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Emilie Ziegler an Eltern und Geschwister:

Emilie Ziegler über ihre Fahrt nach Basel und ihre dortigen Erfahrungen mit ihrem Dienstverhältnis in Familien; zugleich gibt das Schreiben Aufschluß über ihren Charakter wie auch über das Milieu im Hause des Inspektors

(Basel, 17. März 1850)

M3,50 Em 1

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Herzlich geliebte Eltern und Geschwister!

Mit Freude denke ich schon lange daran, bis ich Euch schreiben werde, wüßte ich nicht so gewiß, wann ich von Euch fortgegangen bin, ich würde glauben, es sei schon weiß nicht wie lange. Oft möchte ich, besonders wenn ich denke, Ihr sitzet ganz friedlich beieinander, bei Euch sein und erzählen, denn ich weiß so vieles (Text hier verderbt) und ich könnte lange lange erzählen von allem dem, und was ich in dieser kurzen Zeit erfahren habe, da würdet Ihr manchesmal zusammen lachen, doch weil dieses nicht sein kann, muß ich eben schreiben.

Ich will ganz vorne anfangen. Wie es mir in Stgrt ergangen, wird der Vater erzählt haben. Abends 1/2 8 Uhr bestieg ich den Omnibus, wir waren noch nicht lange gefahren, so schlief alles, aber mir kam kein Schlaf in die Augen. Um 12 Uhr nachts wurden die Pferde gewechselt, alle stiegen aus und giengen in die Wirtsstube, zwei wahrscheinlich arme Handwerkspursche blieben sitzen, und ich spazierte in der beleuchteten Gasse ganz in der Stille auf und ab, an Euch denkend; (es war in Vaihingen an der Enz.) Bald darauf giengs wieder weiter und mir ward es nach und nach ganz übel, und die beängstigende Sorge drängte sich mir auf, wie wird es Dir auf dieser Reise gehen, so ganz allein und fremd, mit Deinem Übelsein; ganz matt und ich darf wohl sagen krank, kam ich morgens 5 Uhr in Pforzheim an. Ich und zwei Frauen, die auch im Wagen waren, tranken Kaffee, der ordentlich theuer war, die Tasse kostete 9 Kr.

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Nach ungefähr einer halben Stunde giengs weiter mit einem anderen Omnibus, aber mir war herzlich bang. Morgens 7 Uhr fütterte man in einem kleinen Örtlein die Pferde, ich konnte das Aussteigen kaum erwarten, um nur wieder frische Luft schöpfen zu können, aber kaum war ich heraus (es war sehr kalt), mußte ich mich erbrechen, mit schwerem Herzen stieg ich wieder ein. Der Kutscher hatte sich so verspätet, daß wir eine Viertelstunde zu spät zur Eisenbahn nach Carlsruhe kamen, die Leute schimpften mächtig mit ihm, für mich aber war es ein Glück, denn ich wäre gestorben, wenn ich gleich hätte müssen in die Eisenbahn sitzen, und Ihr könnt Euch keinen Begriff machen, was ich ausstand; im ersten Gasthof in Carlsruhe stiegen wir ab, wo es mir sehr mißfiel, war es in der Wirtsstube finster und unreinlich, so warens die Leute darin noch mehr, so ungefällig u unfreundlich sah ich noch nie Menschen, am wenigsten in einem W(irtshaus). Ich aß nun einen Teller voll Suppe, für das ich 6 Kr bezahlte, erst bis 1/2 2 Uhr gieng die Eisenbahn wieder ab, u jetzt war es nicht halb zehn Uhr. Ich hatte also Muse, in der Stadt mich umzusehen, zuerst suchte ich die Schwester des Dobler Bolz auf, und entledigte mich meines Auftrages und hielt mich einige Zeit bei ihr auf.

