Startseite / Archive / 2005 / Jigal Beez 2003. Geschosse zu Wassertropfen: Sozio-religiöse Aspekte des Maji-Maji-Krieges in Deutsch-Ostafrika (1905-1907).
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Vor 100 Jahren, am 20. Juli 1905, begann einer der grausamsten Kolonialkriege Afrikas, der Maji-Maji-Krieg in der damaligen deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika, in dessen Verlauf 200.000 – 300.000 Menschen starben.

"Eines Tages fragte Amina sie nach dem Maji Maji Aufstand. 'Oh, die Deutschen', sagte Ji Bai, 'schlimm, ganz schlimm. Für einen kleinen Fehler – kamsa ishirin [25, B.W.], faap, faap, faap. Ein größerer Fehler: fünfzig Schläge. Oder hundert. Jeden Tag wurden tausend und mehr Hiebe ausgeteilt ... Eines Tages gab es einen Aufstand.' Sie ging nach draußen und kam mit einem Zweig von dem Busch zurück, der neben der Treppe wuchs. Sie drückte ihn an die Stirn, und mit einem langen Stock, den sie wie einen Speer hielt, begann sie zu tanzen und sang dazu: 'Maji maji, maji maji, maji maji ...' Amina fiel natürlich ein und die beiden führten einen kleinen 'Maji Maji Tanz vor, bis sich ein paar junge Männer von draußen hinzugesellten und schließlich der ganze Laden tanzte: 'Maji maji, maji maji ..." (Vassanji 1990:281)

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Mit diesem Zitat aus Moyez Vassanjis Familiensaga „Das Erbe der Muscheln“ beginnt das Buch „Geschosse zu Wassertropfen“ von Jigal Beez (11). Dieses Zitat zeigt, mit welchem Stolz der Maji-Maji-Krieg im postkolonialen Tansania betrachtet wird. Jigal Beez' Anspruch ist es jedoch nicht, schlichtweg die Geschichte dieses, im deutschen geschichtlichen Bewusstsein weitgehend ausgeblendeten Krieges, nachzuzeichnen, sondern - wie es schon der Untertitel deutlich macht - die sozio-religiösen Aspekte dieses Krieges herauszuarbeiten.

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In diesem Sinne werden zu Beginn verschiedene Konzepte zur Klassifizierung religiös inspirierter Bewegungen vorgestellt. Anschließend wird die Geschichte des vorkolonialen Tansanias skizziert, sowie die kolonialzeitliche Entwicklung bis hin zum Maji-Maji-Krieg. Eine kurze Geschichte des Krieges schließt sich an.

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Im letzten Teil untersucht Beez, inwieweit Konzepte zur Klassifizierung sozio-religiöser Bewegungen auf den Maji-Maji-Krieg anzuwenden sind.

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Beez zitiert, wie es sich für eine Magisterarbeit gehört, aus der dieses Buch entstanden ist, sorgfältig. Leider ist dieses Buch nicht wesentlich über eine Magisterarbeit hinausgewachsen. Somit kann das Buch Anregung sein, zum Beispiel, Schriften von Wilhelm E. Mühlmann oder Peter Worsley (z.B. zu lesen. Deren Bekanntheit dürfte sich allerdings nur auf einen kleinen Kreis von Spezialisten erstrecken. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn einleitend, für diese Forschung besonders wichtige Protagonisten mit einem Überblick über ihr Wirken vorgestellt würden. So hat sich Wilhelm E. Mühlmann in Nazideutschland ausgerechnet auf dem Gebiet der „Rassen- und Völkerkunde“ hervorgetan. So lautet auch der Haupttitel des 1936 erschienenen Buches, das den Untertitel „Lebensprobleme der Rassen, Gesellschaften und Völker" trägt. Dies würde es dem Leser erleichtern, vorgestellte Ergebnisse einzuordnen, da gerade in diesem Bereich Forschungen sehr ideologiebehaftet sind. Dies räumt Jigal Beez auch ein, wenn er schreibt (17f):

"Folglich wurde der religiöse Aspekt sozio-religiöser Bewegungen zum Schwerpunkt vieler Untersuchungen. Zur Beschreibung dieser Phänomene wurden Begrifflichkeiten aus dem christlich-jüdischen Kontext übernommen. Das ist problematisch, da es impliziert, daß die entscheidenden Anstöße für diese Bewegungen aus der christlichen Lehre kommen. Viele Ethnologen sind auch davon überzeugt. Sie behaupten, daß allein das von Missionsstationen ausgehende christliche Gedankengut den Impuls für sozio-religiöse Bewegungen liefert. Diese Sichtweise ist eurozentristisch und unwissenschaftlich."

