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Johann Gottlieb Christaller an Joseph Josenhans:

informelles Schreiben über Christallers Tätigkeiten während seines Urlaubs und Überlegungen seine berufliche Zukunft betreffend

((Winnenden), 26. Sept. 1861)

M3,61 G C 5

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Verehrter u geliebter Herr Inspector, Ihr Brief vom 29. Juli und was Sie mir am 8. Sept in Gmünd sagten, veranlaßt mich zu gegenwärtigen Zeilen, u zunächst zu einem kurzen Rückblick auf die letzten zwei Monate, aus welchem zugleich ersichtlich sein wird, warum ich gedachten Brief, den ich am 12. Aug. in Teinach erhielt, nicht schon früher beantwortet habe.

Ich war nach H Ob. Med. Rat Zellers Anweisung am 23. Juli nach Dizenbach gegangen, da traf ich Br. Hebich u kam täglich mit ihm zusammen, was mir recht wohl that. Am 29. Juli aber erhielt ich einen Brief, nach welchem mich H v Zeller auf den 30. Juli zurückberief, weil H Pf Meuret Aufträge von Ihnen für mich mitbringen werde. Letzteres war zwar nicht der Fall, aber ich erlaubte mir nun, gestützt auf frühere Äußerungen von Ihnen über meinen körperlichen Zustände eine Anfrage an H. Ob. Med. Rat, die er mir am 2. August dahin beantwortete, daß ich, statt nach Dizenbach zurück, für drei Wochen nach Teinach gehen solle.

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Am 3. August hatte ich einen unaufschiebbaren Gang nach Kornthal zu machen. Am 5. August reiste ich nach Teinach; ich fand wohlfeileres Unterkommen als in Dizenbach, trank Mineralwasser nach Vorschrift, gieng einige Mal nach Calw zu Herrn Dr. Barth u Dr. Gundert, auch nach Neubulach, Breitenberg, Calmbach, setzte auf den Wunsch mehrerer Kurgäste die tägliche Morgenandacht fort, die zuvor von H Metz aus Freiburg u dann H Pf Sabel aus Hochstetten bei Karlsruhe gehalten worden war, hielt auch, durch H Stadtpfarrer Groß in Zavelstein aufgefordert, am 18. August eine Missionsstunde zu der Kirche in Teinach. Ich konnte mich meines Aufenthaltes in Teinach so wie der 6 Tage in Dizenbach dankbar freuen, wenn mir auch aus den erhaltenen Briefen von Ihnen, von Br. Mader u von meiner Frau z. Theil mit Äußerungen von H. OB. Med. Rath v. Zeller eine erneute Beunruhigung erwuchs, die mich aber der Herr überwinden ließ. Ich lernte vollends von allen menschlichen Erwartungen abstehen u stellte, natürlich nicht ohne das Selbstgericht, zu dem mich die Briefe aufforderten, daß Gericht u die Entscheidung über mich dem anheim, der alles in seiner Hand hat, u daß die Sache ist, daß auch ich(s) bin.

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Am 28. Aug. reiste ich zurück, konnte aber nicht so bald mit H v. Zeller reden. Damit es nicht zu lange anstehe, fing ich am 3. Sept an Sie zu schreiben an, dankte Ihnen, wie ichs hiemit auch jetzt thue, für Ihren herzlichen u wohlgemeinten Brief vom 29. Juli; ich bedauerte, Ihnen die Mühe des Schreibens gemacht zu haben, denn eben um Ihre für andere so kostbare Zeit u Arbeitskraft nicht in Anspruch zu nehmen, u weil ich selbst von meinem Schreiben mir nichts mehr versprach, hatte ich eine mündliche Besprechung für den Fall Ihres Hieherkommens gewünscht. Aber auf das Unmögliche verzichte ich gerne. Ich wollte sodann in meinem Briefentwurf auf die 'Mißverständnisse', die mir in Ihrer Erwiderung auf meinen Brief vom Nov. v.J. entgegengetreten waren, zu reden kommen, faßte dann aber meine Gedanken so zusammen: Ich lasse mir alles gefallen, was die Comm., nach Gottes Willen über mich beschließt, verzichte auf Darlegung der Mißverständnisse, sofern Geschehenes nicht mehr zu ändern ist u nenne nur das, daß ich auf Fort- oder Weiterführung meiner Otschi-Arbeiten u demgemäß Anstellung für afrikanische Literatur (auf 4-6 Jahre, wie Sie annahmen) ebensowohl verzichtet hatte, wie auf meine Wiederaussendung nach Afrika, sobald Sie es für unmöglich seitens der Gesellschaft oder meiner Gesundheit erklärt hatten. Ich hatte nur den einzigen Wunsch, daß es mir vergönnt sein möchte, meine gewonnenen u noch nicht nutzbringend niedergelegten Erkenntnisse von der Otschisprache, insbes. solche, denen sich die Brüder in Afrika (zum Theil ausgesprochenermaßen) nicht sobald zuwenden werden u können, zusammenstellen u die Ergebnisse möglichst concis in Ein grammatisches System zu verarbeiten. Dies hätte ich gerne innerhalb des nun abgelaufenen Erholungsjahres, wie ich dachte, nicht zum Nachtheil für meine Erholung, sondern zu Förderung derselben, thun mögen; dies war es, was ich noch nach meiner Übersiedlung nach Winnenden in meinem Brief vom 16. Nov. v.J. meinte. Daß es nicht geschehen konnte, daß sich - ich darf nicht sagen: mir, sondern der Mission - die Sprache noch nicht 'krystallieren' konnte, während doch Stoffe u Möglichkeit vor Augen lagen, betrübt u demüthig(t), so oft ich daran denke, weil ich glaube, daß Gott aus keinem anderen Grunde es nicht zuließ, als weil ich nicht demüthig genug dafür war. Nun, da einmal Gott durch die Thatsachen, denen ich nicht widerstehen kann, mich für unwürdig u untüchtig dazu erklärt hatte, da ich keine Hoffnung mehr hatte, daß jemand weiter diese Sache mit Erfolg befürworten werde - so habe ich auch diesen einzigen Wunsch, da ich meine Otschi-Arbeiten behufs der Nutzbarkeit für andere zu einem ersprießlichen Abschluß möge bringen dürfen, in Teinach vollends in den Tod gegeben - wie Abraham seinen Isaac - eine Stelle im Walde, unweit T. ist Zeuge, wie ich Br. Maders Brief vor dem Herrn ausbreitete; - ich dachte, die Liebe darf wohl weinen, wenn sie ihr Fleisch begräbt.

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