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Die Leute hier, besonders Frauenzimmer, haben eine eigene Tracht, sie tragen Mäntel, an denen der Kragen in Form einer Haube über den Kopf hergezogen wird, wenn es kalt ist, da meint man grade, es käme ein Butzenmekelei daher, doch schön dürft Ihr Euch diese Mäntel nicht vorstellen, ich sahe manche in Mäntelein einherlaufen, eine Art, als wie mein altes Röcklein, wäre mirs wohl gewesen, ich hätte oft müssen lachen über diese komischen Aufzüge. Ich kaufte mir auch ein Paar schwarze Handschuhe und ein Schreibbüchlein. Um 1 Uhr kam ein Omnibus an unseren Gasthof, der unser Gepäck und uns nach der Eisenbahn führte, die ziemlich weit war, was 12 Kr kostete. Dort nahm ich eine Karte für mich von Carlsruhe bis Basel, was 4 G 31 Kr kostete, die Omnibusfahrt von Efringen bis Basel eingeschlossen, mein Gepäck wog man und ich mußte 2 G dafür bezahlen. Da galt es aber, unter der großen Menge Leute mein Fäßlein zu bekommen und zu behalten, bis ich die Karte dafür hatte.

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Wir fuhren mit der Eisenbahn durch eine wunderliebliche Gegend, der Himmel war ganz klar und die Sonne warm bis an die entlegensten Schneeberge war alles ebenes Land, abwechselnd mit Wiesen, Äckern und Gehöften, die ganz freundlich und reinlich herüberleuchteten; um 1/2 8 Uhr kamen wir in Efringen an, und dann gings sogleich in den Eilwagen, der uns nach Basel brachte, wieder schliefen alle, und auch ich war (müde), aber zu unwohl zum Schlafen.

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Um 10 Uhr kamen wir in Basel an, und ein Knecht nahm mein Gepäck auf seinen Karren, und wir wanderten miteinander zum Missionshause, ich konnte kaum noch gehen, den ganzen Tag nichts gegessen als Frühstück und mittags die Suppe (denn ich fürchtete das Erbrechen). Die lange Zeit schon wie gerädert vom Fahren, und doch hatte ich auch Sorge, ob noch jemand wach sei im Missionshause. Es war 1/2 10 Uhr. Endlich erreichten wir es, es war kein Licht mehr da, der Knecht schellte aber doch, und eine Magd kam herunter, die eine große Freude hatte, als ich ihr sagte, wer ich sey. Sie weckte noch die Hausmutter und sagte es ihr, rüstete mir ein Bett, nach dem ich mich recht sehnte, und erst morgens 7 Uhr erwachte ich von einem herrlichen erquickenden Schlaf; als ich das Haar zurechtgemacht und angezogen war, kam die Hausmutter und holte mich zum Kaffee; nach demselben führte mich die Magd zu Herrn Hofmanns Haus, mit ängstlichem (erg. Gemüt) stand ich davor, ein ganz freundliches Mädchen öffnete die Haustüre, es war die Stubenjungfer, die begrüßte mich ganz schwesterlich und voller Liebe, was mir recht wohltat, sie führte mich zu Hrn Inspector, der mir ganz freundlich u liebreich die Hand bot und Gottes Segen auf mein Hieherkommen wünschte.

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Wir giengen nun in die Kinderstube, wo Paul, ein munterer Knabe, war, der, als man ihm sagte, wer ich sey, mir freundlich die Hand bot und sagte ganz kindlich: Grüß Dich Gott, Emilie! Mir war recht wohl, ich hatte die Leute mir viel trauriger gedacht. Luise, so heißt die Stubenjungfer, ist eine gute liebevolle Seele, Mathilde, die bisherige Kindsmagd, ist ebenso, die Köchin heißt Franziska, die ist nicht so gar nach meinem und auch der anderen Sinn, doch müssen wir sie noch solang behalten, bis Mathilde im Kochen eingeleitet ist. Sibille heißt die bisherige Wärterin des Kindes, sie wird noch acht Tage da bleiben, bis ich mit dem Kinde recht umgehen kann. Heute habe ich es zum ersten Mal angezogen, es ist so ein zartes Wesen, aber so brav, Frau Sibille sagt, in den 13 Jahren, die sie bei Kindern zugebracht, habe sie noch kein solches gehabt. Wir alle haben es außerordentlich lieb; die Frau Inspector muß eine gute edle Seele gewesen sein, allgemein höre ich das, mir wäre lieb, wenn sie noch da wäre.