Wenn er jedoch schreibt (16):

"Marxisten sahen in sozio-religiösen Bewegungen einen Klassenkampf, bürgerliche Wissenschaftler degradierten den Marxismus selbst zu einer sozio-religiösen Bewegung (vgl. Lindstrom 1996:372)",

wünscht man sich nähere Erläuterungen, statt eines einfachen Literaturverweises.

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Die Absicht solcher „Degradierung“ ist es, propagandistisch abzuqualifizieren. Das ist ebenfalls unwissenschaftlich. Außerdem wird damit der Begriff des sozio-religiösen zu einer Beliebigkeit. Schließlich liegt jeder revolutionären Bewegung überbaulich eine Theorie oder gar Ideologie der Befreiung zugrunde. Somit wird der Begriff „sozio-religiös“ nichtssagend, wenn er auf alle Bewegungen angewandt werden kann. Eine „sozio-religiöse“ Bewegung wird damit zum weißen Schimmel.

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Die deutsche Ethnologie und Anthropologie hat im Hinblick auf das dritte Reich eine nicht gerade rühmliche Vergangenheit. Deshalb wünscht man sich in diesem Buch eine etwas kritischere Auseinandersetzung mit dem eigenen Fach. Die Magisterarbeit ist ja schon längst abgegeben.

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Im zweiten Teil der Arbeit untersucht Beez die Geschichte Tansanias und des Maji-Maji-Krieges vor diesem Hintergrund. Seine Ausführungen werden sehr plastisch, wenn er aus der Sekundärliteratur Zeitzeugen wie zum Beispiel Mzee Kibilange Upanda zu Wort kommen lässt (66).

"And if it happened that the mzungu [Europäer, J.B.] was travelling through the Country, the people had to carry his wife as well as himself each in a machela [Hängematte, J.B.] And if you did not carry them gently, even as you passed through stones and gravel or up down hill, you were whipped profusely on your buttocks, back and legs and severely reviled." (Gwassa 1973:482)  [1]

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Jigal Beez beschreibt, wie die Tansanier durch Einführung einer Hüttensteuer durch die deutschen Kolonialherren, gezwungen wurden, auf den Plantagen zu arbeiten (66f):

"Die im Jahr 1898 eingeführte Hüttensteuer betrug zwischen 3 und 12 Rupien im Jahr (vgl. Tetzlaff 1970:49). Erst waren auch Naturalien, wie Getreide, Erdnüsse, Kokosnüsse und Sesam oder Arbeitsleistungen zugelassen, doch seit 1900 war die Hüttensteuer ausschließlich in Bargeld zu bezahlen (vgl. Gründer 1991:154). Da viele Tansanier die Steuer nicht bezahlen konnten wurden sie geschlagen und ins Gefängnis geworfen. ... Im März 1905 wurde die Hüttensteuer durch eine Kopfsteuer ersetzt ... Zum überwiegende Teil war die Kopfsteuer eine Arbeiterbeschaffungsmaßnahme für die Plantagenbesitzer."

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In weiteren Beispielen und Zitaten wird die Brutalität des deutschen Kolonialregimes beschrieben. Die Misshandlungen und Vergewaltigungen durch die afrikanischen Söldner der Deutschen, der Askari, war besonders geeignet die Tansanier gegen die deutsche Kolonialherrschaft aufzubringen.

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Der Maji-Maji-Krieg brach im Juli 1905 aus. Maji ist die Swahili-Bezeichnung für Wasser. Diese Medizin sollte dazu dienen, dass sich die deutschen Geschosse auf den Körpern der angreifenden Tansaniern zu Wassertropfen verwandelten. Sie geht auf den Propheten Kinjikitile (s. Beez 2005) zurück. Obwohl dieser bereits im August 1905 ergriffen und aufgehängt wurde, sollte es noch bis 1907 dauern, bis das Kriegsrecht wieder aufgehoben wurde. In Folge des Krieges sollten bis zu 300.000 Afrikaner durch Racheaktionen der Deutschen und einer Politik der verbrannten Erde ihr Leben verlieren.

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Im Buch werden die Spätfolgen beschrieben. Der Krieg war in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. Die deutsche Kolonialpolitik wurde geändert, traditionelle Glaubensvorstellungen der Afrikaner wurden erschüttert, die wirtschaftlichen Spätfolgen in der Region waren katastrophal. Jigal Beez (107):

"Das Gebiet des Maji-Maji-Krieges gilt heute noch als die ärmste Region des Landes und wird von tansanischen Regierungsangestellten als „eine Art Sibirien“ (Schlereth 1983:132) angesehen, wohin man eine Versetzung unter allen Umständen vermeiden sollte.“

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Der letzte Teil des Buches beschäftigt sich mit der Maji-Maji-Bewegung selbst und den religiösen Vorstellungen, die ihr zugrunde liegen. Ob man nun die Maji-Maji-Bewegung am ehesten nach Safari (1972) als Heilserwartungsbewegung klassifiziert, liegen ihrer Entstehung und dem Ausbruch des Krieges zweifelsohne die unerträglichen Zustände des Kolonialregimes zugrunde. Jigal Beez kommt zu dem Schluss, dass die Maji-Maji-Bewegung nativistische, revitalistische und millenaristische Züge aufweist, jedoch keines der im ersten Teil des Buches vorgestelltes Konzept vollständig auf die Bewegung zutrifft.

