß Sie - nach einem schweren jugendlichen Vergehen - das sie ausführlich erzählte - gezüchtigt worden seien, daß Sie längere Zeit hätten zu Bette liegen müssen. Es existiert der Bock in Wahrheit, von dem sie immer und immer erzählte, daß die Mädchen in diesen eingespannt werden, um mit Ruthen, oder Reitpeitsche oder Meerrohr gezüchtigt zu werden?

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Ist es wahr, daß Eunike einige Male durchgegangen ist mit Knaben und einmal mit ihrer Schwester nach Bern, wo dann Frl. Scholtz ihr nachreiste? Ich sah selbst eine Zeichnung, die angeblich von Ihnen ist, auch einige Worte von Ihnen, darauf stehen, mit Ihrem Namen, woraus ich schloß, daß der Bock in Wahrheit vorhanden sei und gebraucht werde.

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Wenn Sie wüßten, wie lieb u theuer (mir) das Kinder-Missionshaus ist, seit meinem 17. Jahre, so würden Sie meine Alteration eher begreifen, die sich meiner bemächtigte, als ich diese Sachen erfuhr. - Ich frage Sie vor dem Angesichte Gottes, vor dem wir beide einst stehen werden: Können Sie sagen, daß all diese Aussagen völlig Lügen sind ohne jegliche Grundlage - oder können Sie in Wahrheit sagen, daß die Mädchen in den Bock gespannt werden zur Züchtigung?

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Ich kann Sie nicht zwingen, mir die Wahrheit zu sagen, aber Sie wissen, daß ein Auge über uns ist, das nicht belogen werden kann. Ich bin so angegriffen, daß ich Sie inständig bitte, mir sobald als möglich zu antworten, indem ich die Wahrheit unter allen Umständen wissen will.

Mit herzlichster Begrüßung Stadtpfarrerin Schmidt in Bietigheim. (Eunike Mader streitet alle Vorwürfe gegen sich im Brief an Martha Christaller vom 20. Juli 1875 aus Mägerkingen ab:

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... kam wieder plötzlich ein Brief (d.i. von der Stadtpfarrerin) u da kamen die aller abscheulichsten Lügen, die Paul ihr von mir gesagt hatte, als hätte ich ihm das erzählt. Ich kann nicht anders sagen, als es sind Lügen, denn ich war wie aus den Wolken gefallen, als ich es hörte. Ich habe mich vor Gott und meinem Heilande geprüft und Er wird die Wahrheit an das Licht bringen, das glaube ich. (M3 Signatur): 'Martha Chr. an Freundinnen' 75. Von Martha Chr. gibt es hierzu in den Archiv-Unterlagen keine Hinweise, aber eine entsprechende, sehr deutliche Bleistift-Zeichnung ist mit kurzem erläuterndem Text (BV 357 I o Nr. und Signatur in einem Briefumschlag des Basler Archivs vorhanden. )

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