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Ich kann mich hier sehr gut eingewöhnen, obgleich es ein ganz anderes Leben ist, morgens 6 Uhr steht man auf, um 7 Uhr trinkt man Kaffee, um 12 Uhr ein Gabelfrühstück und um 5 Uhr ißt man zu Mittag, und abends 9 Uhr trinkt man Tee. Diese Geschichte ist mir ganz komisch vorgekommen, und ich mußte mächtig lachen, als man mirs sagte. Auch gehts hier ein bislein vornehmer her als bei Euch.

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Ich habe mit meiner Kleinen ein recht prachtvolles Zimmer, grün austapeziert, Porträte mit goldenen Rahmen, grüne Vorhänge und der Boden mit Teppichen ausgeschlagen, aber mein buckeliges, mit eisernen Gittern versehenes Kämmerlein vergesse ich doch nicht.

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Gesund bin ich wieder ganz von meiner Strapatze, meine Äpfel haben mich wieder herauskuriert. Nächsten Sonntag tauft man, man wird das Kind Sophie heißen, dann habe ich wieder ein Sophlein. Heimweh hatte ich nicht, einmal wollte so etwas kommen, aber ich ließ solchen Gedanken keinen Raum, überhaupt denke ich mir nie, daß ich weit von Euch weg sey, in Gedanken sitze ich bei Euch am Tisch an meinem Platz, einmal träumte mir sogar, ich habe mit Euch gegessen u habe mit den Buben gestritten. Seitdem ich hier bin, habe ich noch keine Erdbirnen gesehen, ich denke oft an [...] (Text fehlt hier im Original) [...] Blatte voll.

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Jetzt kommt aber noch das Allerbeste, gleich den anderen Tag, als ich hier war, bekam ich den Brief, den Fränzels Miene an die Basler Tante schrieb, in die Tasche, und suchte sie im Geschäft unserer Mathilde auf, mit bedächtigen Schritten ging ich die Treppe hinauf und fragte unterwegs einen Küblergesellen nach der Türe, ging hinein, und sah mich sogleich nach einer dicken Frau um, war aber nirgends keine zu sehen. Ein Mädchen von ungefähr 15 Jahren saß da, und eine ältere Frau, ich sagte nur, wen ich hier aufgesucht habe, als die Frau den Namen hörte, stand sie gleich auf und sagte, sie sey es. Ich sehe sie aber ganz unglaublich an, weil ich immer an eine dicke Frau dachte. Ich fragte sie nun, ob sie Verwandte in Würtemberg, in Stgrt und Waiblingen habe, da wurde sie ganz freundlich und sagte, ja, nun sagte ich, so bin ich am rechten Platz. 'Da habe ich einen Brief von Ihren Verwandten', da hatte sie große Freude, hieß mich sitzen und öffnete den Brief. Indes sah ich mich in der Stube um, sie hatte aber gerade ihre Brille nicht bei der Hand und konnte den Brief nicht lesen, wir redeten noch lange miteinander, sie fragte nach allen, besonders nach unserer Familie. Ich erzählte von allen, und da merkte sie auf einmal an meinen Reden, wer ich sey. Ich hatte ganz vergessen, es zu sagen. Sie meinte, ich sey eine Fremde. Ach, da hättest Du ihr (erg. Gesicht) sehen sollen, wie sie eine Freude hatte, jemand von ihren Verwandten aus Würtemberg zu sehen. Sie ist eine ächte Schweizerin in der Sprache, anfangs konnte ich sie beinahe nicht verstehen. Sie sagte zum Beisp. 'justament', 'das früt mich grießli - eine Cousine von meinem Mann selig zu sehen.' Ich fragte sie auch, wer das Mädchen sey, sie sagte es sey ihre Großtochter (Enkel), deren Mutter auswärts, ich weiß nicht mehr wo, verheurathet sey. Sie sey aber von ihrem Manne weg, er habe sie so mißhandelt, zwei Kinder habe sie dem Manne gelassen und diese Tochter, die etwas schwachsinnig sey, habe sie mitgenommen, und nun suche sie in Basel eine Stelle als Wärterin oder so etwas. Ich mußte ihr nun gleich versprechen, an einem anderen Tage mit ihr zu ihren Töchtern zu gehen.

