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Johann Gottlieb Christaller an Joseph Josenhans:

Christaller berichtet von seinem Kuraufenthalt in Teinach und von seinen literarischen Arbeiten und sonstigen Tätigkeiten während seines Urlaubs

(Winnenden, 17. Juli 1861)

BM: BV 357 I 22 (mit Datum vom 16. Juli 1861 liegt ein 7-seitiges Konzept vor mit fast wörtlicher Übereinstimmung in M3,61 G C 1)

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Verehrter Herr Inspector!

Als am 8. Mai d.J. Ihr werther Besuch zu Theil wurde, legten Sie mir u.A. die Verpflichtung, über mein Ergehen Nachricht zu geben, ans Herz. Ich hatte, wie ich damals bemerkte auf Ihr Anfangs Decembers mir zugekommenes Briefchen, gemeint, mich lieber stille verhalten zu sollen. Sie belehrten mich eines Andern, daß ich nun aber dennoch mein Stillschweigen noch nicht gebrochen habe, von wiederholten Versuchen zu schreiben wieder abstand, ist mir leider ein Beweis, daß meine Gesundheit, mein leiblicher u seelischer Zustand noch nicht so ist, wie Sie u ich wünschen. Es kam mir oft vor, als ob die Wendung zum Besseren, die nach meinem Austritt aus dem Secretariat noch in Basel eingetreten war, infolge meines Umzugs nach Winnenden unterbrochen worden sei.

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Eine Darstellung meines hiesigen Seins u Lebens zu geben, fällt mir schwer u ist mir um der Inhaltslosigkeit willen fast peinlich; doch weiß ich, daß der Herr auch aus meinem hiesigen Aufenthalt Frucht für mich u Andere erwachsen lassen kann, ob wir auch für jezt wenig oder nicht sehen. Ich hätte zu schreiben von unserem äußeren Befinden, meinem Umgang, meiner Beschäftigung, die im Sept v.J für uns gemietete Wohnung wäre, mit Mühe gefunden, fast wieder abgesagt worden, wenn der Brief an mich nicht schon fort gewesen wäre, da der Raum des Hauses für zwei Familien u eine dritte kleine Haushaltung sehr beschränkt war. Unsere am 23. Oct. bezogene Wohnung war zuvor einem einzelnen Manne durch gewisse Übelstände entleidet worden, trozdem daß er seiner Zeit der einzige Miethwohner im Hause war, unsere jezige Wohnstube nur als Schlafzimmer benützte u dagegen ein größeres u besseres Zimmer daneben als Wohnstube hatte, stattdessen der Hausbesizer uns nur ein kleines, im Winter fast unbewohnbares Hinterzimmer noch abtreten konnte.

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Fenster u Thüren unserer Wohnstube ließen in dem nassen Herbst u kalten Winter ungebührlich viel Zugluft u Rauch, Nässe u Kälte ein, so daß meine Frau und ich samt den Kindern mehr als je zuvor an Schnupfen, die Kinder besonders auch an Hustenkrankheiten litten, und wir z.B. nach Neujahr unser Jüngstes an Katarrh, Fieber zu verlieren uns schon gefaßt machten. Seit dem Eintritt der wärmeren Jahreszeit dagegen ist unser Gesundheitszustand im allgemeinen, Gott sei Dank, gut. Was mein Verhältniß zu den Leuten in Winnenden betrifft, so fühlte ich mich, obschon ihr Mitbürger und fast allen bekannt, doch im ganzen als Fremder unter ihnen; die Fragen nach meinem Befinden u meinen Aussichten hatte ich immer etwas schwierig zu beantworten, einem Feldarbeiter nur als müßiger Spaziergänger zu erscheinen, that mir weh, und doch ließ sich auch nicht wohl machen, daß ich mit aufs Feld gieng. Am Sonntag nachmittags, begab ich mich gewöhnlich in die Gemeinschaft bei Tuchmacher Rausch, wo das sonntägliche Evangelium betrachtet, abends in die bei Jakob Geiger, wo eine Predigt von Pfarrer M. Hahn gelesen und darüber gesprochen wurde.

