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Johann Gottlieb Christaller an Gottliebe Merkle:

Großes Stimmungstief bei Christaller in Afrika, doch unterschwellig lebt die Wiederverheiratung in seinen Gedanken, wobei unausgesprochen bleibt, ob hier etwa Bertha Ziegler mit im Spiel ist

(Akropong, 3. Okt. 1867)

M1,67 GC 14

<1>

Geliebte Schwester, Du hast mich in Deinem Brief vom 18. August zu trösten u zu ermuntern gesucht, u ich danke Dir sehr herzlich dafür, daß Du u einige andere oft meiner gedenken, kommt mir gewiß gut; ich denke oft, es könnte mir, besonders äußerlich, noch viel viel schlimmer ergehen u ich habe es Eurer Fürbitte zu danken, daß ich doch täglich auf sein u etwas thun kann.

<2>

Als im Juli u August Bruder Bellon schwer am Fieber darnieder lag u drei Wochen immer einer von uns bei ihm schlafen mußte, war es mir gewiß, daß ich noch nie so krank war, daß auch nur eine Nacht andere in ihrer Ruhe gestört worden wären; auch bin ich, wenn ich mich recht erinnere, nie oder doch nur sehr selten einen ganzen Tag im Bette gelegen. [...]

<3>

(betr. Bruder Bellon) [...] der hat seine schönste Zeit noch vor sich [...] während es mit mir, wie es mir vorkommt, bergab geht, ehe ich zur Höhe des Lebens gelangte. Ich hätte diesmal das Schreiben am liebsten ganz bleiben lassen, denn ich bin dazu unfähiger als je, eben läutets 9 Uhr u ich habe den ganzen Morgen, obwohl schon seit 6 Uhr auf, wieder nichts zustande gebracht außer diesen paar Zeilen.

<4>

Solange ich am Übersetzen sitze, bin ich befriedigt, wenns auch gegenwärtig nur langsam vorwärts geht. Aber in den Zwischenzeiten, wo doch auch so manches geschehen sollte, sind meine Gedanken ganz zerzaust und zerstückt. Lesen geht schon, aber es bleibt mir nicht viel davon, und wenn ich z.B. auf eine Predigt oder Lektion vorbereiten soll, so fehlt es am Stoff und an Auswahl, Eintheilung u Einkleidung der Gedanken und am Festhalten des Gedächtnisses.

<5>

[...] Daß meine 2 Knaben mich wieder holt bestohlen haben, habe ich wohl im letzten Brief erwähnt, der Verlust, soweit er etwa nicht ganz ersetzt ist, wäre am leichtesten zu verschmerzen, aber ich habe mir den Vorwurf zu machen, daß ich das Geld nicht gut vor ihnen verwahrt u daß ich sie nicht durch treuere Sorge für ihre Seele u Freundlichkeit angezogen habe u sie nun die Umgebungen u Einflüsse des Heidenthmus u ihrer Sünde wieder preisgegeben sind. Hatten sie vorher schon jeden Tag Unlust u nie Freude gemacht, so konnte ich sie jetzt nicht mehr um mich haben; ein anderer der mir zusagte, kam nicht wie er versprochen u der den ich jetzt habe ist ordentlich, aber langsam u ungeschickt u in der Zeit wo er nicht zur Schule geht, weiß ich ihm meist keine Arbeit u ohne solche verdirbt er, gebe ich ihm welche, so sollte ich sie zeigen u nachsehen u habe doch keine Zeit u Gedanken dafür, oder die Gedanken kommen mir immer störend zwischen die andern hinein. Aber das sind nur schwache Andeutungen, und unterbleiben besser.

<6>

Das Schwerste u Schlimmste ist, daß die Trostquelle, zu der Du mich weisest, selber mir geworden ist wie ein Born, der nicht mehr quellen will (Jer. 15,18), ja daß es mir vorkommt, als habe ich sie eben nur im Kopf u vom Lesen u Hörensagen u nicht vom Herzen u im Erleben erkannt, und dann, daß ich jetzt 40 Jahre alt bin u die Frische u Kraft, die mir bisher fehlte, nicht leicht jetzt erst kommen kann. (Er denke zwar wohl, wenn er ein einziges Jahr ungestört seiner Arbeit obliegen dürfte (wie es nur in der Heimat, nicht hier sein könnte), so könnte er noch zurecht kommen.)

<7>

Hauptsächlich daß ich 1860 nach Winnenden verbannt wurde ohne eigentliche Arbeit, hat in meinen Lebensgang u in die schriftlichen Arbeiten unserer Tschi-Mission eine unbeschreibliche Verwirrung gebracht, es ist, wie wenn man mir zwei Finger aus der Hand genommen hätte, was ich in den Folgen täglich so vor mir sehe, kann ich nicht vergessen, u deswegen stolpere ich auch immer noch im Vaterunser über das 'Wie wir unseren Schuldigern vergeben', u darum bin ich auch noch nicht aus den Versuchungen heraus u von dem Bösen noch nicht erlöst.

