Artikelaktionen
<< < > >>

Johann Gottlieb Christallers sehr intimer Privatbrief, in welchem er sich über die Wahl einer Partnerin eingehende Gedanken macht und schließlich eine Charakteristik entwirft, was er von seiner Missionsbraut erwarten möchte; Stellen aus Inspektors Brief werden zitiert, Mina Maurer scheint die bevorzugte Anwärterin zu sein (Brief 56/4 fortgesetzt)

(Fernando Po, 29. Juli 1856)

Nbrg JG Chr 22

<1>

Clarence Fernando Po 29. Juli 1856 (Dienstag)

Dachte nicht, daß ich diesen Brief erst 2 Monate später, hier, wo ich nur zwei Tage, heut und morgen sein werde, vollenden werde. Aber die Briefe, die ich durch das Schiff, mit dem ich gestern hier ankam, vor 9 Tagen erhalten, ermöglichen u gebieten es mir, an meiner großen Briefschuld besonders gegen Dich, lb Gottliebin, etwas abzutragen. Daß ichs nicht bälder getan, daran ist das oben erwähnte Widerstreben, etwas in der Heiratsangelegenheit zu thun, ehe ich eine weitere Kunde von Basel erhielt, schuld.

<2>

Nun, am vorletzten Sonntag, 20. d. Monats früh, erhielt ich solche, bestehend in Deinem Briefe an Hrn Inspector vom 9. Juni (Du schriebst Mai) in einer Abschrift von Hrn Insp's. Antwort darauf vom 11. Juni, mit Auslassung der 'Bedingungen' und einem eigenhändigen lb Briefe von H Inspector, der mir sehr wohltat. Er theilt mir zuvörderst mit, daß die Committee die Bitte um Heiratserlaubnis gerne genehmigt habe, sodann, was, nach den Beilagen geschehen sei, und fährt dann fort:

<3>

'Ohne Zweifel wird Dich das Gelesene ein wenig in Unruhe versezen, laß Dir aber nicht grauen, der Herr wirds versehen. Er wird Dir, wie er Dir bisher geholfen hat, auch ferner helfen u Dich bei dem wichtigsten Schritte, den ein Mann tut in diesem Erdenleben, bei der Wahl einer Gattin, gewiß keinen Fehltritt thun lassen.'

<4>

Dann sagt er, warum er nicht ohne weiteres, wie ich gewünscht, bei W.M. anfragte: 'Ja hätten Deine Geschwister auch Freudigkeit gewonnen, dann hätte ich gerne für Dich angehalten. Aber so ohne weiteres dreinfahren wollte ich nicht, daß Dein Schwager Rapp u Hannele ein wenig zu schnell abgeurteilt, bin ich überzeugt, dennoch bin ich überzeugt, der Herr wirds recht machen. Will er, daß Du M.M. kriegst, so wirds geschehen, troz aller Schwierigkeiten glaube es fest, der Herr wird die rechte Wahl für Dich treffen. Schreiben wird man Dir aber vorher nicht können, wenn die Abreise im Sept. geschehen soll. Der Herr erhalte und mache Dich gesund u segne Dich nach dem Reichtum seiner Barmherzigkeit.'

<5>

Ich will nun über diese Briefe u das in der Sache Geschehene meine Gedanken Euch mitzutheilen suchen. Ihr meine lb Schwestern u Schwäger, könntet es freilich erwarten, da Ihr von mir selber ein wenig drauf vorbereitet gewesen wäret, aber ich konnte u wollte nichts von einer Sache schreiben, die für mich ganz in der menschlicher Seits unbestimmten u ungewissen Zukunft nur in der Möglichkeit lag. Auch mit meinem Brief an die Committee, beendet am 29. März, schrieb ich noch nicht an Euch, weil ich deren Entscheidung nicht vorgreifen wollte. (Wann dieser Brief nach Hause kam, ist mir nicht klar. Du liebe Gottliebe, schreibst an Hrn Insp. unterm 9. Mai - soll wohl Juni heißen - Ihre lieben Briefe (vom ?) kamen uns den 5. Mai ? zu.) Von Accra bis England soll das Schiff nur 28 Tage brauchen.

<6>

Am 5. Mai sandte ich einen an Rapp geschriebenen Brief und einen zweiten an Hrn Inspector ab, dieser war, wie es scheint, am 19. Juni, als Hr Insp. mir schrieb, noch nicht in Basel eingetroffen. Kam er, vielleicht bald nachher, in Eure Hände, so konntet Ihr meine Ansicht hinsichtlich der Wahl der Person noch unzweideutiger als aus meinem ersten Briefe an Hrn Inspector ersehen. Schon bei diesem war es mir fraglich, ob ich nur meinen Gedanken an R(ickele) St(einbrenner) erwähnen solle u ich that es, nach meinem Dafürhalten, nur um der Worte willen 'Wenn du einmal ans Heiraten denkst und noch niemand weißt, den Du heiraten möchtest'.