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Am letzten Montag nun kam sie zu mir und holte mich ab, da mußte ich aber aufschauen, wie sie im Stätlein war. Sie hatte einen Mandel an und einen grau seidenen Hut auf, und ganz wie ein Däklein (Döcklein?) angezogen. Wir giengen zu ihrer Tochter Helene, der sie schon gesagt hatte, ich sey hier. Als wir die Treppe hinaufgiengen, stand sie schon oben und hatte eine große große Freude. Auf den ersten Blick rief sie gleich: 'Ach wie siehst Du dem Rickele so gleich, die bei uns war, ganz aus dem Gesicht heraus bist Du ihr geschnitten.' Helene ist groß, aber mager, sie hat viel Ähnlichkeit mit Fränzels Rickele, sie hat fünf Kinder, das jüngste ist 14 Wochen alt. Sie ist recht ordentlich, ich trank Kaffee bei ihr, ihr Mann lag hinter dem Ofen und der Hund neben ihm, beide schliefen. Der ist mir nicht so gar vorgekommen. Sie haben ein Bad, wo wirklich alle Tage Leute baden und es muß recht gut gehen.

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Ich kann mich nun nicht sehr lange aufhalten, ich machte mich daher mit (sc. dieser Frau) auf den Weg. Vorher mußte ich aber Helene versprechen, sie so oft als möglich zu besuchen. Wir giengen nun zu ihrer jüngsten Tochter Rosine, die noch nichts von mir wußte, sie schaute hoch [...] und hatte natürlich auch eine große Freude. Ihr Mann war nicht da, er ist bei der Eisenbahn angestellt, sie hat ein einziges Kind, ein Büblein, das aber grad in der Schule war. Rosine ist groß und stark und recht sauber und blühend. Als ich ihr nun sagte, daß ich im April wieder fortgehe mit dem H Inspector, da sagte sie weinend: 'Oh Du liebe Cousine, bliebst Du doch bei uns, wir kennen gar niemand von unserm Vater selig, und jetzt willst Du auch wieder fort.' Ich sagte, mir sey dies Fortgehen so halb und halb recht, wenn wir nach Cannstatt kommen, so sey ich doch näher bei der Heimat, da sey es doch am besten. Die Tante lachte und sagte: 'Wenn Du bei uns wärest einige Monate, dann würde Dichs auch nicht so grießelich nach der Heimat ziehen, dann wärst Du ganz heimelig bei uns. Ich mußte oft herzlich lachen über ihre Ausdrücke. Ich ging nun bald wieder fort und die Tante führte mich nun wieder bis ans Haus, die dicke Frau, zu der der Gottlieb M gekommen ist, ist die Mutter ihrer Schwiegertochter, uns also ganz unbekannt. Bis ausgangs April ziehen wir richtig von hier ab, wohin, wissen wir noch nicht, aber uns allen wäre es lieber nach Cannstatt.

Jetzt muß ich aber schließen und ins Bett gehen, es ist schon spät. Ich könnte Euch gar vieles schreiben, aber ich denke, wir kommen ja bald wieder zusammen. Lebet alle wohl und seid von ganzem Herzen gegrüßt von Eurer Emilie.

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