<8>

Dazu kommt dann noch die bei mir u anderen lebhafte Erkenntnis gewisser Zustände in der Mission, die sie nicht so sein u wirken lassen, wie sie sollten, ferner die große u viele Arbeit, die hier noch gethan sein sollte, u die dann, wenn ich am Leben bleibe, daheim meiner wartete. Würde ich aber unterliegen, so stünde es mit meinen unfertigen Sachen über die Maßen traurig. Der Druck der Bibel u anderer Bücher würde sich 6 bis 10 Jahre länger verziehen.

<9>

[...] Es ist wahr, ich habe mich schon manchmal in solchen Lagen befunden u es gieng vorüber, - doch wars eben mehr ein Nachlassen, noch nie ein eigentliches Vorübergehen, u eben daß solche Zustände schon mehr als mein halbes Leben weg- oder eingenommen haben, macht sie mir bedenklich.

<10>

(Er lerne Lieder auswendig, diese kämen aber nicht aus seinem eigenen Herzen. Er [...] zitiere einige Lieder u meint, er müsse sie noch mehr verinnerlichen,) [...] ich wollte, ich hätte statt auswendig zu lernen mich mehr im Selbstdenken geübt, ich hielt meine Gedanken nicht gehörig in Zucht, u war mir nicht streng darin, des Vaters u der Lehrer entbehrte ich, und mein Gottreich steht, scheint es mir, in Gefahr, es auch so zu machen, indem er so schwer rechtzeitig an seine Sachen zu bringen ist, wie H Pfisterer schreibt. [...] (Er sehe die mögliche Wiederverheiratung als eine Art Versuchung an.)

<11>

[...] Meine Sache scheint mir so zu stehen, entweder sollte ich die Hoffnung auf eine wesentliche Änderung oder Besserung meines Charakters, d. h. des Gepräges, das mir meine Gemütsanlage, Erziehung und Lebenserfahrungen aufgedrückt haben, aufgeben, mich den Rest meines Lebens eben nur im täglichen Sterben üben, aufs leibliche Sterben u aufs rechte, befreite, ewige Leben vorbereiten. Dann müßte ich Gedanken wie die fraglichen in mir selber unterdrücken u so viel nur in meiner Macht stände, auch außer mir. [...] Seither tritt mir nun als Frage das Oder entgegen: Darf u soll ich (denn Erlaubtes u Pflicht fällt beim Christen zusammen) diese mögliche Aussicht zur Unterstützung meines entschiedenen Wiederaufraffens mir dienen lassen? Mit Ansprüchen gehe ich nicht um; es ist mir merkwürdig, daß nur Gedanken auf mich gerichtet werden; entweder ist es eine Versuchung für sie u mich, oder wird eine Führung daraus offenbar werden. Das würde aber wiederum eine wunderliche geben, denn ich sehe nicht ab, wie es werden sollte oder könnte, einen einzigen Gedanken, wie sich mein Leben etwa noch gestalten könnte, kann ich nicht trauen, doch ist er nicht selbstisch, sondern würde dem Bedürfnis vieler Christen im Tantelande, ja der Mehrzahl der Tschi redenden Stämme entgegenkommen, nemlich: die in der Heimat gedruckten Bücher in Tschi, vor allem die Bibel, persönlich unter den Fante-Christen (der Methodisten Mission) einzubürgern.

<12>

Die Wittwe eines englischen Beamten will auch bei oder in Cape Coast die erste Erziehungsanstalt für das weibliche Geschlecht errichten. Die englischen Missionare habens noch nicht zum Erbarmen des Fante (Tschi) gebracht.

<13>

Von Bedeutung könnte werden, ob die Committee mich wirklich in Basel meine Druckarbeiten ausführen lassen, oder, etwa weil sie nicht gerne mehrere Missionare in Basel hat, mich anderswo wohnen lassen will. Ich gedenke vor meiner Abreise von hier, also etwa künftiges Frühjahr, darüber anzufragen.

<14>

Der Umstand, daß meine Schwiegereltern eine für meine Zurückkunft mit Emilie berechnete Wohnung einrichten ließen, hat vielleicht bei B(ertha) Gedanken hervorgerufen, die aber dann doppelt mißlich oder mißtrauisch anzusehen wären; doch könnten sie, wenn sie sich nach Gottes Rath nicht verwirklichen sollten, vielleicht vorübergehend ihr zur Verwahrung nach anderen Seiten hin dienen. (Bertha schrieb nemlich, wenn ich daheim sey, wolle sie, B., Tschi von mir lernen!)

<15>

Für die Bibelübersetzung wird der Missionskasse eine bedeutende Summe von der Ev. Bibelgesellschaft ausbezahlt werden, aber mich wird die Arbeit daheim zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. [...]

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