<7>

[...] Was eintretendenfalls die Sorge für die Erwerbung des Bürgerrechtes in Winnenden betrifft, weiß ich zwar nicht, wer sie, falls sie jetzt schon nötig sein sollte, auf sich nehmen wird, ob einer meiner Schwäger es thun könne, hoffe aber, daß das u die Beibringung der nötigen Papiere keine eigentlichen Schwierigkeiten machen wird.

<8>

Was nun die Unruhe, in die mich das Gelesene versezte, betrifft, so kann ich sagen, sie war nicht groß; es war ja schon mehr geschehen, als ich zu vernehmen erwarten konnte, nur das that mir leid, daß da eine Abreise schon im Sept. in Aussicht gestellt ist, die Zeit zur Vorbereitung verkürzt wurde, was aber auch sein Gutes haben wird. Andererseits freut es mich, daß ich so entschieden auf den Standpunkt des Glaubens, des Stilleseins u Harrens gestellt bin. Der lb Schwager Rapp hat W(ilhelmine) gesehen u gesprochen, - ein Wunsch, er möchte meinen Brief vom Anfang Mai schon gehabt haben, ist unnuz, aber was oder wie er mit ihr gesprochen, wäre mir lieb zu erfahren.

<9>

Was nun das Nicht-Entsprechen des Äußeren betrifft, so verwerfe oder unterschätze ich zwar solche Rücksichten durchaus nicht, aber oft siehet der Mensch, was vor Augen ist, der Herr siehet das Herz an; sodann kann und will gerade ich in dieser Beziehung keine Ansprüche machen und würde in äußerlicher Unscheinbarkeit eine Hilfe zum Demütig- und Klein-Bleiben, zum Flehen um die Kraft des Herren, die in den Schwachen mächtig sein will, erblicken.

<10>

In Akropong ist eine Jungfrau, in Jamaica von christlichen Eltern geboren, die ihre u wohl noch mehr ihre Mutter u ihres Vaters höchste Wünsche erfüllt glauben würde, wenn ein Missionar sie heiratete, und ich mag ihr einen wackeren Mann von Herzen wünschen; sie ist derb oder groß u stark genug gewachsen, ist gesund und im warmen Klima einheimisch, so daß sie wohl auch auf gesunde u kräftige Kinder würde rechnen können. Auch da hätte ein Weißer abzusehen von der etwas äußeren Farbe und ich könnte es, wenns nur das wäre; auch würde ich sie wohl leichter als ein anderer meine Muttersprache lehren u mich im Englischen bewegen, aber, wie sie u die Ihrigen wohl nicht alle Erwartungen würden in Erfüllung gehen sehen, so hätte ich nicht, was und wann ich es bedarf. Einmal, als Br. Süß von Gyadam in Akropong war, hätten die Leutchen gar gerne es zu einer Entscheidung gebracht, die Tochter machte sich in einem Briefchen an Widmann zum Gegenstand einer hübschen, nur nicht ganz wahren Parabel, wußte übrigens auf dem Rande ihre Schreibfehler zu entschuldigen u zeigte, von Br. Widmann mündlich um die Deutung befragt, mehr Tro(t)z als Bescheidenheit, noch mehr als die Eltern, so daß die Conferenz sie für einen Monat von ihrer Stellung an der Mädchenschule dispensierte. Br. Widmann war berechtigt, mich zu fragen, ob ich nicht Barmherzigkeit an ihr thun wollte, aber ich fühlte mich nicht verpflichtet, darauf einzugehen. Zu Frau Mohr habe ich früher nur gesagt: 'Dann müßte es auch sein, aber ich denke vielmehr (für den einst möglich werdenden Fall): Gleich u gleich gesellt sich gern.' Wenn nun dieser leztere Ausspruch sich verwirklichen sollte, so könnte ich ja nichts dagegen haben. Ich weiß nicht, ob Hannele (= seine Schwester Johanne Rapp) sich einer ähnlichen Einwendung sogar eines Stadtratscollegiums gegen die eheliche Verbindung unserer eigenen Eltern erinnert. Schwächlicher oder schmächtiger Bau ist nicht gefährlich in warmen Ländern, wenn kein besonderer Krankheitskeim vorhanden ist, und daß eine nicht kräftige Brust (ohne grobe Vernachlässigung gegen Erkältung, die allerdings hier schneller gefährlich werden könnte) ein warmes Clima zuträglicher findet, dafür ist Frau Stanger ein deutlicher Beweis. Letztere gehört auch dem Ansehen nach zu den Schwächlicheren. Daß ihr einziges Kind in Akropong begraben liegt und sie keines mehr bekam, ist auch nicht blos oder gar nicht auf Rechnung des Climas zu schreiben. Ihr Mann hat sie dennoch lieb. Übrigens ist für Kinder in den ersten fünf Jahren Wärme des Klimas wiederum das Beste. (Daß auch für alte Leute ein warmes Clima zuträglich ist, obwohl die Wärme der Tropenländer anders wirken mag als die Ofenwärme, dafür führte uns Dr. Streckeisen eine Reihe holländischer Gouverneurs auf Java (Batavia) an).