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Fast mehr als in der Stadt wurde ich in der Heilanstalt heimisch; ich besuchte die Bibelstunden am Mittwoch Abend, die Gottesdienste am Sonntag, nahm an Spaziergängen theil u an einer wöchentlichen Zusammenkunft in der Post, wobei u.a. alle bedeutenderen Dramen Schillers besprochen wurden, die ich deshalb auch vorher las.

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Den Unterricht im Englischen, von dem ich in dem Brief vom 16. Nov. geschrieben, setzte ich fort, so gut es gieng, Unregelmäßigkeit u Wechsel der Theilnehmer, Mangel an entsprechenden Hilfsmitteln und ähnliche Umstände, ließen freilich keine im Verhältnis zum Zeitaufwand stehenden Ergebnisse erzielen; im Bewußtsein der Lücken u Mängel meiner eigenen Kenntniß der Sprache verschaffte ich mir im Frühjahr eine englische Grammatik und entlehnte eine andere, um etwas gründlicher in die Sprache einzugehen.

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Die Correcturen des Neuen Testamentes in Ga giengen fort, wobei mich nur die Verlangsamung des Drucks durch meine Entfernung vom Druckort um des Wartens der Brüder in Afrika willen manchmal schmerzte; Bruder Mader übersandte mir sein Manuscript des Römerbriefs u der 32 ersten Psalmen zur Durchsicht u Verzeichnung meiner Bemerkungen, was mir weit mehr eine willkommene als unerquickliche Arbeit war, durfte ich doch denken, daß der Druck dadurch correcter ausfallen werde als bei der Genesis in Otschi. Bruder Mader sprach im Mai (und später wieder) den Wunsch aus, ich solle mich an eine Grammatik der Otschi-Sprache machen, ich hatte mich aber, seit ich statt in der Wohnstube mich mehr in jenem Hinterzimmer aufhalten konnte, eben etwas mehr ins Englische eingelassen oder Briefe u ähnliches zu schreiben, was ich nicht gekonnt hätte, solange man einheizen mußte; dagegen neuerdings bahnte ich mir durch Vervollständigung einiger Vorarbeiten den Weg zu einer solchen grammatischen Arbeit. Aber dies alles that ich nur soweit, als ich es mit meiner Verpflichtung, anstrengender Arbeit mich zu enthalten, vereinigen konnte.

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Besuche in hiesigen Häusern, in benachbarten Orten, in Grunbach, Waiblingen usw machte ich öfters, sowie Spaziergänge, allein oder mit Frau und Kindern, besonders meinem Erstgeborenen. Um nun aber meinen Zustand zu einer solchen Klarheit zu bringen, daß die verehrte Committee einen weiteren oder definitiven Beschluß über mich fassen könnte, glaube ich nicht, daß irgendein Bericht von mir noch auch, wenigstens für eine definitive Entscheidung über meine Zukunft, ein Bericht von Herrn Ob.Med.rath von Zeller genügen würde. Dagegen sprach ich, als ich am 13. d.M. mit Herrn von Zeller nach Ludwigsburg fahren durfte, einen Gedanken gegen ihn aus, der sogleich seine Billigung fand, was mir Muth macht, ihn auch hier ein wenig näher auszuführen.

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Sie selbst, verehrter Herr Inspector, thaten nemlich einmal den Ausspruch gegen mich: 'Du mußt eben einmal mit mir wohingehen, wo wir - dies war wenigstens der Sinn - eher Zeit haben, miteinander zu reden.'

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Als Sie im Sommer 1859 nach Deinach (= Teinach) giengen, (und ich dann auf drei Wochen nach Felsenegg bei Zug), wäre es Zeit gewesen, daß ich Sie an jenes erinnert u gefragt hätte, ob er nicht jezt in Erfüllung gehen könnte; aber ich hätte nicht den Muth gehabt zu fragen, wohin Sie gehen und ob ich etwa auch dahin kommen dürfte, sondern wollte dessen warten, was ohne mein Zuthun mir zu thun nahe gelegt werde.

