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Emilie Christaller an Mutter:

Emilie bedauert, daß Mutter nicht kommen will, erzählt von ihren beiden Kindern, philosophiert über den Ehestand; Johann Gottlieb Christaller zeigt sich in seiner Anmerkung - sehr selten! - als ein glücklicher Familienvater

(Basel, 30. April 1859)

M3,59 Em 3

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(Emilie:) Du betrübst mich recht, wenn Du nicht kommst, weil Du doch eigentlich keine gerechte Abhaltung hast, was machts denn, wenn die Äcker verkauft werden? das ist ja gerade recht, wenn diese Besorgungen wegfallen; u der Auszug aus einem Haus in das andere ist doch nichts so Erschreckliches, daß man eine ganze Sommerzeit dazu rechnen müßte. Ich meine, wenns nicht aus einem Land in ein anderes geht, ja nicht einmal aus einer Stadt in die andere, so ists ein Bagatell; glaubt sicher, wenn Du warten willst, bis nichts mehr im Wege ist, das Dich abhalten könnte, dann kommst Du niemalen nach Basel. Ob das nächste Jahr noch Dein ist, weißt Du nicht. Du darfst nur krank werden, dann ist Dir der Weg abgegraben. Kurz u gut: Dein letzter Brief gilt nicht.

<2>

Das Bild haben wir erhalten u freut uns recht, es hat aber unterwegs einen Sprung bekommen. Meine neue Magd gefällt mir, ich denke, ich bin mit ihr versehen; sie ist Fuchs u Haas. Sie kam 1 1/2 Tage, nachdem ich meine alte Magd fortgeschickt hatte; da konnte ich schon sehen, wie wenig diese mir leistete, ich hatte nicht viel weiter zu thun, als ich vorher that.

<3>

Unsere lb Kinder u wir sind wohl. Martha ist ein lb herziges Mädele u schreit bei weitem nicht so viel wie Gottreich in ihrem Alter; obgleich sein Herr Papa meint, er habe nie geschrien, als wenns nötig gewesen sei. Er hat scheints viel nöthig gehabt. Ich lasse die Kinder auch im Wägele fahren, jetzt ists auch der Mühe wert, wenns zwei sind. Ich habe ein eigenes Wägele, in welchem Martha bei gutem Wetter im Freien hinter dem Haus schläft u wacht. Dann haben wir noch ein nettes Kütschle, das uns ein hiesiger Würtemberger gelehnt hat, in welchem beide ausfahren können. Gottreich ist ein rechter Gassenvogel, so oft er kann, geht er aus dem Hause, läuft auch auf die Straße, soweit er sieht, wo dann alles hinsteht u über das kleine Figürle lacht, daß es schon laufen kann. Und wenn er dann die Leute mit seinem lb Gesichtle so ehrlich ansieht, sich gar nicht vor ihnen fürchtet, sondern gleich schwätzt, da hat alles eine Freude an ihm. Da höre ich manchnmal sagen: O Jegerl, des isch a siferlich (= säuberlich) Maidele. Man hält ihn meistens für ein Mädchen, obgleich er jetzt ein Bubenhütle aufhat. [...]

<4>

8. Mai. Letzten Mittwoch wurde Martha geimpft u am nächsten Mi wird Gottreich von ihr geimpft, und mit ihm zwei Töchter von Herrn Martin; es ist nemlich hier Sitte, daß man erwachsene Leute noch einmal impft. Es soll hier alle Sommer Pockenkranke geben, deshalb ist man so vorsichtig. In herzlicher Liebe Euch alle grüßend Eure Gottlieb u Emilie Christaller.

<5>

11. Mai (ab hier G. Christallers Hand): Mit Gottreich u den zwei Töchtern Martins wurden noch zwei Kinder mit Marthas Impfstoff bedient; eine der Frauen konnte es kaum glauben, daß Martha erst ein viertel Jahr alt sei; sie meinte, 1/2 oder 3/4 Jahr, so gedeiht sie. An Gottreich muß jedermann Freude haben, er war fast zu unruhig für die Operation, lachte aber gleich wieder, als er fertig war. Er hat ein kleines hölzernes Pferdchen, da zieht er mich, wenn ich morgens gehen will, am Rock, führt mich in das Zimmer u zu dem Ding hin, indem er sagt: hotto, bis ich ihn drauf seze u ein wenig herumführe; er hebt sich am Hals u Ohren oder sizt frei darauf, schaut rechts u links u pappelt, was er weiß. Die lb Großmutter sollte eben selber kommen und sehen. Es sind gewiß Gründe genug dafür u die Gegengründe werden nicht so gewichtig oder gebietend sein. Gerne hätte ich Euch, Ihr lb Eltern, noch weiteres geschrieben, aber die Zeit ist wieder dahin. Die beiden Beilagen bitte ich gelegentlich an Julius zu senden. Schreibt auch öfter, wenns schon nicht viel sein sollte, ich wills dann auch so machen. Euer liebender und getreuer G. Christaller.

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