<11>

Wenn Hr Insp. an Gottliebe schreibt: 'Am ruhigsten wäre ich, man könnte Gottlieb die Wahl überlassen', so denke ich, wurde meine Wahl aus meinen Briefen von Anfang Mai deutlicher als aus den ersten ersehen u ich würde auch jezt, wenn mir eine Wahl noch offen wäre, keine andere treffen. Der Einwand oder die Befürchtung bei R.St. war mir unbekannt, würde mich aber nicht erschrecken, da ja, wie Hr Insp. schreibt, es oft ganz anders geht als die Menschen denken. Bei Frau Mohr dachte man auch: sie hat in Leutesheim schon das Wechselfieber gehabt, kann man sie da mit gutem Gewissen nach Afrika gehen lassen? Und nun hatte sie noch am allerwenigsten Fieber.

<12>

Ich hatte, nach kurzem Schwanken, das man scheints meinem 1. Briefe noch angesehen hat, mich bestimmt für W. M. entschieden. Daß ich selber nicht gewiß war, galt in Wirklichkeit mehr dem Zustandekommen der Verheiratung an sich, da mein natürliches Gefühl den Wunsch, vorher nach Hause zu kommen, vorzog. Darum schrieb ich auch den (S. 6) oben erwähnten Brief, hatte aber das Gefühl oder meinte es zu haben, daß zuviel Un- und Kleinglaube damit unterlaufe u hatte durch die Umstände u innerlich nicht die Freiheit, den Brief abzuschicken. Ich bin nun im Grunde nicht viel weiter, nur das hoffe u glaube ich, daß der Herr die Sache in seiner Hand hat, u ich deshalb auch jede Entscheidung freudig u dankbar werde hinnehmen können. Es wäre ja auch möglich, daß weder R. St. noch W. M. so bald schon sich entschließen oder sich ihren Familienrücksichten entziehen könnten. Das würde mir dann darauf zu deuten scheinen, daß ich zuvor in Europa mich noch einmal körperlich u geistig und geistlich kräftigen lassen sollte, was nach meinem jezigen Dafürhalten auch nicht zum Nachtheil des Werkes ausschlagen würde. Ich hätte das vor allem für den Fall gewünscht, daß die Geschwister Mohr nächstes Frühjahr nach Hause reisten, damit ich zugleich ihnen unterwegs hätte nüzen können, nun ists aber wahrscheinlich, daß auch Br. Locher Heimkehrerlaubnis erhält (mit Frau und 1 Kind) und das wäre ein noch erwünschteres Zusammentreffen für beide. Wenn aber noch dieses Jahr eine Frau für mich heraus kommt, so kann sie von Frau Mohr auch noch manches für ihre Einleitung in hernach selbständige Wirksamkeit u Haushaltung profitiren. Was Geschw. Dieterle betrifft, so scheint ihr Herauskommen im nächsten Spätjahr noch ungewiß zu sein, ich kenne übrigens die neuesten Nachrichten nicht vollständig. Die Geschw. Mader giengen Anfangs bei Widmanns in Kost (ich könnte dieß, wenn verdoppelt, noch eher, da ich nicht dieselbe Rücksicht auf die Institutszöglinge hätte), seit einiger Zeit ists bei ihnen umgekehrt, d. h. Maders Koch kocht für beide Familien zugleich. Ich bin übrigens den Köchen nicht hold und würde seinerzeit es mit einer Köchin auszurichten suchen, wie unsere Brüder in Osu (Christiansborg) und Abokobi angefangen haben zu thun.

<13>

Um noch einmal auf die Wahl zu kommen - die Eigenschaften, die mir an meiner Lebensgefährtin besonders erwünscht wären, sind u.a.:

Dieser Brief ist natürlich nur für Euch und Euren lb Freund Hafner, sonst wünsche ich ihn in niemandes Händen, wird auch nichts darin sein, das Gottliebe im Auszug oder Abschrift anderen mittheilen könnte. Hoffe, ich lerne einmal Briefeschreiben im Herrn Euer G. Christaller

Fenster schließen