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Wenn Beez gegen Schluss seines Buches schreibt (165f):

"Für die Tansanische Historiographie und das tansanische Selbstverständnis ist der Maji-Maji-Krieg mit dem 'was Hermann der Cherusker gegen die Römer tat' und den 'Freiheitskriegen' der Deutschen gegen Napoleon von 1813 (vgl. Gründer 1982:228).“

erklärt er leider nicht, aus welcher deutsch-völkischen Kiste die Vergleiche entsprungen sein mögen. Für wen war der Verrat von Arminius an seinem „Freund“ Varus eine Befreiungsaktion, für die deutschen etwa? Solche Deutungen sind in älteren deutschen Geschichtsbüchern zu finden. Schon der Name Hermann ist eine Eindeutschung, um ihn in den deutschen Heldenolymp zu stellen.

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Will man im deutschen Raum eine sozio-religiöse Bewegung in der Geschichte ausmachen so würde sich am ehesten Bundschuh und Bauernkrieg dazu eignen. Thomas Münzer wollte ein Gottesreich auf Erden errichten, in dem jeder gleich und frei sei (Wikipedia s.d.).

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Trotz dieser Kritikpunkte ist das Buch lesenswert. Insbesondere der historische Teil ist sehr instruktiv. Man erfährt viel über Völker, Traditionen und kulturell-religöse Vorstellungen Tansanias. Wer sich intensiver mit sozio-religiösen Konzepten beschäftigen möchte, findet übersichtliche Darstellungen der verschiedenen Konzeptionen und viele Literaturangaben.

Quellen:

Beez, Jigal 2005

'Die Folgen des Maji-Maji-Krieges', Vortrag auf der DETAF-Jahresversammlung in Königswinter 02.04.2005, http://majimaji.de/article14.htm (07.07.2005)

Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon ( www.bautz.de )

'Müntzer (Münzer), Thomas.' http://www.bautz.de/bbkl/m/muentzer_t.shtml (7.7.2005)

Gründer, Horst 1982

Christliche Mission und deutscher Imperialismus : eine politische Geschichte ihrer Beziehungen während der deutschen Kolonialzeit (1884 - 1914) unter besonderer Berücksichtigung Afrikas und Chinas. Paderborn: Schoeningh

----- 1991

Geschichte der deutschen Kolonien. Paderborn: Schoeningh

Gwassa, Gilbert 1973

The Outbreak and Development of the Maji Maji War, 1905–1907, Ph.D. dissertation, Universität Dar-es-Salaam

Lindstrom, Lamont 1996

'Millenial movement and milleniarism' in Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology , hrsg. von Alan Barnard and Jonathan Spencer, S. 371-373. London, New York: Routledge.

Majura, Isack 2005

'Einführung in die geschichtlichen Hintergründe zum Maji-Maji-Krieg.' Vom Vorkolonialismus hin zum Ausbruch des Krieges', Vortrag auf der DETAF-Jahresversammlung in Königswinter 02.04.2005, http://majimaji.de/article13.htm (07.07.05)

Mühlmann, Wilhelm E. 1936

Rassen- und Völkerkunde. Lebensprobleme der Rassen, Gesellschaften und Völker . Braunschweig: Vieweg

Safari, Joseph F. 1972

Grundlagen und Auswirkungen des Maji-Maji-Aufstandes von 1905: kulturgeschichtliche Betrachtungen zu einer Heilserwartungsbewegung in Tansania. Inauguraldissertation, Universität zu Köln.

Schlereth, Einar 1983

Null Uhr – wenn die Sonne aufgeht ...: Reisen in Tansania und Zanzibar; Erfahrungen, Berichte, Frauenportraits, Leben in Dörfern; deutsch-ostafrikanische Vergangenheit. Hamburg: ETS-Verlag

Vassanji, Moyez 1990

Das Erbe der Muscheln (The Gunny Sack). München: Marino Verlag, München 1990.

Tetzlaff, Rainer 1970

Koloniale Entwicklung und Ausbeutung. Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutsch-Ostafrikas 1885-1914. Berlin 1970.

Worsley, Peter 1973

Die Posaune wird erschallen: "Cargo"-Kulte in Melanesien. Frankfurt/Main: Suhrkamp

Wikipedia, s.d.

'Thomas Müntzer', http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Müntzer#heologie_der_Revolution (7.7.2005)



[1] Aussagen der Zeitzeugen aus Gwassa (1973) werden auch in Beez (2005) und Majura 2005) zitiert.

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