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Die Kaltwasser-Cur dort in Deinach wäre mir vielleicht auch recht gut bekommen, doch hatte ich keine ärztliche Anweisung zu einer solchen. Nachher klagte ich mich der Versäumnis aus Schüchternheit an; jezt möchte ich das damals und dann wieder während der Vakanz des vorigen Sommers Versäumte nachholen. Sooft ich nemlich in letzter Zeit mich daran machen wollte, Ihnen und der v.Committee erwarteten und schuldigermaßen Bericht von mir zu erstatten, kam ich zu dem Endergebniß, daß, was und wie ich auch schreibe, ohne Beseitigung der früheren - nur fortgesezte oder neue Mißverständnisse herbeiführen wird. Daß dagegen nichts so zweckdienlich wäre, ja nichts anderes übrig bleibe, als wenn ich einmal zu einer Zeit, wo Sie nicht im Drange der Geschäfte oder in der vielfachen Angesprochenheit einer kurzen Besuchsreise wären, mit Ihnen reden könnte, etwa wie ein 20-25 jähriger Sohn mit seinem 50-jährigen Vatr reden darf, wenn es sich um Untersuchung stattgehabter Verwicklungen im Leben des Sohnes, um Verständigung über gefaßte Ansichten u über die inneren u äußeren Gründe des gegenseitigen Benehmens, um die Gestaltung der ferneren Lebensverhältnisse handelt.

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Ich meine, das Alles in bezug auf die Hauptgesichtspuncte, durchaus nicht mit Hervorsuchung möglichst vieler einzelner Fälle, wie man sie mir etwa zutrauen könnte. Sie werden mich soweit kennen, daß ich nicht gerne andern Leuten zur Last falle oder Unlust verursache, u ich wünschte das bei Ihnen so sehr oder mehr als bei irgendjemand zu vermeiden, ich kann mir auch allerlei die Sache kurz abweisende Einwürfe von Ihnen denken, die für sich der höchsten Beachtung werth sein mögen, z.B. die Verweisung auf die Nothwendigkeit des unbedingten Glaubens an die göttliche Fügung u Führung; aber es dringt sich mir immer wieder die Überzeugung auf, daß gerade eine solche Besprechung, soweit u sofern sie möglich ist, unerläßlich ist; meine Erfahrungen in den lezten Wochen bis auf diesen Tag, Ihr Brief an mich vom Ende Nov. v.J. viele Ihrer früheren Äußerungen sind mir Besweis dafür, u ich glaube, daß göttlich u menschlich gültige Gründe vorliegen, deren Macht ich mich nicht erwehren kann. Und so bitte ich Sie denn, Sie möchten mir, wenn es Ihnen möglich wird, was in dieser Vacanz-Zeit wohl der Fall sein dürfte, eine solche Gelegenheit zu ruhiger Erörterung meiner Angelegenheit gewähren. Herr Ob.Med.Rath sagte mir, er wünsche sehr, Sie möchten um Ihres Albrecht willen einige Tage hier zubringen; in diesem Falle würden Sie vielleicht ein paar Stunden für mich erübrigen können.

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Als ich am 13. d.M. Herrn Ob. Med. rath sagte, es sei Ihnen voriges Jahr sehr angelegen gewesen, daß ich den noch übrigen Theil des Sommers zu einer Bade- oder ähnlichen Cur benüze, und unter Erwähnung Dizenbachs fragte, was ich nun diesen Sommer thun solle, rieth er mir, für drei Wochen nach Dizenbach zu gehen, und ich hätte bereits angefragt, ob Plaz für mich vorhanden sei, wenn ich nicht in den nächsten Tagen noch einen Besuch abzuwarten hätte. Wenn ich wüßte, wie bald Sie hieher kommen oder wo ich sonst mit Ihnen zusammentreffen könnte, würde ich mich, ob hier oder schon fort, natürlich vor allem nach Ihnen richten, da ich nicht zweifle, daß mein Zurechtkommen mit Ihnen, vielleicht mehr als irgendeine Bade- oder Wasser-Cur den günstigsten Einfluß auf meine seelische und leibliche Gesundheit haben würde.

Mit aller Hochachtung, Ehrerbietung und Dankbarkeit gegen Sie und die ganze verehrte Committee verbleibe ich Ihr ergebenster G. Christaller

Winnenden, 17. Juli 1861.

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